Meinung

Antirussische Propaganda bei der Deutschen Filmakademie – RT fragt nach

Starkes Engagement und Solidarität von Künstlern mit ihren Kollegen sind an sich schöne Dinge. Aber was, wenn große Mitmachaktionen stattfinden und zu Propaganda ausarten, ohne dass ihr politischer Kontext hinterfragt wird? Der Fall Senzow wirft diese Frage auf.
Antirussische Propaganda bei der Deutschen Filmakademie – RT fragt nach© © Screenshot Webseite Deutsche Filmakademie, Florian Liedel

von Wladislaw Sankin

Im Jubeltaumel aufgrund der Freilassung des ukrainischen Maidan-Aktivisten Oleg Senzow, der in Russland im August 2015 wegen Terrorismus zu 20 Jahren Haft verurteilt wurde, gab es auch eine kurze Meldung der Deutschen Filmakademie, die unsere Aufmerksamkeit auf sich zog.

Auf den ersten Blick beinhaltet sie nichts Ungewöhnliches, zumal die gängige Framing-Bezeichnung, Oleg Senzow sei "Filmemacher" oder "Regisseur", mittlerweile längst auch auf russische Medien übergeschwappt ist. Aber diese "Unauffälligkeit" ist eben ein Zeichen dafür, wie tief die Sprache der Propaganda sich im deutschen intellektuellen und künstlerischen Milieu eingenistet hat – sie wird kaum mehr als solche wahrgenommen.

Wir haben die Deutsche Filmakademie in einer Anfrage darum gebeten, fragliche Stellen in ihrer Meldung zu kommentieren oder zu erklären. Es ist durchaus möglich, dass wir mit unserer Einschätzung falschliegen oder etwas missverstehen. Journalistisch ist es fair, die beanstandeten Äußerungen direkt von ihrem Urheber kommentieren zu lassen.

Weil es um einen Fall geht, der seit Jahren im Zentrum der Berichterstattung deutscher Medien steht, haben wir beschlossen, diese Anfrage publik zu machen. Hier der Wortlaut:

"Sehr geehrte Damen und Herren,

wir nehmen Bezug auf Ihre Meldung "Der ukrainische Filmemacher Oleg Sentsov ist frei" sowie auf die frühere Aktion "Free Oleg Sentsov" auf ihrer Mitgliederversammlung im Februar 2017.

Folgender Text ist seit dem 9. September 2019 auf Ihrer Homepage abrufbar:

Was für eine Erleichterung: Der ukrainisches Filmemacher Oleg Sentsov ist frei. 2014 wurde er im Zuge der russischen Krim-Annexion verhaftet und 5 Jahre in einem Arbeitslager festgehalten. Nun wurde er bei einem Gefangenenaustausch zwischen Russischen Föderation und der Ukraine freigelassen. Oleg Sentsovs Schicksal steht symbolhaft für die Gefahren denen Kunst und Kulturschaffende bei der Machtergreifung autokratischer Regime gegenüberstehen. Wir bedanken uns bei Amnesty International und der Europäischen Filmakademie für den gemeinsamen Einsatz und den langen Atem und wünschen Oleg alles erdenklich Gute! (Rechtschreibung wie im Original; Anm. d. Red.)

Es ist richtig, dass Oleg Senzow im Jahre 2014 verhaftet wurde, und zwar am 10. Mai 2014. Fraglich dagegen, dass er "im Zuge der Krim-Annexion" verhaftet wurde, weil die Bezeichnung "Annexion" sich sehr schwer auf die Ereignisse auf und um die Krim übertragen lässt. Zumindest aus der Sicht der Krim-Bewohner und der überwiegenden Mehrheit der russischen Bürger.

Es gab im Februar 2014 einen gewaltsamen Staatsstreich in Kiew, am 16. März wurde in der Autonomen Republik Krim ein Referendum über den weiteren Verbleib der Halbinsel im ukrainischen Staatsgebiet oder die Aufnahme in die russische Föderation abgehalten, und zwei Tage später erfolgte der russische Beschluss zur Aufnahme der Krim ins russische Staatsgebiet. Man kann diesen Prozess je nach Betrachtung als "Sezession", "Wiedervereinigung", "Anschluss" oder einfach als "dramatische Ereignisse" bezeichnen.  

