Meinung

Es ist wieder soweit: Ex-US-Botschafter fordert "Germans to the front!"

Ein ehemaliger US-Botschafter schmeichelt in der "Süddeutschen" dem neuen deutschen Selbstverständnis als Moral-Supermacht. Diese soll, geht es nach ihm, ihre Begeisterung für die liberale Demokratie künftig aber auch ins Militärische übersetzen.
Es ist wieder soweit: Ex-US-Botschafter fordert "Germans to the front!"Quelle: Reuters

von Wolfgang Effenberger

Am 22. Juni 1900 hatte der britische Admiral Sir Edward Hobart Seymour (1840-1929) - ihm unterstand eine aus acht Nationen bestehende Streitmacht, um die aufmüpfigen Chinesen zu disziplinieren - seinen Vorstoß auf Peking beenden und den Rückzug einleiten müssen. In diesem Moment kam sein Befehl: "The Germans to the front". Die damalige Streitmacht einer Koalition der Willigen sollte erst vom Aufmarsch gegen den Irak ("Desert Storm") 1991 überboten werden.

In den Geschichtsbüchern wird heute noch auf die so genannte Hunnenrede von Kaiser Wilhelm II. hingewiesen, der am 27. Juli 1900 bei der Einschiffung eines weiteren Kontingents seine Soldaten aufforderte, kein Pardon zu geben. Künftig wird neben dieser Rede auch die blutigste deutsche Militäraktion seit 1945 genannt werden: Die Bombardierung zweier Tanklaster in Kundus am 4. September 2009, bei der zwischen 91 und 141 Menschen starben. Die Familien dieser 91 Toten und von elf Schwerverletzten erhielten je 5.000 US-Dollar. Den Befehl zur Bombardierung gab der damals 48-jährige Bundeswehr-Oberst Georg Klein, der trotz dieser katastrophalen Fehlentscheidung später zum Brigadegeneral befördert wurde. Anscheinend haben die Deutschen im Krieg etwas Martialisches an sich – zumindest, was das Bild im Ausland angeht.

"Größte Hoffnung der liberalen Demokratie"

Und nun sollen sie die Verantwortung für die europäische Sicherheitspolitik übernehmen? Am 6. Februar 2018 trat Prof. James D. Bindenagel, US-Botschafter a.D. und Leiter des "Center for International Security and Governance" an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, mit seinem SZ-Artikel "Neue Weltordnung" in die geistigen Fußstapfen von Admiral Seymour:

Die USA haben ihre Führungsrolle abgegeben, nun muss Deutschland mehr Verantwortung tragen" - und die Führungsrolle übernehmen.

Auf Deutschland ruhe die größte Hoffnung, wenn es um die Verteidigung der liberalen Weltordnung geht. Bindenagel zufolge löst sich durch den wachsenden Nationalismus in China und Russland die internationale Ordnung auf, während US-Präsident Donald Trump mit seiner nationalistischen Politik die Führungsrolle Amerikas in internationalen Angelegenheiten abgibt.

Zugleich stellt für Bindenagel Deutschlands neues internationales Standing eine historische Verschiebung der Machtverhältnisse dar, die er wie folgt in Schwarz-Weiß-Manier begründet:

Nachdem die Demokratie mit der gescheiterten Revolution von 1848 eine Niederlage erlitten hatte, vereinte Otto von Bismarck Deutschland mit 'Blut und Eisen'. Von 1871 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs dominierte der Militarismus die deutsche Sicherheitspolitik. Nach dem Niedergang des Nationalsozialismus 1945 ist Deutschland in den vergangenen siebzig Jahren von den Gräueltaten des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust zu einer Zivilmacht aufgestiegen, zu Europas führender Demokratie. Bleibt die Frage, ob nach dieser historischen Verschiebung von einem Extrem zum anderen jetzt die Balance zwischen Krieg und Frieden gefunden werden kann.

