Meinung

Insider-Enthüllung aus der Euro-Gruppe - Varoufakis: "Unser Parlament wurde wie Müll behandelt."

Der vor kurzem zurückgetretene ehemalige Finanzminister Griechenlands und renommierte Wirtschaftswissenschaftler Yanis Varoufakis hat der britischen Wochenzeitung New Statesman ein bemerkenswertes Interview mit dem Titel "Unsere Schlacht, Griechenland zu retten” gegeben. Varoufakis gibt nicht nur einzigartige Einblicke hinter die Kulissen des Euro-Kartells, die mangelnde Beachtung seiner Worte in deutschen Medien beweist auch aufs Neue deren strukturelles Versagen.
Insider-Enthüllung aus der Euro-Gruppe - Varoufakis: "Unser Parlament wurde wie Müll behandelt."Quelle: Reuters © Alkis Konstantinidis TPX

von RT Deutsch-Redakteur Florian Hauschild

Was Yanis Varoufakis nach seinem Rücktritt, aber noch vor den Brüsseler Verhandlungen, in einem Interview preisgab, birgt auf vielerlei Ebenen Sprengstoff. Varoufakis muss kein Blatt mehr vor den Mund nehmen, kann auf eine Karriere als exzellenter Wissenschaftler zurückblicken und wird in diesem Feld, nach seinem Abgang als griechischer Finanzminister, leicht wieder Anschluss finden.

Varoufakis gehört damit zu den wenigen Menschen, denen es möglich ist ab und an einmal den Schleier, der über politischen Machtstrukturen liegt, zu lüften und einen Blick hinter die Kulissen zu gewähren. Bis vor kurzem war der Grieche noch selbst kritischer Teil des Systems, gleichsam hat er heute keine direkten Sanktionen mehr aus diesem zu befürchten.

So redet sich Varoufakis in einem Gespräch mit der britischen Wochenzeitung New Statesman, das in deutscher Übersetzung bei Neues Deutschland und auf dem Blog The Vineyard Saker erschien, von der Seele, was er in den vergangenen sechs Monaten in seinem Amt erlebt hat.

Die Vorstellung, in der EU oder im Euroland könnte es irgendwie demokratisch zugehen, zerschlägt Varoufakis gleich zu Beginn. Durch die Einblicke in das System, von Angesicht zu Angesicht mit den Mächtigsten der Welt, seien die schlimmsten Befürchtungen des Griechen sogar noch übertroffen worden. Den angeblichen Verteidigern der europäischen Demokratie in Brüssel bescheinigt Varoufakis das "völlige Fehlen demokratischer Skrupel" zugunsten kalter Machtpolitik:

"Das vollständige Fehlen demokratischer Skrupel unter den angeblichen Verteidigern der europäischen Demokratie. Das ziemlich deutliche Verständnis auf der anderen Seite, dass wir analytisch übereinstimmen – aber das selbstverständlich niemals etwas herauskommen wird. [Und dann] schauen dir sehr mächtige Personen in die Augen und sagen: »Sie haben recht mit dem, was Sie sagen, aber wir werden Sie trotzdem zerquetschen."

Und weiter:

"Es ist nicht so, dass es nicht gut aufgenommen worden wäre – es ist eher so, dass es eine vollständige Verweigerung gab, sich auf ökonomische Argumentationen einzulassen. Unverblümt. Sie stellen ein Argument vor, an dem Sie wirklich analytisch gearbeitet haben – um sicher zu gehen, dass es logisch kohärent ist – und dann  schauen Sie lediglich in leere Gesichter. Sie hätten genau so gut die schwedische Nationalhymne singen können – Sie hätten dieselbe Antwort bekommen. Und für jemanden, der akademische Debatten gewöhnt ist, ist das ist erschreckend. Da debattiert die andere Seite immer mit. Aber hier gab es gar keine Beteiligung. Man hat nicht einmal Genervtheit gespürt, es war so, als ob man einfach nichts gesagt hätte."

Dazu berichtet Varoufakis detailliert von seinen Erfahrungen mit dem deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), dessen Rolle in der Euro-Gruppe am ehesten an einen Paten erinnert. Schäuble gab gleich zu Beginn der Amtsübernahme der Syriza/Anel-Regierung in Griechenland zu verstehen, es gäbe eigentlich nichts zu verhandeln. Die Vorgängerregierung habe Verträge unterschrieben und wenn man diese nicht alternativlos umsetzt, bräuchte man künftig auch keine mehr schließen. Varoufakis sarkastisches Fazit: Vielleicht sollten verschuldete Staaten dann einfach keine Wahlen mehr abhalten. Ein nicht ganz ernst gemeinter Vorschlag, zu dem Schäuble lediglich schwieg.

Auch die Details der "Verhandlungen", die diese Bezeichnung eigentlich nicht verdienen, lassen nichts übrig vom Mythos der "Europäischen Gemeinschaft", die sich demokratischen Werten verschrieben habe. Was Varoufakis beschreibt, würde ein Insider aus einem Mafia-Clan nicht wesentlich anders wiedergeben. Die vorherrschenden Praktiken in der Euro-Gruppe sind: Erpressung, Druck, Finten, Ablenkung, Diktat und Bestrafung.

