Meinung

Großbritannien spannt russischsprachige Anti-Kreml-Medien und -Aktivisten gegen russischen Staat ein

Bei allem Alarmismus über russische "Propaganda" und "Desinformationen" scheint gerade die britische Regierung hinter einem millionenschweren Vorstoß zur Förderung negativer Berichterstattung über den russischen Staat zu stehen – in Russland wie in den Nachbarländern.
Großbritannien spannt russischsprachige Anti-Kreml-Medien und -Aktivisten gegen russischen Staat einQuelle: www.globallookpress.com © Stephen Chung / ZUMAPRESS.com

Von Kit Klarenberg

Auf einem EU-Gipfel im November 2017 kündigte die damalige britische Premierministerin Theresa May Pläne an, Russland offiziell als "feindlichen" Staat einzustufen. Sie versprach dabei, in den nächsten fünf Jahren mehr als 100 Millionen britische Pfund zur Bekämpfung der angeblichen Bedrohung durch "Desinformation" aus dem Kreml auf internationaler Ebene auszugeben.

Jetzt hat jedoch das Hacker-Kollektiv Anonymous etwas veröffentlicht, das allem Anschein nach interne Dateien des britischen Außenministeriums sind – Dokumente, die den wahren Zweck und die wahrlich ominösen Dimensionen dieser riesigen Anstrengungen ausleuchten.

Den Papieren zufolge suchte man in Whitehall Auftragnehmer, mit deren Hilfe man Medien und Zivilgesellschaft auf verschiedenen Ebenen unterwandern wollte – alles unter dem Deckmantel von Plänen unter anderem zur Verbesserung der Alphabetisierung, der Förderung kultureller Aktivitäten, der Sicherstellung von "Ausgewogenheit und Pluralität" in der Medienberichterstattung und dazu, Propaganda entgegenzuwirken.

Unterstützung von Anti-Kreml-Medien

Einer dieser Auftragnehmer, Zinc Network (mehr zu diesem Unternehmen später), erklärte in seinen Dokumenten zur Angebotspräsentation, man sei gerade dabei, "zwei der führenden unabhängigen Medien Russlands – Meduza und MediaZona – Dienstleistungen zur Publikumssegmentierung und Targeting-Unterstützung zur Verfügung zu stellen".

Der im Zitat als Erstes genannte Betrieb ist eine russischsprachige Online-Zeitung und ein Nachrichtenportal mit Sitz in Lettlands Hauptstadt Riga. Der zweite wird als investigative Plattform positioniert, die sich auf das russische Justiz-, Strafverfolgungs- und Strafvollzugssystem konzentriert. MediaZona wurde von zwei Mitgliedern der umstrittenen Punkrockband Pussy Riot gegründet.

Da den beiden "das Fachwissen und die Werkzeuge fehlten", um "Inhalte effektiv bei einem neuen Publikum zu bewerben", arbeitete Zinc also fleißig daran, sicherzustellen, dass ihre Produkte so viele Augen und Ohren wie möglich erreichen. Dabei führte der Auftragnehmer "wöchentliche Mentoring-Sitzungen mit Spezialisten der beiden Medien" durch, "passte die redaktionelle und kommerzielle Strategie entsprechend an" und schuf "gemeinsame Rahmungen von Themen, Fragestellungen und Problemen".

Vor der Veröffentlichung dieser Dokumente wäre jede Behauptung, dass Meduza und MediaZona – die beide jeweils konsequent dem russischen Staat gegenüber äußerst kritische Inhalte veröffentlichen – sich nicht nur untereinander koordinieren, um eine konsistente redaktionelle Linie zu gewährleisten, sondern dafür auch Unterstützung von der britischen Regierung erhalten, bar jeglicher Zweifel als russische Propaganda abgetan worden, als Verschwörungstheorie, Fake News oder Schlimmeres.

Es ist wahrscheinlich, dass die Beziehung von Meduza zum Foreign Office weit über diese Zusammenarbeit hinausgeht – ob mittelbar oder unmittelbar, bewusst oder unbewusst. So verweisen mehrere Auftragnehmer in den durchgesickerten Akten auf dieses Medienhaus in Bezug auf zahlreiche andere vom britischen Außenamt finanzierte und gesteuerte Projekte.

