Meinung

Energie, Industrie und Zusammenbruch – ein Blick in eine mögliche Zukunft, Teil 2

Zivilisation ist zerbrechlich, auch wenn die Fans einer "grünen Wirtschaft" das nicht glauben wollen. In diesem Teil werfen wir einen Blick auf die Industrie. Das Ergebnis ist nicht günstiger als bei der Nahrungsversorgung.
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Von Dagmar Henn

Teil 1 finden Sie hier.

Betrachten wir die industrielle Produktion. Sie hat, wie jede Form von Spezialisierung, zur Voraussetzung, dass die Ernährung sichergestellt ist. Menschen, die ihre Zeit aufwenden müssen, um womöglich irgendwo auf dem Land noch einen Sack Kartoffeln zu erbeuten (wofür die Voraussetzung, siehe oben, nicht gerade günstig sind), können in dieser Zeit keine andere Arbeit verrichten, selbst wenn es sie gibt. In jedem Zusammenhang steht die Nahrungsversorgung an erster Stelle. Die Zustände, die eintreten dürften, wenn sich die augenblickliche Entwicklung bei der Energieversorgung, Inflation und Nahrungsmittelproduktion so fortsetzt, dürften am ehesten mit jenen nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges vergleichbar sein. Da war selbst die Arbeit in der industriellen Produktion etwas, das man sich nur erlauben konnte, wenn sie direkt in Nahrungsmitteln entgolten wurde.

Allerdings führt eine länger anhaltende Unsicherheit der Energieversorgung nicht nur zu fünf bis zehn schwierigen Jahren, wie es der belgische Ministerpräsident jüngst sagte. Es zeichnet sich jetzt bereits ab, dass die großen Konzerne ihre Produktion schlicht in Weltgegenden verlagern, in denen die Energieversorgung wie die Verkäuflichkeit ihrer Produkte sicherer ist. Denn mit der Einstellung der Produktion in Deutschland sinkt auch die Kaufkraft weiter ab, die schon durch die Energiepreise für die Privathaushalte massiv geschädigt ist. Warum sollte man Produktion an einem Ort aufrechterhalten, an dem sie technisch schwierig wird und zudem der Absatz einbricht?

Übrigens ist eines der Probleme, da irgendwie gegenzusteuern, die Tatsache, dass die technischen Voraussetzungen für größere Investitionen nicht gegeben sind. Denn die einzige Methode, wie ein Staat sinnvoll eingreifen kann, ist über Investitionen. Jede andere Art und Weise, Geld unter die Leute zu bringen, verstärkt die ohnehin gegebene Inflation, weil sie zwar die Nachfrage erhöht, aber nicht die Menge der vorhandenen Güter. Jeder einzelne oben erwähnte Punkt der Verwundbarkeit in der Versorgung ist auch ein Inflationstreiber, und auch hier sind es so viele Punkte, dass eine Hyperinflation nicht ausgeschlossen werden kann.

Das Problem bei den Investitionen ist zum einen der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften, insbesondere in der Bauwirtschaft (die das klassische Ziel solcher staatlichen Maßnahmen wäre), zum anderen der Mangel an Rohmaterialien sowie an Energie. Beton, das wichtigste Baumaterial heutzutage, braucht in der Herstellung ebenfalls sehr viel Energie, und für die Stahlarmierungen gilt das Gleiche. Jene Maßnahmen, die volkswirtschaftlich eine positive Wirkung haben, ohne inflationär zu wirken, sind daher zumindest in Deutschland kaum möglich. Übrig bleibt das, was auf Englisch so hübsch "helicopter money", Hubschraubergeld, genannt wird, weil es etwa dem entspricht, wenn man aus Hubschraubern Geldscheine über einer Menschenmenge abwerfen würde. Hubschraubergeld geht aber zur Gänze in die Inflation.

Können nun einzelne Produkte, die nicht mehr in Deutschland produziert werden, importiert werden? Für eine gewisse Zeit schon. Aber nur so lange, wie zum einen die Währung noch konvertibel ist (während einer Hyperinflation ist sie das nicht), und zum anderen in Deutschland noch Produkte erzeugt werden, die exportiert werden können. Fehlen letztere, funktioniert nicht einmal mehr Tauschhandel. Aber welche Produkte sollen das sein?

