Meinung

"Im Namen der Sicherheit": Klima-Aktivisten, Fußballfans und Flüchtlingsvertreter debattieren

Zehntausende demonstrierten jüngst gegen schärfere Polizeigesetze. Das "Komitee für Grundrechte und Demokratie" veranstaltete aus diesem Anlass am Wochenende in Köln den Ratschlag "Im Namen der Sicherheit". Kritisch wurde dort über staatliche Gewalt und Sicherheitskonzepte diskutiert.
"Im Namen der Sicherheit": Klima-Aktivisten, Fußballfans und Flüchtlingsvertreter debattierenQuelle: Reuters

von Felicitas Rabe

Bei seinem Eröffnungsvortrag am Freitagabend betonte der Publizist Daniel Loick, dass es ihm nicht speziell um eine Kritik der neuen Polizeigesetzgebung ging, sondern insbesondere um die grundsätzliche Legitimation der Institution Polizei.

Die Polizei würde neben ihrem ordnungsrechtlichen Auftrag eine eigene Agenda verfolgen. Nach der demokratischen Wahl des New Yorker Bürgermeisters Di Blasio wäre die New Yorker Polizei aus Protest gegen seine Wahl zwei Wochen in den Bummelstreik getreten, ohne dass sich die Zahl der Verbrechen erhöht hätte. Außerdem hätten Angehörige von ethnischen Minderheiten aufatmen können, weil sie nicht fortlaufend Personenkontrollen und Verdächtigungen nach dem Muster des "Racial Profiling" ausgesetzt wären.

Die Polizei würde sich nicht an das demokratische Prinzip der Gleichbehandlung aller Bürger halten und gesellschaftliche Spaltung fördern. Weiße Menschen würden die Polizei als Schutzmacht in Bedrohungssituationen wahrnehmen, während Angehörige ethnischer Minderheiten bei Hilfeersuchen häufig nicht ernst genommen würden und die Polizei eher als Bedrohung wahrnähmen. 

Gegenstrategien beinhalteten hauptsächlich zwei Forderungen: Amnesty International würde demokratische Kontrollbehörden einfordern, während Organisationen wie zum Beispiel Black Life Matters die radikale Position nach gänzlicher Abschaffung der Polizei vertreten würden.

Der Staat sollte Steuergelder besser in soziale Einrichtungen wie Kindergärten oder Frauenhäuser investieren, als sie für Polizei und Gefängnisse auszugeben. Alternative Institutionen zur Polizei sollten nicht vom Staat organisiert werden. Daniel Loick bedauerte, dass er aus Zeitgründen nicht mehr über das Thema "Polizei und neoliberale Wirtschaftsordnung" sprechen konnte. 

Klima-Aktivisten und Fußballfans Hand in Hand?

Am Samstag ging die Veranstaltung mit einer Podiumsdiskussion weiter. Ariane Landauer berichtete, dass Klima-Aktivisten sehr stark von der Repression durch den autoritären Staat und die neue Polizeigesetzgebung betroffen wären. Aus diesem Grund und aufgrund der globalen Auswirkungen der Klimakatastrophe gebe es in der Klimabewegung die Forderung nach einem System ohne Nationalstaaten und Grenzen.

Landauer wünschte sich eine gruppenübergreifende Vernetzung zwischen allen von der neuen Repression betroffenen Gruppen und Bewegungen. Mit ungewöhnlichen Allianzen (Fußballfans und Aktivisten) müsse Druck auf die Straße gebracht werden. Entscheidend wäre auch eine flächendeckende Aufklärung über die neue Polizeigesetzgebung, damit alle ihr persönliches Risiko kennen würden. 

Der Flüchtlingsaktivist David Jassey berichtete von seinen Erfahrungen bei den Polizeiübergriffen am 14.März im Flüchtlingscamp Donauwörth. Grundsätzlich würden schon durch die Bedingungen in den Camps Menschenrechte verletzt, deren Einhaltung Deutschland zwar ratifiziert hätte, was aber nicht eingehalten würde. Die räumliche Isolation der Flüchtlingscamps außerhalb von Kommunen verhindere gesellschaftliche Teilhabe.

