Meinung

Umgang mit Stalingrad - Eine moralische Bankrotterklärung der Bundesregierung

Wie kein anderer Name steht Stalingrad für die Grausamkeiten des Zweiten Weltkrieges, den Nazi-Deutschland der Welt aus einer menschenverachtenden Ideologie aufgezwungen hat. Doch der aktuelle Umgang der Bundesregierung kommt einer moralischen Bankrotterklärung gleich.
Umgang mit Stalingrad - Eine moralische Bankrotterklärung der Bundesregierung Quelle: Sputnik

von Gert Ewen Ungar

Stalingrad steht für die verlustreiche Wende und den beginnenden Untergang des Deutschen Reiches, erkämpft mit einem hohen Blutzoll durch die Sowjetunion. Der Name der Stadt Stalingrad hat sich daher tief ins kollektive Bewusstsein der Deutschen und der Völker der Sowjetunion eingeschrieben. Er steht für unermessliches Leid und den Willen der Führung des Deutschen Reiches, jede Realität und alle Fakten zu leugnen und auch noch den letzten Mann zu opfern, um dem Gegner Schaden zuzufügen und Opfer abzuverlangen. Den deutschen Medien kam in diesem Zusammenhang die Aufgabe zu, die Situation schön zu reden, dem deutschen Volk Niederlagen als Sieg zu verkaufen und eine Überlegenheit zu behaupten, wo Untergang war.

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700.000 Menschen kostete die Schlacht um Stalingrad das Leben, die meisten davon waren Soldaten der Roten Armee. Im deutschen Gedächtnis sind vor allem die Kriegsgefangen geblieben. Von den über 100.000 in sowjetische Gefangenschaft geratenen Soldaten der deutschen Wehrmacht kehrten lediglich 6.000 zurück. Schon hier beginnt die Verschiebung, denn wenn von den Strapazen der Kriegsgefangenschaft die Rede ist, wird der Grund für diese Gefangenschaft oftmals vergessen. So als wäre sie schicksalhaft plötzlich über die Soldaten der Deutschen Wehrmacht hereingebrochen.

Das Ende der Schlacht um Stalingrad jährte sich am 2. Februar zum 75. Mal. Anlass genug für eine die Pflege einer gemeinsamen Erinnerungskultur zwischen Deutschland und Russland sollte man zumindest meinen. Selbstverständlich fand im heutigen Wolgograd, damals Stalingrad, eine Gedächtnisfeier statt. Selbstverständlich wären auch Mitglieder der Bundesregierung herzlich willkommen gewesen, um sich gemeinsam auch über aktuelle Differenzen hinweg zu erinnern und aus der Geschichte Lehren zu ziehen. Selbstverständlich blieben Vertreter der Bundesregierung fern. Im Gegenteil: Die Bundesregierung erklärte auf eine kleine Anfrage der Linken, inwieweit sie den Angriffskrieg gegen Russland verurteilt:

Die Einordnung damaliger militärischer Handlungen ist einzelfallbezogen vorzunehmen. Als verbrecherisch könnten Handlungen konkreter Täter einzustufen sein, die gegen anwendbares Recht verstießen …”

Weiter heißt es in der Antwort der Bundesregierung:

Eine moralische Bewertung des soldatischen Dienstes einzelner Wehrmachtsangehöriger kann nur auf Grundlage des Prinzips der individuellen Verantwortlichkeit erfolgen.

Juristisch mag das korrekt sein. Moralisch ist es eine Bankrotterklärung. Man kann sich als Deutscher für die Bundesregierung nur schämen. Denn was heißt das, was hier ausgeführt wird? Es heißt: Der Überfall auf die Sowjetunion als solcher ist juristisch nicht zu verurteilen. Eventuell können einzelne Handlungen dabei verbrecherisch gewesen sein. Das muss man aber erstmal untersuchen. Zu allem anderen nehmen wir als Regierung keine Stellung. Merke: Historische Verantwortung als Staatsräson gibt es nur gegenüber Israel, Bündnistreue bis in den eigenen Untergang nur gegenüber den USA.

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Gegenüber Russland gibt es keinerlei sich aus der gemeinsamen Geschichte ableitende Verpflichtung. Weder aus der Befreiung vom Faschismus noch aus der Wiedervereinigung, wie man an der Osterweiterung der NATO deutlich sehen kann. Wir ziehen keine historischen Lehren. Weder aus dem in einem verabscheuungswürdigen Rassismus wurzelnden Generalplan Ost, der den deutschen “Herrenmenschen” durch Ermordung und Versklavung der slawischen “Untermenschen” Lebensraum im Osten erschließen sollte, noch aus dessen faktischer Umsetzung wie der Belagerung von Leningrad, bei der die Stadt nicht zum Aufgeben, sondern die Einwohner zum Verhungern gebracht werden sollten, ergibt sich für die Bundesregierung eine historische Verantwortung. Stattdessen scheint es, als wäre genau diese rasseideologisch begründete deutsche Überheblichkeit, die zu einer nahezu unermesslichen Zahl an Toten geführt hat, wieder groß en vogue.

