Meinung

Israel und die Vereinigten Arabischen Emirate: Wessen diplomatischer Coup?

Israel baut seit Jahren die Beziehungen zu den Golfstaaten aus. Die Opposition zur erstarkten Regionalmacht Iran verbindet sie. Für die seit dem Jahr 1967 besetzten palästinensischen Gebiete ändert sich vorerst wenig. Zwischen De-facto- und De-jure-Annexion verschieben sich die Fristen.
Israel und die Vereinigten Arabischen Emirate: Wessen diplomatischer Coup?Quelle: AFP © Brendan Smialowski

von Dr. Karin Kneissl

Ein Sieg hat bekanntlich viele Väter. Ein zufriedener US-Präsident Donald Trump verkündete am Donnerstag ein Abkommen zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) zur Aufnahme voller diplomatischer Beziehungen. Eine Telefonkonferenz zwischen Trump, dem israelischen Premier Benjamin Netanjahu und dem Kronprinzen von Abu Dhabi, Scheich Muhammad bin Zayid Al Nahyan, bildete die Basis. Dieser "Deal" kommt Trump inmitten aller Turbulenzen sehr gelegen.

Doch wer leistete die Knochenarbeit hinter den Kulissen, um diese Überraschung zu ermöglichen? Wesentlichen Anteil daran hat meiner Einschätzung nach Yossi Cohen, seit Dezember 2015 Chef des israelischen Geheimdienstes Mossad. Als er diese Aufgabe übernahm, berichtete die Schweizer Neue Zürcher Zeitung, dass "Cohen in seinem neuen Amt nicht nur die Aufklärung, sondern auch die Geheimdiplomatie vorantreiben will. Erwartet werden überraschende Operationen, so auch Kooperationen mit den Geheimdienstchefs von Ländern wie Ägypten und Jordanien mit dem Ziel, Staaten, die keine Kontakte zu Israel pflegen, besser kennenzulernen". Cohen, der Arabisch spricht, viel Erfahrung in der Cyberkriegsführung hat, kümmert sich seither um eine Art Paralleldiplomatie. Netanjahu ist seit Jahren dafür bekannt, dass er dem israelischen Außenministerium wenig vertraut und lieber auf seine direkten diplomatischen Kanäle setzt. Eine Zeit lang nahm er als Regierungschef auch zeitgleich das Amt des Außenministers wahr.

Israel und die arabischen Partner im Persischen Golf

Israel streckt seit Jahren die Fühler in die Golfregion aus. Bereits seit dem Jahr 1996 bauen Katar und Israel offiziell ihre Handelsbeziehungen auf. Cohen reiste Anfang Februar 2020 in das Emirat, um sicher zu stellen, dass Doha die Finanzierungen im von der Hamas kontrollierten Gaza weiterführt. Katar beherbergt immer wieder den Hamas-Politiker Chalid Maschal, der Damaskus im Jahr 2012 verließ. Das Motiv für diesen Kurs gründet wohl auf der berechtigten Sorge, dass ein Ausbleiben der Hilfe für die Muslimbrüder den völligen Kollaps in Gaza provozieren könnte. Daran hat Israel kein Interesse, zumal die IS-Miliz dort wiederholt auftaucht.

Im Herbst 2018 war der israelische Premier Netanjahu selbst in den Oman gereist, um mit Vertretern dieser wichtigen Drehscheibe am Persischen Golf Gespräche zu führen. Der verstorbene Sultan von Oman, Qabus ibn Said, hatte im Herbst 2012 bereits die Gespräche zwischen den USA und Iran vermittelt, die zum Nuklearabkommen im Jahr 2015 führten. Israel und die arabischen Golfstaaten, allen voran die VAE aber auch Ägypten, zählen zu den heftigsten Kritikern. Unter Trump waren die USA im Mai 2018 aus dem Abkommen ausgestiegen und setzen seither die anderen Unterzeichnerstaaten, alle ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates und Deutschland sowie die EU in ihrer Gesamtheit, unter Druck.

Israel und die VAE kooperieren seit Jahren auf technischer Ebene. Beide Staaten verfügen über IT-Experten ersten Ranges. Israel dank seiner hervorragenden Universitäten und deren engen Verbindungen mit dem Militär. Abu Dhabi kauft diese Expertise weltweit zu sehr hohen Honoraren ein. Der Einsatz eines Deepfake-Videos im Mai 2017, in dem der Emir von Katar vermeintlich eine Rede hält, die er nie gehalten hat, provozierte die bis heute anhaltende Krise im Golf-Kooperationsrat. Katar wird boykottiert. Stimmen aus der Region, vor allem in Doha, meinen, dass die Spuren des Videos nach Abu Dhabi führen. Jüngst unterzeichneten die israelischen Rüstungsunternehmen Rafael Advanced Defense Systems und Israel Aerospace Industries mit dem in Abu Dhabi ansässigen Technologieunternehmen Group 42 einen Vertrag, um gemeinsam an einer Strategie gegen das Coronavirus zu arbeiten.

