Meinung

Der Kaukasus – umkämpft und umworben

Für Außenstehende ist der Kaukasus ebenso wie der Balkan ein Rätsel auf der Landkarte. Generationen von Diplomaten, Militärs sowie Unternehmer und vor allem Nichtregierungsorganisationen aller Art haben in den letzten 30 Jahren diese Region für sich entdeckt: für Business und Politik.
Der Kaukasus – umkämpft und umworbenQuelle: AFP © Karen Minasyan

Eine Analyse von Dr. Karin Kneissl

Der Begriff des "frozen conflict", also des eingefrorenen Konflikts, begann meiner Beobachtung nach im Kaukasus. Im Zuge der Auflösung der Sowjetunion tobten in dieser historisch beladenen Bergregion Kriege um Grenzen und den Zugang zu Bodenschätzen. In so manchem abgeschiedenen Tal ging es teils darum, noch alte offene Rechnungen zwischen Clans zu begleichen. Diverse internationale Organisationen, wie vor allem die OSZE (Organisation für Zusammenarbeit und Sicherheit in Europa), handelten dann so manche Waffenruhe aus, was zum Einfrieren, aber nicht zur Lösung der tieferliegenden Konflikte führte. In den Romanen von Lew Tolstoi findet sich zwischen den beeindruckenden Landschaftsnotizen so manche bittere Einsicht in archaische Traditionen. Die Implosion der staatlichen Strukturen der Sowjetunion trat auch hier eine gewaltige Verarmung und Gewaltbereitschaft los.

Es ging aber vor allem um den Zugang zu fossilen Ressourcen. Ein wesentliches Motiv für den deutschen Feldzug gegen die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg war die Obsession Berlins, physische Kontrolle über die Erdölfelder im Kaspischen Raum, aber auch in Tschetschenien zu erlangen. Es gibt auch in der Geopolitik wahrlich nichts Neues unter der Sonne, denn sowohl das letzte wie auch unser Jahrhundert sind von einem Kampf um fossile Ressourcen geprägt. Und der Kaukasus war hier immer wieder ein Schauplatz, vor allem wegen seiner Rolle für den Transit von Erdöl und Erdgas aus dem Kaspischen Raum.

Wenn Pipelines Regierungen machen

Rund um die Pipeline-Projekte der späten 1990er Jahre ist die transkaukasische BTC nennenswert. Diese Abkürzung steht für Baku-Tiflis-Ceyhan, welche ein Konsortium rund um den Energiekonzern BP errichtete. Der erste Tschetschenienkrieg spielte hierbei ebenso eine Rolle, da die Trasse für die kaspischen Erdöllieferungen auch über andere Routen zu verlegen gewesen wäre. Der letzte sowjetische Außenminister Eduard Schewardnadse, der dann in Georgien Präsident wurde, musste trotz Wahlsieg dem jungen Michail Saakaschwili weichen, der im Zuge der sogenannten Rosenrevolution an die Macht kam. Saakaschwili war Ende der 1990er Jahre für eine New Yorker Anwaltskanzlei tätig, die Energieprojekte in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion betreute. Ob diese Berufserfahrung dem späteren Politiker Saakaschwili half, sei dahingestellt. Aber die innenpolitischen Veränderungen in Georgien und die Verhandlungen zur Verlegung der BTC-Trassen waren gleichermaßen turbulent.

Die 1760 Kilometer lange Pipeline wurde im Jahr 2005 in Betrieb genommen. Die Türkei begann fortan, eine wichtige Rolle als Energiehub zu spielen, um russische Energieträger zu umgehen, wie dann auch beim Erdgasprojekt Nabucco. Im Jahre 2014 sollte sich das Blatt wenden, denn fortan begannen die Türkei und Russland vor allem in Energiefragen zu kooperieren. Zur Erinnerung: die Europäische Kommission stoppte den Baubeginn der SouthStream-Pipeline mit dem Hinweis, dass bei der Vergabe EU-Wettbewerbsregeln verletzt wurden. Aus SouthStream sollte TurkStream werden, also eine direkte russische Erdgasleitung über das Schwarze Meer in die Türkei und nicht mehr in die EU. Derzeit müssen EU-Importeure unter anderem auf TurkStream setzen, um an Erdgas zu kommen, zumal andere Pipelines entweder sabotiert wurden oder aus sonstigen Gründen ausfallen.

Ein alter Spruch in der Erdölbranche lautet "The oil business is too important to leave it to the oil people". Also das Erdölgeschäft ist nie eine rein kommerzielle Angelegenheit, die Politik spielt immer hinein. Oft genug kann es so weit gehen, dass Regierungen weichen müssen oder eingesetzt werden. Derart handhabten es viele Jahrzehnte die großen angelsächsischen Erdölkonzerne insbesondere im Nahen Osten und in Nordafrika.

