Meinung

Eine vertane Chance - Russisches Sommermärchen ohne Europa

Wovor sollten sich "die Europäer" am meisten fürchten? Man kann es ahnen. Was haben sie tatsächlich wahrgenommen und mit nach Hause genommen? Man konnte es erleben. Ein kleiner Erlebnisbericht eines RT Redakteurs.
Eine vertane Chance - Russisches Sommermärchen ohne EuropaQuelle: RT © RT, Wladislaw Sankin

von Wladislaw Sankin 

Der berühmte Trick der Qualitätsmedien mit dem WM-Bezug geht unter anderem so: Während die ganze Welt in elf russischen Städten das schönste Fest des Jahres mit den Einwohnern dieses Landes feierte, stufte der Europäische Rat für Internationale Beziehungen (ECFR) Russland zur Gefahr Nummer zwei für Europäer ein. Diesen Platz teilt sich Russland - zusammen mit der transnational organisierten Kriminalität. Nur vor islamistischem Terrorismus hätten die Europäer noch mehr Angst als vor Russen und kriminellen Banden.

Zu diesem Ergebnis ist der Thinktank aus den Befragungen der Regierungs- und Experten-Eliten der EU-Staaten gekommen. Für viele dieser Menschen ist Russland ein "schwieriger Nachbar". Einige von ihnen blieben sogar trotz Erfolgen ihrer Nationalmannschaften den Spielen fern, um der selbstverordneten Entfremdung besser Ausdruck zu verleihen.

Meine vier Tage in Moskau haben den "Erfolg" dieser Anstrengungen offenbart: Im Straßenbild rund um den Moskauer Kreml, in den Füßgängerzonen und auf den geräumigen Plätzen der Stadt dominierten nicht Europäer, sondern Scharen lateinamerikanischer Fans, auch lange nach dem Ausscheiden ihrer Teams. Mit jedem Tag gesellten sich dann zu ihnen immer mehr Kroaten, die ihre Begeisterung mit lauten Gesängen den Passanten kundtaten. Menschentrauben mit ausgestreckten Smartphones belohnten gutgelaunte Balkan-Bewohner und sandten die Party-Stimmung weiter in alle Welt. Am Ende waren es Menschenmassen, die riesige kroatische Flaggen auf dem Manezhnaja Ploschad vor dem Roten Platz ausbreiteten. Französische Fans hingegen suchte man vergebens.

Hin und wieder - in den Kneipen, Fußgängerzonen, auf dem Roten Platz oder der Fan-Meile auf den Sperlingsbergen vor der Lomonossow-Universität traf man vereinzelt auch auf Deutsche, die genauso wie ich den Ausklang der großen Party in Moskau miterleben wollten. Sie waren als Pärchen oder in ganz kleinen Gruppen angereist und verhielten sich eher unauffällig.

Den Rest machten Gäste aus, deren Äußeres auf Asien hindeutete – vom Nahen- und Mittleren bis zum Pazifik im fernen Osten. Inwieweit sie nun reguläre Touristen oder Fußballfans waren, ließ sich nicht näher festmachen. Nicht alle trugen Fußballtrikots, wie etwa drei junge Männer aus Hongkong in Trikots von England, die das Spiel um den dritten Platz im „Drei Lions“ an der Nikolskaja neben mir ansahen.

Insgesamt waren es täglich Hunderttausende, die sich dieser Tage auf dem Roten Platz und seiner Umgebung tummelten – buchstäblich aus aller Herren Länder. Es waren insgesamt 3,8 Millionen Touristen, die die russische Hauptstadt wegen der Fußball-WM besuchten. Die Zusammensetzung dieses Besucherstroms spricht Bände – aus dem fernen ärmlichen Peru sind mit 27 Tausend annähend genauso viele Fans gekommen (gezählt nach den Besuchern mit Fan-ID Ausweisen) wie aus dem nahen Deutschland (30 Tausend). Von den Europäern waren es nur die Briten, die diese Zahl mit 31 Tausend unwesentlich übertrafen, allerdings erst dank der 12 Tausend kurzentschlossenen "Last-Minute"-Besucher, aus verständlichen Gründen.