Wie in solch autoritären Strukturen üblich, hat Griechenland auch nicht mit der Solidarität anderer Schuldnerländer zu rechnen. Im Gegenteil: Ein griechischer Verhandlungserfolg hätte die Regierungen von Griechenlands Leidensgenossen innenpolitisch unter Druck gesetzt, ähnliches zu erreichen, weswegen diese sich zu den erbittertsten Gegnern der neuen Regierung in Athen entwickelten. Den letzten beißen die Hunde:

"Von Anfang an machten gerade diese Länder es sehr klar, dass sie die energischsten Feinde unserer Regierung waren, gleich von Anfang an. Und der Grund dafür war, dass unser Erfolg ihr schlimmster Alptraum war: hätten wir es geschafft, für Griechenland einen besseren Deal zu verhandeln, dann hätte das sie natürlich politisch erledigt, sie müssten ihrem eigenen Volk antworten, warum sie nicht so verhandelt hätten, wie wir das taten."

Besonderen Sprengstoff bietet auch Varoufakis' Darstellung des inneren Machtzirkels der Euro-Gruppe. Zum einen sei diese juristisch eigentlich inexistent und müsse sich so an keinerlei Regeln halten. Zum andere regiere der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble diese Gruppe wie eine Art Don:

"Also wir haben eine nicht existierende Gruppe, die die größte Macht hat, das Leben der Europäer zu bestimmen. Sie ist niemand Rechenschaft schuldig, da sie juristisch nicht existiert; es werden keine Aufzeichnungen erstellt; und sie ist vertraulich. Also kein Bürger weiß jemals, was dort drin gesagt wird… Das sind Entscheidungen über Leben und Tod, und kein Mitglied ist irgend jemand eine Antwort schuldig."

"Und diese Gruppe wird von der deutschen Haltung beherrscht?"

"Ja, völlig und absolut. Nicht von Haltungen – vom deutschen Finanzminister. Es ist alles wie ein gut gestimmtes Orchester, und er ist der Dirigent. Alles passiert gestimmt. Es gibt Momente, in denen das Orchester verstimmt ist, aber er holt es zusammen und bringt es zurück auf Linie." Was dieser Clan von der parlamentarischen Demokratie hält wird im Interview ebenfalls mehr als deutlich:

"[...] in unserem Fall war es sehr klar, dass unser Parlament schlicht wie Müll behandelt wurde."

Varoufakis' Aussagen sind derart brisant, dass sie eigentlich eine umfassende und schonungslose Debatte in Europa zum Zustand der Demokratie auslösen müssten, ein kritisches Hinterfragen, was eigentlich mit "westlichen Werten" gemeint ist (Staatsanleihen?) und ob es sich bei der Europäischen Union und dem Euro-System nicht vielmehr um einen autoritären Herrschaftsapparat handelt, der mit den Idealen der Aufklärung nur insofern etwas zu tun hat, als dass er die inhaltsleere Bezugnahme auf diese zur Selbstlegitimation missbraucht.

Was Yanis Varoufakis gegenüber der britischen Zeitung aufdeckt, lenkt den Blick damit auch auf einen Skandal hinter dem Skandal: Korrumpierte Leitmedien in Deutschland. Wäre es diesen ernst mit ihrem journalistischen Anspruch, wie diese angesichts harscher Kritik immer betonen, hätte die Übersetzung von Varoufakis' Worten auf jeder Titelseite in diesem Land stehen müssen. Stattdessen werden auch diese hochbrisanten und seltenen Einblicke in einen amoklaufenden Machtapparat wieder einmal niedergebügelt, kleingeredet oder gänzlich ignoriert, wie es in zahlreichen anderen Fällen immer wieder geschieht. Egal ob herauskommt, dass die USA schon frühzeitig vom Entstehen des Islamischen Staates wussten, und nichts dagegen unternahmen, oder ob ein einflussreicher US-Stratege freimütig die imperialen Interessen der Vereinigten Staaten im Zuge auf Deutschland, Russland und die Ukraine ausplaudert, der Mainstream weiß solch rauchende Colts gezielt zu unterdrücken - um diejenigen, die diese Belege dennoch in Debatten anführen als Spinner oder "Verschwörungstheoretiker" zu diskreditieren.

So wirkt es reichlich schizophren, wenn sich die Vertreter der deutschen "Qualitätspresse" in unendlichen selbstreferentiellen Reflexionen darüber auslassen, was sie denn falsch machen würden, nur um am Ende mit einem Fragezeichen zu antworten. Die Antwort ist eigentlich ganz einfach: Nicht nur die europäische Politik ist längst von Korruption, Herrschaftsinteressen und Machtanbiederung durchsetzt, die großen Medien trifft längst dasselbe Schicksal.

Erkennbar ist dies am gemeinsamen Schweigen über Einblicke in das Euro-System, wie sie Yanis Varoufakis ermöglicht. Ein Schweigen, das zu laut ist.

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