Meinung

Medien als Waffe und die Heuchelei des Westens beim Regimewechsel in Weißrussland

Lukaschenko hat schon immer seinen autoritären Regierungsstil zugegeben. Doch ungeachtet dessen ist die Berichterstattung über die Krise in Weißrussland schiefgelaufen. Die westliche Kritik an der Niederschlagung der Proteste mieft von Doppelmoral, meint Neil Clark
Medien als Waffe und die Heuchelei des Westens beim Regimewechsel in WeißrusslandQuelle: Sputnik © Aleksej Vitvitzkij / RIA Novosti

von Neil Clark

Man erkennt, dass in Minsk ein Regimewechsel im Gange ist, wenn man sich nur die Berichterstattung von Radio Free Europe/Radio Liberty  (RFE/RL) ansieht. Auf deren Webseite prangte am Wochenende die große Überschrift "Brutales Vorgehen nach Wahlen in Weißrussland", die inzwischen zu "Krise in Belarus" geändert wurde. Die fünf Leitartikel am Sonntag befassten sich alle mit Weißrussland, ebenso wie die Artikel am Dienstag.

Radio Free Europe/Radio Liberty wird vom US-Kongress finanziert, und zwar über die United States Agency for Global Media. Bis in die frühen 1970er-Jahre wurde der Sender verdeckt von der CIA finanziert.

Es war ein Soft-Power-Instrument des alten Kalten Krieges, dessen Einsatz manchmal katastrophale Folgen hatte. In ihrem Buch "Kalter Krieg" legen Jeremy Isaacs und Taylor Downing dar, wie beim ungarischen Aufstand im Jahr 1956 "Radio Free Europe, der von der CIA unterstützte Sender für Osteuropa, die Situation dramatisch aufbauschte und die Unterstützung des Westens für die sogenannten ungarischen 'Freiheitskämpfer' erklärte."

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Aber diese Unterstützung blieb einfach aus, und es war auch nicht besonders wahrscheinlich, dass sie jemals kommen würde. Und so wurde der Aufstand, zu dem Radio Free Europe die Ungarn ermutigt hatte, dann auch rücksichtslos niedergeschlagen.

Man hätte denken können, dass RFE und RL im Jahr 1989, als die Berliner Mauer fiel, aufgelöst worden wären – doch sie hatten noch immer Arbeit.

Dort behauptet man, über die Neuigkeiten in Ländern zu berichten, in denen eine freie Presse durch die Regierung unterdrückt oder nicht vollständig etabliert sei. Doch obwohl ein Teil ihrer journalistischen Arbeit vollkommen in Ordnung ist, besteht die Wahrheit darin, dass sie gewöhnlich aufhören zu berichten, sobald ein Zielland in euro-atlantische Sicherheitsstrukturen eingebunden ist. Wenn sie aber anfangen, in ein bestimmtes Land zu senden, ist das unweigerlich ein Zeichen dafür, dass der tiefe Staat der USA die dortige Regierung stürzen will. Zum Beispiel begann Radio Liberty im Jahr 1998, in den Irak auszustrahlen – und wir alle wissen, was dort fünf Jahre später geschah. Zweifellos ist RFE/RL ein staatsnahes Medium, doch Sie werden keine Warnmarkierung bezüglich seiner Tweets sehen wie etwa jetzt bei RT, wenn die Redaktion denselben Artikel twittert.

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Es ist keine große Überraschung, dass Franak Viačorka, der Journalist und Promoter der Anti-Lukaschenko-Proteste in sozialen Netzwerken, für RFE/RL gearbeitet hat. Wie Ben Norton in der vergangenen Woche bekannt gab, beschreibt Viačorkas Organisation DigiCom.Net detailliert seine enge Verbindung zu US-Gremien. Viačorka arbeitet für die US Agency for Global Media, die Muttergesellschaft von RFE/RL, und war als kreativer Leiter für den Weißrussland-Zweig von Radio Free Europe sowie als Berater für das vom US-Außenministerium finanzierte Freedom House tätig. Er ist ferner ein Senior Fellow des Atlantic Council mit Gaststatus, dessen Ernennung von Michael McFaul, dem ehemaligen US-Botschafter in Russland, lobend erwähnt wurde.

Das US-Propagandafernsehen Radio Free Europe/Radio Liberty (ein Ausschnitt der CIA, der ursprünglich Radio Liberation from Bolshevism genannt wurde) berichtet ständig über Weißrussland – natürlich als riesiges Megaphon für die neoliberale Opposition.