Gegen diesen Eindruck kann man sich kaum wehren, wenn man sich die Beiträge auf Tagesschau, im Spiegel, der Süddeutschen und anderen Gazetten des Mainstreams anschaut. Da wird kein gutes Haar an Russland gelassen. Da wird das ganze Rüstzeug der Propaganda ausgepackt. Wie beispielsweise hier im Tagesspiegel, wo der Autorin Jutta Sommerbauer zum Stalingrad-Gedenken nichts anderes einfällt, als Putin-Bashing zu betreiben und krude Thesen zu verbreiten:

Der Auftritt des russischen Präsidenten vor dem Wolgograder Konzertpublikum dauerte keine fünf Minuten. Und doch beinhaltete die Grußbotschaft Wladimir Putins, in der er an die "grandiose Schlacht" von Stalingrad erinnerte und den im Publikum sitzenden Veteranen zu ihrer Tapferkeit gratulierte, die Essenz des Putinismus. Der im schwarzen Anzug gekleidete Staatschef sprach von der Selbstaufopferung der Russen und dem Vermächtnis der Roten Armee. Klar war: Hier geht es nicht um Politik, sondern um etwas Größeres, etwas darüber Stehendes. Es geht um die Pflicht zum Patriotismus.”

Nicht einen Moment hält Sommerbauer inne, nicht einen Moment ist sie in der Lage, die historische Leistung der Sowjetunion bei der Befreiung Deutschlands vom Faschismus zu würdigen. Nicht einen Moment der Differenzierung gegenüber Putin, der einmal sagte, die Deutschen seien nicht Schuld am Faschismus, sie seien vielmehr das erste Opfer dieser Ideologie geworden. Eine angebliche Verpflichtung der Russen zum Nationalstolz ist es Sommerbauer wichtig herauszuarbeiten, wozu Stalingrad von Putin in weniger als fünf Minuten instrumentalisiert wird. "Geht’s noch?", möchte man fragen. "Oder ist jetzt der Tiefpunkt des deutschen Mainstream-Journalismus" endgültig erreicht?”

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Weder Russland noch Putin verdienen Respekt. Sie haben nicht das Recht auf einen halbwegs ausgewogenen, differenzierten und sachlichen Journalismus. An Gedenktagen schon zweimal nicht. So mag sich das der stromlinienförmig zurechtgestutzte Mainstreamjournalist und seine politisch korrekt gendernde Kollegin denken. Und dann darf das Klischee vom auflebenden Patriotismus in Russland nicht fehlen. Doch nichts könnte falscher sein als die These, unter Putin würde sich Russland von der Welt abschotten und einen kruden Patriotismus hochleben lassen.

Russland öffnet sich seit Jahren, kooperiert nicht nur, sondern initiiert Kooperationen. Mit China, mit dem Iran, mit den BRICS, der Shanghai-Group und und und. Russland gestaltet Weltpolitik, diplomatisch weitsichtig, was von der Bundesregierung nicht behauptet werden kann. Denn dass ein sich zunehmend marginalisierendes Europa unter deutscher Führung die Tür zu Russland immer zuschlägt, kann Putin nicht angelastet werden. Es ist hiesige Dummheit.

Doch in solchen Artikeln des Mainstreams wird auch deutlich, wie tief die Ressentiments gegen Russland sitzen. An diesem Gedenkwochenende wurde wieder einmal deutlich, wie tief eingeschrieben in die deutsche Kultur das ist, was den Generalplan Ost aber auch das aktuelle Russland-Bashing des Mainstreams und die beschämende Verweigerungshaltung der Bundesregierung gegenüber ihrer historischen Verantwortung möglich macht. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde viel aufgearbeitet, die in einer kruden Rasseideologie gipfelnde Idee der Überlegenheit der Deutschen gegenüber den Slawen, insbesondere den Russen jedoch nur ungenügend.

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Sie lässt sich allzu einfach reaktivieren, wovor der Mainstream in seiner Propagandawut aktuell reichlichen Gebrauch macht. Und sie bleibt unwidersprochen. Während es ganz einfach ist, sich die Attribute antisemitisch, antiamerikanisch oder homophob einzufangen, sind es oftmals gerade jene selbsternannten Tugendwächter, die im Hinblick auf Russland kein Tabu kennen und ihren antirussischen Gefühlen völlig freien Lauf lassen. Dass diejenigen, die sich sonst für Vielfalt, Buntheit und Gendergerechtigkeit einsetzen, im Hinblick auf Russland all diese Grundsätze und Haltungen über Bord werfen, zeigt, wie wirkmächtig der rassistische Mechanismus auch heute noch ist.

Die irrwitzige Lehre von der eigenen Überlegenheit ist nach wie vor wirksam und zeigt sich bei derartigen Gelegenheiten wie dem Gedenktag des Endes der Schlacht von Stalingrad in aller Klarheit: in der Berichterstattung darüber und in der geschichtlichen Ignoranz der deutschen politischen Kaste. Dabei könnte keine Nation der Welt besser wissen, dass es eine anlasslose Aggression Russlands nicht gibt, als die deutsche. Kein Land in der EU könnte mit seiner Geschichte ausgleichender wirken als Deutschland. Doch es macht von seiner Möglichkeit, aus einer historischen Verantwortung heraus Frieden zu stiften, keinen Gebrauch, sondern reaktiviert und bedient im Fall von Meinungsunterschieden tief in die Kultur eingeschriebene Ressentiments, um so zu eskalieren. Das ist die Schande Deutschlands. Sie zeigte sich am vergangenen Wochenende wieder in aller Deutlichkeit.

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