Importiert wird augenblicklich unter anderem ein Großteil der Medikamente. Die Produktionsstätten der pharmazeutischen Industrie liegen inzwischen, zumindest für Standardprodukte wie Paracetamol, in Indien und China. Selbst wenn sich die EU den Wahn verkneifen sollte, auch noch China zu sanktionieren – das Verhältnis zwischen den Währungen dürfte sich umkehren, selbst wenn der Euro einen ökonomischen Absturz Westeuropas überleben sollte. Es wird nicht mehr lange dauern, dann muss in Yuan und Rupien bezahlt werden, weil europäische Währungen instabil und schwach sind, und dann müssen hier erst Devisen erwirtschaftet werden, ehe man Produkte importieren kann. Selbst, wenn es lebenswichtige Produkte sind.

Die Begeisterung, mit der besonders der grüne Teil der Bundesregierung die Entstehung eines permanenten Energiemangels begleitet, hat aber nicht nur für die in Deutschland vorhandene Industrie massive Folgen, sie bedroht die Möglichkeit einer industriellen Produktion an sich. Denn man darf nicht vergessen, dass die industrielle Revolution ohne die Entdeckung von leicht verfügbarer Energie, damals in Gestalt der Steinkohle, unvorstellbar ist. Frühe Fabriken wurden um die zentrale Energieerzeugung, die Dampfmaschine, herum gebaut, und die erzeugte Bewegungsenergie wurde über Riemen und Wellen durch die Säle übertragen.

Das technische Prinzip der Dampfmaschine war übrigens bereits in der Antike entdeckt worden; nicht allerdings die erforderliche Energiequelle. Und Voraussetzung für die weitere Verbreitung der Dampfmaschine war billigerer Stahl; den wiederum gab es nur, weil man aus Steinkohle Koks machen konnte. Stahlerzeugung mit Holzkohle in Hochöfen trifft auf eine natürliche Begrenzung, weil Holzkohle bei zu viel Druck pulverisiert und dann die Eisenverhüttung nicht mehr funktioniert. Mit Koks konnten Hochöfen größer gebaut werden, und das zuvor teure Metall wurde deutlich günstiger.

Auch in der Geschichte der industriellen Entwicklung finden sich zahlreiche Wechselwirkungen. Die historisch erste Werkzeugmaschine, das "Spinning Jenny" geheißene Spinnrad, mit dem eine Person nicht nur einen, sondern sechs Fäden auf einmal verspinnen konnte, war der erste Schritt zur Verlagerung des Weltzentrums der Textilproduktion von Indien und China nach England; die Menge des anfallenden Garns führte zu einer massiven Ausweitung der Heimweberei (Spuren davon finden sich in Gerhardt Hauptmanns Stück "Die Weber"), und die Menge des erzeugten Stoffs schuf ein neues Problem. Bisher hatte man Stoffe in Europa sehr zeitaufwendig gebleicht – sie wurden immer wieder befeuchtet und in der Sonne ausgelegt. Dass das nicht mehr ging, führte zur Entwicklung chemischer Bleichstoffe und damit zu den ersten Ansätzen chemischer Industrie.

So, wie solche Wechselwirkungen bei der Entstehung der Industrie vorzufinden sind, würden sie sich auch bei ihrem Verschwinden bemerkbar machen. Sprich, es handelt sich um einen Kreislauf wechselseitiger Verstärkungen, nur diesmal abwärts. Mit dem Entzug sicherer und jederzeit verfügbarer Energie wird dieser Kreislauf in Gang gesetzt. Aber so, wie die Bewegung aufwärts nicht nur einfach zahlreiche Produkte verfügbarer machte und durch die Mechanisierung auch unzählige Arbeitskräfte in der Landwirtschaft einsparte (nicht zu vergessen, noch 1950 war das in Bayern die Hälfte der Arbeitsbevölkerung), so würde eine Bewegung abwärts diesen Prozess umkehren und unzählige Menschen dazu nötigen, auf den Äckern Kartoffeln zu lesen und außerhalb der Erntezeiten das triste Leben der Landarmut zu führen.

