Meinung

In wessen Interesse handelt Thomas Bach, wenn er die Olympische Charta verletzt?

Das IOC ignorierte den CAS-Freispruch für 28 russische Athleten und ließ entsperrte Athleten nicht an den Olympischen Spielen in Pyeongchang teilnehmen. Wenige Tage zuvor hatte das US-Justizministerium eine großangelegte Ermittlung gegen das IOC verkündet.
In wessen Interesse handelt Thomas Bach, wenn er die Olympische Charta verletzt? Quelle: Reuters

von Wladislaw Sankin 

Für alle Menschen in Russland, die sich das Schicksal der russischen Sportler zu Herzen nehmen, waren die letzten Tage eine regelrechte Gefühlsachterbahn. Zunächst platzte am 1. Februar die positive einstimmige Entscheidung des Internationalen Sportgerichtshofs CAS in Lausanne in die Szenerie. Diese erging zur Klage der von der Oswald-Kommission des IOC lebenslang gesperrten russischen Sportler. Viele der freigesprochenen russischen Olympioniken, darunter Stars wie Langlauf-Olympiasieger Alexander Legkow, Skeleton-Olympiasieger Alexander Tretjakow und Rodler Albert Demtschenko, konnten ihre Tränen nicht zurückhalten: Ihr guter Ruf war wiederhergestellt.

Doch dürfen die betroffenen 13 von 28 vollständig freigesprochenen Athleten noch nach Pyeongchang? Diese Entscheidung musste im Endeffekt das IOC treffen und dessen erste Reaktion ließ nichts Gutes erahnen. Bereits Ende Januar hatte das IOC ohne Angaben von Gründen eine Reihe potenzieller russischer Medaillengewinner wie den sechsfachen Olympiasieger im Eisschnelllauf, Wiktor Ahn, von der Olympia-Teilnehmerliste gestrichen.

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Auch hier setzte das IOC seine restriktive Linie gegen Russen fort. Die IOC-Funktionäre und allen voran Thomas Bach brachten bereits im Vorfeld ihrer Entscheidung ihr Unverständnis für die CAS-Richter zum Ausdruck: Man hätte diese Entscheidung nicht erwartet und sei "extrem enttäuscht". Auch die deutsche Presse tobte vor Wut, die CAS-Entscheidung habe eine "Bombe in einem Klärwerk" ausgelöst, so RT-Deutsch-Chefredakteur Ivan Rodionov in seinem Kommentar.    

Das CAS-Problem: Rodtschenkows Fantasien sind kein Beweis

Wie kam's? Die abenteuerlichen "Enthüllungen" eines geistig labilen und kriminellen Überläufers namens Grigori Rodtschenkow – alle, die sich einen Eindruck von der Glaubwürdigkeit dieser Person machen wollen, können seine Skype-Beichten anschauen -  sind seit jeher ein Glaubensdogma im Westen, besiegelt durch Bemühungen des zwielichtigen angelsächsischen Organs WADA.

Auch das IOC vertraute der WADA und untermauerte seinen Beschluss über die Suspendierung Russlands von den Olympischen Spielen durch einen glaubwürdig wirkenden Schweizer namens Samuel Schmid. Im Zuge der jeweiligen Tätigkeit der Oswald-und Schmid-Kommissionen des IOC wurden zahlreiche russische Sotschi-Medaillen aberkannt und viele russischen Spitzensportler nur aufgrund von Vermutungen gesperrt. Russland rutschte auf Platz fünf im Medaillenspiegel. Die für die Olympiabewegung so wichtige Sportnation wurde so weit nur irgendmöglich gedemütigt.

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Doch jetzt zeigt sich plötzlich das Schiedsgericht widerspenstig und kam – nach ausführlicher Anhörung aller Beteiligten, darunter Rodtschenkows, des WADA-Ermittlers McLaren, der Anwälte und aller russischer 39 Sportler, die ihre Sperre beim CAS angefochten hatten, zu dem Schluss, dass deren Schuld nicht bewiesen sei. Logische Folge: Freispruch für 28 Athleten, deutliche Reduzierung der Sperre für elf Betroffene.

Russische Stars um jeden Preis nicht an den Start lassen

Damit schlug die Stunde der Wahrheit. Der IOC-Chef Thomas Bach erklärte am 5. Februar ausdrücklich, dass das IOC das Urteil der Schiedsrichter nicht akzeptiere und ließ die Teilnahme der eigentlich nun startberechtigten Athleten an den am 9. Februar beginnenden Spielen in Pyeongchang nicht zu. Das ist ein Affront gegen das demokratische Prinzip der Gewalteinteilung. Denn Artikel 61, Punkt 1 der Olympia-Charta sagt zwar, die Entscheidungen des IOC seien endgültig, könnten jedoch in "einigen Fällen" über das internationale CAS-Schiedsgericht angefochten werden. Und hier gilt klares Recht: Entweder akzeptiert das IOC die Entscheidungen des CAS oder es akzeptiert sie nicht. Ein Schiedsgericht ist kein Empfehlungsorgan, sondern wird auf der Basis eines vorherigen vertraglichen Konsens tätig. So sieht es zumindest der russische Sportminister Pawel Kolobkow, der selbst, genauso wie Bach, Olympia-Champion im Fechten ist.  

