Meinung

Pro und Contra zur Wiedereröffnung der Hagia Sophia als Moschee

Die Türkei hat die Wiedereröffnung der Hagia Sophia als Moschee mit einem traditionellen Freitagsgebet zelebriert. RT sprach mit Befürwortern und Gegnern der Umwandlung. Halil Ertem, Vize-Vorsitzender der "Allianz Deutscher Demokraten", unterstützt das Vorhaben. HDP-Politiker Ziya Pir spricht sich dagegen aus.
Pro und Contra zur Wiedereröffnung der Hagia Sophia als MoscheeQuelle: AFP

Pro Umwandlung: Halil Ertem – Vize-Bundesvorsitzender der Partei "Allianz Deutscher Demokraten"

Kritik an der Entscheidung des Obersten Verwaltungsgerichts der Türkei kam vor allem aus dem Ausland. Wie reagiert die politische Elite in der Türkei?

Die Hagia Sophia ist seit 1453 eine Moschee, welche durch eine politische Entscheidung und unter dem Druck der christlichen Welt und gegen den Willen der mehrheitlich muslimischen Bevölkerung der Türkei im Jahre 1935 in ein Museum umgewandelt wurde.

Es gibt durchaus unterschiedliche Meinungen bezüglich der neuerlichen Nutzung als Moschee. So wie die Türkei ein Vielvölkerstaat mit unterschiedlichsten Weltanschauungen, Religionen, politischen Ausrichtungen ist, wird jede Entscheidung der Regierung aus der jeweiligen Perspektive unterschiedlich gesehen und bewertet. Zumal die Regierung auf Basis eines unabhängigen Gerichtsurteils lediglich eine Entscheidung des Obersten Verwaltungsgerichts umsetzt. Es gibt jene, die sich durch den Druck aus dem Ausland in ihrer Meinung beeinflussen lassen, und jene, die diesen Druck als eine Einmischung in innere Angelegenheiten auslegen und die Entscheidung umso mehr unterstützen.

Sie verbitten sich grundsätzlich ausländische Einmischung in Entscheidungen, die rein innere Angelegenheiten eines souveränen Staates sind. Das Gericht hat abgewogen und sicherlich mitberücksichtigt, dass die Türkei mehrheitlich eine muslimische Gesellschaft ist und Entscheidungen im Bezug auf die Nutzung von Gebäuden in ihren Städten im Sinne der Mehrheiten getroffen werden können, sofern eine Minderheit dadurch nicht eingeschränkt wird. Die Türkei hat eine der höchsten Kirchendichten pro praktizierendem Christen weltweit.

Gibt es in den politischen Kreisen keine Sorge vor einer drohenden Verschlechterung der Beziehungen, sowohl zu den westlichen Regierungen als auch zu Russland?

Die Türkei hat sich seit Längerem entschieden, wie die europäischen Staaten, die USA oder auch Russland, die eigenen Interessen ungeachtet der "verbündeten" Staaten mit gleichgewichteter Rücksichtnahme umzusetzen. Man kann es auch als "Türkiye First" bezeichnen. Die Türkei und Russland werden auch nach der Umwandlung gegenseitig sehr gute Beziehungen pflegen. Es handelt sich um zwei Staaten, die in den letzten Jahren wesentlich größere Herausforderungen gemeinsam gemeistert haben. Es bedeutet nicht, dass es keine Interessenkonflikte zwischen Russland und der Türkei geben kann und wird. Zum Beispiel in Syrien oder Libyen, wo sich beide Staaten mit
unterschiedlichen Interessen gegenüberstehen.