Nach geltenden Menschenrechts-Statuten dürfe kein Mensch von der Arbeitsaufnahme abgehalten werden. Durch permanente Polizeikontrollen würden geflüchtete Menschen auch in den Augen der lokalen Bevölkerung in die Rolle von Kriminellen gedrängt. Mittels Kooperation von Polizei, Gerichten, Sicherheitspersonal und Presse würden rechte Vorurteile befördert. So hätte ein Richter ganz offen geäußert: "Ihr seid Fremde, Ihr müsst akzeptieren, wie man Euch behandelt." 

Fußballfans als Testballon für härtere Polizeimaßnahmen

Wilko Zicht, politischer Referent bei der Landtagsfraktion der Grünen und Mitinitiator des Bündnisses aktiver Fußballfans (BAFF) berichtete darüber, wie organisierte Fußball-Fans jedes Wochenende von der Polizei zum Testen neuer Maßnahmen genutzt würden, die dann später auf andere gesellschaftliche Bereiche angewandt werden könnten. Ein einfacher Polizist könnte neuerdings einem Fußballfan drei Jahre Stadionverbot für alle deutschen Fußballstadien erteilen, und zwar ohne Gerichtsverfahren und ohne Unschuldsvermutung.

Nach diesem Muster könnte einem Fußballfan auch ohne Gerichtsverfahren Hausverbot für deutsche Bahnhöfe und Züge erteilt werden. Bei der neuen Regelung, Vereine in Regress zu nehmen, verurteilte man einen Verein, dessen Mitglied als Fan eine Fackel entzündet hatte, zu Strafen zwischen 20.000 und 50.000 Euro. Gleichzeitig wurde der Verein zivilrechtlich verpflichtet, diese Strafe auf seinen Fan umzulegen.

Strategien gegen den autoritären Sicherheitsstaat wären auch beim BAFF vermehrte Aufklärungsarbeit über die neuen Rechte der Polizei. An Spieltagen gäbe es ein Notfalltelefon für von Polizeigewalt betroffene Fans. Mit vermehrter Pressearbeit wolle man eine Gegenöffentlichkeit schaffen, und man versuche, eine hauptamtliche Stelle zur Koordination der Hilfen für Fans verschiedener Vereine einzurichten. Gefordert würde auch weiterhin eine Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte.

Rechtsverstöße der Polizei nicht geahndet 

Florian Krahner, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Linksfraktion in Sachsen, kritisierte, dass nachgewiesene Rechtsverstöße der Polizei in Sachsen weder geahndet noch aufgearbeitet würden. Während die Bürger einer immer engmaschigeren Sozialkontrolle unterworfen würden, bekäme die Polizei immer größeren Handlungsspielraum.

Dazu gäbe es mittlerweile in Sachsen auch noch eine private ehrenamtliche Sicherheitswacht. Anwärter erhielten eine 6-wöchige "Ausbildung". Ausgerüstet mit Pfefferspray und der Erlaubnis der einfachen Gewaltanwendung gegenüber Bürgern würden sie als eine Art Unterabteilung der sächsischen Polizei geführt. In Studien würde derartiger Handlungsspielraum solcher Sicherheitswächter als gesetzeswidrig beurteilt. Dazu befragte Polizeibeamte wüssten angeblich nichts von diesem Handlungsspielraum, oder sie würden die Ehrenamtlichen bei ihrer "Ausbildung" bewusst nicht über diesen Spielraum informieren. Krahner informierte auch über die geplante Klage von sächsischen Linken und Grünen gegen das neue Polizeigesetz. 

In der anschließenden Diskussion mit den Ratschlag-Teilnehmern ging es um das Thema: "Was heißt Sicherheit für uns?" Ausführlich berichtete der Anwalt des geflüchteten Kameruners Alassa Mfouapon, der vom Verwaltungsgericht Karlsruhe keine Genehmigung erhalten hatte, zum Ratschlag nach Köln zu reisen. Mfouapon war Sprecher der Protestaktionen gegen Abschiebungen in der Flüchtlingsunterkunft in Ellwangen. Er wurde in einer Nacht- und Nebelaktion nach Italien abgeschoben und mit einer Einreisesperre belegt. Gleichzeitig machte die BILD-Zeitung in einer großen Pressekampagne Stimmung gegen ihn. Aufgrund vermehrter polizeilicher Rechtsbrüche hat er gegen das Land Baden-Württemberg geklagt.

