Meinung

SPD-Positionspapier: Das Gegenteil einer zeitgemäßen sozialdemokratischen Entspannungspolitik

Politik unterteilt sich auf den ersten Blick in viele kleine Felder, letztlich zentral sind jedoch nur zwei. Da ist der große Bereich der Wirtschafts- und Sozialpolitik einerseits. Ihm zur Seite steht der ebenfalls sehr große Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik.
SPD-Positionspapier: Das Gegenteil einer zeitgemäßen sozialdemokratischen EntspannungspolitikQuelle: AFP © Thomas SAMSON

von Gert Ewen Ungar

Mit dem Ergebnis der letzten Bundestagswahl, bei der die SPD massiv eingebrochen ist und ihr mit Abstand schlechtestes Ergebnis bei einer Bundestagswahl eingefahren hat, reifte bei den SPD-Granden die Einsicht, die Partei müsse sich erneuern. Erneuern bedeutet in der Politik, man muss seine Position zu den beiden genannten Politikfeldern überdenken und neu justieren, weil der Wähler einem deutlich signalisiert hat, dass er mit der bisherigen Ausrichtung nicht einverstanden ist. Eigentlich ganz einfach.

Man müsste auch gar nicht weiter nachdenken, wenn einem das Denken schwer fällt. Man könnte einfach versuchen, genau das Gegenteil von dem zu machen, was man die letzten Jahre gemacht hat. Das wäre im Fall der SPD dann Sozialstaat stärken, Arbeitnehmerrechte stärken, Niedriglohnsektor eingrenzen, Investitionsprogramme auflegen, von der ÖPP Abstand nehmen. Ganz ohne größeres Nachdenken würde man ein kleines Wunder bewerkstelligen, denn die SPD wäre plötzlich wieder eine echte Volkspartei.

Doch schon bald jedoch war klar, im Bereich der Wirtschafts- und Sozialpolitik würde die Erneuerung der SPD nicht stattfinden, denn die SPD hält die Agenda 2010 nach wie vor für ein Erfolgsmodell, obwohl deren Durchsetzung gegen alle Widerstände der Zivilgesellschaft maßgeblich und nachweislich zur Erosion der Partei und zur Erosion gesellschaftlichen Zusammenhalts beigetragen hat.

Also wird die Erneuerung der SPD wohl auf dem Feld der Außen- und Sicherheitspolitik stattfinden, mag sich dann manch einer denken. Umso erstaunter nimmt man dann das kürzlich veröffentlichte Positionspapier zur Außenpolitik der Bundestagsfraktion der SPD zur Kenntnis, das mit “Dialog - Vertrauen - Sicherheit” überschrieben ist. Erstaunt mag man auch über den Zeitpunkt der Veröffentlichung sein, denn während die SPD auf allen ihr zur Verfügung stehenden medialen Kanälen zur Mitgestaltung am Erneuerungsprozess einlädt, sich angeblich bereit für einen umfänglich geführten Dialog zeigt und vorgeblich schonungslos die gemachten Fehler analysieren möchte, zurrt die Bundestagsfraktion die außenpolitischen Positionen für die nächsten Jahre schon mal fest.

Man lädt zum Dialog ein und signalisiert schon jetzt, wie gleichgültig einem das Ergebnis dieses Dialogs sein wird. Das zeigt deutlich: Die erneuerte SPD wird ganz die alte sein. Die Basis kann diskutieren wie sie will, gemacht wird, was die Parteispitze für gut und karrierefördernd hält - basta.