Der Begriff "Annexion", den Sie benutzen, ist dagegen stark politisch motiviert und vorbelastet, obwohl es jedermann freisteht, sich für einen neutraleren Begriff zu entscheiden. Dessen Verwendung zeigt, dass man auf eine Seite in einem (geo)politischen Konflikt stellt, einem Konflikt, in dem jede Partei ihre eigene "Wahrheit" hat. Mit dieser Voreingenommenheit zeigen Sie, dass die Kunst, die die Deutsche Filmakademie vertritt, nicht über der Politik steht, sondern als ein politisches Instrument agiert. Dazu unsere erste Frage:

Was motiviert Sie dazu, in Meldungen auf Ihrer Webseite politisch stark vorbelastete Begriffe zu verwenden? Steht Kunst etwa nicht über Politik, bzw. sollte nicht verhindert werden, dass sie sich für die Sichtweisen der politischen Eliten vereinnahmen lässt?

An dieser Stelle sei an die dauerhafte Kontroverse um den russischen Stardirigenten Waleri Gergijew erinnert. Er wird in deutschen Medien ständig für seine Position zur Krim-Frage und seine guten Beziehungen zum russischen Präsidenten Wladimir Putin kritisiert. Im Umkehrschluss würde das bedeuten, dass deutsche Filmschaffende in Russland einem Mediendauerfeuer ausgesetzt werden müssen, weil die Deutsche Filmakademie sich aktiv für die unfreundliche Politik der Bundesregierung einsetzt. 

Im gleichen Satz schreiben Sie, dass Herr Senzow "nach der Verhaftung" fünf Jahre in einem Arbeitslager festgehalten wurde. An dieser Stelle unterschlagen Sie das Entscheidende, nämlich die Ermittlungen und den Gerichtsprozess, die zusammen fünfzehn Monaten dauerten. Damit war er nicht fünf, sondern vier Jahre im Arbeitslager. Offenbar wollen Sie mit dieser Unterschlagung suggerieren, dass Oleg Senzow sich unrechtmäßig in Haft befand. Daraus ergibt sich unsere zweite Frage:

Womit haben die falschen Angaben zum prozessualen Status des Aufenthaltes von Herrn Senzow in Russland zu tun?

In all Ihren Texten und Appellen bezeichnen Sie Herrn Senzow als "Regisseur" oder "Filmemacher". Seine Zugehörigkeit zu diesem Beruf stellt offenbar den Hauptgrund für Ihr Engagement dar, denn Sie sind Vertreter der Filmschaffenden. Doch in diesem Beruf ist Herr Senzow ein Amateur und Quereinsteiger. Es ist gut bekannt, dass der Beruf des Regisseurs sehr begehrt ist. Dafür sprechen die strengsten Aufnahmekriterien deutscher Filmhochschulen. In der Regel braucht man schon langjährige Branchenerfahrung und ein beeindruckendes Portfolio, um bei einer Filmhochschule überhaupt zu einer Eignungsprüfung zugelassen zu werden. Ähnlich ist es in jedem anderen Beruf – nicht jeder, der gerne werkelt, ist schon Handwerker. Ebenso ist auch derjenige noch kein Schriftsteller, der ein Büchlein geschrieben hat. Aber wir nehmen an, dass Sie Ihre eigene, professionellere Sicht auf die Eignung von Herrn Senzow als Regisseur haben. Daher unsere folgenden Fragen:

Was veranlasst Sie dazu, Herrn Senzow als Regisseur oder Filmemacher zu bezeichnen? Welche Kriterien gibt es für diese Bezeichnung? Und konkret: Über welche Kenntnisse und Wertungen des bisherigen künstlerischen Schaffens von Herrn Senzow verfügen der Vorstand oder die Mitglieder der Deutschen Filmakademie e.V.?

Wir würden Sie daher bitten, uns Ihre kurze Einschätzung (und Rezension) seines Werkes zukommen zu lassen. Soweit uns bekannt, ist sein bislang einziger gedrehter Film im Internet frei abrufbar.

Am 10. August hat Oleg Senzow auf der Pressekonferenz vor ukrainischen Journalisten zugegeben, u.a. an den Gesprächen über "Sprengungen und Brandstiftungen" im Zuge von Protestaktionen auf der Halbinsel Krim im April 2014 beteiligt gewesen zu sein. An anderer Stelle hat er behauptet, friedliche Proteste seien auf der Krim "unmöglich" gewesen. Er sagte auch, seine Rückkehr auf die Krim sei "nur auf Panzern" möglich.

Sie legen mit Ihrer Darstellung nahe, er habe ausschließlich wegen seiner Kunst gelitten. Die Anklage in Russland hat sich allerdings nicht mit der Kunst von Oleg Senzow beschäftigt, sondern mit belastenden Aussagen einiger Zeugen, die auf eine engere Verwicklung von Herrn Senzow in die von ihm am 10. August vor ukrainischen Journalisten bestätigten "Gespräche über Sprengungen" ausgesagt haben.

