Meinung

Zehn Jahre "Raketenmann": Was hat Kim Jong-un erreicht?

Als Kim Jong-un im Jahr 2011 als Oberster Führer in Nordkorea diese Rolle von seinem Vater übernahm, sagte der Westen voraus, dass er zu jung und zu unerfahren sei, um auf lange Sicht auf diesem Posten zu überleben. Aber Kim trotzte seitdem allen Widrigkeiten, die ihm begegnet sind.
Zehn Jahre "Raketenmann": Was hat Kim Jong-un erreicht?Quelle: www.globallookpress.com © KCNA / XinHua

Ein Kommentar von Tom Fowdy

Im vergangenen Dezember vor zehn Jahren verstarb Nordkoreas Staatsführer Kim Jong-il nach einer zunehmenden Verschlechterung seines Gesundheitszustandes. Der Herrscher über Nordkorea war sich seiner begrenzten Lebenszeit bewusst und hatte im Jahr zuvor damit begonnen, seinen Sohn Kim Jong-un auf die Übernahme des Amtes als Oberster Führer vorzubereiten – ein Amt, das dieser später auch antrat.

Kim Jong-un war zu dieser Zeit mit nur 29 Jahren der jüngste Staatsführer der Welt und übernahm das Kommando über eine atomar bewaffnete Nation, die sich in einem ungelösten Kriegszustand mit seinem südlich gelegenen Rivalen und den Vereinigten Staaten befindet. Viele Experten sagten voraus, er sei zu unreif und zu schwach, um diese Aufgabe zu bewältigen. In den vergangenen zehn Jahren hat Kim jedoch seine Macht gefestigt, Rivalen aus dem Weg geräumt und der Führung der Demokratischen Volksrepublik Korea (DVRK) seine eigene Note verliehen.

Aber war Kims bisherige Herrschaft ein Erfolg oder ein Misserfolg? Während die von den USA und der UNO gegen sein Land verhängten und immer härter werdenden Sanktionen ihren Tribut fordern, insbesondere durch die zusätzliche Belastung durch COVID-19, hat Kim dennoch scheinbare "Naturgesetze" der Politik durchbrochen und Nordkoreas militärische Fähigkeiten gegen alle Widrigkeiten weiterentwickelt – wenn auch zu einem Preis, der von den meisten Menschen für inakzeptabel gehalten wird.

Nordkorea ist ein Staat, von dem die meisten US-amerikanischen Akademiker und Analysten glaubten, er sei zum Zusammenbruch verurteilt und würde als ein Relikt des Kalten Krieges bald wie ein asiatisches Albanien in die Annalen der Geschichte eingehen. Angesichts einer verarmten Wirtschaft, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion erstickte, und eines Boris Jelzins, der den Handel dann noch absichtlich abbrach und die Beziehungen herabstufte, um den USA zu gefallen, war es eine weit verbreitete, wenn auch ideologisch geprägte Meinung US-amerikanischer Experten, dass die DVRK früher oder später das gleiche Schicksal erleiden würde wie seine Pendants im Ostblock in Europa. Es wurde angenommen, dass der Tag, an dem Kim Jong-il stirbt, den Untergang des Landes einläuten würde.

Victor Cha, ein US-Akademiker und ehemaliger außenpolitischer Berater von George W. Bush, hat in seinem 2012 erschienenen Buch "The Impossible State" (Der unmögliche Staat: Nordkorea – Geschichte und Zukunft) ein ganzes Kapitel mit dem Titel "Das Ende ist nah" geschrieben. Entgegen allen Erwartungen überlebte Nordkorea jedoch nicht nur den Tod von Kim Jong-il, sondern es gelang mit seinem Sohn Kim Jong-un auch noch der Übergang in die dritte Führungsgeneration der Familie. Obwohl es im Westen viele Spekulationen über Kim gibt, die alle heillos von seiner Gesundheit besessen sind und sogar fälschlicherweise sein Tod vermeldet wurde, ist Kims Herrschaft sicher.