Als Beispiel führte der Anwalt aus, wie die Polizei protestierenden Bewohnern des Flüchtlingsheimes Handschellen angelegt und die Handschellen-Schlüssel rechtswidrig dem Sicherheitspersonal des Heimes ausgehändigt hätte. 

Sebstian Bähr vom Neuen Deutschland fasste als Moderator zusammen, dass organisierte Fußballfans, Klima-Aktivisten oder sächsische Bürger verschiedene Repressions-Erfahrungen machen würden. Die geflüchteten Menschen wären jedoch in der extremsten Situation, weil sie außerdem einem rassistischen Diskurs in Politik und Medien ausgesetzt wären. Zu den weiteren Gruppen mit besonderer Repression gehörten Kurden, Seenotretter und die Aktivisten gegen die EU-Außengrenzen. 

Sicherheit umfasst mehr als die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung

In der anschließenden Diskussion äußerten einige Teilnehmer, dass Sicherheit für sie nicht nur die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung bedeuten würde. Sicherheit hieße für sie auch bezahlbare Mieten, Arbeitsschutzrechte oder Rentensicherheit. Diese Sicherheiten würden durch zunehmende soziale Repression, Präkarisierung von Arbeitsverhältnissen und wachsende ökonomische Ungleichheit gefährdet. Staatliche Fürsorgesysteme würden immer weiter abgebaut, während die Überwachung, Kontrolle und Repression der Bürger immer mehr ausgebaut würden. Die Polizei würde auch als Instrument für die Durchsetzung der Interessen von reichen Konzerneigentümern benutzt und so wahrgenommen.

Gleichzeitig würde man durch das neue Polizeigesetz eingeschüchtert, sich überhaupt an sozialen Protesten zu beteiligen. Diskussionsteilnehmer hätten schon erlebt, wie Freunde vermehrt versuchen würden, sie aus Angst, sie könnten polizeilichen Schikanen und Verfolgungen ausgesetzt werden, von der Teilnahme an Protestaktionen abzuhalten.  

Auffallend war, dass aber zuvor weder Daniel Loick noch die eingeladenen Podiumsteilnehmer die Polizei ebenfalls als neoliberales Exekutivorgan für die Interessen von reichen Finanzakteuren wahrnahmen. In Loicks Diskurs über Rassismus in der Polizei wurde zudem ausgeblendet, dass Angehörige ethnischer Minderheiten größtenteils auch zu den Angehörigen von sozial bildungsfernen und armen Bevölkerungsgruppen gehören. 

Dabei gab es 2018 in Deutschland den seit dem 2.Weltkrieg größten Polizeieinsatz zur Durchsetzung der Interessen von RWE-Aktionären am Hambacher Forst. Dort wurden vornehmlich weiße protestierende Bürger und Bürgerinnen monatelang von der Polizei – auch jenseits von Rechtsgrundlagen – eingeschüchtert und misshandelt. Historisch wurde die Polizei immer wieder zur Bekämpfung von sozialen Protesten, Streiks, Arbeiterkämpfen für die Durchsetzung von Interessen der Reichen gegen die Armen eingesetzt – wie zum Beispiel auch bei den aktuellen Protesten in Frankreich.

Bei der Veranstaltung mit bis zu 90 Teilnehmern wurden viele interessante Fragen aufgeworfen: nach den Vor- und Nachteilen einer privat organisierten Polizei, nach dem Auftrag einer Polizei in einem Rechtsstaat, nach dem Nutzen des Nationalstaats für die Bürger und nach unterschiedlichen Sicherheitsbedürfnissen. Durch die vielen Beiträge der eingeladenen Experten hatte die Veranstaltung allerdings mehr den Charakter einer Bildungsveranstaltung als den eines öffentlichen Ratschlags.  

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