Europäischer Rat wird zur "Investorenkonferenz" für Einwanderung

Das bevorstehende EU-Ratstreffen wird überschattet von immer heftigeren Kontroversen über die europäische Einwanderungspolitik. Auf der einen Seite haben die Regierenden den Unmut der Wähler im Nacken. Die OECD hingegen sieht Einwanderer als "Investition".
Europäischer Rat wird zur "Investorenkonferenz" für EinwanderungQuelle: Reuters

von Pierre Lévy, Paris

Am heutigen Donnerstag und Freitag findet der mittlerweile x-te europäische Rat statt, der wieder einmal die "letzten Chance" darstellen soll. Doch dieses Mal sind die Widersprüche zwischen den Mitgliedsstaaten so gravierend, dass es schwerfällt, den Ausgang dieser Konfrontation mit Gewissheit vorherzusehen.

Auf der Tagesordnung stehen mehrere explosive oder wichtige Themen - die Zukunft des Euro, die europäische "Verteidigung", der Brexit, nicht zuletzt die Sanktionen gegen Russland - doch die Aufmerksamkeit ist natürlich vor allem auf die Migrationsfrage gerichtet. Zu diesem Thema hat es in den letzten Tagen heftige Gespräche gegeben. Paris und Rom waren besonders liebenswürdig zueinander und haben sich Wörter wie "Verantwortungslosigkeit", "Zynismus" oder "Heuchelei" an den Kopf geworfen...

Ankunftsländer, Zielländer und L.m.a.A.-Länder

Schematisch lassen sich die Akteure der Auseinandersetzungen in drei Gruppen von Ländern einteilen. Die erste Gruppe bilden die sogenannten Staaten der "Erstankunft". Die Regeln des Dubliner Übereinkommens schreiben vor, dass das EU-Land, in dem ein Migrant zuerst europäischen Boden betritt, für die Bearbeitung seiner Akte verantwortlich ist, bei der es sich oft um einen Asylantrag handelt. Seit Jahren verlangen Italien, aber auch Griechenland, Malta und Spanien eine Änderung dieses Verfahrens, das dazu führt, dass sie die ganze administrative, logistische und finanzielle Last der Menschen tragen, die zu Hunderttausenden ankommen, ohne dass - so ihr Vorwurf - die anderen Mitgliedsstaaten sich als "solidarisch" erweisen würden.

Die zweite Gruppe ist im Gegensatz dazu über die "Sekundärbewegungen" beunruhigt: Die Flüchtenden verlassen ihr Erstankunftsland unerlaubt, nachdem sie dort registriert wurden (oder vermieden haben, dort registriert zu werden), und machen sich auf in Gegenden, von denen sie sich mehr Perspektiven erhoffen. Zu diesem Lager gehören Deutschland, die skandinavischen Länder und auch Frankreich.

Eine dritte Gruppe lehnt das 2015 - auf Verlangen Deutschlands - von der Kommission geförderte Prinzip komplett ab: die Verteilung der Migranten auf alle Mitgliedsstaaten nach obligatorischen bzw. automatischen Quoten. Polen, Tschechien, die Slowakei und Ungarn verteidigen eine solche Position; Österreich hat sich ihnen angeschlossen.

In Wirklichkeit hüten sich die meisten europäischen Politiker davor, das Prinzip der Einwanderung selbst in Frage zu stellen. Doch sie sind dem Druck ihrer Wähler ausgesetzt. Das zeigt der Ausgang einer Reihe von Wahlen, die vor kurzem in verschiedenen Ländern stattgefunden haben.

Selbst heraufbeschworene Wanderungswelle

Die eigentlichen Wurzeln des Problems werden oft verschleiert. Zu den Ursachen gehört insbesondere die französisch-britische Intervention im Jahre 2011, bei der mit Unterstützung der NATO Oberst Gaddafi militärisch gestürzt - und ermordet wurde. Seither ist dieses Land in ein Chaos gestürzt, das keine staatliche Autorität kennt. Doch Libyen spielt eine große Rolle beim Transit afrikanischer Migranten. Die aktuelle Krise hätte niemals einen solchen Höhepunkt erreicht, wenn die Vereinbarungen, die mit Libyen herrschten, immer noch in Kraft wären.

Denn im Grunde verlässt niemand sein Land aus reiner Freude. Millionen von Männern und Frauen wagen gefährliche Überfahrten, weil sie durch Elend oder Kriege getrieben sind. Kriege? Die westlichen Machthaber tragen dafür eine erdrückende Verantwortung. Syrien ist ein typisches Beispiel dafür: In Washington, Paris, London und Brüssel hat man mehrere Jahre lang gehofft, kurz vor dem Umsturz Baschar al-Assads zu stehen und offen ausländische Kämpfer unterstützt.

Was das Elend angeht, so hängt es natürlich eng mit der Ausbeutung der armen Länder zusammen, die multinationale Unternehmen, Regierungen und westliche Mächte seit Jahrzehnten betreiben.

Masseneinwanderung als Ideologen-Traum

Doch das alles hindert noble Ideologen nicht daran, für eine positive Vision der Einwanderungsströme zu werben, die der Vorreiter und strahlende Horizont weltweiter Mobilität im globalen Dorf seien. So hat die französische Juristin Mireille Delmas-Marty kürzlich bestätigt, dass "die Migration an sich durchaus erwünscht ist" und "ebenso wie das Klima global reguliert" werden sollte. Diese weit über die Wirtschaft hinausgehende "Global Governance" ist der ultimative Horizont, von dem die globalisierten Oligarchien träumen.

Insbesondere der grenzenlose Zustrom bedingungslos ausgelieferter Arbeitskräfte ist ein mächtiger Hebel, um den Preis der Arbeit zu senken. Das alles ist nichts Neues, aber dennoch aktueller denn je.

Zumindest hat das der Generalsekretär der OECD, eben jenes Clubs, in dem sich traditionell die reichsten Länder ein Stelldichein geben, mit ergreifender Offenheit bestätigt. Angel Gurria merkte nämlich kürzlich in einem Interview an:

Die Migration ist für die Regierung des Ziellandes etwas Positives, aber diese Regierung muss eine Anzahlung leisten, als würde sie eine Investition tätigen. Am Anfang investieren Sie, dann warten Sie ab, bis die Investition Gewinn abwirft.

Die Migranten, eine "Investition", von der man einen "Gewinn" erwartet. Besser geht es kaum noch.

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