Meinung

"Unteilbar", US-Richter Kavanaugh, Sojus-Rakete: Ein Wochenrückblick auf den medialen Abgrund

Die Fehde zwischen "Unteilbar" und Sahra Wagenknechts Bewegung "Aufstehen", die Berufung des US-Richters Kavanaugh und der Absturz einer Sojus-Rakete: Vor allem diese Themen boten den Mainstreammedien in dieser Woche Anlass zu verzerrender Berichterstattung.
"Unteilbar", US-Richter Kavanaugh, Sojus-Rakete: Ein Wochenrückblick auf den medialen AbgrundQuelle: www.globallookpress.com

Von Thomas Schwarz

Zwei Vorgänge in Deutschland und in den USA wiesen in dieser Woche Parallelen auf: zum einen die Debatte um die Demo "Unteilbar" an diesem Wochenende und die daraus entstandene Fehde mit der Sammlungsbewegung "Aufstehen" von Sahra Wagenknecht. Zum anderen die umkämpfte Ernennung des US-Richters Brett Kavanaugh und weitere Aufreger in den USA: Auf beiden Seiten des Atlantiks schärfen "Linksliberale" urplötzlich ihre Blicke für gesellschaftliche Missstände – nachdem sie sich zuvor jahrzehntelang blind und taub gestellt hatten. So werden in den USA nun – auch unabhängig von  der Causa Kavanaugh – "mutig" die Verbrechen des Präsidenten Donald Trump von pseudo-linken Unterstützern Hillary Clintons "angeprangert" – nachdem die gleiche Gruppe zu zahllosen US-Kriegen bis hin zum Irak, zu Syrien und dem Jemen geschwiegen hat.

Ein ähnliches Bild in Deutschland: Viele derer, die an diesem Samstag voller moralischer Arroganz bei "Unteilbar" demonstrieren werden, haben lange Jahre die deutschen US-Kritiker und Pazifisten als Antisemiten, "Aluhüte" und Verschwörungstheoretiker beschimpft. Sie haben die Kriege, die die Flüchtlinge jetzt in die Welt treiben, gegen die "Querfront" und gegen "Montagsmahnwachen" und "Friedenswinter" verteidigt und dadurch mit möglich gemacht. Nun wollen sie sich unter dem Label des "Engagements" weißwaschen und davonstehlen – jedoch nicht, ohne abermals Andersdenkende zu diffamieren.

Wenn sich die neoliberale Elite "links" einordnet

Indem man auf diese Heuchelei hinweist, rechtfertigt man nicht die Politik Donald Trumps. Man bricht dadurch auch keine Lanze für die Beförderung eines erzkonservativen mutmaßlichen Sexualstraftäters zum US-Bundesrichter. Ebenso wird man nicht zum Rassisten, wenn man sich in Deutschland aus guten Gründen von einer merkwürdigen Demonstration "gegen Hass" distanziert – schon allein, weil diese "Anti-Hass"-Floskeln mittlerweile von Regierungen, Geheimdiensten, Medienkonzernen und NATO-Thinktanks vereinnahmt und dadurch (ebenso wie der Begriff "links") entwertet wurden. Es geht in diesem Text zum einen um eine urplötzliche moralische Empfindsamkeit und die gleichzeitige Verdrängung dramatischer Verbrechen der jüngeren Vergangenheit.  Und zum anderen um die damit verbundenen Defizite einer dominanten neoliberalen Elite. Dass sich diese Elite mittlerweile selbst als "links" einordnet, ist dabei ein billiger Taschenspielertrick.

Die US-amerikanische "Linke" und ihr europäisches Pendant eint darum vor allem eines: eine radikale Geschichtsvergessenheit, weil bei einer Analyse allein der letzten zwanzig Jahre das eigene Versagen offensichtlich würde. In dieser Frage passt jedoch kein Blatt zwischen die großen Medienhäuser und die pseudolinken Neoliberalen – darum werden Letztere immer den medialen Rückenwind verspüren, so auch in dieser Woche. Dieser Rückenwind durch die Presse suggeriert den Verfechtern der "offenen Grenzen für alle" in Deutschland ebenso wie den kriegerischen Globalisten in den USA eine eigene Wichtigkeit und eine scheinbare moralische Unangreifbarkeit – und er bewahrt vor unangenehmen Nachfragen und Aufarbeitungen.

"Unteilbar": Mit "NATO-Kriegern" gegen rechts demonstrieren?

Die "Aufstehen"-Gruppe "Rote Fahne" bringt die Heuchelei der "Unteilbar"-Jünger auf den Punkt: "Man kann nicht mit den Verantwortlichen für NATO und Krieg und den Finanziers der faschistischen Junta in Kiew 'gegen rechts' demonstrieren. Das ist dann wirklich die historische Querfront." Dass sich diese Argumentation nicht in den großen Medien niederschlägt, ist zu erwarten. Die "Berichterstattung" über eine angebliche Diffamierung von "Unteilbar" durch Sahra Wagenknecht nahm allerdings in den letzten Tagen solche Ausmaße an, dass Wagenknecht und "Aufstehen" eine Erklärung veröffentlichen mussten:

In aktuellen Pressemeldungen wird behauptet, Sahra Wagenknecht habe der unteilbar-Demonstration am Samstag 'eine Absage erteilt'. Zudem wird der Umstand, dass Mitglieder von 'Aufstehen' an der Demo teilnehmen, als Distanzierung von ihr gewertet.