Beide Staaten lösen ihre unterschiedlichen Positionen durch intensiven Austausch auf allen Ebenen und auf gleicher Augenhöhe. Das ist auch deshalb so wichtig, weil in Russland viele Muslime beheimatet sind und es mittlerweile eine sehr große russische Community in der Türkei gibt, die sich zu einem sehr beliebten und geschätzten Teil der Gesellschaft entwickelt hat. Ganz im Gegensatz zum Beispiel zu Deutschen und Franzosen, die immer ein Fremdkörper geblieben sind. Russische und alle anderen Touristen in der Türkei dürfen zudem die Hagia-Sophia-Moschee nun kostenlos besuchen. Die Türkei vollzieht die Umwandlung vom Museum zur Moschee äußerst rücksichtsvoll, um die Religionsgemeinschaften eher näher zu bringen als zu spalten. Es ist eine
langfristige Lösung, die beide Religionsgemeinschaften zufriedenstellen wird.

Die Entscheidung könnte auch die Spannungen zwischen der Türkei und Griechenland verschärfen. Lohnt sich ein innenpolitischer Erfolg im Tausch gegen eine außenpolitische Isolation?

Die Jahrzehnte andauernden durchwachsenen Beziehungen der Türkei zu Griechenland, ungeachtet welche Parteien in beiden Staaten an der Regierung waren, dürfen nicht einseitig betrachtet werden. Griechenland hat Tausende Moscheen, ohne Rücksicht auf die Beziehungen zur Türkei, in ihrer Nutzung umgewandelt, und die gesamte westliche Welt hat dazu geschwiegen. Die Beziehungen zwischen der Türkei und Griechenland wären selbst dann weiter angespannt, wenn die Türkei die Hagia-Sophia-Moschee zu einer Kirche umwandeln und nach Athen versetzen würde.

Die Situation um die Umwandlung der Hagia Sophia hat auch unter den Muslimen in Deutschland zahlreiche Diskussionen ausgelöst. Haben Sie nicht die Befürchtung, dass es unter den Gläubigen diesbezüglich zu einer Spaltung kommen könnte?

Hier ist ein kleiner Fehler in Ihrer Fragestellung. Die Diskussion findet nicht unter Muslimen statt, die sich je nach ihrer Glaubensintensivität mit dem Thema beschäftigen. Es findet eine Diskussion zwischen Muslimen auf der einen und Nicht-Muslimen, Atheisten, Christen auf der anderen Seite statt. So, wie sie es in einer "Demokratie" bei jedem Moscheebauprojekt in Deutschland auch tun.

Die Diskussion um die Hagia-Sophia-Moschee in Deutschland ist rein politischer Natur. Es schadet jedoch nicht, wenn sich Menschen zu Themen innig äußern und ihren Standpunkt verteidigen, mit Argumenten zu überzeugen versuchen. Das ist keine Spaltung, keine Gesellschaft sollte in Zukunft "homogen" einer einheitlichen Meinung sein. Auch der Hass und die Hetze gegen Muslime, vor allem in den sozialen Medien, kann in Deutschland ohnehin nicht weiter gesteigert werden, sie ist schon am Gipfel angelangt und wird von Staat und Medien unisono befeuert.

RT Deutsch bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

Contra Umwandlung: Ziya Pir – Politiker der "Demokratischen Partei der Völker (HDP)

Kritik an der Entscheidung des Obersten Verwaltungsgerichts der Türkei kam vor allem aus dem Ausland. Wie reagiert die politische Elite in der Türkei?

Die Hagia Sophia wurde 1934 mit einem Dekret zu einem Museum umgewandelt. Dieses Dekret war unterzeichnet vom Gründer der Republik und der Partei CHP. Deshalb war zu erwarten, dass vor allem Kritik von der größten Oppositionspartei CHP kommen sollte, da zum einem die Unterschrift des Gründers der säkularen Republik und damit die Grundprinzipien des Laizismus angetastet werden.

