Meinung

Das Buch, das noch fehlte

"Zu viel und nie genug – wie meine Familie den gefährlichsten Mann der Welt erschuf" ist der Titel des neuen Buches von Mary Trump, der Nichte des US-Präsidenten. Die Autorin lässt darin – termingerecht zum Wahlkampf – kein gutes Haar an ihrem Onkel.
Das Buch, das noch fehlteQuelle: Reuters © TOM BRENNER

von Falko Looff

Es ist schwer, einen US-Präsidenten der jüngeren Vergangenheit zu finden, der so massiv und so andauernd von der politischen Klasse und den Mainstream-Medien angegangen wurde wie Donald Trump. Nein, falsch. Es ist unmöglich. Doch falls – und wenn auch nur in einem einzigen Kopfe – noch der Hauch von Zweifel an der Rechtschaffenheit und Legitimität dieser einhelligen Praxis bestand, so ist es damit nun endgültig vorbei. Denn jetzt gibt es DAS Buch.

Es trägt den Titel "Zu viel und nie genug – wie meine Familie den gefährlichsten Mann der Welt erschuf" und ist nicht das erste "Enthüllungsbuch" über Donald Trump. Aber dieses ist jetzt ganz besonders. Denn diesmal meldet sich nicht irgendein früherer Untergebener mit all den geheimen Interna und handfesten "Belegen" über Trumps tatsächliche und/oder vermeintliche charakterliche Schwächen.

Nein, diesmal kommt es aus dem innersten Kreis: der Familie. Mary Trump, die Nichte, hat's geschrieben. Was drinsteht, muss also stimmen. Sie ist noch dazu Psychologin. Hat promoviert. Und jetzt nimmt sie eine richtige Analyse ihres Onkels vor. Ganz wissenschaftlich. Also nicht, dass noch jemand auf den Gedanken komme, sie wolle sich bloß mal Luft verschaffen und ihre subjektive Meinung kundtun.

Dass sich Mary Trump selbst als "liberale Demokratin" bezeichnet und angibt, im November für Trumps Herausforderer Biden stimmen zu wollen – nun ja, warum sollte dies gegen ihre Objektivität sprechen? Nein. Was in diesem Buch zu lesen ist, muss die Wahrheit sein, und zwar die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Wie gut, dass es so passend kurz vor den Wahlen erscheint.

Auch die Mainstream-Medien hierzulande überschlagen sich mit wohlwollender Berichterstattung über Mary Trumps "Erkenntnisse". Nach Auffassung der Nichte erfülle Donald Trump "alle Kriterien" eines "verlogenen und kaltherzigen Narzissten", wie beispielsweise die Deutsche Welle zu berichten weiß. Der Frankfurter Rundschau war zu entnehmen, dass die Trump-Nichte ihren Onkel zudem für einen "lupenreinen Rassisten" halte. Mary Trump überrascht zudem mit der Aussage, dass der US-Präsident von offiziellen Medien viel zu zurückhaltend kritisiert worden sei. Das liege jedoch daran, dass diese ebenso rassistisch seien.

Doch auch "Beweise" für die – tatsächlichen oder vermeintlichen – charakterlichen Abgründe des heutigen US-Präsidenten führt dessen Nichte an. So habe Donald Trump bereits in der Highschool jemanden dafür bezahlt, damit dieser einen Aufnahmetest für die angesehene Wharton School, eine Art BWL-Kaderschmiede, für ihn schreibe. Das mag stimmen oder nicht. Doch kann es der Leser letztlich leider nicht beurteilen, denn die Nichte ist nicht in der Lage – wie üblich in der offiziellen Berichterstattung über den US-Präsidenten –, den Vorwurf auch wirklich zu belegen. Das muss sie in den Augen der Adressaten vermutlich auch nicht, sie hat ja wissenschaftlich analysiert. Und demnach sei ihr Onkel im Prinzip "ein Dreijähriger, der wisse, dass er nie geliebt worden ist".

Mary Trump betreibt zudem Ursachenforschung. Wie konnte sich ein solcher Charakter bloß entwickeln? Ihr Fazit laut Handelsblatt: Donald Trumps Persönlichkeit sei das "Resultat einer emotional abwesenden Mutter und eines soziopathischen Vaters". Trump sei "unwissend", "unfähig" und "verloren in seiner Wahnvorstellung". Besonders aufschlussreich: Einmal habe der siebenjährige Donald mit seinem (jüngeren) Bruder Robert gestritten und trotz Ermahnens der Mutter nicht aufgehört. Nach einiger Zeit aber habe der damals 14-jährige Fred (Marys Vater) eingegriffen und dem kleinen Donald eine Portion Kartoffelbrei auf den Kopf gedrückt. Bis heute könne Donald Trump diese Demütigung nicht verzeihen. Ja, das ist Psychologie! Grandios.

