"Putins Spiele" und die Qualitätsmedien (VI) – Heute: Wo bleibt das Positive?

Fußballweltmeisterschaft – und das auch noch in Russland! Diese explosive Mischung, kurz "Putins Spiele" genannt, versetzt die deutschen Qualitätsmedien in strudelnde Erregung. – Ein kontinuierlicher genauerer Blick auf Berichterstattung und Kommentare.
"Putins Spiele" und die Qualitätsmedien (VI) – Heute: Wo bleibt das Positive?Quelle: Reuters © Reuters

von Leo Ensel

Sorry, liebe Qualitätsmedien, aber eine Idiotenopposition bekommen Sie von uns nicht! Um Sie zu ärgern und Ihnen das Pawlow‘sche Lagerdenken etwas zu erschweren, wollen wir daher heute mal ein bisschen loben, wo es angemessen ist oder, seien wir großzügig, wo die antirussische Propaganda sich zumindest in Grenzen hält.

Überraschendes von Spiegel Online

Es begann bereits letzten Sonntag und ausgerechnet in Spiegel Online. „Moskau – verwandelte Stadt“ lautete die hoffnungsfrohe Überschrift. Und der Teaser machte sogar Appetit: „Noch vor ein paar Jahren kostete es Nerven, in Moskau zu wohnen. Doch schlagartig veränderte die Metropole ihr Gesicht. WM-Besucher werden staunen.“ Völlig zutreffend schrieb Moskau-Korrespondent Christian Esch:

Gesellschaftlich war Moskau über die Jahre von Putins ersten Amtszeiten näher an Westeuropa gerückt. Eine neue Mittelschicht war gewachsen und hatte sich zwischen die ganz Reichen und die ganz Armen geschoben. Eine Generation junger, gebildeter Großstädter mit Auslandserfahrung und ohne existenzielle Sorgen verglich das eigene Lebensumfeld mit dem anderer Städte in Europa, Amerika oder Asien. Es waren Menschen, für die der Alltag kein Überlebenskampf mehr war und der öffentliche Raum keine Gefahrenzone, die man am besten schnellstens durchquert.

Unerwartet sachliche Töne. Und es stimmt: Moskau ist mittlerweile eine ganz normale Metropole, in der es von Allem alles gibt – und davon auch nochmal das Gegenteil! Ein – ja!, ja! – lesenswerter Essay.

Seit Dienstag gibt es auch bei der WM-Berichterstattung bisweilen Erstaunliches von der Spiegel Online-Front zu vermelden: Eine Überschrift wie „Der beste Gastgeber der WM-Geschichte“ hatten wir gerade hier nicht erwartet! Zwar bezog sich dies nicht auf Russlands – oder, um im Qualitätsjargon zu bleiben: Putins – Rolle als Gastgeber, sondern auf das bislang unerwartet gute Abschneiden der Sbornaja, aber immerhin! Auch offene oder versteckte Dopingverdächtigungen, die bei Russland bekanntlich immer naheliegen, konnten wir nirgends entdecken. Nein, Andreas Evelt lieferte einen ganz und gar sachlichen Spielbericht, konnte sich sogar gegen Ende ein Lob auf die russische Mannschaft nicht versagen: „Zwar spielt die Sbornaja auch in der wohl einfachsten Gruppe. Wie Russland diese Vorrunde aber meistert, ist durchaus beeindruckend.“ – Weiter so!

Noch erstaunlicher die Überschrift der Spielanalyse vom Mittwoch: „Sorry, Russland – wir lagen falsch“, und ebenfalls in Spiegel Online! Auch die bezog sich natürlich wieder nicht auf das Land, aber solch selbstkritische Töne ausgerechnet in diesem Qualitätsmedium überraschen denn doch:

Nach dem 5:0 gegen Saudi-Arabien hieß es bei SPIEGEL ONLINE: Russland wird trotzdem in der Vorrunde ausscheiden. Das müssen wir korrigieren – wir haben den WM-Gastgeber unterschätzt.

