Meinung

Verurteilung ohne Untersuchung - eine Einschätzung des Falls Skripal

Es sind wieder einmal Russland-Bashing-Wochen im westlichen Mainstream. Der aktuelle Anlass: Am Sonntag waren Präsidentschaftswahlen, und in wenigen Wochen beginnt die Fußball-WM in Russland - zwei Ereignisse, die der Westen nicht einfach so hinnehmen kann.
Verurteilung ohne Untersuchung - eine Einschätzung des Falls SkripalQuelle: Reuters

von Gert Ewen Ungar

Russland wählt ohne westliche Einmischung? Undenkbar! Russland richtet ein internationales Großereignis aus, ohne dass der Westen es zu sabotieren versucht? Absolut unmöglich! Es muss also ein Thema her, das einmal quer durchs politisch-mediale Dorf getrieben werden kann.

Die aktuelle ausgedachte Geschichte westlicher Post-Demokraten und ihrer Systemmedien geht so: Ein ehemaliger russischer Doppelagent, der vor einiger Zeit russische Spione an den britischen Geheimdienst verraten und dafür in Russland eine Haftstrafe verbüßt hat, wird nach vielen Jahren friedlichen Lebens in Großbritannien zum Ziel eines russischen Giftanschlags, der mit einer sehr seltenen chemischen Substanz ausgeführt wird, die es nur in Russland gibt. Seine Tochter fällt dem Anschlag ebenfalls zum Opfer.

Die vorgetragene Geschichte ist schon nach erster Augenscheinnahme so dünn, dass man sich verwundert die Augen reibt, was uns der westliche politisch-mediale Komplex hier auftischt. Das sollen wir glauben? Wir sollen uns einer Aneinanderreihung von Mutmaßungen und Verschwörungstheorien anschließen und Russland vorverurteilen? Ohne dass ein einziges tatsächliches Ergebnis auf dem Tisch liegt, eine tatsächliche Untersuchung überhaupt richtig angefangen hätte? Und wir sollen die möglichen Konsequenzen gutheißen? Wir sollen uns der Vorverurteilung durch Mainstream und Politik anschließen und damit gemeinsam mit Politik und Systemmedien die hehren westlichen Werte erneut verraten? Wir sollen aufspringen auf die absichtsvoll erzeugte Hysterie und unseren anti-russischen Gefühlen freien Lauf lassen?

Wettbewerb um die absurdeste Maßnahme gegen Russland

Wir sind gut beraten, einen kühlen Kopf zu bewahren. Wenn Politik und Medien dies nicht vermögen, ist es an uns, die Stimme der Vernunft zu sein.

Schon jetzt schlägt die Unvernunft wild um sich. Es werden Diplomaten ausgewiesen, abstruse Ultimaten gestellt, es wird nach einer Einschränkung der Pressefreiheit gerufen, und und und.

Der anstehenden Fußball-WM in Russland werden Politiker und die Royal Family fernbleiben. Es wurde gar ein genereller Boykott gefordert. Man überschlägt sich in einem Wettbewerb um die absurdeste Maßnahme gegen Russland.

Wer die Geschichte vom bedauernswerten Spion etwas eingehender untersucht, wie Jens Berger von den Nachdenkseiten das gemacht hat, dem erscheint sie nicht mehr nur dünn, sondern völlig ungereimt und haltlos. Der bedauernswerte Spion Skripal wohnte in unmittelbarer Nachbarschaft nicht nur seines ehemaligen britischen Verbindungsoffizieres, sondern auch einer Forschungseinrichtung zur Analyse und Entwicklung von chemischen Kampfstoffen, hatte darüber hinaus Kontakt zum Eigentümer derjenigen Beraterfirma, die für einen erheblichen Teil der Russland- und Putin-kritischen Spins in den westlichen Medien verantwortlich ist. Sein ehemaliger Verbindungsoffizier arbeitete unmittelbar für diese Firma.

Verfolgt man diesen Strang der Erzählung, der in unseren Qualitätsmedien partout ausgespart wird, stellen sich ganz automatisch weitere Fragen.

Würde eine westliche Regierung unter falscher Flagge handeln?