Wie hat er das bewerkstelligt? Und warum waren alle bisherigen Vorhersagen über den Zusammenbruch des Landes falsch? Zuallererst hat Kim die Legitimität bei seinem Volk errungen. Die Behauptung des Westens, Nordkoreaner würden einer "Gehirnwäsche" unterzogen, ist faul und irreführend. Die Familie Kim hat ihr Herrschaftsrecht seit jeher aus der Verschmelzung traditioneller konfuzianischer Familienkonzepte mit dem antikolonialistischen koreanischen Nationalismus abgeleitet.

Der um die jeweiligen Staatsführer aufgebaute Personenkult stellt sie als "Eltern" der Nation dar, als liebevolle, freundliche und tugendhafte Persönlichkeiten, die sich um die Nordkoreaner als "Großfamilie" kümmern und sie vom japanischen und US-amerikanischen Kolonialismus befreit haben. Ihre Bilder sind an jedem Ort im ganzen Land zu sehen, in jedem Haus, in jedem Gebäude – und jeder nordkoreanische Erwachsene trägt eine Anstecknadel mit den Gesichtern der bisherigen Staatsführer.

Ihre Legitimität leitet sich weiter aus der traditionellen ostasiatischen Vorstellung von Meritokratie ab, sowie der Annahme, dass ihre Brillanz von Generation zu Generation weitergegeben wird. Familiennamen und Abstammung sind in der ostasiatischen Tradition Statussymbole. Die Kims haben ihren Staat auf dieser Prämisse aufgebaut und eine umfassende Mythologie und nationale Geschichte ihres Erbes begründet, zum Beispiel mit der Behauptung, dass Kim Jong-il auf dem Berg Paektusan geboren wurde, dem heiligen Berg Nordkoreas. Die Identität der Familie ist dadurch mit koreanischen Bräuchen, Traditionen und den politischen Realitäten des Kampfes eines Staates gegen den Kolonialismus verwoben.

Da die Vermächtnisse seines Großvaters, des "Ewigen Präsidenten" Kim Il-sung, und seines Vaters Kim Jong-il "verewigt" wurden, baute auch Kim Jong-un seine Macht dadurch aus, dass er sich verpflichtete, deren Ziele weiterzuverfolgen. Er ließ die heiligen Monumente des Landes in Pjöngjang – wie das Mangyŏngdae-Monument, den Kumsusan-Palast der Sonne und das Kriegsmuseum der glorreichen Befreiung des Vaterlandes – wieder aufbauen und sanieren. Alle diese Gedenkstätten erzählen die von Nordkorea gepflegte Geschichtsschreibung: Die Geschichte von Kolonialismus, Revolution und Befreiung unter den Kims.

Auf meinen Reisen in die DVRK habe ich diese Orte selbst gesehen und erlebt, wie sie sich mit der Zeit verändert haben. Aber es gab noch andere Dinge, die Kim tat, um politisch zu überleben. Er stellte bald seinen Onkel Jang Song-thaek kalt, der als sein größter interner Rivale galt. Er legte die Beziehungen zu China für mindestens fünf Jahre auf Eis, um das Ausmaß der Öffnung seines Landes zum Rest der Welt besser unter Kontrolle zu bekommen. Zudem legte er das Atomprogramm Nordkoreas als seine wichtigste Erfolgsstrategie fest und verfolgte einen Weg der tieferen Konfrontation mit den Vereinigten Staaten.

Bereits 2013, in seinem zweiten vollen Jahr an der Macht, versprach Kim den Bau einer Interkontinentalrakete, die Amerika erreichen könne – eine bahnbrechende Ankündigung, die Nordkoreas Stellung bei Verhandlungen radikal verändern sollte. Ungefähr acht Jahre später hat er gemäß Expertenmeinungen sein Ziel erreicht, obwohl trotzdem noch Fragen offen bleiben. Zugleich hat Kim jedoch damit die Isolation seines Landes vertieft. Durch lähmende Sanktionen sowohl des UN-Sicherheitsrates als auch der USA wurden Exporte des Landes verboten, Ölimporte blockiert, das Land wurde aus dem globalen Finanzsystem hinausgeworfen, auf schwarze Listen gesetzt und ausländische Investitionen wurden verboten. Alle dies ist das Resultat der unerbittlichen Trump-Strategie gegen Pjöngjang, die als "maximaler Druck" bekannt ist.

