Meinung

Saudi-Arabiens verprellte Verbündete könnten Gefallen an türkischer Führungsrolle finden

Der energische Saudi-Prinz Mohammed bin Salman lässt wenig Zweifel an Riads Führungsanspruch in der islamischen Welt. Dieser stößt aber nicht überall auf ungeteilte Gegenliebe. Die Türkei könnte vom Unmut über die saudische Hegemonie in der Region profitieren.
Saudi-Arabiens verprellte Verbündete könnten Gefallen an türkischer Führungsrolle findenQuelle: Reuters

von Kamran Gasanov

Rasches Wirtschaftswachstum einer Nation zieht nicht selten eine Zunahme des politischen Einflusses nach sich. Diese These bestätigte neben vielen anderen Beispielen die Industrialisierung Deutschlands nach dem Ersten Weltkrieg, an deren Ende ein noch größerer Krieg stand.

Andererseits nützte die Sowjetunion wirtschaftliche Kapazitäten, um die so genannte anti-koloniale Weltbewegung aufrechtzuerhalten. Zu deren Erscheinungsformen gehörten die Befreiung Afrikas und die Schaffung des Warschauer Pakts.

Die Akkumulation der wirtschaftlichen Macht durch die Vereinigten Staaten Anfang des 20. Jahrhunderts endete in Eroberungskriegen in Vietnam, Afghanistan, Irak und Libyen und der Errichtung von Militärbasen in über 70 Ländern.

Und schließlich führte der wirtschaftliche Aufschwung Chinas zum Aufbau eines grandiosen Handelsprojekts - "Ein Gürtel, eine Straße" - und zur Schaffung von Häfen und Militärstützpunkten, zum Beispiel in Pakistan, Sri Lanka und Dschibuti. Das ist die globale Ebene.

Türkei geht auf Distanz zu USA und NATO

Das Gleiche passiert in der regionalen Dimension. Das Wirtschaftswunder Nachkriegsdeutschlands fand seine Krönung in der Dominanz Berlins innerhalb der Europäischen Union.

Ein jüngeres und vielleicht noch gravierenderes illustratives Beispiel bietet der Nahe Osten. Heute baut die im Schatten des Kalten Krieges gestärkte und unter Recep Tayyip Erdogan reformierte Türkei ihre Präsenz in Syrien und im Irak, im Kaukasus und sogar in Zentralasien aus. Ankara ist sogar in der Lage, die USA und die NATO herauszufordern. Der benachbarte Iran, der das Scheitern mit der Türkei konkurrierender sunnitischer Mächte wie Irak, Syrien und Ägypten ausnutzt, verstärkt sich in der "schiitischen Achse" - Jemen, Syrien, Libanon - und zieht das sunnitische Katar auf seine Seite.

Und dann gibt es natürlich noch Saudi-Arabien. Lassen Sie uns näher darauf eingehen. In den bislang 18 Jahren des 21. Jahrhunderts wuchs das BIP des Königreichs um mehr als das Dreifache von 200 auf 646 Milliarden US Dollar, im Jahr 2014 waren es sogar 756 Milliarden. Da sie seither eine Rezession erleben, fingen die Saudis mit Reformen an.

Dem Plan "Vision 2030" zufolge reduziert Riad seine Abhängigkeit von Ölexporten. Im Rahmen des Programms begann das Königreich mit dem Bau der grandiosen Supertechnologie-Stadt "Neom". In das auf 500 Milliarden US-Dollar geschätzte Projekt will auch Russland investieren.

Den jüngste Rückgang der Wachstumsraten in Saudi-Arabien sollte man nicht überbewerten, denn er trifft alle Länder der Region, auch den Iran und die Vereinigten Arabischen Emirate sowie den Rest der Rohstoffwirtschaften. Um zu verstehen, wie das Wirtschaftswachstum zum politischen Machtfaktor für die Saudis geworden ist, sollten wir deren jüngste politische Schritte betrachten und die Entschlossenheit, mit der sie umgesetzt werden.

