Meinung

Migrationskrise: Österreichs Wehrsprecher fordert Besetzung Nordafrikas durch die EU

Was hinter vorgehaltener Hand gemunkelt wird, sprach der österreichische FPÖ-Nationalrat und Vorsitzende des Verteidigungsausschusses Reinhard Bösch laut aus: Um der Migrationskrise Herr zu werden, soll seiner Meinung nach die EU Nordafrika "auf Zeit" besetzen.
Migrationskrise: Österreichs Wehrsprecher fordert Besetzung Nordafrikas durch die EUQuelle: AFP © Issouf Sanogo

von Zlatko Percinic

Ausgerechnet das neutrale Österreich prescht mit einer Idee vor, die eigentlich in eine längst vergangene Ära der europäischen Kolonisation gehört. Um innenpolitische Interesse zu wahren, sollen weit entfernten Ländern militärisch besetzt werden. Selbstverständlich nur "auf Zeit", wie Bösch ausdrücklich betont. So argumentierten zuletzt George W. Bush und Tony Blair vor ihrem Irak-Fiasko. Und der Irak sollte auch als grelles Beispiel dafür dienen, was mit dieser Form von Überlegungen tatsächlich alles passieren kann.

Wie gefährlich naiv dieser Gedanke von Reinhard Bösch ist, was noch furchterregender wird angesichts der Tatsache, dass es sich bei Bösch um den Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses in Österreich handelt, zeigt er in seiner Erklärung:

Wenn es uns nicht gelingt, Anlandeplattformen in Nordafrika zu errichten, zum Beispiel in Libyen – wenn wir in Libyen mit der einen Regierung das nicht organisieren können, müssen wir es halt mit der anderen libyschen Regierung organisieren. Und wenn das nicht funktioniert, dann ist das auch nach meiner Auffassung mit verschiedensten militärischen und polizeilichen (Mitteln) durchzuführen. Also einen Raum in Besitz nehmen vonseiten der Europäischen Union, ihn zu sichern, dort auch Versorgungseinrichtungen für diese Menschen einzurichten und dann diese Menschen zurückzubringen in ihre Heimatländer.

Auf die Nachfrage des Journalisten der NEUE Vorarlberger Tageszeitung (VOL.AT) hin, von welchem Land er überhaupt spreche, wo die EU militärisch vorgehen sollte, antwortete Bösch:

Entweder auf europäischem oder afrikanischem Festland, je nachdem. (…) Die (die Regierungen von Griechenland, Italien, Libyen, Tunesien/Anm.) sind ja jetzt nicht sehr kooperativ. (…) Ja, dann wird man halt schauen müssen, dass man dort mit anderen Staaten, wenn die nordafrikanischen Staaten das ablehnen, mit anderen Staaten das Ganze organisiert, oder in Nordafrika einen Bereich erzwingen. Dass man dort einen Bereich für die Europäische Union in Besitz nimmt und dort diese Rückführung organisiert.

Als dann die VOL.AT den FPÖ-Nationalrat zuerst in einem Bericht zitierte, schlug es in der Regierung und den Medien in Österreich hohe Wellen. Reinhard Bösch wusste sich nicht anders als mit einer Notlüge zu helfen. Als "völligen Unfug" bezeichnete er den Bericht, der seine Ideen korrekt wiedergegeben hatte. Diese "Stellungnahme" reichte für FPÖ-Generalsekretär und Vizepräsident der EU-Fraktion "Europa der Nationen und der Freiheit", Harald Vilimsky, aus, um die Debatte für beendet zu erklären. "Weitere Empörungen also nicht notwendig. Cool down", twitterte Vilimsky.

Hätte die NEUE Vorarlberger Tageszeitung nicht einen Mitschnitt des Interviews gehabt oder veröffentlicht, dann wäre das Thema in der Tat beendet gewesen. Doch mit der Veröffentlichung wurde Reinhard Bösch überführt, und anstatt sich der Tatsache zu stellen, wurde dieses peinliche Debakel sogar von der Regierungsspitze weitergesponnen.

Vizekanzler Heinz-Christian Strache von der FPÖ meinte nur lapidar, sein Parteikollege hätte die Idee "ungeschickt formuliert", und Kanzler Sebastian Kurz wollte außer "ein Vorgehen ohne Partner vor Ort kann für niemanden eine Option sein" gar nichts weiter dazu sagen.

Dass im Jahr 2018 überhaupt noch an eine Besetzung fremden Territoriums ernsthaft gedacht wird, ist eigentlich schon Skandal genug. Aber der österreichische Vorsitzende des Verteidigungsausschusses legt auch noch eine bemerkenswerte Interpretation von westlichem Demokratieverständnis und Wahrung nationaler Souveränität an den Tag. Nachdem die NATO den nordafrikanischen Staat Libyen zerstört und zu einem gescheiterten Staat gemacht hat, scheint man sich auch noch sieben Jahre danach eine Art neokoloniales Denkmuster zu pflegen, in dem Regierungen nach Belieben ausgewechselt werden können. Oder in Reinhard Böschs Worten: "Wenn wir in Libyen mit der einen Regierung das nicht organisieren können, müssen wir es halt mit der anderen libyschen Regierung organisieren."

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