Meinung

Ursula von der Leyen, Jens Stoltenberg, Sergei Lawrow: Ein Wochenrückblick auf den medialen Abgrund

Agitation für NATO-Rüstung, antirussische Positionierung von der Leyens und Lawrows Signale: Vor allem diese Themen boten den Mainstreammedien in dieser Woche Anlass für verzerrende Berichterstattung.
Ursula von der Leyen, Jens Stoltenberg, Sergei Lawrow: Ein Wochenrückblick auf den medialen AbgrundQuelle: Reuters

von Thomas Schwarz

Soll die künstlich eskalierte Konfrontation zwischen Russland und der EU aufrechterhalten werden? Oder ist es an der Zeit, dass sich eine rationale Politik durchsetzt, die mit der Abschaffung der antirussischen Sanktionen beginnen müsste? Eine Standortbestimmung von Anhängern dieser beiden Pole war in den vergangenen Tagen festzustellen – ohne, dass die exponiertesten Vertreter der jeweiligen Politik aufeinander getroffen wären: Die Positionierungen fanden in Interviews statt. Zum einen hat sich der russische Außenminister Sergei Lawrow im Vorfeld seines Treffens mit Amtskollege Heiko Maas (SPD) mit der Rheinischen Post unterhalten. Zum anderen bezog die künftige EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in einem Interview mit der Welt Stellung.

Die Gespräche und die Intentionen der interviewten Politiker könnten unterschiedlicher nicht sein. Denn während mit Lawrow einmal mehr ein hochrangiger russischer Politiker positive Signale in Richtung EU sendet, werden diese einmal mehr von einer hohen EU-Funktionärin abgeschmettert.

Freundliche Signale – feindliche Reaktion: "Der Kreml verzeiht keine Schwäche"

Zunächst zu Lawrow: Angesichts vieler unverändert feindlicher Positionen in der EU gegenüber Russland war es erstaunlich, wie eindeutig der russische Außenminister begrüßte, "dass heute der enge Dialog zwischen unseren Staaten allen wohlbekannten Schwierigkeiten zum Trotz nicht abreißt", und anfügte:

Das Bewusstsein, dass der politische und wirtschaftliche Druck auf Russland perspektivlos ist, bricht sich Bahn. Deshalb wird im deutsch-russischen Verhältnis eine positive Entwicklung beobachtet. Vor allem in den Bereichen Handel und Wirtschaft, Wissenschaft, Bildung und Kultur, aber auch auf der Ebene der zivilgesellschaftlichen Kooperation.

Dieses Pflänzchen der Annäherung wurde allerdings durch von der Leyen im erwähnten Welt-Interview umgehend niedergetrampelt, indem sie sagte: "Der Kreml verzeiht keine Schwäche. Aus einer Position der Stärke heraus sollten wir an den Russland-Sanktionen festhalten." Diese Haltung begründete von der Leyen mit einem bekannten Tenor zur russischen Außenpolitik: "Wir erleben schon seit geraumer Zeit feindseliges Verhalten aus Moskau. Es reicht von der Verletzung internationaler Regeln wie etwa der rechtswidrigen Annexion der Krim bis hin zum Versuch, Europa so weit wie möglich zu spalten." Parallel führte von der Leyen in der Bild-Zeitung die Agitation gegen die Pipeline Nord Stream 2 fort und warnte vor der "Gefahr einer zu starken Abhängigkeit von der russischen Energie".

"Aggressive russlandfeindliche Minderheit"

Möglicherweise meinte Lawrow auch diese Verbindung aus künftiger EU-Kommissionspräsidentin und dem Axel-Springer-Verlag, wenn er im Interview mit der Rheinischen Post von einer "aggressiven russlandfeindlichen Minderheit" sprach, die die Kommunikation zu Russland etwa im NATO-Russland-Rat und im Europarat sabotiert hätte. Lawrow hatte noch mehr Kritikpunkte anzumelden, so zum Beispiel, dass in der EU die Augen "vor beschämenden Kehrseiten der ukrainischen Realität" verschlossen würden, dass die NATO sich wortbrüchig ausgedehnt habe und dass die Aktivität der US-geführten Anti-IS-Koalition in Syrien im Gegensatz zur russischen Präsenz aus völkerrechtlicher Sicht illegal sei.

Das mediale Fernduell Lawrow/von der Leyen streifte auch das unvermeidliche Feld der "Pressefreiheit", auf dem sich Vertreter westlicher Politik und Medien moralisch stets besonders im Vorteil sehen. Da macht auch von der Leyen keine Ausnahme, wenn sie in einem Absatz die unbelegten Vorwürfe gegen Russland bezüglich "Fake News" und "Desinformation" mit dem arg angekratzten Mythos von der westlichen freien Presse kombiniert:

Wir Europäer werden besser darin, die Desinformationskampagnen aus Russland zu enttarnen und mit Fake-News-Kampagnen in den sozialen Medien umzugehen", sagte sie. "Es ist unser Privileg als Demokratie mit Transparenz, freier Presse und einer offenen Debatte zu antworten.