Offensives Agieren ohne Rücksicht auf Verluste

Die Saudis waren die Quelle des zivilen Ungehorsams in Syrien 2011 und lieferten Waffen an Anti-Assad-Truppen. Wofür? Vor allem, um den Bau der Gaspipeline Iran-Irak-Syrien zu blockieren. Im März 2015 hat das sunnitische Königreich offen und mit seiner Luftwaffe in einem anderen schiitischen Staat - dem Jemen - eingegriffen. Später, im Januar 2016, richtete Saudi-Arabien den schiitischen Prediger Nimr al-Nimr in Saudi-Arabien ohne Furcht vor politischen Konsequenzen hin, was das Land an den Rand eines Krieges mit dem Iran brachte.

Im Mai desselben Jahres kaufte Riad trotz verbreiteter Unzufriedenheit in der ägyptischen Bevölkerung über diesen Schritt die Inseln im Roten Meer von Ägypten. Ein Jahr später, im Juni 2017, errichteten die Saudis im Bündnis mit den VAE, Bahrain und Ägypten eine Blockade gegen Katar und bestraften die Golfmonarchie so für deren Offenheit gegenüber dem schiitischen Iran. Die Saudis gaben sich mit dem Erreichten jedoch nicht zufrieden. Ein halbes Jahr später zwingen sie aus Furcht vor einer Stärkung der Hisbollah im Libanon dessen Premierminister Saad Hariri zum Rücktritt und verursachen so eine politische Krise im "Zedernland". Sind das nicht Anzeichen von Riads Vertrauen in seine Stärke?

Im Kampf um die Vorherrschaft in der sunnitischen Welt verschont der junge Kronprinz Mohammad Bin Salman weder "Fremde" noch "Eigene". Nach Katar beschlossen die Saudis, Jordanien in seine Schranken zu weisen, als das Land sich weigerte, US-Präsident Donald Trumps Entscheidung zu Jerusalem zu unterstützen. Mitte Dezember verhafteten Sicherheitsbehörden in Riad den palästinensischen Milliardär Sabih al-Masri. Als berühmtester jordanischer Geschäftsmann ist er der Vorsitzende der Arab Bank, die wiederum Jordaniens größter Kreditgeber ist. Viele Milliarden schwere Investitionen Al-Masris sind laut Al-Jazeera der "Grundstein" der jordanischen Wirtschaft.

Der formale Anlass für den Druck auf den palästinensischen Finanzmogul ist das groß angelegte Antikorruptionsverfahren Bin Salmans, dem bereits der berühmte saudische Milliardär Prinz Al Walid bin Talal zum Opfer fiel. Ohne Zweifel wollen die Hüter der beiden muslimischen Heiligtümer Mekka und Medina den nicht immer damit einverstandenen Glaubensgenossen zeigen, wer Herr im Haus ist.

Wenig bedeutender Minister zu OIZ-Konferenz entsandt

Die Ergebnisse dieses Vorgehens ließen nicht lange auf sich warten. Die Aktien der arabischen Bank, die eine wichtige Quelle des Wohlstands für die Mittelklasse Jordaniens und der Palästinensischen Autonomiegebiete sind, haben an Wert verloren. Genauer gesagt, Riad sah sich durch Ammans Position zu Ostjerusalem enttäuscht. Obwohl der saudi-arabische Vertreter bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen gegen die Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels stimmte, unterstützten die Saudis die Palästinenser nicht in vollem Umfang. Zur Konferenz der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIZ) am 13. Dezember, bei der niemand Geringerer als Staatsoberhaupt König Abdullah II. die jordanische Delegation leitete, entsandte Riad einen zweitrangigen Minister für OIZ-Angelegenheiten. Es ist zwar klar, dass König Salman nicht jung ist, aber zumindest ein junger und energischer Kronprinz hätte kommen können.

