Meinung

Wie die Ukraine den Rüstungsinteressen des Westens ein Bein stellt

Waffenlieferungen an die Ukraine verwandeln das Land in einen Schwarzmarkt für Kriegsgerät. Abnehmer ist nicht nur Kiew. Korrupte Beamte, internationale Banden und Dschihadisten freuen sich auf die frische Ware aus dem Westen. Verantwortlich soll wieder einmal Moskau sein.
Wie die Ukraine den Rüstungsinteressen des Westens ein Bein stellt© Cover Images / Keystone Press Agency

Ein Kommentar von Geworg Mirsajan

Im Westen wächst die Kritik an dem Eifer, mit dem die USA und Europa massenhaft Waffen in die Ukraine liefern. Zu den früheren Argumenten über die Unzulässigkeit einer milliardenschweren Hilfe für die Ukraine angesichts der Notwendigkeit milliardenschwerer Investitionen in die US-Wirtschaft (worüber einzelne Kongressabgeordnete jetzt sprechen) und der Befürchtung einer Verknappung der amerikanischen Waffenarsenale (worüber andere sprechen), sind nun auch Stimmen zu hören, die darauf hinweisen, dass diese Waffen einfach verschwinden könnten.

Eine große Waffenmesse

"Sobald der Konflikt in der Ukraine zu Ende ist, kommen die Waffen auf den illegalen Markt. So etwas haben wir schon bei anderen Konflikten erlebt. Bereits jetzt fassen die kriminellen Organisationen diese Waffen ins Auge", sagte Interpol-Generalsekretär Jürgen Stock. Ihm zufolge könnten die Waffen sowohl nach Europa als auch in andere Länder gelangen. Herr Stock hat natürlich unrecht. Die westlichen Waffen verlassen die Ukraine nicht, wenn der Konflikt vorbei ist – sie sind bereits auf dem Weg.

So erschien im März auf einer ukrainischen Webseite für Autoverkäufe eine sehr interessante Verkaufsanzeige für gepanzerte Geländefahrzeuge des Herstellers Land Rover. In der Beschreibung war zu lesen, dass diese Fahrzeuge zuvor im Lager der britischen Armee gewesen seien. Das heißt, es waren dieselben Fahrzeuge, die Großbritannien zur Unterstützung der ukrainischen Armee geschickt hatte. Inzwischen gibt es immer mehr solcher Anzeigen.

Im Internet finden sich Angebote zum Verkauf von M16-Gewehren, welche die USA an die Ukraine geliefert haben, sowie weitere Exemplare westlicher Handfeuerwaffen wie M4-Sturmgewehre, italienische Beretta ARX160 et cetera. Aber nicht nur Kleinwaffen. Zum Verkauf steht das recht preiswerte Panzerabwehrsystem "Javelin", das die Ukraine selbst als "Wunderwaffe" positioniert. Durchaus eine Wunderwaffe, wenn es darum geht, einen Geldtransporter zu stoppen.

Selbstverständlich wird die Verantwortung für diese Waffenmesse Russland zugeschoben. Denn der Schwarzmarkt für Waffen in der Ukraine sei "nach dem Einmarsch der russischen Truppen im Jahr 2014", wie der Westen den Beginn des Bürgerkrieges beschreibt, "rasch angewachsen". Oder: "Wegen der riesigen Menge an verfügbaren Waffen und der begrenzten Kontrolle über sie. Zwischen 2013 und 2015 sind fast 300.000 Kleinwaffen aus der Kontrolle geraten", beschreibt es die Washington Post.

Im Land wurden regelmäßig Soldaten festgenommen, die versuchten, einige dieser "verlorenen gegangenen" Gewehre und Munition zu verkaufen. Allerdings wurden nicht alle Waffen von einfachen Soldaten verkauft, nicht alles ging von ukrainischen Händen an ukrainische Hände und außerdem begann das Ganze keineswegs im Jahr 2014.

Die Sache ist die, dass gleich nach dem Zusammenbruch der UdSSR die Ukraine, auf deren Territorium die Depots mehrerer Militärbezirke verblieben, zu einem der größten Verkäufer sowjetischer Waffen wurde. Sowohl auf legalem als auch auf illegalem Wege – über Kanäle, an denen keine einfachen Soldaten, sondern ukrainische Generäle und Politiker beteiligt waren. Böse Zungen behaupten, eine Serie von Explosionen in Militärdepots in den 2010er-Jahren habe eine Abschreibung von Waffen ermöglicht, die tatsächlich in den Nahen Osten verkauft worden seien.

Heutzutage steht der ukrainischen Führung nichts im Wege, diese Übung zu wiederholen, zumal die Möglichkeiten weitaus zahlreicher geworden sind. Die Vereinigten Staaten haben der Ukraine bereits 1.400 Stinger-Raketen, 5.500 Panzerabwehrraketen, 700 Switchblade-Angriffsdrohnen sowie große Mengen an Minen, Munition und anderen Waffen übergeben. Dadurch ist die Ukraine zum größten Empfänger von US-Militärhilfe geworden. Und das ohne Berücksichtigung der Waffenlieferungen aus anderen Ländern.

