Meinung

Schwarz auf Weiß: Ein Wochenrückblick auf den medialen Abgrund

RT Deutsch, ein "russischer Bombenbauer", Prozesse gegen Trump-Vertraute, der "Prager Frühling" und das "Hungerland" Venezuela - vor allem diese Themen gaben den Mainstreammedien in dieser Woche Anlass für verzerrende Berichterstattung.
Schwarz auf Weiß: Ein Wochenrückblick auf den medialen AbgrundQuelle: Reuters © Reuters

von Thomas Schwarz

Die halbe Wahrheit ist oft eine ganze Lüge. Diese Binsenweisheit könnte das übergreifende Motto für die aktuelle Medienkolumne sein. Doch keine Zeitung illustrierte das Sprichwort so deutlich wie der Berliner Tagesspiegel. Der wollte RT Deutsch am Zeug flicken und behauptete im Zusammenhang mit der neuen politischen Sammlungsbewegung um Linke-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht: "Russische Medien unternehmen derweil viel, um die Initiative von Lafontaine und Wagenknecht zu fördern." Redakteur Matthias Meisner hatte gründlich recherchiert und herausgefunden:

Der Propagandakanal RT Deutsch trommelt seit Monaten für das Projekt. 'Politisch vielversprechend' sei die Initiative, hieß es dort vor zwei Wochen in einem Kommentar. Beklagt wurde in dem Meinungsartikel, dass die Linkspartei ihren 'einzigen Superstar' - gemeint war Wagenknecht - 'öffentlich demontiert'. Und weiter hieß es: 'Das Beharren der Kritiker auf einem 'versteckten rechten Kern' der Sammlungsbewegung ist unseriös und unbelegt'.

Konzentrierte Fake News beim Tagesspiegel

Es ist schwer, mehr Fake News in einem Absatz unterzubringen. Dass der zitierte RT-Artikel nicht "vor zwei Wochen" erschienen ist, sondern einige Tage vor dem Tagesspiegel-Artikel - geschenkt: Eine kleine zeitliche Verzerrung kann man durchgehen lassen, damit der Tagesspiegel suggerieren kann, die "Kampagne" von RT für die Sammlungsbewegung laufe seit Wochen auf Hochtouren.

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Um die Realität seiner Ideologie anzupassen, beschränkt sich Meisner aber nicht auf solche Petitessen. Er bringt zudem die Eingangs erwähnte "halbe Wahrheit" ins Spiel - wenn er verschweigt, dass der zitierte Artikel Teil eines "Pro und Kontra" zur Sammlungsbewegung "#Aufstehen" war. Der Tagesspiegel hätte also mit Verweis auf den Kontra-Text mit der gleichen Berechtigung schreiben können: "Der Propagandakanal RT Deutsch trommelt seit Monaten gegen das Projekt."

Das muss man sich verdeutlichen: Um RT Tendenzen zu unterstellen, verschweigt Meisner den Wagenknecht kritisierenden RT-Beitrag, der doch mutmaßlich seine eigene Argumentation stützt. Dadurch nimmt er diesem bewegungs-kritischen Text die Aufmerksamkeit, die er verdient - ist Meisner also ein versteckter Agent für "#Aufstehen"? Antworten liefert auch der RT-Artikel von Timo Kirez zu dem Vorgang.

Die Russen können keinen Handel treiben, dafür aber Morde begehen

Dass die westlichen Helden-Berichte über den sogenannten Prager Frühling bestenfalls die halbe historische Wahrheit transportieren, sollte den Medienkonsumenten spätestens seit dem Maidan-Putsch und anderen Pseudo-Aufständen dämmern: Die ästhetischen und politischen Parallelen zwischen westlich geförderten Fake-"Revolutionen" der jüngeren Vergangenheit und dem tschechischen Märchen von den unbefleckten und unabhängigen Freiheitskämpfern sind kaum zu übersehen. Mit dieser Aussage soll nicht das Streben nach "Freiheit" in einem teils blockierten System diffamiert oder die militärische Reaktion darauf verherrlicht werden. Werden aber die geopolitischen Faktoren und die westlichen Spieler im Zusammenhang mit dem "Prager Frühling" nicht thematisiert, verkommen die Mythen-Berichte über die "Helden von 1968" zu Folklore, Selbstvergewisserung und Propaganda.

