Meinung

Scheitern der Demokratie und nutzlose Revolution der Mittelschicht in Großbritannien

Angesichts der zunehmenden Uneinigkeit über die Art und Weise, wie Großbritannien geführt wird, ist klar, dass eine Veränderung in Sicht ist. Aber sie wird von einer Mittelschicht vorangetrieben werden, die entschlossen ist, die Armen auf ihrem Platz zu halten.
Scheitern der Demokratie und nutzlose Revolution der Mittelschicht in GroßbritannienQuelle: AFP © Andy Buchanan

von Dr. Lisa McKenzie, Großbritannien

Es gibt immer Anzeichen dafür, dass die soziale und wirtschaftliche Struktur einer Gesellschaft schwächer wird und dem Ende entgegengeht. Das Römische Reich geriet ins Wanken, weil es aufgrund seines ständigen Expansionsbedarfs kein Territorium und keine Beute mehr hatte, die es nach Rom zurückbringen konnte. Dadurch war das Reich wirtschaftlich tief gespalten zwischen dem überschüssigen Reichtum der römischen Raubstädte und den ausgebeuteten und von Armut geplagten ländlichen Gebieten innerhalb des Territoriums. Außerdem gab es eine immer kleiner werdende Gruppe von Eliten, die als Herrscher gewählt werden konnten.

Im 18. Jahrhundert sah sich Frankreich mit dem gleichen Niedergang seiner aristokratischen und autokratischen Gesellschaft konfrontiert, in der sich wiederum diejenigen an der Spitze weiter vom Rest entfernten und einem Leben in irrationalem Überfluss fröhnten, während diejenigen an der Basis ein kurzes und brutales Leben führten.

Es liegt in der Natur der Sache, dass man, wenn man am unteren Ende der Gesellschaft steht, machtlos, hoffnungslos und körperlich krank wird, weshalb es in jeder Gesellschaft nur sehr wenige erfolgreiche Aufstände und Revolutionen gibt, die aus den Reihen der Ärmsten kommen.

Ich wünschte, dies wäre nicht wahr, aber es ist so – die meisten Revolutionen entspringen der Unzufriedenheit der Bourgeoisie und der Erkenntnis, dass diese die Kontrolle über diesen bürgerlichen Lebensstil der Sicherheit und Stabilität verliert.

Die Mittelschicht fühlt sich bedroht

Das ist wahrscheinlich der Grund dafür, dass Armut und ein Klassensystem uns immer begleiteten, denn dies sind keine Prioritäten bei einer Revolution der Mittelklasse.

Im Gegensatz zum größten Teil Europas gab es in Großbritannien nie eine Revolution der Mittelklasse, vor allem, weil die Institutionen der Macht diese immer fest im Griff hatten: die Medien, die Parteipolitik, die Wohlfahrtsverbände und die Universitäten.

Und zwar bis heute. Zehn Jahre der Sparmaßnahmen, die zunehmende Vermarktung aller sozialen Güter, Dienstleistungen und Systeme, der Brexit und jetzt die Auswirkungen von COVID-19 schufen für die Mittelschicht einen Grad an Prekarität, den sie noch nie zuvor erlebte, und sie ist nicht glücklich.

In meiner Arbeit als Soziologin und Ethnografin in den letzten zehn Jahren gab es unter den Befragten aus der Arbeiterklasse zunehmend Anzeichen für eine totale Unzufriedenheit, Wut und einen Mangel an Vertrauen und Zuversicht in das System.

Politiker in Westminster und in den Rathäusern im ganzen Land werden von der Arbeiterklasse gehasst, die im Laufe der Jahre die gleichen Kämpfe durchlebte, ganz gleich, welche politische Partei sie wählen.

Sie müssen sich tagtäglich in einer Reihe von Kämpfen gegen diese Politiker wehren, vom Abriss von Sozialwohnungen über den Verkauf von öffentlichem Land an private Bauträger bis hin zur Sperrung von Straßen, was das Leben für die örtlichen Gemeinden schwierig macht. Niemand stimmte dafür, dass diese Dinge geschehen.

