Meinung

Frohe Botschaft oder Drohung: Reaktionen auf US-Botschafter zeigen Spaltung der Gesellschaft

Der US-Botschafter in Deutschland, Richard Grenell, droht mit einem Teilabzug der US-Truppen, sollte Deutschland nicht seine Rüstungsausgaben erhöhen. Die Reaktionen in Politik, Mainstreampresse und Öffentlichkeit sind entgegengesetzt. Sie bezeugen eine tiefe Spaltung.   
Frohe Botschaft oder Drohung: Reaktionen auf US-Botschafter zeigen Spaltung der GesellschaftQuelle: AFP © Odd ANDERSEN

von Gert Ewen Ungar

Der US-amerikanische Botschafter in Deutschland, Richard Grenell, ist immer wieder für einen kleinen Aufreger gut. Das "Schmuddelkind der Diplomatie" formuliert provokant und zugespitzt, lässt in seinen Äußerungen auch keinen Zweifel daran aufkommen, dass er Deutschland für einen Vasallenstaat hält, der letzten Endes das zu tun hat, was das Imperium ihm sagt. Das Imperium aber sind die USA, er ist der Statthalter in Deutschland. Eine recht machtvolle Position, aus der heraus er formuliert. Aus seiner Sicht ist der von ihm angeschlagene Ton daher angemessen. Die Aufregung, die das regelmäßig auslöst, wird er daher auch kaum verstehen. Die Aufregung lässt sich nämlich nur dann verstehen, wenn man wie beispielsweise die SPD meint, man rede unter Gleichen und auf Augenhöhe. Dann kann man sich empören und einen anderen Ton anmahnen. Dass man unter Gleichen redet, ist angesichts des deutlichen hierarchischen Gefälles zwischen den USA und Deutschland jedoch keineswegs der Fall. Die SPD weiß das auch. Ihre gespielte Empörung richtet sich daher auch nicht an den US-Botschafter, sondern an ein deutsches Publikum, und dient allein der PR. Die geforderten Mehrausgaben für das Militär wird die SPD ohne Zweifel mittragen.

Nun hat Grenell also wieder einmal brüsk eine für den deutschen politischen "Partner" deutlich fühlbare Grenze überschritten, verbal zugeschlagen und Deutschland an seine Verpflichtung oder, nach alternativer Lesart, sein Versprechen gemahnt, die Rüstungsausgaben zu erhöhen. Sonst würde man Teile der in Deutschland stationierten Truppen abziehen. Das kann er machen, denn das Imperium ist natürlich frei in seiner Entscheidung, seine Truppen in seiner Einfluss-Sphäre da aufzustellen, wo es ihm beliebt und zweckdienlich erscheint. Deutschland, das muss man einfach sagen, hat da faktisch kein Mitspracherecht, denn es ist in dieser Hinsicht nicht souverän. Es ist eben kein Partner, agiert eben nicht auf Augenhöhe. 

Die Aussage Grenells ist daher für sich genommen recht unspektakulär. Zumindest der Teil, in dem er über die Aufstellung der US-Truppen spricht. Beachtenswert ist, dass er den Verbleib oder Abzug mit einer Aussage über den deutschen Leistungsbilanzüberschuss koppelt.

Es ist wirklich beleidigend zu erwarten, dass der US-Steuerzahler weiter mehr als 50.000 Amerikaner in Deutschland bezahlt, aber die Deutschen ihren Handelsüberschuss für heimische Zwecke verwenden.

Hier wird es schon deutlich interessanter. Und interessant ist auch die Reaktion darauf. Während der Mainstream und die Politik hin und her diskutieren, zu welchen Bedingungen und in welchem Zeitraum der deutsche Militäretat steigen müsse, breitet sich über Grenells Kritik an den deutschen Leistungsbilanzüberschüssen der Mantel des Schweigens, obwohl er im gleichen Satz geäußert wurde. Über die deutschen Überschüsse sprechen wir einfach nicht, komme, was da wolle. Sie sind sakrosankt. Dabei sind die deutschen Überschüsse tatsächlich ein Problem – für den Euro-Raum, für die EU und sogar für die Welt. Allerdings hat wohl weder die Politik noch der journalistische Mainstream aktuell die Kompetenz, dieses Problem überhaupt zu erfassen. Die Deutschen sind einfach fleißig, so die voraufgeklärte, unwissenschaftliche Haltung zu einem wichtigen ökonomischen Thema. 