Der Mythos vom alleinigen deutschen Rüstungsstreben

Also vor 1945 nur Militarismus in Deutschland und heute eine Musterdemokratie? Ganz so einfach darf man es sich nicht machen. Woodrow Wilson - seit 1890 Professor für Rechtswissenschaft und Nationalökonomie in Princeton – besuchte vor dem Ersten Weltkrieg Westeuropa, um hier die Regierungssysteme zu studieren. Das Ergebnis war das 1893 erschiene Buch "Der Staat". Im Vorwort dazu zeichnete er ein wesentlich freundlicheres Deutschlandbild:

Das amerikanische Volk verdankt der geistigen Befruchtung durch Deutschland so viel, dass es einem jeden Amerikaner nur große Genugtuung bereiten kann, wenn auch Werke amerikanischer Autoren in Deutschland Verbreitung und Anerkennung finden.

Auf Seite 225 schreibt er über die deutsche Reichsgründung:

Den letzten Antrieb zur Erreichung vollständiger nationaler Einigkeit brachte der deutsch-französische Krieg von 1870-71. Die glänzenden Erfolge Preußens in diesem Kampfe, der im Interesse des deutschen Patriotismus gegen französische Unverschämtheit geführt wurde, machte der kühlen Zurückhaltung der Mittelstaaten ihrem großen Nachbarn im Norden gegenüber ein Ende. […]

Bei Kriegsbeginn 1914 waren unter den deutschen Patrioten übrigens unverhältnismäßig viele jüdische Mitbürger, die zu den Fahnen strömten. Margarete Marasse schrieb dazu in der Allgemeinen Zeitung des Judentums vom 4. September 1914 unter dem vielsagenden Titel "Der heilige Krieg", die

deutschen Juden drängten zu den Fahnen mit einem starken Glücksgefühl, mit leuchtenden Augen […] im Augenblick einer nationalen Erhebung ohnegleichen.

Von einem Extrem ins andere

Für die jüdische Minderheit in Deutschland war es unbegreiflich, wie die angelsächsischen Demokratien sich gegen das friedliche Deutschland wenden und sich dem zaristischen Russland verbinden konnten, in dem die Juden vielen Pogromen ausgesetzt waren.

Der deutsche Graphiker mit jüdischen Wurzeln, Louis Oppenheim, der vor dem Krieg in London lebte, trat mit dem Pinsel der britischen Propaganda entgegen:

Mit seiner Grafik "Wer ist Militarist?" trifft Oppenheim den Kern: Zwischen 1871 und 1914 hat das deutsche Kaiserreich keine Kriege gegen andere Länder geführt - ganz im Gegensatz zu den anderen Großmächten. Bei seinem Thronjubiläum 1913 wurde der Kaiser noch vom Ausland als Friedenskaiser gefeiert.

Nach Bindenagel ist Deutschland jedoch erst in den vergangenen siebzig Jahren zu einer Zivilmacht aufgestiegen, zu Europas führender Demokratie; nach der nationalsozialistischen Diktatur und dem Holocaust. Daher fragt er, ob

nach dieser historischen Verschiebung von einem Extrem zum anderen jetzt die Balance zwischen Krieg und Frieden gefunden werden kann.

Der demokratische Musterschüler BRD ist ein treuer Vasall der USA und somit Bündnispartner - direkt oder indirekt – in allen illegalen Kriegen (siehe Daniele Ganser und die US- Kongressabgeordnete Tulsi Gabbard) seit 9/11. Wer erinnert sich noch, dass der damalige Außenminister Joseph Fischer 1999 im Auftrag von Madeleine Albright die Bundesrepublik in einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gelogen hat (Annex B von Rambouillet)?

Im Grundgesetzartikel 26 Abs. 1 steht:

Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.

Nun ja, wo kein Kläger, da kein Richter. Das Grundgesetz erodiert weiter und das Völkerrecht wird durch das Faustrecht abgelöst.

