Meinung

Sind die USA am Ende? – Der Sturm auf das Kapitol zeugt von einer dysfunktionalen Demokratie

Aus Washington, D.C. erreichen uns verstörende Bilder. Die Realität, mit der US-Eliten heute konfrontiert sind, wurde noch vor wenigen Jahren für undenkbar gehalten: Symbole der Macht in den USA werden nicht von äußeren Feinden eingenommen, sondern von den eigenen Staatsbürgern.
Sind die USA am Ende? – Der Sturm auf das Kapitol zeugt von einer dysfunktionalen DemokratieQuelle: Reuters © Shannon Stapleton/Reuters

von Arkadi Shtaev

Die gestrige Nacht in Washington, D.C. zeichnete das Bild einer dysfunktionalen Demokratie, in welcher der Präsident vom Weißen Haus aus seine Anhänger dazu aufrief, zum Kapitol zu ziehen, in dem die Mitglieder des Kongresses soeben das Ende dieser Präsidentschaft amtlich machen wollten. Die Tatsache, dass dabei Menschen ums Leben kamen, Politiker quasi aus dem Kapitol flüchten mussten und die Sicherheitsorgane offensichtlich dabei versagten, das hohe Haus ausreichend zu schützen, verstärkt dieses düstere Bild.

Der erschütterte Glaube an die Demokratie in den USA

Verstörend sind auch die Reaktionen des transatlantischen Establishments – hüben wie drüben. Es kann kaum noch vermitteln, weshalb der Westen unter Führung der USA so etwas wie einen demokratischen Leuchtturm auf der Welt darstellen soll, der global dort einzugreifen hat, wo diesen westlichen Werten angeblich erst noch zum Durchbruch verholfen werden müsse.

Die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen betonte: "Ich glaube an die Stärke der US-Institutionen und der Demokratie", gerade so, als ob ihr Amt und ihre Institution so etwas wie eine demokratische Legitimation erster Güte darstellen würden. Bundeskanzlerin Angela Merkel war angesichts der Ausschreitungen in Washington "wütend und auch traurig", wo doch Ausschreitungen in Minsk und andernorts von ihr stets als demokratische Willensbildung interpretiert werden.

Der frühere republikanische US-Präsident George W. Bush, der sich in einer perfekten Welt längst vor einem Kriegsgericht hätte verantworten müssen, ließ verlautbaren: "Auf diese Weise werden Wahlergebnisse in einer Bananenrepublik angefochten – nicht in unserer demokratischen Republik." Nun ja, wie in einer Bananenrepublik Kriege vom Zaun gebrochen werden, nämlich mit Lügen, hatte dieser Staatsmann der Weltöffentlichkeit ja eindrucksvoll demonstriert. Die Folgen seines gescheiterten "War on terror" spürt die Weltgemeinschaft bis heute.

Führende westliche Medien schreiben heute von "Rechtsextremen", die das Kapitol gestürmt hätten. Nun, es mag sein – es ist sogar sehr wahrscheinlich, dass sich Rechtsextreme, Kriminelle und Gewalttäter unter die Protestler gemischt hatten, so wie Linksextreme und Kriminelle bei anderen Demonstrationen auch. Nur, wenn pauschal all jene US-Bürger, die nicht mit dem Wahlausgang zufrieden sind, rechtsextrem sein sollten, dann können ja die USA nicht der Hort der Menschenrechte und der Demokratie sein, wie es die selben Medien stets darzustellen versuchen, denn es handelt sich ja offenbar um einen nicht unerheblichen Anteil der US-Amerikaner.

Die Suche nach den Ursachen

Aber solche journalistischen Reflexionen sucht man bisher ebenso vergebens wie eine saubere Recherche zu den Umständen des Sturms auf das Kapitol. Denn auffällig ist es schon, wie die Sicherheitskräfte versagten bei dem Schutz dieses hohen Hauses, wo doch ansonsten der Finger schnell am Abzug sitzt, zum Beispiel bei Routineeinsätzen.

Im europäischen Westen sucht man ebenso vergebens nach tieferen Erkenntnissen für die Ursache der Misere in "Gottes eigenem Land".

Es ist führenden Intellektuellen der USA zu verdanken, wie dem verstorbenen Schriftsteller Gore Vidal, der schon 2001 in einem Interview mit der FAZ feststellte: 

"In meinem Land besitzt ein Prozent alles, zwanzig Prozent geht es sehr gut, weil sie im Kongress und in der 'New York Times' für das eine Prozent arbeiten. Achtzig Prozent der Bevölkerung aber leben sehr schlecht, auch wenn die Propaganda, die die Deutschen, ganz Europa und auch die Amerikaner mit erstaunlicher Selbstverständlichkeit schlucken, seit geraumer Zeit das Gegenteil behauptet. Es gibt viel Armut in Amerika. Es gibt, wie Sie wissen, kein öffentliches Gesundheitssystem, es gibt kein Schulsystem, das diesen Namen verdient, und wir werden hoch besteuert. Wir bekommen also nichts von unserem Geld zurück. Die Generäle kassieren alles ein."

Sind die Vereinigten Staaten am Ende?

Die Frage, ob die USA am Ende sind, kann nur sehr unzureichend beantwortet werden. Die USA sind immer noch die einzige Weltmacht, die ihr Militär innerhalb von 24 Stunden weltweit zum Einsatz bringen kann. Die Energien der Supermacht und das Potential, sich aus Krisen herauszukämpfen, darf ebenso wenig unterschätzt werden wie der globale Einfluss durch Medien, Subkultur, Musik und Literatur. Allerdings kamen die US-Geheimdienste schon 2008 im Rahmen einer Studie zu der Erkenntnis, dass die USA über die kommenden beiden Jahrzehnte spürbar an Macht verlieren werden.

Die USA sind wahrscheinlich nicht am Ende, noch nicht, aber vielleicht war das Menetekel von Washington so etwas wie der Anfang vom Ende, eines langsamen Endes. In diesem Zusammenhang sei an eine Warnung aus der Epoche vom Imperium Romanum erinnert, welche durch folgendes Zitat überliefert wurde "Rom fällt nicht von Feindeshand, es ist der Zahn der Zeit, der an ihm nagt." In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass oberflächliche Kommentatoren vor einigen Jahren die USA noch als das neue Rom ansahen.

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