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Die FAZ liefert dafür ein schönes Beispiel und verklärt nicht nur die "Freiheitskämpfer", sondern behauptet zusätzlich, ganz allgemein, "die Russen" könnten keinen Handel treiben, dafür aber vortrefflich morden:

Der altgediente Kreml-Berater Sergej Karaganow brachte es kürzlich in einer deutschen Zeitschrift mit drohendem Unterton auf den Punkt: 'Die Russen sind schwache Händler, aber hervorragende Kämpfer.' Die alte Moskauer Neigung, Nachbarn nicht mit Waren, sondern mit Panzern zu beeindrucken, kommt unter Präsident Putin leider aufs Neue zum Zuge.

Der "russische Bombenbauer" und die russische Seele

Das Prinzip der halben Wahrheit wurde auch im Fall des diese Woche in Berlin verhafteten "russischen Bombenbauers" angewandt. So machten viele Medien aus dem 31-jährigen mutmaßlichen Islamisten aus Tschetschenien mit russischer Staatsbürgerschaft, Magomed-Ali C., einen namenlosen "Russen" - schließlich lässt sich dadurch etwas vom islamistischen Grauen auf den russischen Staat übertragen.

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Weder in der Tagesschau noch in den Tagesthemen machte etwa die ARD den islamistisch-tschetschenischen Hintergrund des russischen Staatsbürgers deutlich. Da war ausnahmsweise sogar die Bild-Zeitung seriöser, die den mutmaßlichen Terroristen in der Überschrift als "russischen Islamisten" bezeichnete und den Namen nannte. Den tschetschenischen Hintergrund vernebelt allerdings auch die Springer-Zeitung nach Kräften und nennt den Verdächtigen im Text fortan den "Russen".

Mit der ungenauen Täterbeschreibung als "Russe" soll mutmaßlich nicht nur der russische Staat indirekt diffamiert werden, sondern gleich die ganze „russische Seele“. Daran hat in dieser Woche auch ein Artikel in der Frankfurter Rundschau gearbeitet, der einen „Boom der Verschwörungstheorien“ in Russland ausgemacht hat. Die Zeitung nimmt eine aktuelle Umfrage dazu zum Anlass, laut der eine Mehrheit der Russen glaubt, dass – so formuliert es Autor Stefan Scholl – "jemand die sittlichen Werte des Landes vernichten und die Geschichte fälschen will“.

Das belege einmal mehr, dass „unser“ Mediensystem dem russischen überlegen ist: „Nach Ansicht liberaler Beobachter spiegeln diese Umfrageergebnisse die Einseitigkeit der russischen Medien wider“, so die Zeitung. Zwar seien Verschwörungstheorien auch in den USA sehr populär, zitiert die Frankfurter Rundschau einen Politologen. Aber im Westen gebe es noch „eine Medienvielfalt, die in der Öffentlichkeit für ein komplexeres Weltbild“ sorge. Für Scholl ist klar:

Die Zweidrittelmehrheit für die Verschwörungstheorie als solche ist wohl tatsächlich das Produkt des russischen TV-Programms.

Sanktionen, Senzow und Hackerangriffe

Ebenfalls zur antirussischen Stimmungsmache genutzt - und mit reichlich Halbwahrheiten angereichert - wurden die Themen "neue US-Sanktionen gegen Russland"  und der im Hungerstreik befindliche, mutmaßlich militante Regisseur Oleg Senzow. Muss man noch erwähnen, dass zu beiden Themen unverzichtbare Hintergründe, die die seriöse Beurteilung der Vorgänge erst möglich machen würden, vorenthalten wurden?

Halbe Wahrheiten lassen sich auch erzeugen, indem man wichtige neue Informationen nicht nachreicht. So haben etwa viele Medien kürzlich über angebliche "erneute" Hacker-Angriffe auf die Demokratische Partei in den USA berichtet. Man darf gespannt sein, ob diese Medien die neueste, hier von Telepolis geschilderte Entwicklung in dem Fall ebenso emsig verbreiten werden:

Jetzt musste der Democratic National Committee (DNC), dessen Computer 2016 durch spare fishing gehackt wurden, eingestehen, dass der diese Woche entdeckte und angeblich abgewehrte Hackversuch nicht vom Ausland oder von den immer gleich beschuldigten Russen kam. Der DNC hatte am Dienstag das FBI eingeschaltet, aber es stellte sich heraus, dass der Versuch, in die Wählerdatenbank einzudringen, nur ein Test war, den die Demokratische Partei von Michigan durchgeführt hatte, ohne den DNC zu benachrichtigen.

