Ein neuer Schritt in Richtung Brexit

Die Rede der britischen Premierministerin vor ihrem Parlament am 26. Februar rief wie üblich viele Beobachter zu Spekulationen hervor, dass der Brexit in Frage gestellt werden könnte. Wie so oft werden diese "Analysen" durch die Realität widerlegt.
Ein neuer Schritt in Richtung BrexitQuelle: Reuters

von Pierre Lévy, Paris

Eigentlich haben dieselben Experten unzählige Male ihren Rücktritt prognostiziert und behauptet, dass die Premierministerin nur noch eine "wandelnde Leiche" sei. 

Der von Theresa May vorgeschlagene Plan, der durch einen Antrag von zwei Abgeordneten aufgegriffen wurde, ist am 27. Februar in Westminster mit überwältigender Mehrheit angenommen worden. Er ist sieht drei mögliche Schritte vor. Am 12. März wird eine erste, wichtige Abstimmung stattfinden: Die Abgeordneten werden erneut zu dem zwischen London und Brüssel im vergangenen November ausgehandelten Scheidungsabkommen befragt. Wenn die Abstimmung negativ ausfällt, müssen sie am darauffolgenden Tag über einen "harten" Ausstieg ohne Abkommen ("no deal") entscheiden. Und wenn es diesmal ein zweites Nein ist, werden sie am 14. März zu einer "zeitlich begrenzten" Verzögerung des für den 29. März vorgesehenen Ausstiegsdatums konsultiert. Diese mögliche Verlängerung des Verhandlungszeitraums dürfte jedoch auf keinen Fall länger als drei Monate dauern.

Die Scheidungsvereinbarung wurde am 15. Januar von den Parlamentariern abgelehnt, dann am 29. Januar, mit einem wichtigen Vorbehalt, genehmigt: unter der Bedingung einer so genannten "Sicherheitsnetz"-Vorschrift ("backstop"), welche die Zukunft der Grenze zwischen Irland und Nordirland betrifft. Denn nur mit einer solchen Änderung im Scheidungsabkommen könne die Gefahr vermieden werden, dass das Vereinigte Königreich verurteilt ist, auf unbestimmte Zeit in der Europäischen Zollunion zu bleiben.

Theresa May hat daher mit ihren "Partnern" in der EU allerletzte Gespräche aufgenommen. Diese Verhandlungen sind noch im Gange und könnten bis zum letzten Moment dauern. Offiziell weigern sich die 27 EU-Mitglieder, das ausgehandelte Scheidungsabkommen noch einmal zu ändern. Sie könnten jedoch in einer beigefügten Erklärung gewisse politische Garantien geben und es dadurch verbindlicher machen. Zumindest rechnet Frau May damit, oder hofft darauf.

Entgegen den Prognosen vieler Analysten ist es nicht unwahrscheinlich, dass diese Strategie funktionieren wird. Am 15. Januar wurde zwar das Abkommen von einer inhomogenen, ungewöhnlichen Koalition von Pro-EU-Abgeordneten und Befürwortern eines "harten" Brexits abgelehnt. Diesmal aber könnten Letztere der neuen Version zustimmen, wenn sie die erhofften Garantien für ausreichend halten. Im Hinblick auf diese "Brexiter" ging Frau May taktisch das Risiko ein, dass weitere Verzögerungen den effektiven Ausstieg gefährden könnten. 

Tatsächlich wurde deutlich gemacht, dass ein Brexit ohne Abkommen ("no deal"), auch im Falle einer Verlängerung der Frist, nicht ausgeschlossen ist. Und sie bestätigte, dass ein solcher "harter Brexit" eine reale Möglichkeit blieb: "Wenn wir keine Wahl haben, werden wir dafür sorgen, dass der Brexit ohne Vereinbarung ein Erfolg wird". Die Phantasterei eines neuen Referendums, das von denen verlangt wird, die die Bürger dazu bringen wollen, so oft wie nötig abzustimmen, bis sie die "richtige" Antwort erhalten (und das jetzt der Labour-Chef anspricht), wird von Frau May völlig abgelehnt. Und sie allein hat im Moment die Macht, solches auszulösen.

Mehr zum ThemaAnti-Brexit-Boyband "Breunion Boys": Soll man lachen oder weinen?

Vom europäischen Kontinent aus gesehen mag das alles gewunden erscheinen. Aber diese Abfolge der Entwicklung lässt sich durch zwei Faktoren erklären. Der erste ist die Fragmentierung im Spektrum der britischen Parlamentarier. Die beiden großen Parteien waren beim Brexit immer in sich gespalten. So bedauert beispielsweise die überwältigende Mehrheit der Labour-Parteikader den Austritt aus der Europäischen Union, aber ein Teil der Wähler dieser Partei ist dafür, und sogar die große Mehrheit innerhalb der Arbeiterklasse.

Was die Konservativen betrifft, so sind und bleiben einige darunter glühende Liebhaber der EU, andere sind radikale Militante für den Brexit, und noch andere sind Anhänger von Theresa May und ihrer immer neuen Strategien, um endlich dafür zu sorgen, dass die Volksabstimmung vom Juni 2016 respektiert wird.

Der zweite Faktor ist die Entschlossenheit der EU-Staats- und Regierungschefs, diesem Brexit die schmerzhafteste und katastrophalste Außenwirkung zu verleihen. Es gilt schließlich, um jeden Preis zu vermeiden, dass das englische Beispiel zum Modell wird. So wurde beispielsweise eine Debatte in Frankreich berühmt, an der Emmanuel Macron (als er noch nicht Präsident war), Daniel Cohn-Bendit und Jean Quatremer (ein Journalist bei Libération, der für sein übertriebenes Pro-EU-Engagement bekannt ist) teilnahmen. Letzterer hatte ohne diplomatische Vorsicht die Stimmung der Debatte zusammengefasst: "Wir werden sie zum Fressen bringen, den Brexit"... 

Wo also Verhandlungen zwischen ehrlichen Partnern mit dem Ziel einer ausgewogenen Vereinbarung hätten stattfinden sollen, erlebten wir ein ständiges Armdrücken, bei dem die EU in Brüssel davon träumte, seine drakonischen Bedingungen durchzusetzen.

Von Anfang an musste Theresa May gegen die 27, gegen ihre parlamentarische Opposition, aber auch gegen einen großen Teil der Abgeordneten ihrer eigenen Partei und sogar gegen einen Teil in ihrer eigenen Regierung kämpfen. In aufeinander folgenden Wellen verließen einige Minister ihr Kabinett, und noch bis vor kurzem waren andere bereit, es zu tun. Daher am 26. Februar die Ankündigung des dreistufigen Zeitplans. Innerhalb des Kabinetts ist ihre Nummer 2 kein Unterstützer vom Brexit, ebenso wenig wie ihr eigener Stabschef.....

Unter solchen Bedingungen ist Theresa May seit fast drei Jahren gegen alle Widerstände standhaft geblieben. Auch wenn sie in Brüssel Zugeständnisse machen musste, hat sie darauf beharrt: Ihre Aufgabe ist und bleibt es, das Ergebnis der Volksabstimmung von 2016 umzusetzen.

Welche Drehungen und Wendungen auch immer zukünftig noch möglich sein könnten, man kann man sich nicht vorstellen, warum sie jetzt noch von dieser Linie abweichen sollte.

RT Deutsch bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.