Zum Beispiel wird Meduza in Dokumenten zur Angebotsunterbreitung erwähnt, die ein anderer Auftragnehmer, Albany, einreichte – neben ETV+, dem russischsprachigen Dienst des estnischen Senders ETV, neben dem lettischen LTV, dem litauischen LRT Re:Baltica – der Webseite des Baltischen Zentrums für Investigativen Journalismus – und anderen russischsprachigen Plattformen, und zwar als potenzieller "langfristiger Partner", für den eine "neue Programmgestaltung" finanziert und entwickelt werden könnte.

Dass diese Programmgestaltung explizit Anti-Moskau-Charakter haben soll, wird durch einen Abschnitt über die "Schaffung von narrativen Spielen, die zur Teilnahme über soziale Medien und mobile Plattformen ermutigen" deutlich unterstrichen. Bei Albany wird angemerkt:

"Meduza ist ein führender Verfechter dieser Spiele, die größtenteils politische Themen aufgreifen (z.B. Putin-Bingo, 'Hilf Putin, pünktlich zu seinem Treffen mit dem Popen zu kommen' und 'Hilf dem orthodoxen Priester, zu seiner Kirche zu kommen, ohne den irdischen Genüssen zu erliegen')."

Diese "satirischen Spiele" brächten das "legitime Argument" vor, dass "das Angebot einer gerechteren, respektvollen und fürsorglichen Gesellschaft besser ist als das eines arroganten, nationalistischen Regimes". Des Weiteren werden für solche Spiele unter anderem Themen vorgeschlagen wie "Hilf dem zickigen russischen Exilanten, inmitten der britischen politischen Korrektheit seine kulturelle Identität zu bewahren" oder "Hilf dem Oligarchen-Sohn, an seinem ersten Tag an der Universität seinen obszönen Reichtum zu verbergen".

Solche surrealen Angebotsauszüge wären lächerlich – würden sie nicht die außerordentlichen Anstrengungen unterstreichen, zu denen das offizielle London zur Dämonisierung, Destabilisierung und Isolierung Russlands auf nationaler und internationaler Ebene entschlossen ist.

Die Auftragnehmer

Die beteiligten Auftragnehmer, darunter die bereits erwähnten Zinc und Albany, verfügen alle über Mitarbeiter, die zuvor auf den höchsten Ebenen der Regierung, des Militärs und der Sicherheitsdienste dienten – mit entsprechendem Informationszugang. Darüber hinaus haben sie umfangreiche Erfahrung in Operationen der Informationskriegsführung im Auftrag Londons auf der ganzen Welt. Zum Beispiel finden mehrere zwielichtige Unternehmen, die in den durchgesickerten Papieren genannt werden, auch in anderen durchgesickerten Dokumenten speziell im Zusammenhang mit der Propaganda-Blitzkampagne des Foreign Office in Syrien an prominenten Stellen Erwähnung.

Ganz eindeutig drängen sich diese Firmen als solche überhaupt nicht als Auftragnehmer auf, wenn Programme ausgeführt werden sollen, bei denen es wirklich um die Stärkung der Zivilgesellschaft, eine Verbesserung journalistischer Standards oder um Bekämpfung von Desinformation gehen soll – aber darum geht es bei diesen Programmen natürlich auch gar nicht.

Zinc Network (früher bekannt als Breakthrough Media) ist ein Veteran geheim gehaltener, vom Foreign Office finanzierter Kampagnen der Informationskriegführung im In- und Ausland. Es kann auf eine lange Geschichte verachtenswert zynischer Vereinnahmung genuin zivilgesellschaftlicher Stimmen zur verdeckten Förderung der Interessen der britischen Außenamtes zurückblicken – ohne deren Wissen oder Zustimmung, und oft mit ernsthaften realen Konsequenzen.

Bei einem Auftrag, für den Zinc den Zuschlag ersucht, soll es um die Unterstützung unabhängiger Medien in den baltischen Staaten gehen. Die an die Öffentlichkeit gesickerten Dokumente (herunterzuladen hier und hier) enthalten die Anforderungserklärung des britischen Außenministeriums für das Projekt sowie Auftragsdetails, die den Auftragnehmern bei einem Treffen im Juni 2018 vom Verantwortlichen des Foreign Office für Bekämpfung von Desinformation und für Medienentwicklung (CDMD) Andy Pryce mitgeteilt wurden – sie gelten gleichermaßen für eine parallelen Operation in den Ländern der Östlichen Partnerschaft.