Dieser Führer der "Farbrevolution" in Weißrussland wird vollständig von der US-Regierung finanziert. Er ist:

- Analytiker beim Propagandanetzwerk der US-Regierung @USAGMgov

- "Vaclav Havel Fellow" bei der CIA-Niederlassung @RFERL

- Vizepräsident einer von der US-Regierung finanzierten, DC-basierten Organisation

- Alumnus der American University

Aktivisten gaben den Plan bekannt:

Heute Abend, 19:00 Uhr – Treffen in der Nähe des Minsker Heldenobelisk (wie gestern)

Morgen Mittag -- der Nationalstreik beginnt. Und nur zwei Forderungen der Demonstranten:

1) Alle politischen Gefangenen freizulassen

2) Neue und faire Wahlen durchzuführen

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Um Viačorka gegenüber fair zu sein: Er ist absolut offen hinsichtlich seiner US-Verbindungen und scheint in der Tat sehr stolz auf sie zu sein. Und diese Verbindungen bedeuten nicht, dass der 32-Jährige bei seinem Engagement für "Demokratie und persönliche Freiheit" nicht aus Überzeugung handelt.

Und das, obwohl er in einer NBC-Sendung Anfang des Jahres anscheinend Kritik an Lukaschenkos COVID-19-Politik übte (der weißrussische Staatschef versäumte es, eine drakonische Abriegelung in der Art durchzusetzen, wie wir sie in vielen westlichen Ländern gesehen haben).

Ebenfalls auf Lukaschenko abgesehen hat es The Economist, die Bibel der neoliberalen Globalisten. Diese Woche prangerte das Magazin die "Reaktion des Westens" auf die Geschehnisse in Weißrussland als "schwächlich" an.

Dort bezeichnete man Lukaschenko als "einen 65 Jahre alten Diktator". Die Sprache des Economist war in letzter Zeit ungewöhnlich emotional und zeigte, dass man dort unbedingt einen Regimewechsel in Minsk will. Doch im Januar 2019 bezeichnete das Blatt den weißrussischen Präsidenten noch deutlich respektvoller als "Mr. Lukaschenko"; er sei "kein gewöhnlicher Politiker". Damals dachte man dort wohl, er würde Wladimir Putin verärgern und "sich an den Westen herankuscheln".

Der Verdacht kommt auf, dass man bei The Economist nicht ganz so verärgert wäre, wenn Lukaschenko verkündet hätte, mit 80 Prozent der Stimmen gewonnen zu haben, dann aber angekündigt hätte, er werde umgehend einen Antrag auf Beitritt zur NATO und zur EU stellen und die gesamte Wirtschaft an das westliche Finanzkapital ausverkaufen sowie eine COVID-Sperre verhängen. 

Heuchelei legte auch die durch und durch großartige EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen an den Tag. "Wir brauchen zusätzliche Sanktionen gegen diejenigen, die die demokratischen Werte in Weißrussland verletzt oder die Menschenrechte missachtet haben. Ich bin zuversichtlich, dass die heutige Diskussion der EU-Außenminister unsere starke Unterstützung für die Rechte der Menschen in Weißrussland auf grundlegende Freiheiten und Demokratie demonstrieren wird", erklärte von der Leyen auf Twitter.

Wir warten natürlich noch immer gespannt auf die EU-Sanktionen – zusätzliche oder anderweitige – gegen Spanien wegen des scharfen Vorgehens der Behörden gegen katalanische Demonstranten im Jahr 2017 und die Inhaftierung von neun Separatistenführern.

Oder auch auf Sanktionen gegen Frankreich wegen der Brutalität gegen die Demonstrationen der Gelbwesten, die keine Erlaubnis von den Globalisten eingeholt hatten.

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Wie praktisch, dass nach all dem, was im Jahr 2020 geschehen ist, Weißrussland und der große böse Lukaschenko da sind, um westlichen Tugend signalisierenden und selbst ernannten "Liberalen" die Chance zu geben, erneut zu demonstrieren, wie viel ihnen an der vermeintlichen Demokratie gelegen ist, während sie die zunehmende Beschneidung der Grundfreiheiten der Menschen in ihren eigenen Ländern unterstützen.

Übersetzt aus dem Englischen

Neil Clark ist Journalist, Autor, Rundfunksprecher und Blogger. Sein preisgekrönter Blog ist unter www.neilclark66.blogspot.com zu finden. Er twittert über Politik und Weltgeschehen @NeilClark66.

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