Richtig ist, dass Sahra Wagenknecht auf einer Veranstaltung in Berlin inhaltliche Kritik an dem Aufruf zur unteilbar-Demo formuliert, sich aber unabhängig davon dafür ausgesprochen hat, dass möglichst viele Menschen gegen Rechtsentwicklung und Rassismus auf die Straße gehen. (…) Unterschiedliche Meinungen sind daher kein Ausdruck einer Distanzierung, sondern eine Selbstverständlichkeit in einer Organisation, die sich als überparteiliche plurale Sammlungsbewegung versteht.

Wagenknecht geht der Kampagne in die Falle

Man muss zugeben: Wagenknecht wurde hier eine geschickte Falle gestellt – und sie ist naiv hereingefallen. Als Polit-Profi hätte sie ahnen müssen, dass sie in dieser emotional-moralischen Debatte nur verlieren kann: Denn was soll man denn bitteschön gegen eine "Anti-Hass-Demo" einwenden können? Sehr viel – aber man hätte voraussehen können, dass man sich damit eine Kampagne ins Haus einlädt, die nicht zu kontrollieren ist, weil sie irrational geführt wird.

Den Anfang dieser Kampagne machte die Welt, die Wagenknechts komplexe Kritik an "Unteilbar" auf die Holzhammer-Überschrift verkürzte: "'Völlig irreal' – Wagenknecht kritisiert Forderung nach offenen Grenzen". Damit wurde ein medialer Zug in Gang gesetzt, auf den neben der taz auch das ZDF, der Spiegel und die Zeit aufsprangen.

Alte Seilschaften: Linke "Realos" und die Mainstream-Presse

Auch innerparteiliche Konkurrenten wie Stefan Liebich ließen sich nicht lange bitten, in den großen Anti-Wagenknecht-Chor einzustimmen. So war es in dieser Woche wie gehabt bei den Konflikten in der Linkspartei: Die Spalter werfen ihren Kritikern Spaltung vor und ernten dafür Applaus in den großen Medien.

Eine kluge und kritische Einordnung von "Unteilbar" hat der Blog Das kalte Herz geliefert, der (neben vielen anderen Aspekten) die offensichtlichen Unstimmigkeiten verdeutlicht: "Das Ganze nennt sich 'Unteilbar', und die Hauptlosung lautet 'Für eine offene und freie Gesellschaft – Solidarität statt Ausgrenzung!' (…) Dass der erste und der zweite Teil der Hauptlosung sich eigentlich feindlich gegenüberstehen müssten, weil sie völlig entgegengesetzte politische Wurzeln haben (Solidarität ist eben nicht Caritas, nicht Mildtätigkeit, sondern wechselseitiger Beistand von Menschen identischer Interessenslage), ist auch noch recht offensichtlich." Und Albrecht Müller urteilt auf den NachDenkSeiten so knapp wie zutreffend: "'Unteilbar' treibt im Konflikt mit 'Aufstehen' den Rechten die Lämmer in den Stall."

"Zanhnlose" Globalisten in den USA?

Die Berufung von Brett Kavanaugh zum Richter am Obersten Gerichtshof der USA soll in diesem Text nicht verteidigt werden. Thema soll aber die eingangs ausgeführte Diskrepanz zwischen in der Vergangenheit tolerierten Verbrechen und einer plötzlichen moralischen Überempfindlichkeit sein. Für die FAZ jedenfalls verstärkt die Episode Kavanaugh in Amerika "den Eindruck demokratischer Dekadenz, weil es das Misstrauen vergrößert, mit dem die meisten Bürger ihren Institutionen ohnehin begegnen". Die Zeitung plädiert fragwürdigerweise dafür, im Fall Kavanaugh keine juristischen, sondern moralische Kriterien anzulegen: "Es kann keine Rede davon sein, dass er der sexuellen Nötigung 'jenseits vernünftiger Zweifel' überführt wäre. Doch Kavanaugh stand nicht als Angeklagter vor Gericht. Er bewarb sich bei den Vertretern des Volks als einer von dessen Obersten Richtern."

Realistisch zieht dagegen die taz Bilanz: "Kavanaugh ist der Mann, der die republikanischen Anliegen durch die nächsten Jahrzehnte führen soll, egal wie die kommenden Wahlen ausgehen. Mit seiner Bestätigung haben die Republikaner einen Sieg errungen, der in seiner historischen Bedeutung mit dem Wahlausgang vom November 2016 zu vergleichen ist."