Pryce, der offen erklärte, dass es bei dem Vorhaben – das in den Jahren von 2018 bis einschließlich 2021 bis zu sechs Millionen britische Pfund kosten soll – letztlich darum geht, "den russischen Staat zu schwächen", warnte die Teilnehmer vor "unautorisierten Informationsenthüllungen zu jeglichen Aktivitäten" und merkte an, dass "aus Sicherheitsgründen" einige Anbieter "nicht mit dem Foreign Office in Verbindung gebracht werden wollen".

Er fuhr fort, zahlreiche Möglichkeiten aufzuzählen, wie Journalisten und Medienorganisationen in den Zielländern nicht nur durch Finanzierung, sondern auch durch unmittelbaren "Zukauf" von Inhalten eingespannt werden könnten. Das Sponsoring von öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sei bei einer "Laissez-faire-Führungsweise" vor Ort ein Weg zum "leichten Sieg" – wobei die erste Phrase ein beschönigender Ausdruck für Korruption und das Fehlen jeglicher Regulierung ist.

Auf die Frage, ob es Probleme mit der Zielgruppe der Unter-18-Jährigen gebe, erklärte Pryce, er sei "publikumsneutral". Er präzisierte allerdings auch, es gebe "Spielraum für geschlechtsspezifische Sensibilität in der Programmgestaltung" – so sei die Serie "'Girls' auf HBO genau das, was es braucht, außer in der Ukraine".

Diese Andeutung mag zunächst bizarr anmuten oder einen amüsieren – bis man bedenkt, dass mindestens fünf Fernsehserien, die in Estland, Lettland und Litauen laufen, von Zinc Network (mehr zu ihnen später) unter der Schirmherrschaft des Programms produziert wurden, darunter die erste russischsprachige Kindersendung der Region.

Es ist äußerst beunruhigend, dass Millionen von Menschen – darunter viele Kinder – auf eine solche Art gestaltete Programme gesehen haben könnten, ohne eine Ahnung davon zu haben, dass sie geschaffen wurden, um unterschwellig antirussische und prowestliche Propaganda zu verbreiten – geschweige denn, dass die britische Regierung die Produktion im Rahmen einer gezielten Kampagne der psychologischen Kriegführung finanzierte.

Diese Beunruhigung wird außerdem dadurch verstärkt, dass Albany in einem separaten Projekt spezifisch "junge russischsprachige Menschen" als "Agenten des Wandels" im Baltikum auszunutzen sucht, um "die Generationen ihrer Eltern und Großeltern zu beeinflussen und eine ausgeprägte 'europäisch-baltische' Identität zu verstärken" (Dokument herunterzuladen hier).

Influencer in den sozialen Medien einspannen

Weitere durchgesickerte Dokumente enthüllen, dass Zincs Aktivitäten in der Region noch vor dem Einreichen seiner Vorschläge für das Projekt bereits beträchtlich waren – und zwar in einem Maße, dass man "ein internes Team von russischsprachigen Produzenten, digitalen Forschern und digitalen Wachstumsstrategen" unterhielt.

Zinc engagierte daneben ein geheimes Netzwerk von russischsprachigen Influencern, die in den sozialen Medien aktiv waren, um "Medienintegrität und demokratische Werte" zu fördern – merkwürdigerweise soll die Beziehung des Unternehmens zu diesen Personen allerdings "tägliches Management" umfasst haben. Das Unternehmen rekrutierte die Influencer über Youtube, Facebook, VKontakte und Instagram und

"[half] ihnen, die [von ihnen beworbenen] Marken aufzubauen und ihre Inhalte zu verbessern, um ihren Publikumsanteil zu vergrößern", und "[richtete] einen gemeinsamen Kanal auf Youtube ein, um ihre Inhalte zu hosten, ihnen zu helfen, Zugang zum Publikum der jeweils Anderen zu erhalten und gemeinsam Inhalte zu erstellen, die komplexe soziale Themen behandelten".

