Meinung

Deutschlands Außenpolitik muss sich neu aufstellen

Der Fall des in Istanbul getöteten Journalisten Jamal Khashoggi verdeutlicht auf dramatische Weise, was der deutschen Außenpolitik fehlt: eine klare politische Linie. Unter Heiko Maas hat sich dieses Problem noch verschärft und ist offen zutage getreten.
Deutschlands Außenpolitik muss sich neu aufstellenQuelle: AFP © Jim Watson

Von Zlatko Percinic

Eigentlich könnte Außenminister Maas (SPD) einem leidtun. Schon als Justizminister hatte er eine eher zweifelhafte Bilanz vorzuweisen, bevor er das Amt des obersten Diplomaten von Sigmar Gabriel übernahm. Obwohl ihm die große internationale Bühne fremd war und er auch keine Erfahrungen auf diesem Gebiet vorzuweisen hatte, sollte Maas mit seiner aalglatten Art wohl wieder etwas Ruhe ins Auswärtige Amt bringen, nachdem Gabriel doch für einige ungewohnte Aufreger gesorgt hatte. Das ist erst mal nichts Verwerfliches, will sich doch Deutschland möglichst mit allen Ländern gut stellen und ja keine Steine im Exportweg haben.

Bei seiner Antrittsrede im Auswärtigen Amt sagte der neue Außenminister, dass Deutschland "wohl oder übel noch mehr Aufwand betreiben" müsse, um seine "Interessen zu definieren und sie auch zu vertreten". Genau darin liegt das Problem. Berlin hatte es lange Zeit versäumt, die außenpolitischen Interessen zu definieren und sie eben auch zu vertreten. Stattdessen folgte man wie ein Fisch seinem Schwarm und überließ es insbesondere Washington, die Richtung vorzugeben. Für eines der mächtigsten Länder Europas eigentlich völlig inakzeptabel. Warum das aber für eine so lange Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg so lief, erklärte Maas in der gleichen Rede eher unbewusst:

Ich bin nicht – bei allem Respekt – wegen Willy Brandt in die Politik gegangen. Ich bin auch nicht wegen der Friedensbewegung oder der ökologischen Frage in die Politik gegangen. Ich bin wegen Auschwitz in die Politik gegangen.

Dass selbst noch im Jahr 2018 ein deutscher Politiker sagt, dass er wegen Auschwitz in die Politik gegangen sei, zeugt von dem enormen Schuldkomplex, der die Außenpolitik lähmt. Aus diesem Schuldkomplex ergibt sich aber eine Konstante, die seit Konrad Adenauer in das Fundament des Auswärtigen Amtes gemeißelt zu sein scheint: die deutsche Israelpolitik. Adenauer wurde lange Zeit für die Wiedergutmachungszahlungen an Israel gefeiert, die noch heute in Form von bedingungsloser politischer Rückendeckung und finanziellen Geschenken und Rentenleistungen erfolgen. Und obwohl dieses Abkommen mit Israel von 1952 "auf einer zwingenden moralischen Verpflichtung" beruhe, wie es damals hieß, zeigten im Jahr 2013 veröffentlichte Dokumente, dass es viel profaner zu- und herging.

Wie so oft, wurde diese Entscheidung nicht aus moralischen Gründen getroffen, sondern kam auf massiven Druck der USA zustande. In einer Kabinettsitzung vom 17. Juni 1952, knapp drei Monate vor der Unterzeichnung des Abkommens in Luxemburg, verwies Adenauer auf die Beziehungen zwischen der damaligen BRD und den USA und sagte, dass der "ergebnislose Abbruch von Verhandlungen mit Israel die schwersten politischen und wirtschaftspolitischen Gefahren für die Bundesrepublik heraufbeschwören würde".