Diese Serie von Sanktionen hat eine fünf Jahre andauernde bescheidene Verbesserung der Wirtschaft und des Lebensstandards des Landes ruiniert. Kims Hauptziel war es, mit den USA zu für ihn günstigen Bedingungen zu verhandeln, um eine Aufhebung der Sanktionen zu erreichen, und gleichzeitig so viel wie möglich von seinen nuklearen Fähigkeiten zu behalten. Die Hoffnung der USA auf eine "vollständige Denuklearisierung" Nordkoreas war ein Rohrkrepierer, und genau deshalb wurde – trotz all dieser glorreichen Gipfel, die Kim sicherlich die internationale Bühne verschafften, wie er es wollte – noch nie ein Abkommen geschlossen. Dennoch ist Kim Jong-un aber auch der erste nordkoreanische Staatschef, der jemals einen US-Präsidenten traf.

Trotz ihres Status als Nuklearmacht ist die DVRK weiterhin ein armes Land geblieben. Wenn man ländliche Gebiete besucht, sieht man Menschen, die in kleinen Dörfern ein bescheidenes Leben führen und auf den Feldern mit Pflügen arbeiten, die von Rindern gezogen werden. Die Hauptstadt Pjöngjang hingegen ist moderner, als die meisten erwarten würden, was hauptsächlich darauf zurückzuführen ist, dass der Staat seine Ressourcen dort in fest verankerte Klassen investiert. Viele Menschen haben Smartphones, wenn auch mit eingeschränktem Zugang zum Internet (die DVRK stellt irgendwie ihre eigenen Smartphones mit Android als Betriebssystem her), sie gehen in Restaurants, haben Geschäfte mit einer großen Auswahl an importierten Konsumgütern, und die meisten haben ein breites Bewusstsein über die Geschehnisse in der Welt. Trotzdem umgibt das Land immer noch eine Retro-Aura, mit Menschen, mit altmodischen Frisuren und in formeller altmodischer Kleidung – so etwas wie Freizeitkleidung gibt es in der nordkoreanischen Öffentlichkeit nicht.

Doch im Zuge der verheerenden Auswirkungen der COVID-19-Pandemie, wegen der Kim ab dem Jahr 2020 jeglichen Handel mit der Außenwelt einstellte, sieht die Zukunft für den Alltag der Nordkoreaner deutlich düsterer aus. Während Nordkorea seine militärischen Fähigkeiten weiter ausgebaut hat, scheint es die Biden-Regierung nicht eilig zu haben, mit Nordkorea in einen Dialog zu treten und hat stattdessen noch weitere, neue Sanktionen verhängt.

Kim sitzt momentan in einer Sackgasse und wartet dort seit jenem Tag, an dem sich Trump beim Gipfeltreffen in Hanoi im Jahre 2019 mit dem Mann traf, den er herablassend als den "Raketenmann" bezeichnete. Vielleicht kommt eines Tages für Kim Jong-un noch die Sternstunde – aber wer kann das schon voraussagen? In jedem Fall wird Kim wahrscheinlich weiterhin dann und wann Gerüchte und Spekulationen über seinen Tod und den Fall seines Regimes überwinden müssen. Letztendlich ist dies alles ein wesentlicher Bestandteil der Tatsache, dass die DVRK für den Rest der Welt ein Rätsel ist – ein Land, das so geheimnisvoll, so wenig verstanden und mysteriös ist, dass nur wenige wissen, wie man sich ihm nähern solle. In der Vergangenheit haben unzählige Experten Kim und sein Nordkorea falsch verstanden und werden dies wohl auch in Zukunft tun.

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Übersetzt aus dem Englischen.

Tom Fowdy ist ein britischer Autor und Analytiker für Politik und internationale Beziehungen mit Schwerpunkt Ostasien. Er twittert unter @Tom_Fowdy

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