Darüber hinaus zeigt eine Akte, dass Zinc diesen Influencern beibrachte, wie man "internationale Zahlungen tätigt und erhält, ohne als externe Finanzierungsquelle registriert zu werden" und "redaktionelle Strategien entwickelt, um Schlüsselbotschaften zu vermitteln" (bei gleichzeitiger Minimierung des "Risikos der Strafverfolgung") sowie die "Projektkommunikation" so zu verwalten, dass die Existenz des Netzwerks und die zentrale Rolle der britischen Regierung bei seiner Gründung garantiert "vertraulich" gehalten wurde.

Mit anderen Worten: Sie agierten (und agieren möglicherweise weiterhin) im Endeffekt als bezahlte Agenten des britischen Staates, und Zinc war ihnen bei der Erstellung von ausgeklügeltem Propagandamaterial behilflich, das heimlich vom Foreign Office abgesegnete "Schlüsselbotschaften" verkündete – die dann unter dem Deckmantel des Bürgerjournalismus weltweit verbreitet wurden.

Weder die Identitäten der Influencer noch ihr genauer Wissensstand um die heimtückische Rolle, die sie durch ihre Zusammenarbeit mit dem Unternehmen spielten, sind derzeit bekannt. Obwohl die Influencer im Gegensatz zu den Zuschauern zumindest gewusst haben werden, dass ihre "unabhängigen" Inhalte in Wirklichkeit in den Londoner Büros der Firma geschrieben, coproduziert und bearbeitet wurden.

Einsatz, Verbesserung, Ermöglichung, Enthüllung

Die von Anonymous offengelegten Dokumente zählen Hunderte, und das oben Genannte ist nicht einmal die Spitze des Eisbergs. Die geheime Kampagne, die das britische Außenamt auf breiter Front führt, fußt offenbar aus vier Säulen oder verläuft entlang vierer "Stränge" – ENGAGE, ENHANCE, ENABLE, EXPOSE ("Einsatz, Verbesserung, Ermöglichung, Enthüllung"). Ein Dokument (herunterzuladen hier), das an Auftragnehmer verteilt wurde, die sich um die verschiedenen lukrativen Programme bewarben – genannt "Theory of Change" – legt die Aktivitäten, die Erzeugnisse, das Ergebnis und die Auswirkungen der jeweiligen Stränge dar, und zwar sowohl isoliert als auch in Verbindung miteinander.

Die Aktivitäten im Rahmen von EXPOSE (Enthüllung) werden definiert als "Echtzeit-[Lügen/Mythen]-Entlarvung, Unterstützung von investigativem Journalismus, Kapazitätsaufbau, Networking zwischen Nichtregierungsorganisationen". Doch die Erzeugnisse, Ergebnisse und Auswirkungen sind bereits geschwärzt, versteckt – und das in einem an sich bereits geheimen Dokument. Das deutet darauf hin, dass die Operationen ebenso wie ihre Ziele in der Tat extrem heikel sind und man eine hohe Sicherheitsfreigabe benötigt, um sie zu erfahren.

Trotz des alarmistischen Geredes der Mainstream-Medien über die angebliche Bedrohung, die die "Desinformation" des Kremls darstellen soll, konnte in keiner einzigen Instanz irgendetwas, das auch nur im Entferntesten mit dem in diesem Artikel beschriebenen globalen Angriff auf die Wahrnehmung auf mehreren Kanälen, online wie offline, vergleichbar wäre, jemals Moskau oder irgendeinem anderen "feindlichen" Staat zugeschrieben werden.

Es ist wirklich erschütternd, dass trotz allen in den Dokumenten gemachten Verweisen auf Transparenz, Wahrheit und Demokratie diese gigantischen, mehrere Millionen Pfund teuren Vorstöße jahrelang unter strenger Geheimhaltung durchgeführt wurden – ohne jegliche Aufsicht durch Vertreter der Öffentlichkeit und ohne den britischen Bürgern auch nur bewusst zu sein – ganz zu schweigen von den Zielgruppen in Übersee.

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Übersetzt aus dem EnglischenKit Klarenberg ist ein Enthüllungsjournalist, der die Rolle der Geheimdienste bei der Gestaltung von Politik und Wahrnehmung untersucht.

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