Brasilianer (35 Tausend), Argentinier (37 Tausend) und Mexikaner (44 Tausend) bildeten die Spitzengruppe der ausländischen Gäste aus den WM-Teilnehmerstaaten, gefolgt von einer überraschend hohen Anzahl US-Amerikaner (52 Tausend) und Chinesen (67 Tausend). Von der Gastgebernation nahmen fast eine Million Menschen die diversen Vorzüge von Fan-ID-Karten - wie kostenlose Zugfahrten - in Anspruch. Etwa 1,8 Millionen Fans waren es also insgesamt. Vor 12 Jahren in Deutschland waren die Gewichte völlig anders verteilt, und es waren mehrheitlich die Europäer unter den Spitzenreitern der WM-Besucher: Großbritannien und Nordirland mit 83.288 Tausend Karten-Besitzern, USA mit 70 Tausend, Japan mit 62, die Schweiz mit 59 und Schweden mit 56 Tausend Fans beim "Sommermärchen" in Deutschland.

 

Was sagt die jüngste Statistik nun aus? Russland baut immer weiter etwaige Hürden für "reisemutige" Ausländer ab, Bürger aus vielen bevölkerungsreichen asiatischen und lateinamerikanischen Staaten reisen nach Russland mittlerweile entweder visumfrei oder mit vereinfachten Visaverfahren. Und das machte sich auf den Straßen Moskaus bemerkbar. Es lässt sich feststellen: Die ganze und vor allem die ferne Welt war zur WM in Russland zu Gast. Mit wenigen Ausnahmen „glänzten“ aber gerade die europäischen Nachbarn mit schwächerer und wenig organisierter Teilnahme.

Wie schon erwähnt, gehörten auch die Kroaten (neben den Isländern!) zu den wenigen unerschrockenen Russland-Besuchern aus Europa, natürlich im großen Maß den spielerischen Leistungen und dem erfolgreichen Weiterkommen ihrer Mannschaften geschuldet. Die russischen Fans nahmen den Kroaten ihren knappen, hartumkämpften Sieg gegen Russland nicht übel.  Auch etwas mißratene politische "Witze" einiger kroatischer Spieler (RT berichtete) wurden verziehen und nicht auf das Land oder die ganze Mannschaft übertragen.

Die Russen dankten all ihren WM-Gegnern für gute Spiele und gute Laune mit spontanen Freundschaftsbekundungen auf den Straßen und mehrheitlich auch späterem Mitfiebern. Ich hinderte auch nicht meine fußballbegeisterten Kinder daran, auf der wichtigsten Moskauer Fan-Meile vor der Universität „Kroatska!!!“ zu rufen und dementsprechend jedes Tor der Franzosen ins kroatische Tor bitter zu betrauern.

Die Kroaten zahlten mit gleicher Münze zurück. Die Präsidentin des Landes Kolinda Grabar-Kitarowitsch verfolgte die Spiele der kroatischen Mannschaft in mehreren russischen Städten, fuhr volksverbunden in der Moskauer Metro und dankte am Ende den Gastgebern auf Russisch für diese großartige Weltmeisterschaft. Sie scheute sich auch nicht vor politischen Botschaften, traf sich so vor dem Finale offiziell mit Präsident Putin und plädierte dabei für den verstärkten Dialog mit Russland in Sicherheitsfragen und gegen die fortgesetzten Bemühungen zur Isolation Russlands.

Diese WM zeigte aufs Neue: die vermeintliche Isolation Russlands findet nur in den Köpfen Ewiggestriger der Regierungseliten und der Journalisten des Mainstreams in einigen westlichen Ländern statt. Deutschland inklusive, leider. Mit diesem Getue isolieren sie sich aber selber – und machen sich zunehmend auch unglaubwürdig vor den eigenen Bürgern. Denn ausgerechnet die konnten sehen, wie offen Russland in Wirklichkeit geworden ist. Nur: Je offener Russland wird, desto krampfhafter und in ständiger Anspannung halten die Lobbyisten fest an ausgedienten politischen Floskeln des Boykotts und Misstrauens.

Für neue Beziehungen fehlt ihnen ein Konzept oder der Wille. Helfen ihnen die Besucher der WM aus dem eigenen Land nun dabei? Wenn sie auch nicht besonders zahlreich waren, könnten ihre Eindrücke, ihre Lust nach Russland zurückzukehren, auch die Reiseerleichterungen mit der Fan-ID bis Ende 2018, in Zukunft gesellschaftliche Dimensionen erreichen. Gegenwärtig wächst ein neues internationales Gefüge, und das lässt auch auf einen offeneren und vor allem einen fairen Umgang im internationalen Miteinander hoffen.

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