Meinung

Twitter Blue war das effektivste antikapitalistische Werkzeug aller Zeiten

Die Übernahme von Twitter durch Elon Musk entpuppte sich als eine urkomische Katastrophe. Die einzigen Opfer in diesem Skandal sind jedoch – nebst dem Ruf von Musk – die Aktienbewertungen einiger heimtückischer Konzerne.
Twitter Blue war das effektivste antikapitalistische Werkzeug aller ZeitenQuelle: www.globallookpress.com © Pavlo Gonchar

Von Bradley Blankenship

Wenn man in etwa so tickt wie ich, dann hasst man Milliardäre. Mehr noch, man hasst die Konzerne, die unser tägliches Leben dominieren. Die anhaltende Kontroverse um die Social-Media-Plattform Twitter, insbesondere um das inzwischen wieder eingestellte bezahlte System zur Verifizierung der User namens Blue, brachte den reichsten Mann der Welt in Verlegenheit und führte dazu, dass große multinationale Unternehmen zig Milliarden ihres Kapitals verloren.

Ende Oktober schloss der milliardenschwere CEO von Tesla, Elon Musk, einen 44-Milliarden-Dollar-Deal zur Übernahme von Twitter ab. Er ließ umgehend Tausende von Stellen streichen, darunter viele in der Kommunikationsabteilung und in hochrangigen Positionen, die für "Vertrauen und Sicherheit" zuständig waren. Anschließend wurde Twitter Blue eingeführt, ein Dienst, der für eine Gebühr von acht US-Dollar pro Monat eine offizielle Verifizierung anbot. Kurz darauf kam es zu einem massiven Chaos und der Dienst wurde umgehend wieder eingestellt.

Was war passiert? Um genau zu sein, gaben sich plötzlich unzählige User als prominente Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens aus. Man sah die gefälschten – aber verifizierten – User-Konten von George W. Bush und Tony Blair, in deren Tweets sich beide darüber beklagten, wie sehr sie es vermissen, Iraker zu töten. Dann war da jemand, der sich als O. J. Simpson ausgab und den Mord an seiner Ehefrau gestand. Aber viel folgenreicher war die Tatsache, dass auch große internationale Handelsmarken gekapert wurden.

Zum Beispiel behauptete ein User-Konto, das dem Pharmaunternehmen Eli Lilly and Company zu gehören vorgab, dass das Unternehmen in Zukunft kostenlos Insulin abgeben werde, was einen sofortigen Absturz seines Aktienkurses an der Börse zur Folge hatte. Ein weiteres User-Konto behauptete, den Rüstungskonzern Lockheed Martin zu repräsentieren, und gab in einem Tweet bekannt, dass man Waffenverkäufe an Saudi-Arabien, Israel und die USA wegen Menschenrechtsverletzungen aussetzen werde. Als Resultat auf diesen Tweet erlebte auch Lockheed Martin einen massiven Einbruch seines Aktienkurses.

Die Liste solcher Vorfälle wurde immer länger. So wurden auch Unternehmen wie Chiquita, American Girl, Roblox, BP und Tesla sowie das American Israel Public Affairs Committee (AIPAC) von User-Konten nachgeahmt und in Verbindung mit kontroversen Aussagen gebracht. Diese reichten vom Lob der Apartheid in Israel bis hin zu der Aussage, ein Obstkonzern habe die brasilianische Regierung gestürzt.

Diese Situation, in der es von allen Seiten her zu brodeln begann, war offensichtlich der Grund, weshalb Twitter Blue umgehend wieder ausgesetzt wurde. Gleichzeitig gab Elon Musk bekannt, dass er es für möglich hält, dass das Unternehmen in naher Zukunft pleitegehen könnte. Zweifellos hat die Social-Media-Plattform seit der Übernahme durch den Chef von Tesla deutlich an Wert verloren, vermutlich in Milliardenhöhe. Die Einführung von Twitter Blue war eine vorhersehbare Katastrophe, die Werbetreibende vor ernsthafte Herausforderungen stellte. Viele von ihnen sind daher inzwischen von der Social-Media-Plattform abgesprungen.

