Meinung

Künast-Beleidigung, Raffinerie-Attacke, Klima-Streik: Ein Wochenrückblick auf den medialen Abgrund

Der "Klima-Steik", das Urteil zu den Beleidigungen gegen die Politikerin Renate Künast und der Angriff auf saudische Raffinerien: Vor allem diese Themen boten den Mainstreammedien in dieser Woche Anlass für verzerrende Berichterstattung.
Künast-Beleidigung, Raffinerie-Attacke, Klima-Streik: Ein Wochenrückblick auf den medialen AbgrundQuelle: AFP

von Thomas Schwarz 

Eine zentrale Kritik an den mit "Hass-Sprache" und "Fake News" begründeten Zensurbestrebungen gegen das Internet lautet: Durch Maßnahmen privater und dubioser Prüfer wie "Correctiv" oder gar der Internetkonzerne selbst wird der Rechtsstaat beschädigt – weil die Entscheidungen über die Löschung "umstrittener" Äußerungen dadurch in private Hände gerät und kein ordentliches Gericht mehr diese Entscheidungen privater Zensoren überprüft. Bereits die Entscheidungen, wer ein privater Zensor sein darf – also wer löschen darf und wer nicht – erscheinen höchst willkürlich, ebenso wie die Kriterien, mit denen "Hass-Sprache" identifiziert werden soll. Undurchsichtigen oder unlegitimierten Gruppen solche Beurteilung zu erlauben, was "offensichtliche Hass-Sprache" sei und daher zu löschen ist, widerspricht jeder Rechtsnorm. Diese Beurteilungen sind ordentlichen Gerichten vorzubehalten. 

Ein weiteres wichtiges Argument der Gegner von privater Zensur-Infrastruktur lautete zudem bisher: Private "Faktenchecker" seien nicht nur dubios und gefährlich, sie seien außerdem überflüssig, weil die einschlägigen Delikte wie Volksverhetzung oder Beleidigung bereits durch die "ganz normale" staatliche Gesetzgebung verboten sind. Es hapere hier "nur" an der Durchsetzung, weil die Gerichte wegen Kürzungspolitik ihre Aufgaben nicht mehr angemessen wahrnehmen könnten. Private Zensoren würden zudem völlig neue, schwammige und im Strafgesetzbuch nicht definierte Delikte und Begriffe einführen. Das alles führe zu einer Verwischung der Grenzen zwischen politisch-moralischer Empörung einerseits und juristisch klar definierten Verfehlungen – wie etwa Beleidigung – andererseits.

"Hass-Sprache": Künast-Urteil stärkt unfreiwillig private Zensoren

Diesen Argumenten gegen eine Privatisierung von Zensur und für eine zentrale Rolle ordentlicher, staatlicher Gerichtsbarkeit bei Löschungen im Internet hat das Berliner Landgericht in dieser Woche einen wirkungsvollen Schlag versetzt: Es hat die wahrlich schlimmen, absolut eindeutigen Beleidigungen gegen die Politikerin Renate Künast in gefährlicher Weise relativiert oder gar in Abrede gestellt. Durch dieses Fehlurteil haftet der bundesdeutschen Justiz nun nicht mehr nur der altbekannte Ruf an, "schwerfällig" zu sein. Nun scheint es vielmehr und zusätzlich, dass die Gerichte selbst dann versagen, wenn sie die Zeit gefunden haben, sich mit einem Fall von "Hass-Sprache" zu beschäftigen. 

Möglicherweise wollte das Gericht in diesem Fall ganz besonders behutsam sein und auch noch den letzten Verdacht ausräumen, hier würde eine Politikerin durch die Justiz vor "berechtigter" Kritik in Schutz genommen. Falls solch eine übertriebene "Anti-Zensur"-Haltung das Motiv für dieses Urteil gewesen sein sollte, so ist das Vorhaben voll "nach hinten" losgegangen: Dieses schwache und in keiner Weise mutige Urteil ist samt der Urteilsbegründung Wasser auf die Mühlen jener, der privaten Zensoren, die den Gerichten schon immer abgesprochen haben, bei der "Hass-Sprache" eine zentrale Rolle spielen zu können, die sich eher ganz allgemein ein "Staatsversagen" herbeiwünschen und das auch noch ganz praktisch durch neoliberale Kürzungspolitik herbeiführen.

Diese Sicht stützt etwa die Süddeutsche Zeitung, die einerseits zu Recht das Urteil kritisiert und es andererseits nutzt, um ein "Staatsversagen" an die Wand zu malen: 

Wenn es für das Versagen des Rechtsstaats an dieser Front eines Beweises bedurft hätte, dann hat ihn das Landgericht Berlin nun erbracht. Die drei Berufsrichter – ein Mann, zwei Frauen – erklärten, hier werde mit dem Stilmittel der Polemik Kritik geäußert. Das Mindeste, was man dazu sagen kann: Dieses Gericht hat seine gesellschaftliche Aufgabe verfehlt. 