Doch nun zum Positionspapier der Bundestagsfraktion:

“Der Frieden in Europa ist in den letzten Jahren brüchig geworden”, ist der Satz, der das Papier einleitet. Das ist in der Tat richtig. Die Fliehkräfte, die Europa auseinander treiben, sind vielfältig. Wer jetzt eine grundlegende, schonungslose Analyse und grundlegende Selbstkritik erhofft, wird schon im übernächsten Satz enttäuscht. “Die Teilung des Kontinents wurde bis heute nicht vollständig überwunden, sondern nur weiter nach Osten verschoben”, heißt es da. Grammatisch ist das eine Passiv-Konstruktion. Das grammatische Passiv wird dann benutzt, wenn man den Täter, den Verursacher nicht nennen möchte. Und so ist es auch hier, denn mit dem Satz wird suggeriert, diese Verschiebung wäre wie ein Naturereignis über Europa hereingebrochen, als wären die tektonischen Platten naturgewaltig auseinandergedriftet, wofür natürlich kein Mensch etwas kann. Das ist selbstverständlich ein Märchen, ein SPD-Märchen. So ist die jüngste Geschichte nicht verlaufen. Im Gegenteil war die SPD ein treibender Motor dieser Verschiebung, worüber sie jetzt mit einem kleinen Satz im Passiv hinwegtäuschen möchte.

All das Anstimmen der Hymne auf die gemeinsamen Normen und Werte hilft nichts: Es war eine SPD-geführte Bundesregierung, die gegen all die edlen, westlichen Regeln, gegen all die internationalen Normen verstieß und internationale Verträge brach, indem sie der Bundesrepublik Jugoslawien den völkerrechtswidrigen Krieg erklärte, mit dem Ziel, der NATO eine Ausdehnung nach Osten zu ermöglichen. Und das nur wenige Jahre nachdem die Sowjetunion die Wiedervereinigung Deutschlands ermöglicht hatte. Es gab wenige Bedingungen, die die Sowjetunion stellte. Eine war, die NATO dürfe sich nicht nach Osten ausdehnen. Der Westen wurde, man möchte das Wort “natürlich” hier einfügen, wortbrüchig. Die NATO hat sich nach Osten ausgedehnt und steht heute unmittelbar an der Grenze zu Russland.

Angeblich war der Beitrittswunsch Polens und der baltischen Staaten so dringend, dass man ihn nicht zurückweisen konnte. Die Wahrheit ist, man hätte den Sicherheitsbedürfnissen dieser Länder auch anders Rechnung tragen können, diplomatisch, vertraglich, im Dialog mit Russland, aber ohne NATO-Beitritt. Es hätte mehr Arbeit gemacht, aber es wäre deutlich weniger politisches Porzellan zerschlagen worden. Die Teilung des Kontinents hätte sich dann eben nicht nach Osten verschoben. Doch man hat sich für die Konfrontation entschieden. Das SPD-Positionspapier wischt diesen groben Fehler westlicher Außenpolitik einfach beiseite.

Schließlich war es eine SPD-geführte Bundesregierung, es war Kanzler Gerhard Schröder, der mit dem Völkerrechtsbruch, mit dem Angriffskrieg gegen Jugoslawien, Deutschland neu positionierte. Das war 1999. Dessen ungeachtet hielt Putin 2001 vor dem Deutschen Bundestag eine Rede, die nicht anders verstanden werden konnte, als ein in Freundschaft ausgestreckter Arm an die deutsche Politik. Die deutsche Politik hat dieses Angebot zurückgewiesen.

Ab 2007 war es dann vorbei, denn dann empörte Putin seine westlichen Zuhörer auf der Münchener Sicherheitskonferenz mit dem Anspruch, Russland sei ein Machtpol in einer multipolaren Weltordnung. Der deutsche Mainstream wertete diese bloße Tatsachenbeschreibung als eine Kampfansage, blendete aber dabei aus, wie deutsche Politik sich gegenüber Russland seit der Wiedervereinigung verhalten hatte. “Schäbig” trifft es eigentlich am besten.

2014 war es mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier ein SPD-Politiker, der die Opposition in der Ukraine auf dem Kiewer Maidan unterstützte und damit den Konflikt letztlich anheizte. Man muss sich den gesamten Vorgang umgekehrt vorstellen, um den Skandal zu erfassen. Politiker aus der Ukraine, aus China und Weißrussland unterstützen deutsche Demonstranten in ihrem Kampf gegen das Merkelregime, die gegen Sozialabbau, Steuerhinterziehung und Betrug der Großkonzerne und für auskömmliche Renten, steigende Löhne und ein friedliches Eurasien vor dem Brandenburgern Tor demonstrieren. Der russische Außenminister schüttelt vor Ort Hände und sagt den Demonstranten die Unterstützung seines Landes zu. Da wäre hier aber was los! Aber genau so lief es auf dem Maidan. Es gilt nicht ohne Grund im Völkerrecht das Prinzip der Nichteinmischung, wogegen hier, zwar noch unterhalb des Militärischen aber dennoch deutlich, verstoßen wurde. So viel zum Respekt der SPD vor internationalem Recht.

