Meinung

Ukrainer durchbrechen Blockade der Fußball-WM-Ausstrahlungen

Die offizielle Ukraine würde die FIFA-WM in Russland am liebsten ignorieren und wenn Bürger schon zusehen, mögen sie doch bitte nicht die russische Nationalelf anfeuern. Die Bevölkerung interessiert sich aber für die WM - und viele fiebern auch mit Russland.
Ukrainer durchbrechen Blockade der Fußball-WM-AusstrahlungenQuelle: Reuters

von Max Maximow

Die Fußball-Weltmeisterschaft 2018 verläuft bislang sehr eigenartig und untypisch. Deutschland, noch amtierender Champion, viermaliger Weltmeister und eines der besten Teams der FIFA-Weltrangliste, musste heimfahren. Auch Argentinien, das im Finale der letzten WM gestanden und schon zweimal ein solches als Sieger verlassen hatte, ist bereits nach Hause gefahren. Das spanische Team hat das WM-Gastgeberland ebenfalls bereits hinter sich lassen müssen. Die italienische Nationalelf, die bereits vier Mal Weltmeister geworden war, hat sich gar nicht erst für die WM qualifiziert. Es gäbe noch weitere Beispiele dafür, dass in diesem Jahr alles anders als in früheren Zeiten vor sich geht. Die Welt hat sich verändert. Die Generationen haben gewechselt.

So triumphiert der Sportgeist der Weltmeisterschaft aber auch in der Ukraine.

Wegen Russland-Sympathien Vertrag nicht verlängert

Die Welt hat sich nicht nur in Bezug auf die Teams und deren Platz in der Turniertabelle verändert. Es gibt auch eine dunkle Seite. In der Ukraine hat der FC Karpaty aus der Stadt Lwiw, berüchtigt durch die vielen dort ansässigen ukrainisch-nazistischen Organisationen, den Vertrag mit dem Torwart seines Jugendteams, Michail Gotra, platzen lassen. Grund dafür war, dass dieser mit dem russischen WM-Team mitfieberte. Dies wurde aus seinen Einträgen in den sozialen Netzwerken offenbar. Unbekannte fanden diese Einträge, kopierten sie, veröffentlichten die Kopien und denunzierten den Sportler beim ukrainischen Sicherheitsdienst (SBU). Der Vorstand des FC Karpaty verweigerte alle Kommentare. Doch die Manager bestätigten, dass der Vertrag mit dem 18-jährigen Michail Gotra gekündigt worden sei.

Das ist nicht der erste und nicht der letzte Fall von Hetze und Einschüchterung gegen ukrainische Staatsbürger, die trotz der vom offiziellen Kiew entfachten antirussischen Propaganda-Hysterie offen das russische Team anfeuern. Ich habe Live-Ausstrahlungen aus den Biergärten von Kiew, Odessa, Charkow, Mariupol, Dnjepropetrowsk, Saporoschje und anderen ukrainischen Städten gesehen. Alle fieberten mit Russland mit! Und ich war als ukrainischer Staatsbürger, der das Land 2015 infolge des Staatsstreichs verlassen musste, stolz darauf. Ich war stolz auf den ehemaligen Chef des ukrainischen Fußballverbandes und früheren Spieler des FC Dynamo Kiew, Anatoli Konkow, der offen sagte:

Ich bin immer für die russische Nationalmannschaft gewesen und werde es auch bleiben. Wie auch alle meine Freunde.

Mit dieser Äußerung hat ihn das Portal FootballHub zitiert.

Als ukrainischer Staatsbürger bin ich stolz darauf, dass meine Mitbürgerin Jekaterina Tschaus, die Freundin des Präsidenten des ukrainischen Fußballverbandes, sich ebenfalls offen und eindeutig geäußert hat.

"Russland ist Champion!", schrieb die junge Frau. "Wir sind in Düsseldorf, doch die Ukraine ist mit Euch, selbst in Deutschland!"

Ob Russland irgendwann einmal tatsächlich den Weltmeistertitel erringen wird, werden wir mit der Zeit sehen. Doch für mich als Menschen mit Geburtsort in der Ukraine war es angenehm, als meine Mitbürger inmitten des durch den Bürgerkrieg in meinem Land entfachten Hasses schreiben:

Ich möchte, dass Russland so weit wie möglich kommt. Natürlich werde ich auch weiterhin für Russland mitfiebern.