Heuchelei: Erst den Staat schwächen, dann seine Entschlossenheit fordern 

In einem anderen Artikel fordert die Süddeutsche

Der Berliner Beschluss ist ein Lehrstück dafür, wie die sehr liberale Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Meinungsfreiheit bis ins Groteske überdehnt werden kann. So, wie das Landgericht Berlin ihn interpretiert, wird aus Artikel fünf Grundgesetz ein Freibrief für Hass und Hetze. 

Der Tagesspiegel definiert zutreffend die Aufgabe des Rechtsstaats in dem Fall: 

Umso mehr ist es die Verantwortung des Rechtsstaats, Meinung, Beleidigung und Drohung juristisch voneinander zu trennen und zu ahnden. 

Diese beiden Kommentare gehen zwar in die richtige Richtung. Auffällig aber ist, dass darüber hinaus nun zum Teil die gleichen Journalisten eine starke Rolle der Gerichte fordern, die der wirtschaftsliberalen Kürzungspolitik der letzten Jahrzehnte das Wort geredet hatten. 

Saudische Raffinerien: dreiste Schuldzuweisungen und ein "Religionskrieg" 

Im Zusammenhang mit den mutmaßlichen Drohnenangriffen auf saudische Ölraffinerien ist eine Spaltung in der Berichterstattung zu beobachten. Da gibt es jene Stimmen, die die Distanz bereits abgelegt haben und die sich offensiv den verfrühten und unbelegten Schuldzuweisungen gegen den Iran anschließen. Diese Stimmen lassen wenig Fragen zu: Etwa zum rätselhaften Ausfall der Luftabwehr und zu den tatsächlichen Profiteuren des Angriffs. Andere Stimmen wiederum stellen genau diese kritischen Fragen in bemerkenswerter Offenheit.

Die Landeszeitung zitiert derweil eine altbekannte dritte Sichtweise und reduziert die geopolitischen Konflikte von Großmächten auf einen regionalen "Religionskrieg": 

Das Gros des hochwertigen schwarzen Goldes lagert in einer Region, in der der mörderischste Religionskrieg der Geschichte tobt – der zwischen Sunniten und Schiiten. Und im Moment setzt der innermuslimische Bruderkrieg das Herz der Ölindustrie in Flammen.

Und der Tagesspiegel appelliert an die "Verantwortung" – Deutschlands:

Die Welt steht am Rande eines Kriegs im Mittleren Osten, aber die deutsche Außenpolitik schläft. 

Waren Attacken "Teil einer gut konstruierten Inszenierung"? 

International stellt die richtigen Fragen etwa die türkische Zeitung Milliyet: 

Mit dem aus den USA stammenden saudischen Luftverteidigungssystem konnten Radargeräte in der Region weder die 1.000 Kilometer entfernten Huthi-Drohnen noch die angeblich zum Iran gehörenden Raketen erkennen. Offenbar haben sie also geschlafen. (…) Das wirft eine andere Frage auf, die ebenso verwirrend ist wie die Anfälligkeit des Verteidigungssystems: Könnten diese Bomben Teil einer gut konstruierten Inszenierung sein? Oder wer steckt tatsächlich hinter dem Angriff? 

In Deutschland spricht die Fraktionsvize der Linken, Sevim Dağdelen, Klartext

Einen Beweis für die direkte Verantwortung Teherans für die Angriffe auf saudische Ölanlagen bleibt Riad schuldig. Dieser Eskalationspolitik, die auf einen verheerenden Krieg im Nahen Osten zielt, muss die Bundesregierung eine klare Absage erteilen.Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Heiko Maas etwas für den Frieden in der Region tun wollen, sollten sie einen umfänglichen Waffenexportstopp gegen Saudi-Arabien verhängen, mit dem auch Lieferungen über Drittstaaten wie Frankreich und Großbritannien unterbunden werden. 

