Meinung

US-Regierung bereitet sich auf Machtdemonstration gegen die EU vor

Dass die EU-Länder des Atomabkommens mit dem Iran nicht blind dem Beispiel der USA gefolgt sind und ebenfalls ausgestiegen sind, war Washington von Anbeginn ein Dorn im Auge. Die Missachtung der US-Sanktionen wird als Überschreiten einer "roten Linie" gesehen.
US-Regierung bereitet sich auf Machtdemonstration gegen die EU vorQuelle: AFP © Mark Wilson

von Zlatko Percinic

Seit der Abkehr der USA vom Atomabkommen (JCPOA) mit dem Iran und der damit verbundenen klaren Verletzung der Resolution 2231 des UN-Sicherheitsrates, die dieses Abkommen zum Völkerrecht erhoben hat, versuchten vor allem die EU-Vertragspartner, doch noch einen Weg zur Einhaltung wenigstens ihrer Verpflichtungen zu finden. Wie schwierig das angesichts des US-Sanktionsregimes gegen den Iran wie gegen Drittländer und der damit ausgesprochenen Drohungen und Erpressungen gegen europäische Unternehmen ist, zeigt sich am Beispiel des Tauschhandelsystems INSTEX.

In den betroffenen EU-Ländern als Instrument zur möglichen Umgehung von US-Sanktionen gedacht, sollte es auch ein Symbol der Europäischen Union darstellen, dass man sich die eigene Außenpolitik nicht mehr von den USA aufzwingen lassen möchte. Dass es aber nahezu ein Jahr gedauert hat, bis INSTEX überhaupt auf die Beine gestellt und als "einsatzfähig" erklärt wurde, zeigt, wie schwer sich Deutschland, Frankreich und Großbritannien damit getan haben. Und das, obwohl für den Anfang lediglich der Export von solchen pharmazeutischen, medizinischen und landwirtschaftlichen Produkten vorgesehen ist, die ohnehin gar nicht unter US-Sanktionen stehen.

Für Washington stellt aber selbst dieser unglaubliche "Alleingang" wichtigster Verbündeter in der EU bereits die Überschreitung einer "roten Linie" dar. Während sich die EU-Mitglieder lange Zeit der Illusion hingaben, dass sie nötigenfalls auch frei und unabhängig ihre eigenen Pläne verfolgen könnten, müssen sie jetzt schmerzhaft lernen, dass selbst diese ganze, schöne, große Union von (noch) 28 Staaten nicht über genügend Macht verfügt, um sich tatsächlich bei Bedarf souverän gegen die USA durchzusetzen.

Dennoch zeigt die Schaffung von INSTEX trotz all der unverhohlenen Drohungen des US-Finanzministeriums gegen das System und alle daran teilnehmenden Länder und Unternehmen vor allem eines: Man ist sich hierzulande durchaus darüber im Klaren, dass es bei dieser Auseinandersetzung um mehr als "nur" um den Iran oder das Atomabkommen geht. Das wissen allerdings ebenso die Strategen sowohl in Washington als auch in Teheran.

Während der Iran einige Bereiche des JCPOA aussetzt und sich dabei völlig legitim, nämlich im Einklang mit dem Vertragstext auf Artikel 36 beruft, der dem Iran – ebenso wie allen anderen Vertragspartnern – im Falle von "signifikanter Nichterfüllung" (significant non-performance) anderer Vertragspartner das Recht einräumt, "die Erfüllung seiner Verpflichtungen im Rahmen des JCPOA ganz oder teilweise einzustellen", bis die anderen Parteien ihren Verpflichtungen wieder nachkommen, behaupten neuerdings die unter Druck geratenen EU-Partner des Vertrages, dass angeblich ausgerechnet Teheran vertragsbrüchig geworden sei.

Im Gegensatz zu den meisten deutschen Medien erkannte die Nachrichtenagentur Reuters durchaus, worin das wahre Problem liegt:

Die europäischen Mächte lehnten die Entscheidung der Trump-Administration strikt ab, das Atomabkommen zu verlassen, und befinden sich seitdem zwischen zwei Stühlen gefangen, während sie versuchen, den Iran davon zu überzeugen, sich daran zu halten, ohne die versprochenen Vorteile zu erhalten.