Hier ist noch mal Ihr diesbezüglicher Text:

Oleg Sentsovs Schicksal steht symbolhaft für die Gefahren denen Kunst und Kulturschaffende bei der Machtergreifung autokratischer Regime gegenüberstehen.

Daher eine weitere Frage unsererseits:

Welche Belege sprechen aus Ihrer Sicht dafür, dass ein "autokratisches Regime" Senzow wegen seiner Kunst inhaftieren ließ?

Außerdem bezeichnen Sie Russland in diesem Satz offenbar als "autokratisches Regime". Unserem Kenntnisstand nach hat Russland eine moderne Regierungsform mit Gewaltenteilung, einem gewählten Parlament und einem Präsidenten, die in der Verfassung festgeschrieben ist. Wie auch in Deutschland, finden in Russland Wahlen statt, so wurden ausgerechnet am 8. September, am Tag vor Ihrer Meldung, die Stadt- und Gebietsparlamente im gesamten Land gewählt. Ist Ihnen das entgangen? In den Parlamenten sind verschiedene politische Kräfte vertreten, es gibt Medienvielfalt mit einer großen Anzahl an Medien mit heimischer und ausländischer Finanzierung, die frei und kritisch berichten können. Wie in vielen Staaten dieses Planeten, gibt es auch in Russland Probleme mit der Demokratie. Bei einer seriösen Einrichtung wie der Deutschen Filmakademie sollten diese fundiert dokumentiert werden, um solch weitreichende Aussagen tätigen zu können. Deswegen fragen wir Sie:

Aus welchem Grund beziehen Sie sich auf Russland mit dem stark negativ besetzten Begriff "autokratisches Regime"? Welche Kriterien außer politischer Diffamierung liegen derlei undiplomatischen Bezeichnungen zugrunde?

Im gleichen Satz stellen Sie die Verhaftung von Herrn Senzow in direkten Zusammenhang mit der "Machtergreifung autokratischer Regime", damit wohl Russland meinend (siehe oben). Der Terminus "Machtergreifung" steht im deutschsprachigen Raum ganz klar für die Ereignisse der Jahre 1932-1933, als Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt und die Macht seiner NSDAP konsolidiert wurde. Das ist Fakt, der Begriff "Machtergreifung" steht für nichts anderes. Das kann man beispielsweise in der deutschen Wikipedia nachlesen. Eine wissenschaftliche Abhandlung dieser Frage finden Sie hier.

Damit haben Sie Russland mit einem Federstrich zum Pendant Hitlerdeutschlands gemacht und den Prozess gegen Oleg Senzow mit dem Kampf der Nazis gegen "entartete Kunst", der Bücherverbrennung und der Verfolgung kritischer Intellektueller gleichgesetzt. An dieser Stelle lässt sich nur fragen:

Würden Sie Ihren Kollegen in Russland, also Regisseuren, Schauspielern, Kameraleuten, Filmproduzenten, also all denjenigen, mit denen Sie sich regelmäßig auf Festivals und anderen Events treffen, jemals mitteilen, dass Sie ihr Land auf Ihrem offiziellen Portal im Eifer des rhetorischen Gefechts faktisch als modernen Nazistaat bezeichnen? Wie lässt sich die Sprache der Isolierung und Ausgrenzung mit der universellen Funktion der Kunst als Brückenbauer vereinbaren?

Ihre Meldung kann ein Witz, ein Fehler oder Propaganda sein, oder das alles gleichzeitig. Sie könnten aber auch ihre Richtigkeit beweisen, indem die Urheber der beanstandeten Meldung uns eine ausführliche Stellungnahme mit ihren Argumenten vorlegen. Der Artikel auf Ihrer Webseite über die Freilassung des ukrainischen Aktivisten Oleg Senzow lässt sehr viel Raum für Spekulationen, die für Sie nicht angenehm ausfallen können. Aus den oben angeführten Gründen liegt nämlich der Verdacht nahe, dass es sich dabei um einseitige (geo)politisch motivierte propagandistische Aktivität unter Verwendung so vieler Euphemismen, Framing-Methoden, Schmähtechniken und einfach Fake News handelt, wie sich in einem kurzen Text mit gerade mal 612 Zeichen unterbringen lassen.

In Erwartung Ihrer baldigen Antwort verbleibe ich mit freundlichen Grüßen,

Wladislaw Sankin

Redakteur Online

RT Deutsch"

Die Anfrage wurde am 12. September per Mail an die Deutsche Filmakademie verschickt. Sollte RT Deutsch eine Stellungnahme der Deutschen Filmakademie vorliegen, wird diese ebenso publik gemacht.

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