Meinung

Merkel in Zagreb: Mit Nationalisten an ihrer Seite ruft sie zum Kampf gegen Nationalismus auf

Bei ihrem Wahlkampfauftritt am Samstag in Kroatiens Hauptstadt Zagreb sagte Angela Merkel dem Nationalismus in Europa den Kampf an. Doch die politischen Partner der Bundeskanzlerin in Kroatien sind selbst ein Paradebeispiel des Nationalismus, vor dem sie warnt.
Merkel in Zagreb: Mit Nationalisten an ihrer Seite ruft sie zum Kampf gegen Nationalismus aufQuelle: Reuters

von Marinko Učur

Zur Unterstützung des Spitzenkandidaten der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber, nahm Angela Merkel am Samstag in der kroatischen Hauptstadt Zagreb an einer Wahlkampfveranstaltung der regierenden Kroatischen Demokratischen Union (HDZ) teil, die wie die CDU ebenfalls der EVP angehört.    

In der Halle, in die sich Bundeskanzlerin zur Unterstützung des kroatischen Premierministers Andrej Plenković und seiner HDZ gerade begeben hatte, ertönten noch die Lieder des ultranationalistischen Sängers Marko "Thompson" Perković – dessen Auftritte in Deutschland verboten sind! 

Die Bundeskanzlerin war sich offenkundig gar nicht dessen bewusst, dass sie in Zagreb jene radikalen Rechten unterstützt, die Kroatien zum einzigen EU-Land machten, in dem die Auswüchse von Faschismus und Nazismus noch immer nicht bestraft werden.

Dieser Meinung ist jedenfalls auch Krešo Beljak, Mitglied des kroatischen Parlaments und Präsident der oppositionellen Kroatischen Bauernpartei (HSS), der gegenüber RT Deutsch erklärte:

Frau Merkel begriff überhaupt nicht, was sich dort abspielte. Sie wiederholte nämlich, dass wir Europa vor dem Nationalismus schützen müssten. Aber in der Halle waren gerade genau die entgegengesetzten Töne und Einstellungen zu hören. Wir haben echte Auswüchse von Nationalismus gesehen, nicht nur, weil die Musik des ultranationalistischen Sängers Marko Perković Thompson abgespielt wurde, der in seinen Liedern die Ideen der Ustascha und Nazis verherrlicht:

'Jasenovac und Gradiška Stara, dort sind die Schlächter von Max zu Hause' (Anm. des Verf.: Vjekoslav "Maks" Luburić war Lagerkommandant von Jasenovac, wo Zehntausende Serben, Juden und Antifaschisten brutal ermordet wurden).

'Durch Imotski rollen Lastwagen, transportieren die schwarzen Uniformen von Jure Francetić. In Čapljina war der Schlachthof, viele Serben trieben auf der Neretva davon. (...) Leuchtender Stern über Metković, grüße mir Ante Pavelić', heißt es in einem Lied von Thompson.

Oder der Teil eines weiteren Liedes, das einem das Blut in den Adern stocken lässt, zumindest den Serben und all jenen, die die ethnische Säuberung und das Leiden im Bürgerkrieg der Neunzigerjahre unter dem Kommando der HDZ von Tuđman überstanden haben. Bei Thompsons Konzerten und seinen Anhängern jedoch scheint es Massenhysterie und Delirium hervorzurufen: "Hört ihr serbischen Freischärler, Tschetnik-Banden, unsere Hand wird euch auch in Serbien erreichen …"

Anlässlich des Jahrestages der Vertreibung der Serben in der Operation "Sturm" in Knin im Jahr 2015 hat eine große Zahl von Thompsons Anhängern zum Auftakt beim Lied "Bataillon Čavoglave" den Ustascha-Gruß "Für die Heimat – bereit!" gezeigt – dem Pendant zum deutschen "Sieg Heil! – und dabei "Tötet die Serben!" skandiert.

All diese extremistischen Einstellungen – bei radikalen Kroaten beliebt, aber im zivilisierten Europa angeblich unerwünscht – sind der Grund, warum Marko "Thompson" Perković in der Schweiz, in Österreich, Deutschland und einer Reihe anderer Länder zur Persona non grata geworden ist.

Es ist jedoch kein Geheimnis, dass beim Erklingen der Lieder von Thompson auch die Staatspräsidentin Kolinda Grabar-Kitarović gerne tanzt und darin auch gar nichts Anstößiges sieht.

Beljak, der Mitglied des kroatischen Parlaments ist, erklärt weiter:

Vertreter der Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft (HDZ), angeführt von dem gegenwärtigen Premierminister Andrej Plenković, sind nicht so dumm, dass sie nicht wüssten, welche Musikstücke sie während des Besuchs der Bundeskanzlerin abgespielt haben. Es ist möglich, dass dies eine bewusste Provokation war, weil die Gastgeber sehr gut wissen, dass dieser Sänger in den meisten europäischen Ländern, unter anderem in Deutschland, verboten ist.

Es ist möglich, dass der Besuch von Angela Merkel andere Konnotationen hatte. Nämlich immer dann, wenn die Deutschen auf diese Weise nach Kroatien kamen, haben wir ein strategisches Staatsunternehmen (wie z. B. die Telekom, die von der Deutschen Telekom übernommen wurde) verloren. Jetzt habe ich davor Angst, was als Nächstes kommen könnte. Es ist möglich, dass Herr Plenković eine Reserve-Variante anstelle von Manfred Weber für eine Position in den EU-Institutionen sein soll, was für Kroatien gut wäre, damit uns Plenković von seiner Person selbst und von seiner Partei befreit", betont Krešo Beljak.