Tatsächlich ist es so, dass sich beide Seiten auf den noch bevorstehenden größeren Machtkampf zwischen der EU und den USA vorzubereiten scheinen. Ellie Geranmayeh, eine Iran-Expertin des European Council on Foreign Relations, sagte dazu gegenüber FP:

Sollte das (Atomabkommen) scheitern und Europa es nicht retten können, sendet das eine Nachricht an alle Länder, nicht nur an den Iran, über die Relevanz, die Europäer als globale Akteure spielen können.

Um diese Nachricht und dieses Signal geht es auch den US-Amerikanern. Washington möchte offenbar um jeden Preis verhindern, dass sich in der "Alten Welt" ein unabhängiger Konkurrent etabliert, der vor allem die globale Soft-Power der Vereinigten Staaten von Amerika in Frage stellt. Sollte sich die EU in diesem Machtkampf durchsetzen, wäre das ein weiterer Stein, welcher der einstigen Supermacht aus ihrer bröckelnden Fassade fällt.

Aus diesem Grund bereitet das US-Finanzministerium weitere, härtere Schritte gegen den Iran vor, die auf den rein humanitären Sektor abzielen. Grundlage dafür soll ausgerechnet mal wieder Abschnitt 311 des "Patriot Act" bilden, der nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in New York geschaffen wurde. Dabei handelt es sich um eine "Spezialmaßnahme", die durch eine "endgültige Entscheidung" (Final Rule) in Kraft treten soll.

Diese "Spezialmaßnahme" verlangt von US-Banken eine "detaillierte Untersuchung" von ausländischen Banken, die über Konten bei diesen US-Banken verfügen und die außerdem finanzielle Transaktionen für den Iran abwickeln. Da der Iran vom SWIFT-Zahlungsverkehr bereits ausgeschlossen ist und sämtliche normale Finanztransaktionen durch US-Sanktionen verboten wurden, handelt es sich bei den verbliebenen Finanzdienstleistungen um die Abwicklung von humanitären Hilfen, die eigentlich gar nicht von Sanktionen betroffen sind und sein dürften.  

Wie Tyler Cullis, ein auf Wirtschaftssanktionen spezialisierter US-Anwalt schreibt, geht das Finanzministerium davon aus, dass die US-Banken sich nicht diese Mühe machen werden, um die enggestrickten US-Gesetze im Umgang mit den ausländischen Banken umzusetzen. Stattdessen werden sie sich der Einfachheit halber schlicht weigern, überhaupt weiter mit jenen ausländischen Banken zusammenzuarbeiten, die noch solche vom Umfang geringen Transaktionen mit dem Iran abwickeln und auch diese folglich von jeglichem Zugang zum US-Finanzsystem aussperren.

Das Kalkül des Finanzministeriums scheint zu sein, dass die wenigen europäischen Banken dann von sich aus ihre letzten Transaktionen mit dem Iran einstellen, um ihr USA-Geschäftsfeld nicht zu riskieren.

Damit zielt die US-Regierung bewusst auf den humanitären Sektor ab. Wie Esfandyar Batmanghelidj auf Berufung auf UN-Kreise zu berichten weiß, werden so die Projektleiter von Hilfsprogrammen der Vereinten Nationen gezwungen, mit sehr viel Bargeld in den Iran zu reisen, um die Programme am Laufen zu halten.

Am Ende ist es aber das INSTEX-System, das im Fokus des US-Justizministeriums steht. Denn wird erst einmal sogar der humanitäre Handel mit dem Iran von den USA kriminalisiert sein, entzieht das auch INSTEX jegliche Grundlage, da es vorerst zumindest auf dieses Gebiet beschränkt ist. Und damit zielt Washington zweitens auch auf die EU selbst ab, um ebendiese in die Schranken zu weisen. Die Frage wird sein, ob sich Brüssel und die weiteren EU-Vertragsstaaten des JCPOA das gefallen lassen werden – und sich damit dem US-Diktat beugen, oder ob sie es auf einen Machtkampf mit Washington ankommen lassen und ihrerseits eine "rote Linie" im Interesse Europas verkünden werden.

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