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Diese zwei Pfeiler der deutschen Außenpolitik, die USA und Israel, standen Jahrzehnte im Mittelpunkt und bildeten den diplomatischen Kompass für Bonn und später wieder Berlin. Dass diese Regelung die politische Ausrichtung extrem einengte, dürfte klar sein. Und solange wir in einer vom Kalten Krieg geprägten und später dann unipolaren Weltordnung mit Washington als das Maß aller Dinge lebten, funktionierte das auch ganz gut aus deutscher Sicht. Die Europäische Union bildete dann schließlich die Krönung dieser angenehmen Vogel-Strauß-Politik, bei der man sich auf die Erschließung von Absatzmärkten für deutsche Produkte konzentrieren und sich ansonsten größtenteils aus der Weltpolitik heraushalten konnte.

Zwar gab es durchaus kurzzeitige Verstimmungen zwischen Berlin und Washington, wie beispielsweise bei der Verweigerung einer deutschen Beteiligung an der Invasion des Irak 2003, aber das waren Ausnahmen, die die Regel bestätigten. In Israel konnte man seit 1991 darauf verweisen, dass es einen anfänglich mit großer Hoffnung geführten Friedensprozess mit Jordanien und den Palästinensern gab. Und obwohl seitdem Tausende Palästinenser durch Intifadas und Kriege getötet wurden und die israelische Besatzung und Besiedlung von Gebieten unbeirrt vorangetrieben wird, verweist ein deutscher Außenminister nach dem anderen auf diesen längst begrabenen "Friedensprozess". Mit Ausnahme von Sigmar Gabriel. Er war der einzige deutsche Spitzendiplomat, der es gewagt hatte, beim Thema Israel aus der Reihe zu tanzen, und erntete dafür prompt harsche Kritik. Die deutsche Presse titelte entrüstet: "Sigmar Gabriel hat als Diplomat versagt", die israelische hielt ihn sogar für "Deutschlands gefährlichen Außenminister".

Davon ist Heiko Maas so weit entfernt wie von einer guten Beziehung zu Russland. Das Mantra von der "russischen Aggression gegen die Ukraine" hat er ebenso übernommen wie die Antwort auf die Schuldfrage am Giftanschlag auf die Skripals im britischen Salisbury, der Moskau in die Schuhe geschoben wird. Er zeigte sich bei seinem Amtsantritt "enttäuscht" darüber, dass "Russland bisher nicht bereit zu sein scheint, zur Aufklärung beizutragen". Und noch bevor überhaupt eine Untersuchung des Vorfalls stattfand, stand der Schuldige bereits fest, und davon weicht niemand auch nur einen Millimeter ab. Ganz anders im Fall des im saudischen Konsulat in Istanbulermordeten Journalisten. Obwohl auch da der Verdächtige schnell gefunden wurde, nämlich Saudi-Arabien, wollte die deutsche Regierung keine voreiligen Schritte unternehmen, was grundsätzlich auch richtig so ist. Aber wieso wird dann bei nahezu zwei identischen Fällen mit unterschiedlichem Maß gemessen?

Die deutsche Politik hat sich noch nicht an die sich rasch verändernde Weltlage angepasst. Die unilaterale Weltordnung unter Führung der Vereinigen Staaten von Amerika ist schneller zu Ende gegangen, als es viele für möglich gehalten haben. Durch das sture Festhalten an alten Dogmen kann sich Berlin nicht neu positionieren. Das sieht man in aller Deutlichkeit bei der Wahl der Partner wie eben den USA, Israel und Saudi-Arabien. Solange keine Bewertung dieser Partnerschaften im Rahmen der deutschen Interessen stattfindet, wird sich Berlin immer mehr mit den Folgen dieser Falsch- oder Nichtbewertung von Partnern auseinandersetzen müssen.  

Genau das forderte Maas auch in seiner Rede. "Wir müssen alte Partnerschaften runderneuern, und wir müssen auch neue Partner finden." Aber Deutschland muss auch endlich den Schuldkomplex loswerden und sich aus der Umklammerung der USA befreien, um eine eigenständige Politik betreiben zu können. Vielleicht kann Berlin in dieser Sache etwas von Paris lernen. Solange aber die Außenpolitik nicht nur im Auswärtigen Amt, sondern eben auch im Kanzleramt – und da nicht selten diametral zum AA ausgerichtet – sowie zum Teil auch im Finanzministerium gemacht wird, wird es Heiko Maas ziemlich schwer haben.

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