Deutschland brachte seine Kandidaten für die Nachfolge in der Ukraine in Position, wurde aber von den USA des Platzes verwiesen. “America first” galt in geopolitischen Fragen schon unter Obama, der da nicht zimperlich war. Klitschko darf seitdem den Bürgermeister von Kiew und nicht, wie von Deutschland gewünscht, den Ministerpräsidenten der Ukraine geben. Ministerpräsident wurde der Favorit der USA, Jazenjuk. Und während Deutschland gegenüber den USA kuschte, wurden alle Bedenken und Besorgnisse Russlands beiseite gewischt. Eine große Koalition von CDU und SPD hat mit einem SPD-geführten Außenministerium in blinder transatlantischer Gefolgschaft mitgeholfen, in die Mitte Europas und vor die eigene Haustür einen scheiternden Staat zu setzen, mit all den damit verbundenen Gefahren, die davon ausgehen. Und das ohne Not, ohne jede Notwendigkeit. Mit Verlaub, aber so blöde muss man erstmal sein.

Angebote seitens Russlands waren zahlreich vorhanden, wie man einen Annäherungsprozess der Ukraine an die EU moderieren und gestalten könnte. Russland bat sich immer nur mehr Zeit aus. Aber man wollte sich durchsetzen und ist grandios gescheitert. Einsicht bezüglich dieses eklatanten Scheiterns der eigenen Politik bei der SPD? Keine. Das Positionspapier der Bundestagsfraktion legt davon Zeugnis ab. Man beabsichtigt weiterhin, die Nase gegenüber Russland hoch zu tragen.

Vasallentreue gegenüber den USA, Arroganz gegenüber Russland. Die Opposition der SPD-geführten Bundesregierung beim zweiten Irakkrieg war da wohl kalkulierte, vermutlich eine transatlantisch auch gut abgesprochene Ausnahme, denn es standen Bundestagswahlen an. Das ist die friedenspolitische Position der SPD und daran wird sich auch nichts ändern, lässt uns das Papier wissen. Dem russischen Wunsch nach Begegnung auf Augenhöhe soll bestenfalls simuliert begegnet werden, damit Russland das angenehme Gefühl des Respekts bekommt, hinter dem sich jedoch faktisch Verachtung verbirgt.

Das Papier geht vielfach an der Realität vorbei und zeigt ein Dilemma der deutschen Politik. Offensichtlich verfügt die Bundestagsfraktion der SPD über keine eigenen Informationen über Russland. Sie gewinnt ihre Erkenntnisse über die Russische Föderation aus der überwiegend transatlantisch ausgerichteten Mainstreampresse. Und das, obwohl die SPD den Außenminister stellt.

Festzustellen ist auf jeden Fall: Wenn eine Hemisphäre massiv gegen Völkerrecht verstößt, internationale Verträge missachtet und Demokratie zurück baut, dann ist es die westliche.

Es muss seine Ursache in der Lektüre der transatlantischen Qualitätsmedien haben, dass die Bundestagsfraktion der SPD ein neues Wettrüsten ausmacht. Fakt ist: Der Westen rüstet auf. Russland lässt sich jedoch nicht in diese Rüstungsspirale zwingen und senkt seit mehreren Jahren in Folge seine Militärausgaben. Putin hat nach seiner Wiederwahl zum Präsidenten der Russischen Föderation angekündigt, auch in diesem Jahr den Rüstungsetat weiter zu senken, das eingesparte Geld für Infrastruktur und Soziales ausgeben zu wollen. Das kann man nachlesen, man muss dafür aber mal den Spiegel, die Bild und die Süddeutsche zur Seite legen. Da steht es nämlich nicht drin.