US-Präsident Trump: Diesmal stürzt er aber wirklich, ganz sicher, ohne Zweifel…

Dieses Thema führt in die USA, wo der Präsident Donald Trump einer in der US-Geschichte wohl beispiellosen Opposition fast der gesamten Medienlandschaft gegenübersteht. In diese Opposition haben sich die großen deutschen Medien längst eingegliedert. Was aber an den jüngsten Berichten über die Prozesse gegen die Trump-Vertrauten Paul Manafort und Michael Cohen auffällt, ist eine gewisse Verzweiflung und ein scheinbar schwindender Glaube an die eigenen Prophezeiungen vom Sturz Trumps - wurden diese Prophezeiungen mittlerweile zu oft ausgesprochen und haben sich abgenutzt?

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Die Zeit redet sich das baldige, bestimmt ganz sichere Ende Trumps tapfer weiter ein - sie sieht Trump nun zumindest "einen Schritt näher am Abgrund", denn "die Prozesse gegen seine Ex-Berater müssen im Weißen Haus Panik auslösen". Um diese Sicht nicht zu gefährden, werden Widersprüche ignoriert: "Die Vorwürfe gegen Manafort beziehen sich weitgehend auf die Zeit, bevor er für Trump arbeitete", schreibt die Zeit. Dennoch ist für die Wochenzeitung klar: "Der Schuldspruch in seinem Fall stärkt die Russland-Ermittlungen gegen die permanenten Angriffe aus Trumps Lager." Nicht minder verzweifelt ruft die Bild-Zeitung einmal mehr den "Anfang vom Ende der Trump-Präsidentschaft" aus und fragt ungeduldig: "Stürzt Trump dieses Mal wirklich?"

"Millionen" flüchten aus dem "Hungerland" Venezuela

Eine geradezu überwältigende Kampagne der Halbwahrheiten erleben die Bürger aktuell zu Venezuela. Dabei kommen zwei Strategien zusammen: Zum einen das Verschweigen des aggressiven Wirtschaftskriegs, der maßgeblich für weite Teile das akuten Elends in dem Land verantwortlich ist. Zum anderen das größtmögliche mediale Aufbauschen dieses realen Elends, um die Regierung als verantwortungslos zu zeichnen. So flüchten nun laut großen deutschen Medien "Millionen"“ Bürger aus dem "Hungerland Venezuela" (Spiegel). Doch sogar die Welt muss anfügen: "Die Internationale Organisation für Migration (IOM) spricht hingegen 'nur' von 886.000 venezolanischen 'Migranten' in Südamerika."

Gar nicht thematisiert wird in den großen deutschen Medien das Wirken der illegalen Sanktionen gegen Venezuela. Diese verschärfen nicht nur das selbst beklagte und medial aufgebauschte Elend, sondern treffen nun nebenbei auch einen zentralen "westlichen Wert": die Pressefreiheit. So ist etwa die Sendung der hochverdienten Journalistin Abby Martin wegen der Drangsalierung des Senders Telesur nun bedroht. Man kann gespannt auf die Solidaritäts-Aufrufe von "Reporter ohne Grenzen" warten.

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Es war nicht alles schlecht

Doch nun genug der halben Wahrheiten: Der kluge Blogger und Redakteur des Handelsblatts Norbert Häring hat zu seinem großen Thema - die Abschaffung des Bargeldes - ein mutmaßlich hochinteressantes Buch geschrieben. Bei der Besprechung im Deutschlandfunk wurde ein bekanntes Phänomen deutlich: Die Diskrepanz zwischen den Kultur- und den Nachrichten-Formaten. Wird in den Nachrichten und Kommentaren des Senders ein stramm neoliberaler Zeitgeist transportiert, so werden etwa in der Sendung "Andruck - politische Literatur" regelmäßig unerhörte Kritiken an eben jenem System formuliert. Die Sendung mag also ein klassisches Feigenblatt sein, doch sie beschert den leidgeprüften Hörern hin und wieder lohnende Beiträge. So etwa die positive Rezension des Häring-Buches:

Der Autor hat ein überzeugendes Buch geschrieben - mit vielen interessanten und auch überraschenden Einblicken. Norbert Häring präsentiert eine Menge neuer Fakten; komplizierte Zusammenhänge formuliert er verständlich. Er will Menschen aufklären. Denn seiner Meinung nach haben bei einer Auseinandersetzung mit offenem Visier die Bargeldfeinde - zumindest in Europa - schlechte Karten.

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