Wie stark Plenkovićs HDZ radikalisiert und emotionalisiert ist, auch wie viel Homophobie und Serbenhass in ihrem Alltag vorkommen, bestätigt das jüngste Beispiel vom Sohn des kroatischen Abgeordneten Josip Đakić.

Unrühmliche Traditionen leben in der HDZ fort

Der 22-jährige Ivan Đakić Junior teilte nämlich auf seiner Facebook-Seite zum orthodoxen Weihnachtsfest am 7. Januar das Bild eines Ustascha-Aktivisten mit dem abgehackten Kopf eines Serben, darüber hatte er geschrieben: "Allen 'Freunden', den kleinen Serben, wünsche ich Frohe Weihnachten." Die Öffentlichkeit erwartete angemessene Sanktionen gegen diesen jungen Ustascha-Anhänger, aber es passierte gar nichts. Und es war nicht zu bemerken, dass der HDZ-Abgeordnete Josip Đakić über den Exzess seines Sohnes irgendwie verärgert war.

Die Befreiung vom nationalistischen Ungeist, insbesondere bestimmter Schichten der kroatischen Gesellschaft, die sich um die größte Partei HDZ versammelt haben, geht zu langsam voran. Das deprimiert viele Vertreter von Minderheiten, insbesondere serbischer Nationalität, die regelmäßig von den reaktionären radikalen Falken der HDZ angegriffen werden.

Dies geht auch eindeutig aus der beharrlichen Lobbyarbeit im Vatikan bei Papst Franziskus hervor, der ersucht wird, den kroatischen katholischen Bischof Alojzije Stepinac zum Heiligen zu kanonisieren und dies öffentlich zu proklamieren. Das ist grundsätzlich fragwürdig, weil Serben und die serbisch-orthodoxe Kirche dem Bischof Stepinac eine Mitschuld an den Verbrechen zuweisen, die das nazistische Ustascha-Gebilde NDH ("Unabhängige Staat Kroatien") begangen hat. Laut Archivmaterial hat Stepinac persönlich im Zweiten Weltkrieg viele Verbrechen gegen die Menschlichkeit (ab)gesegnet.

Deshalb machte sich nun sogar Papst Franziskus in der kroatischen Kirche und in kirchlichen Kreisen unbeliebt, weil er wiederholt wegen der serbischen Besorgnis über die mögliche Verkündigung des Heiligen Alojzije Stepinac betonte, "dass er nicht weiß, wem eine Verkündung zum Heiligen dienen könnte, wenn nicht klar ist, was wahr ist".

"Ich habe gebetet, nachgedacht, ich habe um Rat gefragt und begriffen, dass ich den serbischen Patriarchen Irinej um Hilfe bitten sollte. Er ist ein großer Patriarch. Irinej hat geholfen, wir haben eine gemeinsame historische Kommission gebildet und wir haben zusammengearbeitet ", erklärte er kürzlich einem Journalisten von HRT (der kroatischen öffentlich-rechtlichen Rundfunkgesellschaft) im Flugzeug auf dem Rückflug aus Bulgarien und Nordmazedonien.

Für den serbischen Patriarchen Irinej und für mich ist das einzige Interesse die Wahrheit, um keinen Fehler zu begehen. Wozu die Verkündigung zum Heiligen, wenn hier die Wahrheit nicht klar ist? Sie würde niemandem dienen", sagte Papst Franziskus.

Im benachbarten Slowenien wird von Politikern aufmerksam verfolgt, was in Kroatien passiert, und sie lassen keine Gelegenheit aus, der herrschenden Elite in Kroatien Ratschläge zu erteilen, insbesondere, wenn in Zagreb versucht wird, von den engen Beziehungen zu Deutschland zu profitieren. Diese Verbindungen – so die Auffassung mancher in Ljubljana – sind mit der Vergangenheit und mit jener Zeit verknüpft, als die NDH eine Marionette, ein Satellit des Dritten Reiches war. Der jetzige Kandidat für das Europäische Parlament, der heutige Parlamentspräsident von Slowenien Zmago Jelinčič, sagte gegenüber RT Deutsch:

Es ist bekannt, wer Alliierter und Verbündeter war, und Deutschland vergisst das nicht. Leider wird in Kroatien die Neo-Ustascha-Bewegung bejaht. Und das darf Europa nicht zulassen. Ich glaube, dies ist auch ein Alarmsignal für einige Länder der ehemaligen Sowjetunion, da viele Kroaten in Uniformen der nazistischen Ustascha-Armee auch in diesen Gebieten gewütet und getötet haben. Die Russische Föderation darf das nicht vergessen", sagte Jelinčič, Vorsitzender der oppositionellen Slowenischen Nationalen Partei (SNS).

Auf der anderen Seite, so glaubt Jelinčič, wird Angela Merkel weiterhin Migranten "importieren" und damit die Europäische Union schwächen, und den "Überschuss" an Migranten wird sie, befürchtet er, nach Slowenien und Kroatien "drängen", und deshalb benötige sie die Unterstützung der jetzigen Regierung in Zagreb. Und deren nationalistische Töne überhört die Kanzlerin dann wohl lieber, während sie gleichzeitig dem Nationalismus in Europa den Kampf ansagt.  

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