Das schrieb der ehemalige Mittelfeldspieler des ukrainischen Nationalteams und des FC Dynamo Kiew, Alexander Alijew, in den sozialen Netzwerken. Ähnliches schrieb auch der einstige Stürmer der ukrainischen Nationalelf, Andrej Woronin.

"Wir, die Ukrainer, waren 2006 bis ins Viertelfinale der WM gekommen", schrieb er. "Ein erstaunliches Turnier, einfach märchenhaft!"

Trotz Drohungen mit Gewalt: "Inter"-Übertragung in allen Gaststätten

In der Ukraine wird antirussische Propaganda betrieben, und gegen all jene, die ihre Sympathie für die russische Mannschaft auch nur andeuten, wird gehetzt. Doch es sieht so aus, als hätten die Drahtzieher der Hasskampagne ihr Ziel verfehlt. Niemand hat es verboten, für das russische Team mitzueifern. Und diejenigen, die gegen die ukrainischen Fans der russischen Nationalelf hetzen, werden in den sozialen Netzwerken verlacht. "Hallo, SBU!" - So titelten die Internet-Nachrichtenportale nach dem Spiel Russland-Spanien und den Liveausstrahlungen aus den ukrainischen Biergärten.

"In allen Gaststätten, die ich besucht habe, läuft die 'Inter'-Ausstrahlung", schreibt ein ukrainischer Reporter aus Odessa. Inter ist der Fernsehsender, der dem nationalen Fernsehsender der Ukraine die Rechte für die WM-Ausstrahlungen abgekauft hat.

Viele glauben natürlich ernsthaft an die "russische Aggression". Deswegen fieberte auch nicht die ganze Hauptstadt der Ukraine mit dem russischen Team mit. Dennoch zeigen alle Einschaltungen aus Kiew auch Menschen, die die russische Nationalelf anfeuern.

Noch vor Anfang der WM drohten die Nazis allen Gaststätten: "Wenn Ihr Spiele aus dem Angreiferland zeigen sollt, macht Euch auf einige Überraschungen bereit!" Die Medien, die völlig vom Präsidenten, dem Innenminister, dem SBU-Chef und anderen Protagonisten des Staatsstreichs von 2014 kontrolliert werden, griffen die Hysterie auf. Ihre Landser und Sturmtruppen drohten den Biergärten, Cafés und Restaurants, die die Fußballspiele zeigen würden, Pogrome an. Doch trotz der Einschüchterungspolitik wurden die WM-Spiele gezeigt und keine Drohungen konnten die Ukrainer davon abhalten, mit dem Team ihrer Wahl mitzufiebern. Und für die meisten Bürger der Ukraine ist die russische Nationalelf ihr Team. Das Spiel Russland-Spanien wurde in allen Biergärten und Pubs von Kiew angekündigt.

Das Fußballspiel verging wie in einem Atemzug. Alle schwiegen. Doch nach Akinfeews abschließender Rettungstat brach die Freude durch, man brüllte: 'Geschafft!' und ging danach schnell auseinander", schreibt ein Journalist des Internet-Nachrichtenportals Strana.ua.

Die Hassfront, die das offizielle Kiew aufbaut, kann als endgültig durchbrochen gelten, seit der erste Präsident der unabhängigen Ukraine, Leonid Krawtschuk, zugegeben hat, dass auch er für das russische Team mitgeeifert hat:

Ich bin immer für ein schönes Spiel. Das ukrainische Team ist nicht da, deswegen kann ich das Team nicht so anfeuern wie mein eigenes. Doch ich habe Respekt vor gutem Spiel. Igor Akinfeew hat gestern den Ball schön abgewehrt, es war interessant, lehrreich und professionell. Da stehe ich auf und zolle ihm Applaus", sagte Krawtschuk.