Es fehlt in Deutschland an ökonomischem Basiswissen, wie unter anderem ein Kommentar zum Thema in der Welt zeigt. Der Chefkommentator lässt uns da wissen, dass Grenell recht habe. 

Er mahnt, dass die Deutschen endlich ihr Versprechen einlösen, zwei Prozent ihres Haushalts für die Verteidigung auszugeben.

Was jemanden außer eine transatlantische Dackel-Hörigkeit dazu befähigt, "Chefkommentator" bei Springer zu werden, bleibt die Frage. Kenntnisse um die Grundbegriffe der Ökonomie können es nicht sein, denn Chefkommentator Schuster verwechselt hier Staatshaushalt und Bruttoinlandsprodukt. Das NATO-Ziel von zwei Prozent bezieht sich auf das BIP, also die gesamte Wirtschaftsleistung und nicht den Staatshaushalt. Das ist ein kleiner, aber feiner Unterschied, der mehrere Milliarden Euro ausmacht. Zwei Prozent des BIP sind viel viel mehr als zwei Prozent des Staatshaushalts. Darüber hinaus ist die Größe des BIP zunächst unabhängig von den Steuereinnahmen. Wächst die Wirtschaft, wächst auch das BIP und damit auch der Wehretat, wenn es nach NATO-Logik geht. Auch wenn man den Haushalt nach neoliberaler Doktrin wieder einmal kleiner machen sollte, weil man Reiche, Unternehmen und Kapitalbesitzer aus ihrer Verantwortung für das Gemeinwohl weiter entlässt und deren Steuern senkt, bleiben die zwei Prozent vom BIP von solchen neoliberalen Sperenzchen freilich unberührt. 

Man mag das für einen Flüchtigkeitsfehler halten, aber dass ein Vertreter des deutschen Mainstreams nun gerade hier versagt, ist typisch. Zu allem, was Makroökonomie, Verhältnis von Staat und Markt von Steuer und ökonomischer Steuerung angeht, ist das Wissen im deutschen Mainstream bestenfalls rudimentär, wie man an den großen wirtschaftspolitischen Themen ablesen kann. Egal ob Rentendiskussion, ob Griechenlandkrise, ob Schuldendebatte – der Mainstream glänzt immer mit neoliberalem Reformdrang, ist da immer voll auf Linie, allerdings fehlt ihm zur tatsächlichen Einschätzung der Konsequenzen die dazu eigentlich notwendige ökonomische Kompetenz. Da passieren schnell mal Fehler, und man verwechselt BIP und Staatshaushalt, wenn man es nicht von einer entsprechenden Lobbyorganisation direkt in die Feder diktiert bekommt. 

Natürlich befürwortet die Welt ein Anheben der bundesdeutschen Rüstungsausgaben. Die Welt gehört zum Springer-Konzern. Dieser ist selbst eine transatlantische Lobbyorganisation mit angeschossener Medienproduktion. Auch in den anderen Blättern des Mainstreams wird Verständnis für die Forderung nach einer Anhebung des Etats signalisiert. Deutschland darf nicht immer hintanstehen, ist der Tenor, muss seine Verpflichtung erfüllen und Verantwortung in der Welt übernehmen – militärisch versteht sich, nicht ökonomisch. Es soll Soldaten schicken, aber nicht die Handelsüberschüsse durch steigende Löhne abbauen. 