Die romantischen Vorstellungen, die heutzutage mit dem Landleben verbunden sind, dürften sich schnell erledigen. Das Landleben des 19. Jahrhunderts war nicht romantisch, zumindest nicht für die Mehrheit der Bevölkerung und schon gar nicht für die Nutztiere. In Zeiten, in denen Großstädte noch per Pferdewagen versorgt wurden, mussten die Mähren ihre Wagen ziehen, bis sie nicht mehr laufen konnten; dann führte ihr letzter Weg zum Pferdemetzger und in die Wurst. Nicht, dass eine solche archaische Wirtschaft heute möglich wäre. Nach dem großen Pferdeschlachten des Ersten Weltkrieges haben sich die Bestände nie erholt, und pro Stute gibt es im Jahr bestenfalls ein Fohlen. Wenn also der Traktor den Pflug nicht mehr ziehen kann, weil kein Benzin dafür da ist, heißt es selber ziehen. Herr Özdemir kann ja schon einmal üben.

Das Problem, das von den Fantasten übersehen wird, ist, dass es beim Zusammenbruch einer wirtschaftlichen Struktur keinen Zwischenhalt gibt. Je komplexer die Ordnung ist, von der ausgegangen wird, desto tiefer ist der Absturz. Dass er in Russland aufgehalten werden konnte, ist dem glücklichen Umstand zu verdanken, dass größere Teile des Apparats rational und auf das Wohl der eigenen Bevölkerung orientiert waren. Wenn man das Beispiel des Ahrtals betrachtet, ist beides – zumindest in Deutschland – nicht gegeben. Außerdem fehlen Deutschland die Rohstoffe, die eine Erhaltung der Industrie ermöglichten, selbst wenn Importe nicht möglich sind, und das Bildungssystem ist bereits weit stärker angeschlagen und liefert Nachwuchs, dem jede Voraussetzung fehlt, um in einem Zusammenbruch bestehen zu können, geschweige denn, wieder aus ihm herauszufinden.

Eine Deindustrialisierung Deutschlands würde nicht nur den Stecker des Systems EU ziehen, sie würde sich durch ganz Europa in Wellen verbreiten wie ein großes Erdbeben. Auf welcher Ebene in diesem Falle noch staatliche Strukturen haltbar sind, ist offen; aber einigermaßen stabile Bundesländer sind noch ein günstiges Ergebnis. Daran ändert übrigens Repression nichts; sie hat nur eine einzige Wirkung – eine rechtzeitige Umkehr zu verhindern.

Die Fantasien, die in manchen Kreisen herrschen mögen, die unter dem Titel "Great Reset" laufen, scheitern daran, dass die Erzeuger dieser Fantasien keine Ahnung von der Dynamik haben, die sie auslösen, und sich einbilden, ein solcher Prozess würde mit Hilfe von ein paar zusätzlichen Windrädern (die man ohne Beton ebenfalls nicht bauen kann) und erzwungenem Vegetarismus aufzuhalten sein. Dem ist nicht so. Wenn die Spirale aus Deindustrialisierung, Hyperinflation und Versorgungsausfall einmal Fahrt aufgenommen hat, ist das Ergebnis keine schöne neue Welt, sondern erst einmal Chaos, durch das sich auch die Milliardäre, die davon zu profitieren hoffen, nur noch in schwerbewaffneten Konvois aus gepanzerten Fahrzeugen bewegen können. Solange es diese noch gibt.

Jetzt schon ist es fraglich, ob eine plötzliche Einsicht der deutschen Politelite noch etwas nützen würde. Schließlich sind die Schritte, die mit den Sanktionspaketen gegangen wurden, angefangen vom Raub russischen Staatsvermögens bis zur allgegenwärtigen Verachtung, derart gravierend und ein derart ausgeprägtes Signal völliger Unfähigkeit zu verhandeln, dass Olaf Scholz vermutlich über den Roten Platz kriechen könnte und dennoch keinen neuen Vertrag über bezahlbares russisches Erdgas mit nach Hause brächte. Schließlich hat ihn selbst Schätzchen Trudeau am ausgestreckten Arm verhungern lassen.

Allein, um außerhalb des Westens wieder als verlässlicher Verhandlungspartner gesehen zu werden, bräuchte es einen kompletten Austausch der politischen Klasse. Die Wahrscheinlichkeit dafür kann man an einer Hand abzählen. Die andere Variante lautet aber kompletter Absturz bis auf einen präindustriellen Zustand, Bildung und Lebensstandard eingeschlossen, mit dem Risiko, in einem Zeitraum von weniger als einer Generation so tief zu sinken, dass selbst der hinterste Winkel Zentralafrikas näher an einer modernen Industriegesellschaft ist als das Europa, das danach übrig bleiben wird.

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