Wie fundiert und begründet Mary Trumps Analyse auch immer sei: Sie scheint sich jedenfalls nicht an die von der "American Psychiatric Association" erlassene sogenannte Goldwater-Regel zu halten. Diese verbietet aus medizinethischen Gründen eigentlich, sich über Menschen des öffentlichen Lebens per Ferndiagnose zu äußern. Die Trump-Nichte scheint diesen Kodex geflissentlich zu "umgehen", da sie das Buch ja aus der Perspektive eines Familienmitglieds schreibe.

Zumindest das ZDF scheint sich an solchen "Feinheiten" nicht zu stören, denn Mary Trump erhielt erst kürzlich im ZDF-Talk-Format Markus Lanz ein weiteres Forum für ihre Thesen. Ob das wohl auch so wäre, falls jemand einmal eine ähnlich "schonungslose" Ferndiagnose von Angela Merkel durchführte?

Donald Trump sei jedenfalls der "gefährlichste Mann der Welt", so dessen Nichte in der Sendung. Und das nicht nur wegen des Kernwaffenarsenals. Sondern auch, weil er als Präsident "die Fähigkeit hat, Allianzen zu schmieden und zu zerstören". Mary Trump führt weiter aus:

[Donald Trump] hat viel dazu beigetragen, die westlichen Allianzen zu zersplittern, die wir über Jahrzehnte aufgebaut haben.

Dies mag ja die legitime Meinung der Trump-Nichte sein, aber es ist eben genau das – eine Meinung. Und überhaupt – seit wann gilt die Frage, inwieweit jemand dazu beiträgt, "westliche Allianzen zu zersplittern", als Kriterium der psychologischen Eignung für ein hohes Staatsamt? Handelt es sich stattdessen nicht sogar ganz ausschließlich um eine Frage der jeweils subjektiven politischen Bewertung?

Vermutlich dürfte es aber als Kriterium für die Auswahl von ZDF-Moderatoren herhalten. Dies würde zumindest erklären, weshalb Markus Lanz während des gesamten Interviews brav und verständnisvoll den Worten der neuesten Trump-Erklärerin lauschte. Auf die Frage, ob sie eventuell auch ganz persönliche Beweggründe haben könnte – vielleicht solche, die in Familienzwistigkeiten begründet sind –, kam Lanz leider nicht. Immerhin war dem Handelsblatt zu entnehmen, dass sich Mary Trump nach einem Erbstreit von "einigen Verwandten" entfremdet habe.

Doch warum hat die Psychologin ihre "Analysen" über den ungeliebten Onkel nicht bereits vor den Wahlen 2016 präsentiert? Auch darauf gibt es freilich eine Antwort. So hätten im Umfeld der Nichte nämlich zunächst "alle gedacht, [die Kandidatur] sei ein Witz". Und weiter:

Erst als er von den Republikanern nominiert wurde, habe ich angefangen, mir Sorgen zu machen. Ich habe es immer noch nicht ernst genommen, aber dass er auch eine einprozentige Chance hatte, es ins Oval Office zu schaffen, das war schon besorgniserregend. Und wir sehen ja jetzt, was passiert ist.

Für Lanz war dies offenbar ein überzeugendes Argument. Denn auch die Frage, warum die Analyse dann nicht wenigstens zu irgendeinem Zeitpunkt zwischen den Wahlen 2016 und heute – immerhin fast vier Jahre – "nachgeholt" wurde, fiel ihm nicht ein.

Als Mary Trump gefragt wurde, wie sie die Wiederwahlchancen ihres Onkels einschätze, erwiderte diese zunächst erwartungsgemäß, dies sei "eine erschreckende Aussicht". Doch dann ließ sie sich zu einer außerordentlich bemerkenswerten Aussage hinreißen:

Wenn es freie und faire Wahlen gebe, dann würde sich die Frage, ob Joe Biden nicht gewinnt, gar nicht stellen. Das Problem ist aber: Stand jetzt sieht es nicht danach aus.

Demnach sei also schon heute völlig sicher, dass Biden das Rennen mache. Es sei denn, Trump betreibe Wahlfälschung, wonach es – "Stand jetzt" – aussehe. Wow. Solche Äußerungen lassen nicht nur tief blicken in das Demokratieverständnis der Autorin. Sie wecken vor allem Erinnerungen an die Wahlen vor vier Jahren, als die Mainstream-Medien Hillary Clinton unisono schon im Weißen Haus sahen und die Abstimmung selbst eher als eine Art Formalität begriffen.

Tatsächlich aber hat die politisch-mediale Klasse hüben wie drüben ihre grandiose Niederlage von damals bis heute nicht verwunden und wirft seither mit allem, was sie in die Finger bekommt, auf den demokratisch gewählten Präsidenten Donald Trump wie auf keinen anderen zuvor. Nun eben auch mit dem Buch, das noch fehlte.

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