Obwohl die Einführung von Blue offenkundig eine sehr unkluge Entscheidung Musks war, hat er versehentlich die beeindruckendste antikapitalistische Waffe der modernen Geschichte geschaffen – und das alles für die läppischen Kosten von acht Dollar. Jeder, der diese paar Dollar übrig hatte, konnte bis vor wenigen Tagen noch dabei helfen, die Milliardenwerte bösartiger Unternehmen, die den Planeten zerstören, die globale Sicherheit bedrohen oder an Kriegsverbrechen beteiligt sind, zu vernichten. Das ist eine bemerkenswerte Sache. Und es wäre ebenso bemerkenswert gewesen, wenn man Twitter Blue beibehalten und nicht abgeschaltet hätte. Dennoch gab es nicht wenige User-Konten, die mit ihrem Schwindel durchkamen – bei einem gleichzeitig abgespeckten Team für "Vertrauen und Sicherheit" als Kontrollorgan – was bedeutet, dass Imitatoren wohl noch immer weitverbreitet sind und Falschinformationen überall lauern können.

Wenn man bei Twitter durch die eigene Timeline scrollt, wird man unzählige Beispiele für Falschinformationen von verifizierten Konten finden, denen man vor der Einführung von Twitter Blue auf den ersten Blick vertraut hätte. Das öffentliche digitale Forum, wie wir es kannten, gibt es nicht mehr – und das könnte die Menschen zu neuen, besseren Plattformen treiben.

Die Vorteile, die Twitter bietet, sind zahlreich. Es ermöglicht uns, Nachrichten zu finden und zu lesen, die man sich ansonsten bei Nachrichtenagenturen zusammensuchen muss. Man kann auch ungefiltert die Gedanken anderer Menschen lesen, was wiederum zu einer Steigerung der Abos bei Newslettern führen könnte. Man kann aber auch einfach eine Messaging-Plattform wie WhatsApp oder Telegram verwenden, um anderen eine Nachricht zu senden, falls man den weißen Vogel für genau das verwendet. Oder man könnte einfach die Verbindungen zur realen Welt wiederaufnehmen und sich von den sozialen Medien ganz abwenden.

Auf jeden Fall waren der kometenhafte Aufstieg der Social-Media-Plattform Twitter und ihr umgehender Absturz, nachdem Musk die Macht übernommen hatte, urkomisch. Der reichste Mann der Welt stand am Ende dumm da, nachdem er mit dem Kauf von Twitter etwas getan hatte, von dem niemand ernsthaft dachte, dass er das wirklich tun würde. Aber jetzt steckt er mit einer beschädigten App fest und häuft Schulden bis zu dem Punkt an, an dem das Unternehmen, wie bereits erwähnt, einfach pleitegehen könnte.

Die einzigen Opfer in diesem Skandal sind – nebst dem zerstörten Ruf von Musk – die Aktienbewertungen einiger heimtückischer Unternehmen, die, offen gesagt, tatsächlich bösartig agieren. Nochmals, wenn man in etwa so tickt wie ich, dann ist die Nachricht von der Implosion von Twitter eine gute Nachricht. Das liegt wahrscheinlich daran, dass man daran erkennen kann, wie unverzeihlich ungleich unsere Gesellschaft geworden ist und an eine Art poetische Gerechtigkeit glaubt, die jene Menschen und Organisationen treffen wird, die dieses System aufrechterhalten.

Aus dem Englischen

Bradley Blankenship ist ein in Prag lebender amerikanischer Journalist, Kolumnist und politischer Kommentator. Er hat eine Kolumne bei CGTN und ist freiberuflicher Reporter für internationale Nachrichtenagenturen, darunter die Nachrichtenagentur Xinhua. Er twittert auf @BradBlank_

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