Meinung

20 Jahre seit NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien: Medienlügen (3) – Die vierte Waffengattung

Um die "Legitimationskrise" der NATO zu lösen, in der sie nach Auflösung des Ostblocks geraten war, mussten dringend neue Aufgaben gefunden werden. Dazu war der Umbau in ein globales Interventionsbündnis nötig. Westliche Medien unterstützten dieses Manöver bereitwillig.
20 Jahre seit NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien: Medienlügen (3) – Die vierte Waffengattung Quelle: AFP

von Klaus Hartmann

(Teil 1 und 2 können Sie hier bzw. hier nachlesen).

Um die "Notwendigkeit" der fortwährenden Existenz der NATO zu beweisen, mussten andere internationale Institutionen der Unfähigkeit überführt werden, den Frieden auf dem Balkan zu sichern. OSZE-Beobachter Heinz Loquai gab dazu drei Monate nach Ende der offenen NATO-Aggression gegen Jugoslawien zu Protokoll: "Mitte Januar [1999] wuchs der Druck in Richtung einer militärischen Lösung aus der NATO, allen voran die USA, rapide. ... Außerdem konnte ja ein militärisches Eingreifen der NATO ohne UN-Mandat faktisch einen Anspruch bestätigen, den die USA bisher in den Verhandlungen über eine neue Bündnisstrategie noch nicht durchzusetzen vermocht hatten."

Die mediale Vorkriegsberichterstattung hatte nach Loquai die "Funktion als Wegbereiter zum Krieg", "deutsche Tageszeitungen machten sich zu Planierraupen für den Weg in den Luftkrieg gegen Jugoslawien".

Der Konfliktforscher Kurt Gritsch analysierte die Rolle der Medien in seinem 2016 erschienenen Buch "Krieg um Kosovo.Geschichte, Hintergründe, Folgen". Er hat die Konfliktberichterstattung von FAZ, Süddeutscher, Zeit, Spiegel und taz im Krisenjahr 1998 bis vor Kriegsbeginn im März 1999 untersucht. Mit dem Ergebnis:

Auffallend war, dass alle fünf untersuchten Zeitungen zu keinem Zeitpunkt deeskalierend berichtet haben, wie dies beispielsweise die UNESCO-Mediendeklaration von 1978 verlangt, sondern stattdessen ein militärisches Eingreifen der NATO forderten. Dazu wurde offenbar sehr gezielt ein jugoslawisch-serbisches Feindbild aufgebaut, indem man an das negative Jugoslawien-Bild aus dem 'Bosnien-Krieg' anknüpfte.

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Loquai kommt zum gleichen Befund:

Insgesamt lässt sich feststellen, dass führende deutsche Tageszeitungen gewalttätige Auseinandersetzungen und ihre Folgen dramatisierten. Der Umfang von Kampfhandlungen, die Flüchtlingszahlen, das Ausmaß von Operationen der Sicherheitskräfte wurde zum Teil maßlos übertrieben. Serbische Gewalttätigkeiten wurden aufmerksam registriert, nicht selten überzeichnet, die der Kosovo-Albaner oft ignoriert.

In ihrer Berichterstattung über Račak transportierten Medien nicht nur die teilweise unrichtigen Vorgaben aus der OSZE, sondern sie erzeugten selbst fiktive Tatbestände, die geeignet waren, ein emotionales Feindbild zu schaffen beziehungsweise ein bereits vorhandenes emotional zu festigen. Medien wurden zu Weichenstellern für den Krieg, indem sie 'Zwangsläufigkeiten' konstruierten und den politischen Handlungsspielraum auf die Option Krieg einschränkten. 

Zwecks Kriegsvorbereitung: Gezielte Abwertung und Diffamierung der OSZE

Dabei setzen die Wegbereiter zum Krieg laut Loquai gezielt auf die Diffamierung und Abwertung der OSZE. In der als "liberal" geltenden Süddeutschen Zeitung schwadronierte Peter Münch über "die Leute, die die Toten zählen": "Dem gefährlichen Einsatz im Kosovo zeigt sich die OSZE bisher nicht gewachsen." Er spricht generell von der OSZE als einer "konturlosen Organisation", der durch den Einsatz im Kosovo "endlich ein klares Profil" gegeben werden sollte. Die OSZE ist für Münch ein "aufgeblasener Popanz". Es spreche immer mehr dafür, "dass sie sich dieser Mission nicht gewachsen zeigt – organisatorisch, strukturell und machtpolitisch".

Die besonders kriegstreiberisch agierende Frankfurter Allgemeine Zeitung befindet selbstverständlich, "die OSZE-Mission müsse als gescheitert angesehen werden". Ihr Balkan-Korrespondent Mathias Rüb erkennt (aus Budapest), die OSZE müsse "als Handlanger der Serben erscheinen", und "nach dem Massaker von [Račak] steht die OSZE hilflos mit blutbefleckten Händen da". Sie werde von den Serben als "Papiertiger" verhöhnt, "ihr internationales Ansehen nehme allmählich Schaden".

Ohne Drumherumgerede bringt es die Neue Zürcher Zeitung auf den Punkt: "Eine Lösung könnte nur ein Krieg gegen [Jugoslawiens Präsidenten] Milošević bringen ... Gerecht wäre ein Krieg gegen Miloševićs menschenverachtendes Regime, weil die Verbrechen gegen Menschenrechte nur zu zähmen sind, wenn ihr Urheber von der Macht verjagt ist."