Katarische Medien schreiben offen, dass Saudi-Arabien im Gegensatz zu anderen arabischen Ländern den Plan von Donald Trumps Schwiegersohn Jared Kushner insgeheim unterstützt. Den Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmoud Abbas, hatte man zuvor nach Riad eingeladen, um diesem den Trump-Kushner-Vorschlag vorzustellen. Diesem zufolge bliebe Jerusalem ohne Wenn und Aber unter der vollen Kontrolle Israels, und die Palästinenser bekämen einen Staat mit Abu Dis als Hauptstadt. Als Hüter der beiden heiligen muslimischen Stätten Mekka und Medina können es sich die Saudis jedoch nicht leisten, laut auszusprechen, dass sie gegen eine Übergabe jener Stadt, in welcher die als drittwichtigste Stätte des Islams geltende Al-Aqsa-Moschee steht, an die Palästinenser sind. Daher lassen sich die wahren Absichten des Königreichs lediglich in dessen Druck auf die Verbündeten erkennen.

Warum aber setzt Saudi-Arabien auf Israel? Wegen des Irans. Die Islamische Republik mit ihrer alternativen Version des Islams, einer starken Armee und Satelliten entlang der arabischen Halbinsel, ist ein echter Gegner der Saudis. Was Israel betrifft, pflegt Saudi-Arabien, wie die katarische Nachrichtenplattform Ar-Raya mitteilt, mit diesem heimlich eine aktive wirtschaftliche Zusammenarbeit. Diese reicht von über die Lieferung von saudischem Öl seit den 1990er Jahren bis hin zur gemeinsamen Entwicklung eines Raketenabwehrsystems analog zum israelischen Iron Dome. The Economist zufolge garantiert Israel im Rahmen eines Geheimabkommens die Sicherheit der Passage saudischer Öltanker durch den nördlichen Teil des Roten Meeres. Das iranische Programm für ballistische Flugkörper und die Bereitschaft Israels, ein zuverlässiges Luftverteidigungssystem anzubieten, sind ein gewichtiges Argument, um die demgegenüber sekundäre Frage Jerusalem zu ignorieren.

Türkei wird zum bedeutendsten Rivalen

Der anti-iranische Kurs des Weißen Hauses hat die Entschlossenheit Saudi-Arabiens in vielerlei Hinsicht angetrieben. Wie wir uns erinnern, war es Trump, der im Mai grünes Licht für die Blockade von Katar gab, indem er Doha zum Hauptsponsor des Terrorismus und den Iran zur größten Bedrohung für die regionale Sicherheit erklärte. Nunmehr vertraute Washington seinem "unsinkbaren Flugzeugträger" die Rolle des Kämpfers an vorderster Front gegen Terroristen und deren Sponsoren an, zu denen Iran und dessen Verbündete - die Huthis und die Hisbollah - gehören.

Saudi-Arabien, das in einem Dreieck mit den Vereinigten Staaten und Israel gegen den Iran agiert, toleriert keine Einwände seiner Juniorpartner. Letztere, die des saudischen Diktats immer mehr überdrüssig sind, orientieren sich zunehmend an anderen regionalen Mächten - vor allem an die Türkei. Wir erinnern uns, wie Ankara, das in Katar eine Militärbasis hat, während der Blockade rechtzeitig Lebensmittellieferungen organisierte. Und heute ist Ankara zum Zentrum der Konzentration muslimischer Länder in der verbalen Konfrontation mit Trump und Israel geworden. Saudi-Arabien kann nicht dulden, dass die Türkei, die immerhin die pro-saudische Dschabhat al-Nusra aus dem syrischen Idlib vertrieben hatte, die sunnitischen Staaten vereint. Diese betrachtet das reiche Riad immer noch als seinen Hinterhof, den man kaufen und notfalls bankrottieren kann. Der jordanische Geschäftsmann Al-Masri ist mittlerweile wieder frei. Aber die saudische Warnung scheint in Amman angekommen zu sein.

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