Eine ganz zentrale Frage ist: Würde eine westliche Regierung den Auftrag geben, ein Attentat auf eigenem Territorium auszuführen oder dies zumindest billigend in Kauf nehmen, um vor der Präsidentschaftswahl mit großer Geste und viel Geschrei die anti-russische Keule schwingen zu können?

Klar ist: Sie hätte ein Motiv, die Gelegenheit und die Mittel. Die Frage ist, würde sie es tun, nur um einen anti-russischen Spin zu erzeugen?

Um eine Antwort auf die Frage zu geben, muss man die vergangenen Jahre und Jahrzehnte in ihren außenpolitischen Zuspitzungen Revue passieren lassen.

Würde eine westliche Regierung einen Hufeisenplan herbeilügen, nur um die Zustimmung in der Bevölkerung zu erhöhen, ein anderes europäisches Land gegen jedes Völkerrecht zu bombardieren?

Würde eine westliches Land eine PR-Agentur damit beauftragen, eine Erzählung zu schaffen, die so herzzerreißend ist, dass die Menschen in den westlichen Nationen einem Krieg zustimmen? Eine Geschichte wie beispielsweise die von Babys, die von irakischen Soldaten in einem Krankenhaus in Kuwait aus Brutkästen gerissen und auf den Boden geworfen wurden, mit der Absicht, sie zu töten? Eine herzergreifende, aber völlig frei erfundene Geschichte? Würde eine westliche Regierung so etwas tun?

Oder würde ein hochrangiger westlicher Politiker vor der UN-Vollversammlung wissentlich gefälschte Beweise präsentieren, um eine Allianz zu schmieden und einen Einmarsch in ein souveränes Land zu legitimieren? Würde er behaupten, dort seien Massenvernichtungswaffen vorzufinden, wohlwissend, dass dort keine sind?

Würden hohe politische Vertreter anderer westlicher Staaten bereit sein, sich zu einer kriegerischen Allianz zusammenzuschließen, ebenfalls wohlwissend, dass es sich bei all den vorgetragenen Beweisen um handfeste Lügen handelt?

Natürlich würden sie!

Sie haben es vielfach getan. Die genannten Beispiele sind nur die bekanntesten aus einer nahezu endlos langen Liste.

Würde eine Theresa May der Weltöffentlichkeit eine Lüge auftischen und würde die deutsche Kanzlerin und die deutsche Verteidigungsministerin mit betroffenen Gesichtern in die bereitgestellten Kameras blicken und den schwesterlichen Schulterschluss vollziehen, wohlwissend, dass es sich dabei um Fake News handelt?

Natürlich würden sie!

Natürlich!

Würde ein westlicher Mainstream den politisch erzeugten Spin aufnehmen, und verstärken, dabei zugängliche, aber nicht ins Bild passende Fakten unterschlagen, also absichtsvoll schlechten Journalismus betreiben, mit dem Ziel, Ressentiments zu schüren und Vorurteile zu bedienen?

Na klar! Natürlich würde er! Macht er nachweislich ständig!

Der Weg des westlichen politisch-medialen Komplexes: Verurteilung vor der Untersuchung

Klar ist auch, der Vorfall in Großbritannien muss untersucht werden, denn es sind Menschen zu Schaden gekommen. Doch von der Untersuchung zur Verurteilung ist es in der Regel ein langer Weg. Der westliche politisch-mediale Komplex dreht den Weg um: Er verurteilt erst und untersucht dann. Und lässt die Untersuchung dann im Sande verlaufen. Es geht um den Spin, nicht um die Fakten. Wie beispielsweise beim Absturz von MH17 über der Ukraine. Da waren die Trümmer noch nicht auf dem Boden aufgeschlagen, und das Magazin Der Spiegel wusste schon, wer es war. Die anschließenden Untersuchungen brachten bis heute keine befriedigende Klärung auf die Frage, wie sich der Vorfall tatsächlich ereignet hat.   

Doch die eigentliche Frage ist, woher kommt dieser unbändige Hass des westlichen politisch-medialen Komplexes auf Putin und das gegenwärtige Russland? Woher speist sich dieses unglaubliche Ausmaß an Aggression?

Was hat Putin, was hat Russland getan?