Nationale und internationale Geschäfte

Massenlieferungen von Waffen schaffen nicht nur quantitative Möglichkeiten. Erstens sind eine Reihe der vom Westen gelieferten Waffen (wie Stinger) in anderen Ländern und bei internationalen Terrororganisationen sehr gefragt. Zweitens sind einige der Waffensysteme (zum Beispiel die Switchblade-Angriffsdrohnen) deutlich moderner und damit teurer als die alten sowjetischen Waffen. Und drittens, um den Tatbestand zu verbergen, ist es nicht einmal mehr nötig, Lagerhäuser in die Luft zu jagen. Die russische Armee "kalibriert" regelmäßig die militärischen Objekte der Ukraine. Einschließlich derjenigen, die im Rahmen des Transitsystems westlicher Waffen verwendet werden.

Letztendlich sehen die ukrainischen Täter die nahe Zukunft voraus, in der ein Sieg Russlands fast unvermeidlich erscheint. Und deshalb müssen sich diese Personen bereits jetzt um die Mittel für ihren Lebensunterhalt oder besser gesagt für ihr Leben im Exil kümmern.

Natürlich versichern die US-Behörden, dass nichts davon passieren wird. Im Auswärtigen Amt hieß es, die Ukraine habe sich verpflichtet, "keine Rüstungsgüter ohne Genehmigung der amerikanischen Regierung an Drittländer zu liefern". Und zahlreiche Experten schlagen Lösungsansätze für das Problem der Nichtverbreitung vor. Doch alle zielen auf die Einführung einer externen Kontrolle der Lieferung und des Vertriebs von Waffen ab. Um welche Art von Kontrolle kann es sich aber bei Kampfhandlungen handeln? Was für eine Art von Kontrolle kann es sein, in einer Situation, in der Kampfhandlungen stattfinden und russische "Kaliber" regelmäßig Munitionsdepots zerstören?

Zudem verstoßen die Vereinigten Staaten selbst gegen das sogenannte Endnutzerprinzip, zu dessen Einhaltung sie die Ukraine zwingen. "So verstärkten die USA Mitte April ihre Präsenz im Ukraine-Konflikt, indem sie die Lieferung von Mi-17-Hubschraubern ankündigten, die sie vor zehn Jahren von Russland gekauft hatten. Allerdings haben sich die USA im Rahmen des Vertrags dazu verpflichtet, diese Waffen nicht ohne Russlands Zustimmung an Drittländer weiterzugeben", erinnert die Washington Post.

Genau. Es scheint, als ob die "russische Aggression" in der Ukraine die Verletzung von Normen rechtfertigt, doch erlauben diese Rechtfertigungen keineswegs eine Stärkung des Rüstungskontrollregimes. "Die Verletzung der Endnutzerklauseln ist eine ernsthafte Bedrohung für die Fähigkeit der Länder, den Einsatz von Waffen zu kontrollieren", sagt Jeff Abramson, Experte bei der American Arms Control Association.

Ferner sollte man verstehen, dass in vielen Situationen nicht die ukrainischen, sondern die US-amerikanischen Generäle gegen dieses Abkommen verstoßen werden. Vereinfacht gesagt behaupten einige europäische Experten, dass fast zwei Drittel der Waffen, die an Kiew geliefert werden, die ukrainische Armee gar nicht erreichen, sondern vom Pentagon für andere außenpolitische Bedürfnisse verteilt werden.

Es überrascht nicht, dass zahlreiche Dschihadisten aus dem Nahen Osten den Konflikt in der Ukraine bereits als "Geschenk Gottes" bezeichnen, weil sie von dort einen Zustrom von Waffen erwarten. Nicht etwa Gewehre und Munition, sondern Stinger-Raketen für den Abschuss ziviler Flugzeuge und Javelin-Systeme für die Zerstörung gepanzerter Ziele. Selbst Anti-Schiffswaffen werden eine Verwendung erhalten.

Die Kosten für diesen Ausverkauf wird die ganze Welt tragen. Man muss die Besonderheiten des globalen Marktes verstehen. Sollten zum Beispiel terroristische Gruppen in der Region des Persischen Golfs über Anti-Schiffs-Raketen vom Typ Harpoon verfügen, würde dies den Verkehr von Öltankern sofort lahmlegen. Nicht weil die Kapitäne das Auslaufen verweigern könnten, sondern weil die Versicherungsgesellschaften es ihnen verbieten würden, um einen Konkurs aufgrund der versicherten Tanker zu vermeiden.

Wird man Moskau auch hierfür die Schuld geben?

Übersetzt aus dem Russischen. Dieser Artikel erschien zuerst bei vz.ru

Geworg Mirsajan ist Politikwissenschaftler, Journalist und außerordentlicher Professor für Politikwissenschaft an der Finanzuniversität der Regierung der Russischen Föderation.

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