Was bedeutet dieser Durchbruch?

Das Abkommen, das laut Washington den Namen "Abraham Accord" tragen soll, um die Verbindung zwischen den drei monotheistischen Weltreligionen zu illustrieren, fiel nicht vom Himmel, sondern ist das Ergebnis jahrelanger Arbeit. Daran haben meines Erachtens die Talente Yossi Cohens einen wesentlichen Anteil. Jeder diplomatische Durchbruch ist grundsätzlich zu begrüßen. Doch was bedeutet dieses Abkommen für die betroffenen Menschen in der Region? Die Emirate verbuchen auf ihrer Seite den Erfolg, dass damit die weitere Annexion im Westjordanland verhindert sei. Auf israelischer Seite ist aber nur von einer Suspendierung der Annexionspläne, die Netanyahu mehrfach angekündigt hatte, die Rede.  Ein unklarer Schwebezustand zeichnet sich ab, was nicht unbedingt zu Stabilität führt.

Zur Erinnerung: Als der damalige ägyptische Präsident Anwar el-Sadat und der israelische Premier Menachem Begin im Jahr 1979 in Camp David ihren Friedensvertrag unterzeichneten, waren die Erwartungen sehr hoch. Es folgte ein sogenannter kalter Friede, der Ägypten große Probleme bereitete. Im Jahr 1980 annektierte Israel Ostjerusalem und im Jahr darauf die syrischen Golanhöhen. Beide Gebiete hatte die israelische Armee im Juni 1967 im Sechstagekrieg erobert. Einige der israelischen Siedler, die wichtige Wähler von Netanjahu sind, reagierten empört auf die vermeintliche Sistierung der Annexionspläne. De facto besteht kaum Aussicht auf ein zusammenhängendes Staatsgebiet, das von einem "lebensfähigen Staat Palästina", wie es sämtliche UN-Resolutionen seit dem Jahr 1967 wiederholen, als souveränes Territorium beansprucht werden kann. Daran hatte bereits US Präsident George W. Bush seine Zweifel, der ab 2006 Israel hierfür klar kritisierte. Die Palästinafrage ist spätestens im Jahr 2011 mit dem Ausbruch der Revolten im Arabischen Frühling und dem Krieg in Syrien ins völlige Abseits gerutscht. Das Abkommen mit den VAE wirft meines Erachtens auch Fragen auf, was dies für die Zehntausenden Palästinenser bedeuten mag, die in den VAE und anderen Golfstaaten arbeiten und deren Remittances, also Überweisungen an ihre Familien zu Hause, wesentliche Einkünfte bilden. Darüber hinaus müssen sich auch Riad und Teheran neu orientieren.

Ein mögliches Dilemma für Saudi-Arabien

Was immer dieser Durchbruch langfristig für die Region bedeuten mag, eines ist vorerst unausweichlich: Saudi-Arabien muss sich positionieren – wie auch Iran, wo man von einer strategischen Dummheit spricht. Die Beziehungen zwischen Abu Dhabi und Riad sind vor allem auf Ebene der Kronprinzen Muhammad bin Zayid und Mohammed bin Salam seit Jahren sehr eng. Gemeinsam verantworten sie den Krieg im Jemen und die schwere Katarkrise. Der Saudi folgt oft den Ratschlägen seines Mentors aus Abu Dhabi und zahlt dafür einen hohen Preis. Als Wächter (Scherifen) der Heiligen Stätten von Mekka und Medina befindet sich das saudische Königshaus zudem in einem Dilemma, denn seine eigentliche Opposition war und ist der wahhabitische Klerus. Die Rolle der Scherifen hatten bis Endes des Ersten Weltkriegs die Haschemiten inne, die von den Saudis und Briten vertrieben wurden. Seither regiert die älteste arabische Dynastie in Jordanien und muss ebenfalls viele problematische Dossiers jonglieren. Bereits die Annexion von Ostjerusalem war eine schwere Demütigung für den verstorbenen König Hussein. Was die jüngsten Nachrichten bedeuten, wird König Abdullah in Amman ebenso Kopfzerbrechen bereiten. Eine seiner Halbschwestern floh vor wenigen Monaten aus Abu Dhabi, wo sie mit dem dortigen Emir verheiratet gewesen war.

Das Abkommen ist auf jeden Fall ein diplomatischer Coup. Es hilft sowohl US-Präsident Trump im Wahlkampf, als auch dem israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu. Auch wenn sich Wähler, egal wo auf der Welt, selten für Außenpolitik erwärmen. "Trump ist das Beste, was Israel seit langem passieren konnte", ist ein Refrain, den man seit dem Jahr 2017 oft hört. 

Dr. Karin Kneissl, ehemalige österreichische Außenministerin, ist Energie-Analystin und Autorin mehrerer Bücher.

RT Deutsch bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

Mehr zum Thema - Trump kündigt "historisches Abkommen" zwischen Israel und Vereinigten Arabischen Emiraten an

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.