Wären wir sarkastisch, so würden wir die Kollegen trösten: „Nicht so schlimm! Ihr seid nicht die Ersten, die Russland unterschätzen. Das ist den Deutschen vor einem Dreivierteljahrhundert schon mal passiert!“ Aber heute ist Deeskalation angesagt. Es liegt also jetzt mal an uns, uns solch freche Sottisen zu verkneifen! Man glaubt es kaum, aber es ist so: Unumwunden konstatieren Philip Denborstel und Uli Petersen: „Russland ist spielerisch stärker als viele andere Teams“. – Ebenfalls weiter so!

Am meisten aber überrascht Christina Hebel. Sie verfasste am Mittwoch unter dem Titel „Russische Festspiele“ ihren ersten WM-Artikel ohne jegliche antirussische – oder besser: antiputinistische – Seitenhiebe!

Vor der WM wollte in Russland keine Fußballeuphorie aufkommen. Nach zwei Siegen der Sbornaja und dank der vielen fröhlichen Fans aus dem Ausland hat sich das Bild gewandelt – sogar bei der Polizei.

(Das „sogar“ überhören wir einfach mal.) –  Warum nicht gleich so, Frau Hebel? Und bitte nicht sofort wieder rückfällig werden! 

Ja, was ist denn in Spiegel Online gefahren? Sie werden doch nicht auch schon von Putin bestochen sein? Da beruhigt es schon fast, dass wenigstens Maxim Kireev dem guten alten antirussischen Reflex noch die Stange hält. Unter dem Titel „Zwei Siege, drei Pleiten“ verrechnet er in origineller Logik die zwei russischen Siege bei der Fußballweltmeisterschaft mit drei Vereinspleiten in der Premjer Liga. Darauf muss man erst mal kommen! – Weiter so, Herr Kireev! Sie rücken unser Weltbild wieder gerade.

Nachdenkliches in der Zeit

Aber beschäftigen wir uns lieber – es ist gerade so schön! – nochmals mit dem Positiven! Es kommt nämlich noch toller: Auch Zeit Online konnte letzten Montag mit einem Beitrag aufwarten, in dem zur Abwechslung mal die nachdenklichen Töne überwiegen. Unter der Überschrift „Doping, Menschenrechte, Hooligans“ steht bereits zutreffend im Teaser:

Was hat dieses Foul mit Putin zu tun? Bei der WM in Russland versuchen die Fußballkommentatoren, die Spiele politisch einzuordnen. Das kann nur schiefgehen.

Wohl wahr! Aber es kommt noch schöner: „Die Übersetzung der großen Weltpolitik in die Realität eines Fußballspiels ist jedenfalls nichts, wozu man Reportern raten würde.“ – Eins. Setzen!

Zum Schluss noch ein Schmankerl: Selbst im ZDF war kürzlich ein Reisebericht zu bewundern, in dem sich die übliche Russlandkritik zumindest in erträglichen Grenzen hielt! In der Sendung „Russlands Geheimnisse“ wurde unter anderem überzeugend demonstriert, dass in Russland, zumindest in den Großstädten, mittlerweile eine moderne junge Mittelschicht herangewachsen ist, die mit ihrem Lebensstandard recht zufrieden ist. – Zwei!

Wohlgemerkt: All die genannten Beiträge gibt es auch. Den Mainstream in den Mainstreammedien bilden sie allerdings nicht!

Nur eine fehlt

Nur bei der taz wurden wir bislang noch nicht fündig. Aber seien wir gnädig: Besonders schlaue Redakteur*innen tun sich halt mit dem ‚Positiven‘ besonders schwer! Interpretieren wir also das Schweigen der taz wohlwollend im Sinne des schwäbischen Klassikers:

„Nix g‘schwätzt isch g‘nug g‘lobt!“ (Auf Deutsch: „Nichts gesagt ist genug gelobt!“)

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