Die "Pressefreiheit" und das "toxische Klima" für russische Medien

Zu dem Thema hatte aber auch Sergei Lawrow einiges zu sagen: "Leider stellen wir fest, dass es in Deutschland Kräfte gibt, die ein feindseliges und toxisches Klima rund um die russischen Medien anheizen. "So würden einige deutsche Politiker versuchen, russische "Massenmedien zu boykottieren und auch zu verbieten, diese im Kabel-TV auszustrahlen". Lawrow fährt fort:

Die russischen Medien in Deutschland üben ihre Tätigkeit streng nach Maßgabe der deutschen Gesetze und hoher journalistischer Standards aus. Wir glauben, dass die Menschen in Deutschland berechtigt sind, die für sie relevanten Informationen aus verschiedenen Quellen zu erhalten.

Die Medien und die "drohende" deutsch-russische Verständigung

Wie wichtig diese (zusätzliche) Quelle RT für die Meinungsbildung sein kann, zeigte sich ebenfalls in den vergangenen Tagen. Denn angesichts des Treffens Lawrows mit seinem deutschen Amtskollegen Heiko Maas beim Petersburger Dialog und der dadurch "drohenden" deutsch-russischen Verständigung nutzten einige große Medien die bekannte Technik der Verkürzung, wie die NachDenkSeiten beschreiben:

Berichte über die Ukraine setzen erst mit der Sezession der Krim ein – der vorausgegangene, vom Westen unterstützte Umsturz in Kiew und die folgende 'Anti-Terror-Aktion' gegen den Donbass, mit der der militärische Konflikt in der Ost-Ukraine begonnen wurde, werden weitgehend ausgeblendet. Das Gleiche gilt etwa beim Thema Syrien, bei dem die Berichte meist erst mit dem Moment des russischen Eingreifens beginnen – und nicht mit der vorgelagerten westlichen Unterstützung für islamistische militante Gruppen.

"Klein beigeben werden weder der Präsident noch sein Volk"

Medialer Widerstand gegen eine überfällige deutsch-russische Annäherung war demnach dieser Tage mehr oder weniger eindeutig etwa im Deutschlandfunk, in der Bild-Zeitung, im Spiegel oder in der Tagesschau zu beobachten. Die FAZ meinte: "Ohne Moskau sind zwar sowohl in der Weltpolitik als auch in Europa in vielen Fragen keine Fortschritte möglich – aber es ist nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems."

Treffend allerdings kommentiert im Gegensatz dazu die Volksstimme:

Doch sollte sich der Westen keinen Illusionen hingegeben. Klein beigeben werden weder der Präsident noch sein Volk. Wichtiger wäre eine neue Kooperation. Die Lage im Kriegsgebiet in der Ostukraine schreit zum Himmel. Das ließe sich sofort ändern. Voraussetzung: Die EU schafft die Russland-Sanktionen ab.

Von der Leyen, Kai Diekmann und seine "Story Machine"

Ursula von der Leyen ist in dieser Woche medial nicht nur als antirussische Agitatorin aufgefallen. Sie war zuvor bereits als gewiefte Wahlkämpferin in Erscheinung getreten, die sich die richtigen Medien-Verbündeten für die Kampagne in eigener Sache gesucht hatte. Diese machtvolle Verbindung beschreibt der Spiegel unter dem Titel: "Warum Ursula von der Leyen den früheren Bild-Chef engagiert hat":

Folglich kam die Ministerin auf ein altes Angebot zurück, das die Agentur 'Story Machine' schon vor Monaten bei ihr hinterlegt hatte. Die junge Agentur, die Ex-'Bild'-Chef Kai Diekmann mit zwei Kompagnons gegründet hat, erfüllt die Internetträume prominenter Entscheidungsträger. Als Ministerin hatte von der Leyen die Offerte noch abgelehnt, neue Schlagzeilen über externe Berater konnte sie nicht brauchen. Aber als der Ruf aus Brüssel kam, zögerte sie nicht lange. Am Tag nach der Nominierung wurde 'Story Machine' tätig, schuf den Twitteraccount @vonderleyen und grüßte sofort dreisprachig in die Welt.

Jens Berger kommentiert diesen Schritt so:

Von der Leyen stützt sich bei ihrer Kandidatur also auf die beiden Säulen Selmayr und Diekmann, die übrigens beide überzeugte Transatlantiker sind. (…) Über Kai Diekmann muss man nicht mehr viel sagen. Interessant wäre hier nur die Frage, wer Diekmanns Beraterdienste eigentlich bezahlt? Ein Budget für Berater wird sie als Kandidatin bei der EU ja wohl nicht haben. Zahlt sie den Ex-Bild-Chef aus eigener Tasche?