Nur durch eine einseitige Auswahl der Quellen kann es dazu kommen, dass die Bundestagsfraktion der SPD Russland die Schuld am Georgienkrieg von 2008 gibt, obwohl selbst die EU-Kommission festgestellt hat, dass es Georgien war, das den Krieg begonnen hat. Die Schuldfrage ist geklärt, die SPD-Bundestagsfraktion weigert sich, Fakten zur Kenntnis zu nehmen und begründet mit falschen, längst widerlegten Annahmen ihre außenpolitische Position. Das kann man nicht anders als Totalversagen nennen.

Völlig bizarr wird das Papier, wenn es um die Beschreibung der EU geht. “Die Europäische Union ist eine Friedensordnung. Sie ist dies aufgrund eines umfassenden Systems des Ausgleichs zwischen den Interessen und dem Einfluss größerer und kleinerer Staaten”, lässt uns die Bundestagsfraktion der SPD wissen. Diese Friedensordnung sieht sie durch Einfluss von außen, insbesondere von Russland, bedroht.

Man fragt sich, wo die Bundestagsfraktion sich in den letzten Jahren so erfolgreich vor der Realität verschanzt hat. Denn es ist natürlich nicht so, dass in der Europäischen Union ein Interessenausgleich zwischen den großen und den kleinen Staaten stattfindet. Es ist im Gegenteil so, dass Deutschland als größtes und wirtschaftlich stärkstes Land den EU-Mitgliedsländern, vor allem aber den EURO-Ländern, die Bedingungen und Regeln diktiert. So kam es zur Schuldenbremse in allen nationalen Verfassungen der EURO-Länder. Das war deutsches Geheiß - so funktioniert die EU. Da gibt es keinen Interessenausgleich. Das gibt es deutsches Diktat.

Man kann die Tage zählen, bis das große Italien-Bashing auch in der SPD-Bundestagsfraktion einsetzt, weil sich das Land den Verheerungen des deutschen Austeritätsdiktats widersetzen will. Aus guten Gründen übrigens und mit Sachverstand. Etwas, das uns in Deutschland, ganz deutlich auch in der SPD Bundestagsfraktion, in Bezug auf makroökonomische Fragen völlig fehlt. Es ist aber genau dieser Mangel an Sachverstand, gepaart mit einer sich jeder Realität verweigernden Arroganz der Macht, von dem das Strategie-Papier der SPD-Bundestagsfraktion durchdrungen ist. Durch diese sehr ungünstige Symbiose negativer Eigenschaften, die seit mehreren Dekaden deutsche Regierungspolitik durchtränkt, nehmen die Fliehkräfte in der EU zu. Selbst wenn es tatsächlich russisches Interesse wäre, die EU zu zerstören: Russland müsste da gar nichts machen, das erledigt schon der deutsche Finanzminister. Der zerstörerische Einfluss kommt nicht von außen, sondern aus der Mitte der EU, er kommt aus Deutschland in Form von Handelsbilanzungleichgewichten, innerer Abwertung und Austeritätsdiktat.   

Es gelang der SPD sogar, die Kontinuität in der Fehlentwicklung von einem CDU-geführten Finanzministerium in ein SPD-geführtes Finanzministerium hinüber zu retten. Aus der schwarzen Null wurde eine rote. Aus Raider wurde Twix. Die zerstörerische Politik bleibt die gleiche.

Die EURO-Gruppe wird vom deutschen Finanzminister dominiert, der Euro wird an Deutschland und seinen Vorgaben scheitern. Dazu braucht man kein Russland.

Jede Form von Reflexion des eigenen Tuns sucht man im Papier vergebens. Mit dem Strategiepapier zeigt die SPD, wie reformunfähig sie ist. Kein Erneuerungsprozess, nirgends. Die Wähler werden es zu würdigen wissen. Denn nichts kann fehlgeleiteter sein, als eine deutsche Außenpolitik gegenüber Russland, die auf einer bloß gefühlten moralischen Überlegenheit basiert, der mit keinerlei ethischer Handlung korrespondiert.  

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