Afghanistan als Feuerprobe

Keine 24 Stunden nach dem Terroranschlag vom 11. September 2001 erklärte Kanzler Schröder die uneingeschränkte Solidarität mit den USA - das hat nicht einmal Kaiser Wilhelm Österreich gegenüber nach dem Terroranschlag vom 28. Juni 1914 getan. Am 6. Oktober 2001 löste Bush jr. den Bündnisfall aus. Stichhaltige Beweise wurden nicht vorgelegt. Und nur 27 Tage später griffen die USA Afghanistan an. Kriegsgrund? Von den 19 Attentätern kamen 15 aus Saudi-Arabien und niemand aus Afghanistan.

Nur der mutmaßliche Drahtzieher Osama bin Laden - von den USA ursprünglich in Afghanistan eingesetzt, um das sozialistische System zu stürzen und durch Gotteskrieger zu ersetzen - hatte in Afghanistan Asyl erhalten. Da die Taliban-Regierung nicht schnell genug auf das Auslieferungsbegehren der USA reagierte, wurde das Land bis mit Krieg überzogen – und wird es bis heute. Im Bundestag wird seit 2001 alljährlich mehrheitlich für die Verlängerung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan abgestimmt. An die 60 Bundeswehrsoldaten sind bisher gefallen - und die ganze Region versinkt im Chaos.

Ein Land, in dem Parlamentarier so unkritisch Kriegseinsatzmandate verlängern, ist keineswegs in der Lage, eine Führungsrolle in der Welt zu übernehmen.

Bindenagel zählt drei Punkte auf, die Deutschland für die neue Aufgabe qualifizieren. Erstens: Die Demokratie steht durch ein Grundgesetz auf dem Fundament der Menschenwürde. Zweitens: Der Einsatz der Bundeswehr erfolgt im Rahmen der Allianz mit den Vereinten Nationen – wobei seit dem völkerrechtswidrigen Angriff auf Jugoslawien kein UN-Mandat mehr eingeholt wird. Ansonsten wird sie unter dem Dach der NATO vollzogen und jedenfalls unter Ausschluss eines deutschen Sonderweges - dieser bleibt Situationen wie am 4./5. September 2015 vorbehalten, als Kanzlerin Merkel mit ihrer einseitigen Entscheidung in der Flüchtlingsfrage Nachbarn und Gesetz überging. Drittens: Eine Erinnerungskultur, die ein Übermaß an deutscher Führung verbietet (hier möchte ich Herrn Bindenagel gar nicht widersprechen!).

Kriegsdienstleister für den Hegemon

Dann verweist Bindenagel auf die Sicherheitskonferenz von 2014, wo der damalige Bundespräsident Gauck, der damalige Außenminister Steinmeier und Verteidigungsministerin von der Leyen Deutschland dazu aufriefen, international mehr Verantwortung zu übernehmen.

Es war das erste Mal, dass ein deutsches Staatsoberhaupt das weltweit bedeutendste informelle Treffen zur Verteidigungs- und Sicherheitspolitik eröffnete. In seiner Rede forderte der Bundespräsident und vormalige DDR-Pfarrer Gauck eine stärkere Rolle Deutschlands in EU und NATO. Man dürfe bei Militäreinsätzen nicht nur Nein sagen.

Das heißt im Klartext: Krieg. Mit der "Verantwortung" ist anscheinend gemeint, dass Deutschland, das nach dem Zusammenbruch 1945 von den USA gezielt als Militärbasis aufgebaut wurde, in Zukunft die Kriege im Sinne des Hegemons selbständig führen - und bezahlen - soll.

Unweigerlich fühlt man sich da an Brechts Offenen Brief an die deutschen Künstler und Schriftsteller von 1951 erinnert:

Das große Karthago führte drei Kriege.

Nach dem ersten war es noch mächtig.

Nach dem zweiten war es noch bewohnbar.

Nach dem dritten war es nicht mehr aufzufinden.

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