Zum anderen fand das erste Gebet in der Hagia Sophia am 24. Juli statt, dem Tag, an dem der Lausanner Friedensvertrag unterzeichnet wurde. Mit diesem Vertrag wurden auch die Rechte der christlichen Minderheiten in der Republik Türkei festgeschrieben. Die Umwandlung der Hagia Sophia an diesem Datum ist auch eine symbolische Ablehnung der Rechte von Minderheiten. Die Umwandlung ist also nicht nur eine einfache "Nutzungsänderung" eines Gebäudes, sondern birgt sehr viel Symbolik für die Ablehnung der westlichen, säkularen Ausrichtung der modernen Republik.

Es hätten sich alle säkularen Eliten gegen diese Politik stellen müssen, aber außer der kleineren Oppositionspartei HDP sind fast alle stumm geblieben.

Gibt es in den politischen Kreisen Sorgen vor einer drohenden Verschlechterung der Beziehungen, sowohl zu den westlichen Regierungen als auch zu Russland?

In den letzten Jahren hat die Türkei unter der Führung von Erdoğan sehr oft internationale Abkommen und Konventionen gebrochen. Da wäre zum Beispiel die Invasion im Norden Syriens oder Waffenlieferungen an Libyen zu nennen. Der Westen hat dazu immer geschwiegen. Dies hat Erdoğan ermutigt, seine politischen Grenzen immer weiter auszudehnen. Nach innen hat er das Schweigen des Westens als seine eigene Stärke kommuniziert.

Nun ist er an einem Punkt angelangt, wo er keine Angst davor hat, dass sich die Beziehungen zum Westen oder Russland verschlechtern könnten, auch deshalb, weil ihm momentan die Konsolidierung seiner Wählerschaft wichtiger ist. Welche Auswirkungen auch eine eventuelle Verschlechterung der internationalen Beziehungen zur Folge haben sollten, er wird die Verschlechterung auf den Westen und auf deren "Handlanger" im Innern – so nennt er seine Gegner – schieben und so seine Wähler, die seit einiger Zeit nachweislich Alternativen suchen, wieder an sich binden.

Die Entscheidung könnte auch die Spannungen zwischen der Türkei und Griechenland verschärfen. Lohnt sich ein innenpolitischer Erfolg im Tausch gegen eine außenpolitische Isolation?

Erdoğan ist ein Machtmensch, dem es nicht darum geht, wie gut oder schlecht es dem Land und der Bevölkerung geht. Er wägt ab, wann er mehr Zustimmung in der Bevölkerung hat. Eine außenpolitische Isolation kann er ummünzen in eine Unterstützung durch die Bevölkerung.

Die Situation um die Umwandlung der Hagia Sophia hat auch unter den Muslimen in Deutschland zahlreiche Diskussionen ausgelöst. Haben Sie die Befürchtung, dass es unter den Gläubigen diesbezüglich zu einer Spaltung kommen könnte?

Ich glaube, die allermeisten Menschen wissen nicht, welche weitreichenden Folgen die Umwandlung der Hagia Sophia einläutet. Es findet seit Jahren eine langsame Islamisierung der Gesellschaft und der Strukturen im Staat statt. Viele erahnen es, aber sind sich dessen nicht voll bewusst. Den Moslems in Deutschland geht es genauso. Natürlich wird viel gesprochen werden, aber es wird in Deutschland zu keiner ernsthaften Auseinandersetzung über die Umwandlung kommen. Keiner möchte mit der Frage konfrontiert werden: "Bist du denn kein guter Moslem?"

RT Deutsch bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

Zur Person: Ziya Pir ist ein HDP-Politiker und war bis 2019 Abgeordneter für die HDP (Demokratische Partei der Völker) im türkischen Parlament. Er kam 1979 mit 9 Jahren nach Deutschland. Er machte dort Abitur, absolvierte eine Berufsausbildung und studierte in Bochum. 2015 kandidierte er für die HDP und wurde am 7. Juni 2015 und bei den Neuwahlen am 1. November 2015 für die Provinz Diyarbakır ins türkische Parlament gewählt. Ziya Pir ist ein Neffe von Kemal Pir, einem der Mitbegründer der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK).

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