Wer redet noch von der Arbeiterklasse?

Es gibt keine Klassensolidarität, denn die Arbeiterklasse ist die Verliererin der Errungenschaften der Mittelschicht. Folglich gelangte die Arbeiterklasse zu der Erkenntnis, dass es entweder keine Demokratie gibt oder dass die Demokratie für sie nicht gilt.

Und während ihre Wut täglich zunimmt, steigt auch die Macht des Strafgesetzes, sie zu verhaften und zu bestrafen. Es gibt mehr Überwachungsausrüstung in den örtlichen Gemeinden, und es gibt strengere Definitionen bei der Erstellung von Profilen von "Problempersonen". Das macht einen wirklichen Straßenaufstand der Arbeiterklasse fast unmöglich, obwohl sie sich des Versagens des Systems sehr wohl bewusst sind.

Es scheint jedoch, dass auch die Mittelschicht desillusioniert und verärgert ist, allerdings aus sehr unterschiedlichen Gründen. Ihr Leben wird immer unsicherer, und ihren Kindern wird nicht garantiert, dass der Raum der Mittelschicht, den ihre Eltern an sie weiterzugeben versuchten, bestehen bleibt – weder durch Grundbesitz noch durch Vetternwirtschaft in den Institutionen oder durch Bildung.

Dies sind die Instrumente, die die Mittelschicht schon immer benutzte, um mit dem System zu spielen und die Arbeiterklasse von ihrem sicheren Leben fernzuhalten, aber sie sind immer schwieriger zu erwerben, je schmaler das System an der Spitze wird.

Werden wir also eine Revolution der Mittelklasse erleben? Werden die laufenden Brexit-Gespräche und die endgültige Realität, dass wir die EU verließen, sie in den Wahnsinn treiben, oder wird es die Angst sein, dass die Plätze ihrer Kinder in Oxbridge (ein Kofferwort aus "Oxford" und "Cambridge", das allgemein Eliteuniversitäten bezeichnet; Anm. d. Red.) nicht mehr gesichert sind?

Meghan und Harry als Maskottchen

Wie bei allen Revolutionen und Aufständen der Mittelklasse wird ihre erste Priorität darin bestehen, dafür zu sorgen, dass das Klassensystem fortbesteht, weil sie es brauchen. Ihr Leben kann nicht sicher sein, wenn es kein ungerechtes und ungleiches System gibt, das sie begünstigt.

Wenn also die Mittelschicht endlich die Nase voll hat von Boris Johnsons lästigem Regierungschaos und der Gedanke an Brexit zu viel wird, erwarten Sie nicht die Guillotine und die rollenden Köpfe des Königshauses und den Sturm auf das nicht gewählte Oberhaus.

Stattdessen wird es Bitten an Meghan und Harry geben, zurückzukehren und ihre Maskottchen zu sein, mehr Fahrradspuren und weniger Busse, Aufrufe zu "Volksversammlungen" (wo "sie" das Volk sind) und Kampagnen für offene Grenzen nach dem Brexit, damit ihre Putzfrauen, Kindermädchen und Gärtner frei für sie zum Mindestlohn arbeiten können.

Ich rechne mit einer Herausforderung der Mittelklasse an unser gegenwärtiges System, aber nicht mit einem Schritt, das Scheitern der Demokratie anzuerkennen und zu akzeptieren. Denn wenn die Ärmsten arm bleiben und das Klassensystem bestehen bleibt, gibt es keine Demokratie.

Dr. Lisa McKenzie ist eine Akademikerin aus der Arbeiterklasse. Sie wuchs in einer Kohlenbergbaustadt in Nottinghamshire auf und wurde durch den Streik der Bergarbeiter 1984 mit ihrer Familie politisiert. Mit 31 Jahren ging sie an die Universität von Nottingham und machte einen Bachelor-Abschluss in Soziologie. Dr. McKenzie lehrt Soziologie an der Universität Durham und ist Autorin des Buches "Getting By: Estates, Class and Culture in Austerity Britain".

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