Das Missverhältnis zwischen aufwendigen Medienkampagnen gegen Trump und deren dürren Erfolgen bringt der Blogger Analitik auf den Punkt: "Die Globalisten versuchen nicht einmal mehr formal, ihre Einstellung zum Rechtsstaat zu verhehlen: Wo das Recht stört, wird es ignoriert. Eine angeblich vor dreißig Jahren sexuell belästigte Frau zieht nicht vor das Gericht, wie es sich in einem Rechtsstaat gehört. Sie zieht vor die Presse-Kameras, und zwar genau in dem Moment, in dem sie von den Globalisten benötigt wird. Statt Anklage vor dem Gericht gibt es eine Anschuldigung in der Presse. Statt einer juristischen Aufarbeitung (sofern es etwas aufzuarbeiten gibt) gibt es die unmittelbare und hochemotionale Präsentation des schuldigen Bösewichts. Dem medialen Zirkus wird von den vortragenden Clowns die gleiche Wirkkraft wie einem Gerichtsprozess mit Schuldspruch zugesprochen." Das vielleicht zu optimistische Fazit von Analitik: "Zu viel mehr als lautem Geschrei sind die Globalisten nicht mehr fähig. Aber schreien werden sie weiterhin, denn die Medien sind noch in ihrer Hand."

Sojus Rakete: "Freunde" im All – Feinde auf der Erde?

Und geschrien wurde auch in der europäischen Medienlandschaft in dieser Woche zur Genüge – etwa anlässlich des Fehlstarts einer russischen Sojus-Rakete. "Den Russen will einfach nichts mehr gelingen", ätzt zum Beispiel die ukrainische Nowoje Wremja und fährt fort: "Wenn die Breschnew-Zeit mit dem Wort 'Stillstand' bezeichnet wird, dann wird die jetzige Epoche 'Zeit des Putin'schen Verfalls' genannt werden. Alles zerbricht, explodiert, fällt auseinander, geht unter, und es geht einfach nichts von der Hand. Das ganze Land hat bereits verlernt, irgendetwas normal zu machen." Solche Sätze aus einem Land, in dem auf Betreiben lokaler und westlicher Putschisten tatsächlich "alles zerbricht", entbehren nicht einer tragischen Komik.

Bemerkenswert ist dagegen die Haltung der "oppositionellen" russischen Nowaja Gaseta, die geradezu eine Hymne auf die russische Technik singt: "Die Sojus-Rakete ist wieder einmal ihrem Ruf gerecht geworden: Sie ist faktisch ideal, um Menschen ins All zu bringen. Bemannte Raketen unterscheiden sich von Frachttransportern durch ihre Verlässlichkeit von 99 Prozent, für die vieles geopfert werden muss: günstige Kosten, Frachtkapazität und Experimente mit moderner Technologie. Die Havarie eines Frachters führt lediglich zu einer Korrektur der Startzeitpläne und später zu Versicherungszahlungen. Doch ein bemannter Start erfordert etwas ganz anderes. Das Leben der Raumfahrer steht immer und überall an erster Stelle."

Die Weltsorgt sich derweil um den reibungslosen westlichen Zugang zum Weltraum: "Die USA sind auf Russland und die Sojus-Raketen angewiesen. Ebenso die Europäer, deren Astronauten ebenfalls nur per Sojus zur ISS gelangen können." Die Axel-Springer-Redakteure fordern darum: "Im Weltraum müssen Russland und die USA Freunde bleiben." Auf der Erde sorgt dasselbe Verlagshaus allerdings für die langfristige Zerrüttung dieser Freundschaft. 

Es war nicht alles schlecht

In Brasilien konnte man in dieser Woche einen bekannten, aber dennoch schockierenden Ablauf beobachten: In intensiven internationalen Medienkampagnen wurde der rechtmäßige Präsidentschaftskandidat Lula da Silva mit fadenscheinigen Vorwürfen diffamiert. Kaum ist der dadurch groß gewordene Faschist an der Macht, erleiden diese Medien einen plötzlichen Gedächtnisverlust, und sie fragen zerknirscht: "Wie konnte es nur so weit kommen?"

In den Lesetipps der Woche sollen darum in den Mainstreammedien verschwiegene Aspekte der Wahl in Brasilien thematisiert werden. So sieht Consortium News am Beispiel Brasilien die Wahl zwischen Barbarei und Zivilisation. Und Truthdig untersucht den Anteil der CIA am Wahlergebnis.

Halfen deutsche Stiftungen den Faschisten in Brasilien?

Die Einmischung von deutschen politischen Stiftungen in den jüngsten brasilianischen Wahlkampf thematisiert schließlich die Junge Welt: "Um den politischen Aufsteiger des rechten Randes verdient gemacht hat sich die seit Jahrzehnten in Brasilien aktive FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung (FNF). Auf ihrer Internetseite freiheit.org berichtete sie noch bis zum Montag nach der Wahl von ihrem Beitrag zur Entwicklung von Kadern der Bolsonaro-Partei. 'Zur Stärkung des organisierten Liberalismus' habe man Führungskräfte 'in Kooperationsmaßnahmen, insb. zu Fertigkeiten-Trainings und strategischem Planen mit Blick auf die Wahlen 2018', eingebunden. Die damit angestrebte Konsolidierung von PSL – und auch der neoliberalen Partei 'Novo' – darf man als gelungen bezeichnen. Nachdem das Thema in sozialen Netzwerken aufgegriffen worden war, war die Seite nicht mehr aufrufbar."

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