Meinung

Problemfall Deutschland: Wohin treibt das "German Wunder"?

Nach der Landtagswahl in Brandenburg und Sachsen ist Deutschland plötzlich in aller Munde. Man macht sich Sorgen um einen kränkelnden EU-Riesen, der intern gespalten ist und dem auch nach außen hin zunehmend die Fäden entgleiten, während der "Wirtschaftsmotor" stottert.
Problemfall Deutschland: Wohin treibt das "German Wunder"?Quelle: Reuters

von Zlatko Percinic

Das nach der EU-Parlamentswahl erneut starke Abschneiden der AfD bei den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen führt dazu, dass man sich auch im Ausland die Frage nach der Stabilität auf Bundesebene stellt. Zumal Beobachter der deutschen Politik feststellen, dass die noch vor zwei Jahren als "Anführerin der freien Welt" bezeichnete Bundeskanzlerin Angela Merkel dieser Führungsrolle nicht gerecht wird.  

Seit über einem Jahr wegen Nichteinhaltung der dem Militärbündnis NATO gegebenen Versprechen unter öffentlichem Dauerbeschuss durch die USA, hat sich die Bundesregierung in die Defensive drängen lassen. Mit einem Außenminister Heiko Maas, der im Ausland keine Impulse oder Akzente zu setzen vermochte und stattdessen auf Twitter-Aktionismus setzt, und einer Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, die aufgrund der zahlreichen Affären um Beraterhonorare und Vetternwirtschaft zur Belastung wurde und am Ende nach Brüssel abgeschoben wurde – nur um von der auf diesem Gebiet unerfahrenen CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer beerbt zu werden –, fehlt Deutschland die Statur, um als Führungsmacht agieren zu können.

Die Wirtschaft, das Label "Made in Germany", galt lange Zeit als Aushängeschild. Zwar gilt ein Mercedes, BMW oder Porsche auch heute noch in vielen Ländern als Statussymbol, doch der Skandal um die Betrugssoftware von VW hat das Image angekratzt. Ein weiteres Merkmal des "German Wunders" war das Entstehen einer Mittelschicht, die es Millionen von Menschen erlaubte, ein angenehmes Leben zu führen. Soziale Absicherung, Versorgung und Vorsorge waren das erfreuliche Resultat dieses Wirtschaftswunders.

Doch trotz einer historisch tiefen Arbeitslosenquote, auch wenn sie nicht die tatsächliche Zahl der Personen ohne Arbeit widerspiegelt, gelingt es immer weniger Menschen, den Lebensstandard der Mittelschicht zu erhalten. Das liegt vor allem daran, dass der Erfolg der niedrigen Arbeitslosenquote auf der Schaffung eines immer größer werdenden Niedriglohnsektors basiert. Laut dem Bundesarbeitsministerium arbeitet fast jeder fünfte Vollzeitbeschäftigte in Deutschland im Niedriglohnbereich, sprich für weniger als 2.203 Euro brutto. Im Umkehrschluss bedeutet das natürlich, dass die Arbeitslosenquote deutlich höher wäre, wenn es diese schlecht bezahlten Jobs nicht gäbe, die die Mittelschicht zerstören.

"Die Mittelschicht muss sich ab 2020 auf schwere Zeiten einstellen", heißt in einem Gastbeitrag im Handelsblatt. "Der Strukturwandel wird zu dramatischen Verwerfungen am Arbeitsmarkt führen", meint Walter Sinn, Deutschlandchef der Unternehmensberatung Bain & Company. Das ist die direkte Konsequenz einer verschlafenen Digitalisierungspolitik der vergangenen Jahre. Deutschland hat als Staat bereits den Anschluss an die führenden Nationen verpasst und muss jetzt der Entwicklung hinterherrennen. Sinnbildlich dafür steht die Aussage Merkels im Jahr 2013: "Das Internet ist für uns alle Neuland."

Die Abschwächung der globalen Konjunktur, die Handelskriege und schließlich das Abrutschen Deutschlands in eine Rezession just zu einer Zeit, in der die Mittelschicht ohnehin schon unter Druck steht, werden die künftige Ausrichtung der Bundesrepublik möglicherweise stark beeinflussen. "Die Welt hat ein Deutschland-Problem", schrieb erst jüngst der Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman in der New York Times. Darin kritisiert er die Bundesregierung dafür, dass sie es mit ihrem Sparwahn zugelassen hat, dass die eigene Wirtschaft "aufgefressen" wurde. Statt in die heimische Diversifikation und alternde Infrastruktur zu investieren, wurde gespart.

Deutschlands Binnenkonsum ist zu schwach, um den rückläufigen Export abzufedern. Das liegt nicht zuletzt daran, wie Krugman schreibt, dass der demografische Rückgang auch in der Binnenwirtschaft angekommen ist. Es gibt aufgrund der fallenden Geburtenrate immer weniger Menschen, sprich, der Bedarf wird immer geringer. Dazu kommt die schon erwähnte Problematik mit der sehr hohen Zahl an Geringverdienern, die sich solch einen Konsum und Investitionen in Immobilien gar nicht mehr leisten können, um beispielsweise einen gesunden Bauboom auszulösen.

Deutschland hat schon heute zusammen mit Japan die älteste Bevölkerung weltweit. Es gibt weniger Menschen, die 30 Jahre und jünger sind, als Menschen, die über 60 sind. Mit einer Geburtenrate von 1,46 Kindern bei Frauen mit deutscher Staatsangehörigkeit, bekommen ausländische Frauen durchschnittlich 2,28 Kinder. Das wird zwar die allgemeine Geburtenziffer etwas beeinflussen, aber bei einem Ausländeranteil von etwas über 13 Prozent an der Gesamtbevölkerung (Ende 2018 lebten rund 10,9 Millionen Ausländer in Deutschland) wird das den demografischen Wandel nicht umkehren können.

Strukturwandel, demografischer Wandel, Geringverdiener: Wer soll die Renten für die nächsten Jahre sicherstellen? Wer soll den Binnenkonsum fördern, wer die schlecht geplante Energiewende bezahlen, wenn der ohnehin schon große Druck auf den Geldbeutel bei einem Fünftel der Vollzeitarbeiter ebenso weiter steigen wird, wie wahrscheinlich die Zahl der Geringverdiener steigen wird? Die Stromkosten in Deutschland gehören bereits zu den höchsten der Welt. Dass solche bevorstehenden Probleme, die das Potenzial für soziale und politische Spannungen in sich bergen, von den Parteien und der Regierung ignoriert werden, ist für die künftige Entwicklung Deutschlands alles andere als förderlich.

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