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Die Zwischenbilanz von Heinz Loquai:

Medien bauen einen Handlungszwang für die Politik in mehrfacher Weise auf: Die journalistische Ausschmückung eines Verbrechens, die Bestialisierung von Tätern, das Versagen nicht-militärischer Konfliktlösung und die Diffamierung der dafür stehenden Organisation, die Konstruktion einer 'Keine-Alternative-Situation' zur militärischen Intervention, zum Krieg. Diese von den Medien aufgebaute Weichenstellung zum Krieg war eine Wende hin zum Krieg im Kosovo-Konflikt.

Frei erfunden: Jugoslawische Großoffensive im Kosovo

Um den Krieg herbeizureden, wurde eine "Großoffensive jugoslawischer Truppen" erfunden: "Serbische Großoffensive im Kosovo" (Die Welt, 23. März 1999), "Serben auf dem Vormarsch" (FAZ, 23. März 1999), "Eine neue grausame Runde von Kämpfen und Vertreibungen ist nach der Pariser Konferenz in Gang gekommen" (SZ, 22. März 1999), "Serben starten neue Offensive im Kosovo" (FR, 22. März 1999), "die Serben rücken mit 40.000 Soldaten und schweren Waffen ein" (Die Welt, 22. März 1999).

Dagegen die 1.400 OSZE-Beobachter im Kosovo: "Die Lage ist … angespannt, aber ruhig". Und die Nachrichtendienstler des deutschen Verteidigungsministeriums: "Entgegen Medienberichten ist derzeit weiterhin keine Großoffensive jugoslawischer Sicherheitskräfte in Kosovo erkennbar." Zum Beginn des zweiten Irakkrieges im Jahr 2003 urteilte der Bonner Professor Christian Hillgruber über die Wirkung der Medien als Motor der Eskalation zum Krieg:

Die von den Medien geschürte öffentliche Meinung verlangte unerbittlich moralisch begründeten Aktionismus. Sie erhielt, was sie einforderte: blutigen Tribut an eine von den Medien erzeugte öffentliche Meinung.

Ein Höhepunkt bei der Manipulation des Publikums war die Geschichte über "serbische Konzentrationslager", ausgedrückt in der Überschrift des Berliner Kurier: "Serben-Killer treiben Albaner in KZ-Zonen." Selbstzufrieden verteidigte Udo Röbel, Chefredakteur der Bild, die Lügen aus dem Hause Springer – und war ganz stolz, dass diese vom Lügenbaron Rudolf Scharping, Deutschlands damaligen Verteidigungsminister, begierig aufgegriffen wurden:

Ich habe keine Angst, Dinge beim Namen und auf den Punkt zu bringen, wie man es von 'Bild' erwartet. Wenn Sie die Seite 'Sie treiben sie ins KZ' sehen – dieses Bild war so eindrucksvoll, der Treck von Zehntausenden aus Pristina, das sprach eigentlich für sich selbst. Und wenn dann an diesem Tag der Verteidigungsminister von KZs in Serbien oder im Kosovo spricht, dann bekommt es mit diesem Bild und dieser Zeile eine unheimliche Dramatik.

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Das Hohelied auf den "europäischen Einigungskrieg"

Der schon erwähnte Kurt Gritsch zitierte 2012 in einem Leserkommentar für den österreichischen Standard Jürgen Todenhöfer: "Jeder hat ein Recht auf eigene Meinung, aber keiner auf eigene Fakten." Aber wenn die "eigenen Fakten" doch einem "höheren Ziel" dienen?

So sang man in der Zeit dem Außenminister Joschka Fischer im Jahr 2001 Lobgesänge hinterher, aus dem Munde von Matthias Geis: In "den Zeiten des Kosovo-Krieges … herrschte der Schrecken – aus Vertreibung und drohendem Völkermord. Auch damals war militärisches Handeln notwendig, musste durchgesetzt und einer Öffentlichkeit vermittelt werden, deren Zweifel von Woche zu Woche, von Kollateralschaden zu Kollateralschaden wuchsen. Und auch damals war es der Außenminister, der nicht nur die moralische Dimension des Krieges beschwor, sondern ihn zum 'europäischen Einigungskrieg' adelte und in großen Würfen den Balkan nach Europa holte." Mit großen Bombenabwürfen, ist man versucht, zu korrigieren.

Jedenfalls ist der "europäische Einigungskrieg" eine glanzvolle Parodie auf das "Friedensprojekt EU", von dem im aktuellen Wahlkampf an allen Ecken gesungen wird. Doch der Zeit-Herausgeber Josef Joffe weiß, wofür die Tausenden Toten gut waren, und schwärmt über die rot-grüne Bundesregierung: Bundekanzler Gerhard Schröder und Fischer sei "der Ausbruch aus dem Ghetto außenpolitischer Verantwortungslosigkeit" gelungen.

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Klaus Hartmann ist Bundesvorsitzender des Deutschen Freidenker-Verbandes und Co-Vorsitzender (mit Ramsey Clark und Sergej Baburin) des "Internationalen Komitees Slobodan Milošević"

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