In der IOC-Charta ist klar festgelegt, dass für das IOC die Entscheidungen des CAS verbindlich sein sollen, aber das IOC verhält sich anders und verletzt sein eigenes Regelwerk. Es galt immer, dass die internationale Olympiabewegung allen Sportlern gehört und jene Athleten, die auf ehrlichem Wege für die Spiele ausgewählt wurden, zugelassen werden sollen. Das IOC denkt aber anders. Die laden russische Bürger entsprechend ihren internen Kriterien ein, die nicht immer klar sind. Das wird negative Auswirkungen auf die ganze olympische Bewegung haben. Diese Frage interessiert nicht nur russische Athleten, sondern die ganze Welt", sagte Kolobkow RT.

Das IOC handelt auch anderen grundlegenden olympischen Prinzipien zuwider, wenn es durch Ausschluss, Generalverdacht und Erniedrigung auf eine fast schon obszöne Weise eine offensichtliche Diskriminierung russischer Sportler betreibt. Auch die Gewalteinteilung - das grundlegende Prinzip der Rechtsstaatlichkeit - hat für das IOC offenbar keinen Wert mehr, wenn es um die Russen geht. Im Gegenteil, kaum verhohlen macht der IOC-Chef Druck auf das Gericht, das offenbar dem Klassenauftrag nicht nachgekommen war – er hätte ein anderes Urteil erwartet und droht diesem nun mit "Reformen": Das CAS müsse "seine Struktur ändern, um die Qualität seiner Urteile besser zu managen". Damit legt Bach offen, nach einem politischen Plan gehandelt zu haben, einem Plan, von dem er sich auch von keinem Schiedsgericht abbringen lassen will.

Seine Reaktion offenbart auch sein eigenes Verhältnis zum CAS. Denn: Hätte das Gericht dem IOC zugestimmt, würde Bach mit Sicherheit die Unabhängigkeit der Genfer Sportjuristen betonen, wie er das bei anderen Gelegenheiten schon so oft getan hat. Bach kennt sich bestens aus: Er war selbst 19 Jahre bis 2013 Vorsitzender der Berufungskammer am CAS. Woher aber rührt so eine Doppelmoral und Unbarmherzigkeit gegenüber den Russen, gerade bei Bach, der im Fokus der deutschen Presse beinahe als Putins Freund dargestellt wird - sollten ihm unterstehende Organe mit Sanktionen gegen Russland nur noch ein wenig zögern?

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Kontaktschuld und Bestechlichkeit: US-Justiz is watching you

Der Druck der deutschen Medien kommt nicht von ungefähr, auch wenn diese mit dem vermeintlichen russischen "Staats-Doping" ihr eigenes Spielchen betreiben – Stichwort Hajo-Seppelt-Filmreihe und das Herumhetzen deutscher Sportler und Sportfunktionäre gegen russische  Wettbewerber, die unter wie auch immer geartetem Doping-Verdacht stehen. Der psychologische Krieg gegen Russland ist in weiten Kreisen des Westens seit Jahren wieder zum politischen Sauerstoff geworden. Und Bach hat durchaus "Kontaktschuld" auf sich geladen, als er sich strahlend mit dem russischen Präsidenten im Vorfeld und während der Spiele von Sotschi 2014 ablichten ließ.

Deswegen sollte man auch einer eigentlich unauffälligen NYT-Meldung vom 31. Januar vielleicht doch etwas mehr Beachtung schenken, nämlich jener über die Aufnahme von Ermittlungen vonseiten des US-Justizministeriums auf Grund von Vorwürfen globaler Korruption beim IOC. Diese Ermittlungen sind von ihrer Art und Weise her eine Fortsetzung jener Ermittlungen gegen die FIFA, infolge derer der langjährige FIFA-Chef Josef Blatter in unrühmlicher Weise abgesetzt werden musste. Auch mehrere andere, weniger bedeutende FIFA-Funktionäre kamen in den Genuss der US-amerikanischen exterritorialen Justiz, zumal das System der Lobbyisten und Vermittler in der Geschäftswelt des globalen Sports ja juristisch sehr viel Spielraum für Korruptionsvorwürfe lässt. In Erinnerung bleiben die spektakulären Festnahmen von FIFA-Funktionären im Jahr 2015 durch das FBI ausgerechnet in der Schweiz.

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Vielsagend auch das Gebaren des für die Ermittlung zuständigen Gerichts - jenes des Eastern Districts von New York. Laut NYT soll das Büro in Brooklyn dieselben Staatsanwälte beschäftigen, die zuvor jahrelang gegen die FIFA ermittelt hatten:

Ihre Tätigkeit hat zu einer Reihe von Bestechungs- und Korruptionsvorwürfen geführt, die einen Umbruch in der Organisation [FIFA] bewirkten. Das Büro hat auch Jahre damit verbracht, systematisches Doping in Russland zu untersuchen", schreibt die US-Zeitung.

Es ist also für Thomas Bach an der Zeit, Härte gegen die Russen zu zeigen, denn Empörung bei den Russen mag das Eine sein, aber ein drohender Konflikt mit den Justizorganen der Weltpolizist spielenden Macht, die um ihre ins Wanken geratene Dominanz fürchtet, ist das Andere. Und dass er dabei zufällig die eine oder andere Olympia-Charta verletzt oder nicht im Sinne des olympischen Geistes handelt, ist halb so schlimm. Die Doping-Keule - zusammen mit einer willfährigen Presse - wird das schon richten. Wenn er sich benimmt. 

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