Betrachtet man die Bonanza, also das große Werben um das Kaspische Becken und in der weiteren Folge Zentralasien in den 1990er Jahren, so verstanden sich die USA im eben entstandenen Vakuum als die wesentlichen Akteure. In den damaligen Strategiepapieren diverser US-Analysten finden sich als Mitwirkende noch die Türkei und teils Russland, aber China und dessen Aufstieg zum weltweit wichtigsten Energie-Importeur existierte damals nicht im US-Kalkül. Die EU verfolgte ab 2002 ein Erdgasprojekt mit dem Namen Nabucco, wie die Oper von Giuseppe Verdi. Dahinter stand das Verlangen, russische Erdgaslieferungen zu umgehen. Die österreichische OMV hatte die Führung im Konsortium, doch mangels Erdgas Einspeisungsvertrags blieb es fast 14 Jahre lang beim Projekt. Der Kaukasus fiel neuerlich als Transittrasse ins Gewicht und die Türkei sollte ein westlicher Erdgashub werden. Im Herbst 2022 ist alles wieder anders.

Die vielen Einflusszonen im Kaukasus

Indes sind China und Iran ebenso in ihren Jahrtausende alten Staatengeschichte wieder auf der kaukasischen Bühne tätig. Armenien und Aserbaidschan waren Teil Persiens und die kulturellen, aber auch menschlichen Verbindungen über alte Familienbande dauern an. 

Armenien ist hierbei ein besonders interessanter Kosmos, der wie ein Spiegel der Weltpolitik Allianzen und Zwiste reflektiert. Die Verbindungen zu Russland sind vielleicht in der Bevölkerung stärker als in der Politik des Landes verankert. Die russische Sprache und die wirtschaftlichen Verbindungen waren stets Bindeglieder zwischen Moskau und Jerewan. Mit dem Exodus vieler Russen nach Armenien dreht sich vieles und wird komplizierter. Während Exilrussen gegen Russland vor der Oper gegen die russische Regierung protestieren, können viele Armenier die Slogans deren Demonstranten nicht nachvollziehen. Fast leichter erscheint im Rückblick der Zuzug Zehntausender Armenier, die infolge des Kriegs in Syrien in das Land ihrer Vorväter kamen. Als ich im Sommer 2017 ausgiebig das Land bereiste, hörte ich überall Arabisch. Aleppo bot nach dem Völkermord an den Armeniern im Jahre 1915 ein Zuhause für die Überlebenden. Nach der Zerstörung der Stadt im Jahre 2012 zogen viele der Nachkommen wieder nach Armenien.

Drei Millionen Armenier leben im Land und die Diaspora umfasst rund acht Millionen Menschen, die auch im Iran leben, dort im Parlament vertreten sind, aber vor allem in den USA und in Frankreich einen einflussreichen Teil in der Gesellschaft bilden. Es sind auch die Überweisungen dieser Auslandsarmenier, die Familien und das Kulturleben fördern. Die Finanzierung von Bildungsinstitutionen mit all den Folgen sticht hierbei hervor. Die USA leisten sich in Jerewan eine besonders große diplomatische Vertretung, welche die intensiven konsularischen Beziehungen aufgrund von Doppelstaatsbürgern wohl widerspiegelt.

Angesichts der tiefgehenden geopolitischen Verschiebungen, die wir in diesen Monaten erleben, werden auch Armenien und die anderen relativ kleinen kaukasischen Staaten, wie Georgien oder eben Aserbaidschan, großen Veränderungen ausgesetzt sein. Es liegt manches wie ein Schatten über dem ohnehin angespannten Klima zwischen brüchigen Waffenstillständen am Bergkarabach und der Weltwirtschaftskrise. Hunderte tote Soldaten wie zuletzt im September sind für die kleine armenische Armee ein hoher Blutzoll.

Meines Erachtens ist die Ära der vielen meist ergebnislosen OSZE-Missionen rund um die eingefrorenen Konflikte, die spätestens im Vorjahr wie im Fall Armenien und Aserbaidschan wieder zu hitzigen Kriegen wurden, nun vorbei. Es geht um Energiegeschäfte, die meist langfristig Allianzen schmieden. Sonst könnten viele westliche Staaten angesichts ihrer handfesten Wirtschaftssorgen die teure Außenpolitik zwecks westlicher Hemisphäre aufgeben. Wie sich eine multipolare Weltordnung dann im kaukasischen Puzzle darstellen wird, ist nicht absehbar. Aber wer hätte im Jahre 1992 erahnt, wie die Welt zehn, zwanzig und nun dreißig Jahre später aussieht. Möge diese politisch so fragile Region zumindest von Naturkatastrophen wie Erdbeben verschont sein, denn der Kaukasus kennt tektonische Verschiebungen im wörtlichen Sinne nur allzu leidvoll.

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