Die Breite der veröffentlichten Diskussion ist in etwa vergleichbar mit der Straße von Hormus. Dieser Vergleich drängt sich auf, denn eine Beteiligung der Bundesrepublik an einem Einsatz in der Meerenge zur "Sicherung des Handelsweges" wird zusammen mit der Erhöhung der Rüstungsausgaben diskutiert. Das ist die Breite der Diskussion, die der Mainstream aktuell absteckt. Beteiligung an einem völkerrechtswidrigen Einsatz in den Hoheitsgewässern des Iran, verbunden mit Staatspiraterie und militärischem Muskelspiel und dem Zwei-Prozent-Ziel der NATO. 

Dass beides eine Eskalation der ohnehin durch den Westen weit nach oben eskalierten geopolitischen Situation darstellt, wird in den deutschen Talkshows und den Meinungsbeiträgen nicht weiter verfolgt werden. Uns wird in den Talkshows vordiskutiert werden, ob wir in der Straße von Hormus dabei sein müssen und zudem unsere Rüstungsausgaben erhöhen müssen oder ob wir auf eins davon verzichten können, wenn wir das andere tun. Auch die Frage, ob wir mit einem Rückbau unseres Leistungsbilanzüberschusses, der die Weltwirtschaft zunehmend destabilisiert, nicht einen wesentlich besseren Beitrag zur Stabilisierung und zum Frieden leisten würden als mit einem Einsatz im Iran oder der Aufstockung unserer Rüstungsausgaben, um mit dem Kauf von Waffen gegenüber den USA unsere Überschüsse etwas zurück zu bauen, wird nicht diskutiert werden. Zumindest nicht in der veröffentlichten Meinung. 

Die öffentliche Meinung äußert sich in den Diskussionsforen, sofern sie denn noch geöffnet sind, vor allem aber in den sozialen Netzwerken. Da wird deutlich, wie wenig man von der Militärpräsenz der US-Amerikaner hält. Während der Spiegel das doch recht abgedroschene Arbeitsplatzargument zückt und darauf hinweist, dass an der Präsenz des US-Militärs in Deutschland auch Arbeitsplätze hängen, fasst das Satire-Magazin Postillon die Reaktion in den sozialen Netzwerken mit der Überschrift "USA drohen mit Truppenabzug. Deutsche reagieren mit kollektivem Winken" deutlich besser zusammen als der Mainstream, den die öffentliche Meinung wieder einmal überhaupt nicht juckt. 

Aber genau an dieser öffentlichen Meinung kann man deutlich ablesen, wie überdrüssig die Deutschen der transatlantischen Allianz sind. Trotz aller medialer Dauerberieselung durch transatlantisch eingebettete deutsche Medien, die unbeirrt von Tatsachen und Fakten, von Völkerrechtsbrüchen und illegalen Kriegen, von ökonomischem Niedergang und zunehmender gesellschaftlicher Spaltung die moralische Überlegenheit des westlichen Modells behaupten, rennt die deutsche Öffentlichkeit den Propagandisten und ihren Medien davon. 

Denn natürlich bleibt es den Menschen in Deutschland nicht verborgen, wie sehr der Westen, wie sehr die USA an ihren eigenen Werten scheitern. Wie er Bomben wirft, wo eigentlich Diplomatie angesagt wäre, wie er Drohnen schickt, wo eigentlich Kooperation und Zusammenarbeit Probleme lösen könnte, wie sehr das Recht des Stärkeren inzwischen das Völkerrecht ersetzt. 

So ist das Lösen aus der transatlantischen Umarmung, die immer mehr zu einer Umklammerung wird, ein tiefer Wunsch eines immer größer werdenden Teils der deutschen Bevölkerung. Die Drohung des Abzugs gerät so zu einer frohen Botschaft. Es ist zu hoffen, dass Grenell die Auswirkungen seiner Drohung mitbekommt. Die Deutschen sind der Allianz überdrüssig, lediglich die medialen und politischen Eliten halten daran fest. 

So zeigt sich über die Reaktion auf die Aussage des US-Botschafters auch, wie groß die Kluft zwischen Bürgern einerseits und Politik und medialem Mainstream andererseits inzwischen ist. Es verbindet sie kein gemeinsamer Horizont mehr.

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