Meinung

Marco Bülows SPD-Austritt: Hundert Jahre zu spät, aber lieber zu spät als nie

Der linke SPD-Bundestagsabgeordneter Marco Bülow hat seinen Austritt aus der SPD erklärt. Er warf seiner alten Partei vor, sich inhaltlich nicht zu erneuern. Dieser Schritt kommt 104 Jahre zu spät, aber lieber zu spät als nie, meint Hasan Posdnjakow.
Marco Bülows SPD-Austritt: Hundert Jahre zu spät, aber lieber zu spät als nieQuelle: www.globallookpress.com © Frank May/picture alliance

von Hasan Posdnjakow

Der Dortmunder SPD-Abgeordneter Marco Bülow ist aus der SPD, der er seit 1992 angehört, ausgetreten. Bülow, der dem linken Flügel der SPD angehört und in der Aufstehen-Bewegung aktiv ist, begründete dies, wie die dpa meldete, mit der fehlenden inhaltlichen Erneuerung der Partei.

Die Sehnsucht nach einer klaren, sozialen Alternative ist groß, aber die SPD steht leider nicht mehr dafür", erklärte er.

Seine alte Partei bezichtigte er, mittlerweile zu einem "Karriereverein" verkommen zu sein.

Diese Feststellungen treffen durchaus zu. Nur Bülows Schritt erfolgt 104 Jahre zu spät. Die SPD-Mehrheit verkaufte ihre Seele an den Teufel bereits in den ersten Augusttagen des Jahres 1914. Damals stimmte die Fraktion der SPD im Reichstag mit überwältigender Mehrheit den Kriegskrediten zu. Somit machten sich die Sozialdemokraten mitverantwortlich am sinnlosen Massenmorden, das in den nächsten Jahren in ganz Europa und der Welt wütete. 

Doch nicht nur das. Es gibt mehrere Zeitpunkte, ab denen es für einen Linken eigentlich unmöglich gewesen ist, in der SPD zu bleiben. Ein weiterer Zeitpunkt war vor knapp hundert Jahren. Im November 1919 brach in Deutschland eine Revolution aus. Arbeiter und Soldaten standen kurz davor, die Macht zu übernehmen. Doch die SPD-Führung verbandelte sich mit protofaschistischen, ultrareaktionären Kreisen im alten Staatsapparat und unter den Offizieren des Heeres. Sie nutzten diese Soldateska, um zehntausende Arbeiter zu ermorden, freilich alles im Namen der "öffentlichen Sicherheit und Ruhe". Auch Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, die von Anfang an gegen den Verrat der SPD-Führung im August 1914 waren, fielen diesem erneuten Pakt der SPD mit dem Satan zum Opfer.

Um nicht eine mehrbändige Geschichte der Fehler und Verrate der SPD schreiben zu müssen, sollen hier einige weitere Zeitpunkte, um aus der SPD auszutreten, nur kurz skizziert werden.

  • Ende der 1920er Jahre, Anfang der 1930er: SPD-Führung verschließt sich einem antifaschistischen Bündnis mit der KPD und macht sich somit mitverantwortlich am Aufstieg Adolf Hitlers.
  • Ab Ende der 1940er Jahre: West-SPD beteiligt sich an der Spaltung Deutschlands seitens der West-Alliierten und Konrad Adenauers CDU, indem sie sich erneut weigert, mit der KPD bzw. später der SED zusammenzuarbeiten. Die SPD hetzt kräftig gegen die Sowjetunion und trägt somit zur Remilitarisierung der BRD bei, obwohl sie diese offiziell ablehnt.
  • Anfang der 1960er Jahre: Die letzten Fetzen marxistischen Gedankenguts werden aus dem SPD-Parteiprogramm entfernt. Ab diesem Zeitpunkt ist die SPD offiziell eine Partei, die keine grundsätzlichen Probleme mit dem Kapitalismus hat, sondern ihn nur wie ein Klempner reparieren will.
  • 1970er Jahre: Willy Brandts SPD beschließt Berufsverbote gegen Kommunisten und andere angebliche Staatsfeinde. Gleichzeitig wird dem Volk die Losung "Mehr Demokratie wagen" vorgehalten.
  • Anfang der 1980er Jahre: SPD-Kanzler Helmut Schmidt stimmt dem sogenannten NATO-Doppelbeschluss zu. Dieser sieht vor, neue US-Atomsprengköpfe in der BRD zu stationieren. Millionen von BRD-Bürger protestieren dagegen.

Jetzt könnte man natürlich einwenden, Marco Bülow sei erst nach diesen Ereignissen in die SPD eingetreten. Dann wäre aber auch zu berücksichtigen, dass sich die SPD niemals ernsthaft mit diesen Episoden ihrer eigenen Geschichte auseinandergesetzt oder sich gar für sie glaubwürdig entschuldigt hätte. Zudem hat Bülow zumindest Hartz-IV und die Agenda 2010 miterlebt, sogar als Bundestagsabgeordneter der SPD-Fraktion. Das war der letzte Weckruf für alle verbleibenden ehrlichen Linken. Schröder, Müntefering und die ganze Truppe befreiten die SPD von den letzten Brocken ihres sozialen Gewissens.

Somit ist es eigentlich verwunderlich, dass immer noch Linke ihre Unzufriedenheit mit der SPD erklären. Das ist so, als wenn Friedensbewegte verwundert sind, warum die Grünen nach Jugoslawien und Afghanistan zur Kriegspartei geworden sind und immer noch Kriegseinsätze mittragen. Trotzdem: Lieber zu spät als nie!

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