Die Rechte für die Ausstrahlung der WM in der Ukraine hat der Privatsender Inter erworben. Blicken wir auf die Fernsehtermine, so hat schon das Eröffnungsspiel der WM 2018, Russland gegen Saudi-Arabien, dem Sender die führende Position bei den Zuschauern im Alter von über 18 Jahren beschert: 16,6 Prozent der ukrainischen Zuschauerschaft, nämlich 3,8 Millionen Ukrainer, haben verfolgt, wie Russland das saudi-arabische Team niederschmetterte. Das Spiel Russland-Spanien im Achtelfinale hat hingegen alle bisherigen Rekorde geschlagen. Nach einer Pressemitteilung von Inter haben 23,1 Prozent der ukrainischen Zuschauer im Alter von über 18 Jahren das Spiel gesehen, und in den Städten mit einer Bevölkerung von mehr als 50.000 Menschen betrug dieser Anteil 25,5 Prozent. Insgesamt haben 4,4 Millionen Ukrainer dieses Spiel gesehen. Der Anteil der Zuschauer im Alter zwischen 18 und 54 Jahren, die das Spiel sahen, betrug in den Großstädten 21,7 Prozent. Kein konkurrierender Sender konnte in der Zeit, als das Spiel zwischen Russland und Spanien im Moskauer Stadion Luschniki lief, auf eine gleiche Einschaltquote stolz sein.

Mehr Zuschauer als während der gesamten WM in Brasilien

Und das Spiel zwischen Russland und Kroatien hat nach Angaben von Inter alle Rekorde in der Ukraine geschlagen und ist zum absoluten Hit mit der allerhöchsten Einschaltquote geworden. 26 Prozent aller Zuschauer im Alter von über 18 Jahren im ganzen Land und 31,4 Prozent der Zuschauer in den Städten, deren Bevölkerung über 50.000 Menschen zählt, schauten sich das Spiel an. Es konnte insgesamt 30,6 Prozent des Zielpublikums anlocken. Insgesamt sahen sich dieses Spiel in der Ukraine mehr Menschen an als die gesamte WM 2014 in Brasilien. Das provokante Benehmen eines Mitarbeiters des Stabs der kroatischen Nationalelf und eines kroatischen Fußballers nach dem Spiel heizten das Interesse an der Meisterschaft nur an, obwohl es eine scharfe Reaktion der FIFA zur Folge hatte, die die Politisierung der Sportveranstaltung unangemessen fand. Und für die Gastwirte ist der finanzielle Profit wichtiger als die Politik.

Natürlich stehen nicht alle auf Russland. Jede Gruppe von Fans hat ihre eigenen Vorlieben. Diejenigen, die von der russlandfeindlichen Propaganda überwältigt worden sind, sind grundsätzlich gegen die russische Nationalelf. Doch die Journalisten und Blogger, die die Gaststätten mit der Live-Ausstrahlung der WM 2018 besucht haben, bezeugen: Der Erfolg der Nationalmannschaft des Nachbarlandes macht die Ukrainer glücklich. Dieses Gefühl ist in erster Linie auf die Unfreiheit zurückzuführen, die nach dem Staatsstreich 2014 einsetzte, sowie auf die Bedrückung, die der Krieg im Ostteil des Landes brachte.

Gemeinsame fußballerische Tradition

Nicht nur die Weltmeisterschaft konnte diese Gefühle lindern. Nicht nur die Atmosphäre und der reine Sportsgeist dieses Festes. Sondern auch die Siege der Mannschaft, die die meisten Ukrainer als ihre Mannschaft ansehen. Diese Stimmungen spiegelt der einflussreiche proukrainische Blogger Alexej Arestowitsch wider:

Der patriotische Teil meines Newsfeeds plagt sich mit dem Kummer, dass während des Krieges mit Russland zu viele ukrainische Bürger sich über den Sieg der russischen Nationalelf freuen, den Boykott der WM ignorieren und sich wie die letzten Halunken benehmen. Die Kinder sind es leid, dass die anderen Kinder in diesem Sandkasten nicht bei ihrem spaßigen Boykott- und Hassspiel mitmachen wollen. Ich persönlich frage mich nur: Wie lange noch können die 'Patrioten' die Realität ignorieren?

Das sowjetische Nationalteam hatte einst keine WM-Glanzleistungen zu verzeichnen. Nur ein einziges Mal konnte es sich dem Finale nähern, nämlich 1966, als es den vierten Platz einnahm. Im Gedächtnis bleiben auch der glänzende Start der sowjetischen Fußballer in Spanien 1982 und in Mexiko 1986. In jener Zeit bestand die Nationalelf zu 80 Prozent aus Spielern des FC Dynamo Kiew, den der berühmte Trainer Valeri Lobanowski betreute. Somit haben die Ukraine und Russland die gleiche Fußball-Tradition. Heute steht die gemeinsame Geschichte auf dem Prüfstand. Man kann sagen, dass die Ukrainer die Bewährungsprobe durch den Boykott hindurch bestanden haben.

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