Wer jetzt sagt, die Krim annektiert, ist schon der Propaganda aufgesessen. Denn die Aggression des Westens hat in der Ukraine erst zu einer Situation geführt, in der die Abspaltung der Krim möglich und aus Sicht der Bewohner der Krim auch notwendig wurde.

Eine Geschichte der Entfremdung

Man muss weiter zurückgehen und muss dann zwangsläufig eine Geschichte der Entfremdung schreiben. Russland hat die Hand oft ausgestreckt, doch sie wurde immer brüsk zurückgewiesen. Der Westen hat seine Versprechen gegenüber Russland ständig gebrochen. Russland hat sich neu orientiert - weiter nach Osten - und kooperiert inzwischen ganz intensiv mit China. Und Russland ist damit ebenso erfolgreich wie China.

Das Sanktionstrommelfeuer, das gegen Russland abgeschossen wurde und wird, dient nur dem Zweck, diesen Aufstieg zu verlangsamen. Doch das gelingt nur zum Teil. Im Gegenteil gelang es Russland sogar, die Sanktionen dazu zu nutzen, in einzelnen Sektoren der russischen Wirtschaft deutliches Wachstum zu erzielen. Die Agrarwirtschaft ist hierfür ein Beispiel.

Während der Westen erodiert, steigt Russland auf. Langsam, aber stetig. Während der Westen sein Heil im Neoliberalismus sucht, der die Gesellschaft spaltet und einen Großteil der Menschen vom erwirtschafteten Wohlstand abkoppelt, entscheidet sich Russland für einen anderen Weg.

Wer die Rede Putins zur Lage der Nation gehört hat, weiß, wie dieser sich vom Westen unterscheidet: Ausweitung der Demokratie, Teilhabe am erwirtschafteten Wohlstand für alle, private Initiativen stärken, ein gesundes wirtschaftliches Umfeld schaffen, ohne die Kontrolle über Märkte aufzugeben, Ausweitung der internationalen Kooperationen, Investitionen in Infrastruktur, Bildung und so weiter und so fort. Russland soll in den nächsten Jahren deutlich über dem Niveau der Weltwirtschaft wachsen, so das erklärte Ziel.

Es sind ehrgeizige Vorgaben. Und die Vorgaben sind das Gegenteil dessen, was bei uns vorgegeben wird - es ist das Gegenteil von Sparwahn, Austerität und Demokratieabbau.

Das eigene Scheitern als Quelle der Agression

Wer einen Grund für die offene Aggression gegen Russland sucht, findet ihn hier. Das westliche Modell ist gescheitert. Im Osten zeigt sich ein anderes Modell, eine Alternative, die es laut westlichem Mainstream und westlicher Politik gar nicht gibt. Schon jetzt können die Menschen in den europäischen Krisenstaaten von einem russischen Lebensstandard nur träumen. Und das Ziel Russlands ist es, diesen Standard weiter zu erhöhen. Russland hat das Ziel, uns mit dem Modell eines starken Wohlfahrtsstaates und einer auf dem Prinzip gleicher Augenhöhe agierenden internationalen Zusammenarbeit wirtschaftlich und zivilgesellschaftlich zu überholen. Russland ist in den letzten Jahren große Schritte in diese Richtung vorangekommen und unternimmt weitere Anstrengungen.  

Der strukturell lernunfähige politisch-mediale Komplex hält jedoch am neoliberalen Modell fest, das zur aktuellen Erosion geführt hat.

Aus diesem Grund, aus einer Mischung aus Neid, Missgunst und Verleugnung des eigenen Scheiterns, darf es keinerlei positive Berichte über Russland geben, aus diesem Grund muss der Eindruck einer dunklen Diktatur bedient werden, und aus diesem Grund wird über die sozio-ökonomische Struktur Russlands im Mainstream nie gesprochen. Dafür werden umso häufiger absurd lächerliche Nachrichten verbreitet, wie die vom angeblichen Versuch Russlands, einen ehemaligen Spion ohne jedes erkennbare Motiv mit chemischen Kampfstoffen zu töten. Das ist in der vorgetragenen Version so offensichtlicher Unsinn, dass man sich einfach nur noch schämt. Es gibt aber auch deutliche Auskunft über den Zustand westlicher Medien und Politik.

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