Die Kommissionspräsidentin und ihre Unterstützer

Hat man die Vorberichterstattung zur EU-Abstimmung über die Kommissionspräsidentin verfolgt, so ist festzustellen, dass von der Leyens Kampagnen-Partner gute Arbeit geleistet haben. So wurde sie etwa in der FAZ als "Die Trägerin der Hoffnung" bezeichnet oder im Spiegel unter dem Titel "Ist es Liebe?" so charakterisiert: "solide, kompromissfähig, korruptionsfrei". Auch aus der zweiten Reihe der deutschen Medien gab es Schützenhilfe, etwa in der Stuttgarter Zeitung:

Das Europäische Parlament muss sich im Klaren sein, dass es sich mit der Zurückweisung von der Leyens einen Bärendienst erwiese. Der Schaden ist schon jetzt groß. Mit der Wahl von der Leyens würde Europa Kompromissfähigkeit beweisen.

Von der Leyens Wahl und die (vorgetäuschte) Naivität vieler Medien

Die (vorgetäuschte) Naivität weiter Teile der deutschen Medienlandschaft äußerte nach der Abstimmung exemplarisch die Leipziger Volkszeitung, die die Wahl von der Leyens nicht als Ergebnis einer Kombination aus Hinterzimmer-Poker und Medien-Kampagne beschreibt, sondern sie der Überzeugungskraft der Kandidatin zuschreibt:

Sie hat es wahrscheinlich nur deshalb geschafft, weil sie mit einer emotionalen und viel gelobten Rede am Morgen viele Kritiker auf ihre Seite gebracht hat. In Europa enden damit nach der Wahl im Mai acht komplizierte Wochen, in denen mehrere Personalvorschläge scheiterten.

Diese Unbedarftheit steigert noch die Rhein-Neckar-Zeitung, die zudem ausgerechnet in der Unbeliebtheit von der Leyens eine besondere Legitimation entdecken möchte:

Durch das knappe Wahlergebnis startet Ursula von der Leyen mit einem gewissen Rückenwind in ihr Amt. Denn die neue Kommissionspräsidentin hat sich mit dem bis zuletzt offenen Wahlgang und einem engagierten Kampf um jede Stimme nun jene demokratische Legitimation erworben, die ihre Gegner ihr bis zuletzt abgesprochen hatten.

INF-Abrüstungsvertrag: Bühne frei für die ungefilterten NATO-Positionen

Auch jenseits des konkreten "Duells" zwischen Lawrow und von der Leyen und der Kampagne gegen die Annäherung zwischen dem russischen und dem deutschen Außenminister fanden sich in der vergangenen Woche zahlreiche Beispiele medialer Verzerrungen: etwa anlässlich des drohenden Endes des INF-Abrüstungsvertrags.

Hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang zwei infame Beiträge, die unverblümt zweierlei betreiben: Zum einen trommeln sie massiv für eine Aufrüstung innerhalb der NATO. Zum anderen betreiben sie Meinungsmache durch Verkürzung, wenn die Eskalation im Zusammenhang mit dem INF-Vertrag beschrieben wird. Die erwähnten Artikel sind fast parallel erschienen.

In dem einen Beitrag berichtet die Welt am Sonntag über eine aktuelle "Studie". In dem Text wird behauptet, Russland bereite sich "völlig unprovoziert" auf regionale Kriege in Europa vor, "die es mit Hilfe von Kernwaffendrohungen siegreich beenden will". Russlands strategisches Konzept habe das Ziel, "Kriege an der europäischen Peripherie führen und erfolgreich zu Ende bringen zu können". Dem müsse die NATO und speziell Deutschland etwa durch massive Steigerungen der Rüstungsausgaben entgegentreten.

Stoltenberg und sein "einseitiges Pamphlet"

In dem anderen Artikel behauptet NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg in der FAZ, Russland trage "die alleinige Verantwortung" für ein etwaiges Scheitern des INF-Vertrags. Stoltenberg fährt fort:

Sollte Russland nicht einlenken, bedeute dies das Ende für den INF-Vertrag. (…) Alle NATO-Alliierten unterstützen umfassend die amerikanischen Erkenntnisse, wonach Russland gegen den INF-Vertrag verstoße. (…) Der Bruch des Vertrags durch Russland ist auch der Grund dafür, weshalb die Vereinigten Staaten im Februar ankündigten, sich innerhalb von sechs Monaten aus dem INF-Vertrag zurückzuziehen. (…) Die Vereinigten Staaten kommen ihren Verpflichtungen aus dem Vertrag voll und ganz nach.

Das Urteil, das die NachDenkSeiten in einer Analyse der Kampagne fällen, lässt sich auf beide hier erwähnten Texte beziehen:

Der Text kann keine ernstgemeinte Argumentation sein – er ist ein Pamphlet, das an Einseitigkeit und potenzieller Verzerrung seines Gleichen sucht.

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