Das Klima und die thematische Super-Dominanz

Eine absolute Super-Dominanz hat in dieser Woche vor allem ein Thema entfaltet: Das "Klima". Diese von vielen großen Medien und weiten Teilen der Politik getragene, kaum zu überbietende Dominanz ist in dieser Form bedenklich, weil sie jedes andere Thema an die Wand drückt. Denn auch wenn man den menschengemachten Klimawandel (wie der Autor dieses Textes) als weitgehend belegtes Faktum akzeptiert – so hat sich doch der Umgang mit dem Thema in eine ausufernde, emotionale und dadurch nicht mehr immer seriöse Richtung entwickelt. Die NachDenkSeiten haben das Phänomen der Klima-Dominanz kürzlich so beschrieben: 

Darf man einem Thema eine solche erdrückende Dominanz einräumen, wie es aktuell mit dem Klimaschutz zu erleben ist? Und wie kann es gelingen, mögliche Trennungen zwischen sozialen und umweltpolitischen Anliegen zu überwinden? (…) Bedenklich ist zudem, dass sich diese gute Entwicklung in einem Höhenflug der grünen Partei niederschlägt. Und in einer Missachtung der sozialen Frage: Vor der EU-Wahl sind im Schatten der Klimadebatte die soziale Spaltung, die Frage nach Krieg und Frieden, die Banken-Kritik oder die Forderungen nach Reichen- oder Finanzmarkt-Steuern weitgehend aus der Wahrnehmung verschwunden.  

Was ist schon ein Mindestlohn gegen den Weltuntergang? 

Laut dem Artikel hat die Klimadebatte den gesellschaftliche Tenor bereits vor der EU-Wahl folgendermaßen verschoben:

Ja, es gebe krasse Ungerechtigkeiten und schlimme soziale Ungleichheiten in der EU, von der Kinder- bis zur Altersarmut – aber angesichts der drohenden Klima-Apokalypse können die EU-Bürger diese sozialen "Petitessen" vorerst ruhen lassen. Gegen den Klimawandel könne man schließlich auch "aufstehen", wenn die Miete seit Monaten nicht bezahlt ist. Was ist schon ein Mindestlohn, eine ordentliche Rente oder eine Bankenregulierung gegen den Weltuntergang? 

Die ausufernde Beschäftigung mit dem "Klima-Komplex" hat aber nicht nur diesen ausschließenden Charakter gegenüber der Sozialen Frage. Die schrankenlose Steigerung von Emotionen muss zwangsläufig irgendwann zu großen Enttäuschungen führen, wie die Badischen Neuesten Nachrichten wohl treffend anmerken: 

Wenn die Klima-Enttäuschung vorprogrammiert ist

Die Forderung, mehr für den Klimaschutz zu tun, ist in Deutschland zu einem allmächtigen Chor angeschwollen. Er klingt in einem so furiosen Forte, dass eines schon jetzt klar ist: Egal, mit welchem Klimakompromiss die Große Koalition an die Öffentlichkeit treten wird, es wird wenig Lob und Anerkennung, aber umso mehr Kritik geben. Wenn die Erwartungen so ins Unermessliche gesteigert werden, dann werden auch Milliardenbeträge zu bloßem Windhauch. 

Einen weiteren Aspekt führt der Mannheimer Morgen aus:

Die Union will einen nationalen Klimakonsens. (…) In Wahrheit will sie ihn aber nicht. Denn dieser Konsens soll auf Oppositionsseite nur mit FDP und Grünen hergestellt werden. Also mit Hilfe von Parteien, die irgendwann mal Koalitionspartner sein könnten. Die Linke will man außen vor lassen. Die AfD sowieso. 

Derweil fordern die Nürnberger Nachrichten die nun befürchteten neuen finanziellen Belastungen für die Bürger geradezu ein: 

Und man möchte den Parteien zurufen: Habt keine Angst, uns dabei auch etwas zuzumuten. Wir Wähler sind nicht blöd und wissen, dass es Wandel ohne Veränderung, die oft unangenehm ist, nicht gibt. 

Ein Fest der Doppelmoral 

Dass man aber die "Klima-Milliarden" eben nicht zwingend "bei uns" Wählern eintreiben muss, sondern dafür endlich wieder eine Reichensteuer einführen sollte, betonen zu Recht die LINKEN: 

Wir brauchen eine Klimareichensteuer, um das Klimapaket zu bezahlen. Millionenerbschaften und Millionenvermögen müssen herangezogen (werden), um den Investitionsbedarf beim Klima aufzubringen. Das kann nicht aus dem aktuellen Steueraufkommen finanziert werden. 

Und wie sehr die Klimadebatte insgesamt von bourgeoiser Heuchelei durchdrungen ist, betont abschließend sogar Die Welt

In Deutschland wird die Klimakrise zum Neuroseninkubator. Wie viele Demonstranten mit ihrem SUV zur Demo rollen, wie viele davon zwei Wochen später in die Sonne fliegen, wie viele von ihnen jeden Tag so glatt das Gegenteil dessen leben, was sie anderen künftig vorschreiben wollen – das wird nie geklärt. Sicher ist nur: Diese Art von Doppelmoral ist ein bourgeoiser Klassiker. 

Mehr zum Thema - "In 12 Jahren geht die Welt unter. Das ist Quatsch!" – Letzter Umweltminister der DDR [DFP 45]

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