Lieber das Virus als Putin? COVID-19 als Waffe im Informationskrieg gegen Russland

Russland meistert die COVID-19-Epidemie bislang relativ erfolgreich – im Gegensatz zu Großbritannien und den USA. Dennoch mühen sich britische und US-amerikanische Medien, die Lage in dem Land als möglichst schwierig zu schildern und dem Kreml Versagen zu unterstellen.
Lieber das Virus als Putin? COVID-19 als Waffe im Informationskrieg gegen RusslandQuelle: Sputnik © / Vladimir Pesnya

von Bryan MacDonald

Wir müssen über die Berichterstattung der westlichen Medien über den Kampf Russlands gegen COVID-19 sprechen. Es ist deprimierend, aber offenbar bringen viele von ihnen das Virus gegen "die Russen" in Stellung.

Man könnte meinen, dass sie während dieser Art von Notfall die Gnade hätten, ihre "Informationskriege" für eine Weile zu stoppen. Aber leider ist das nicht geschehen. Stattdessen ist die Berichterstattung noch giftiger geworden.

Folgendes erhielten Sie, wenn Sie am frühen Dienstagmorgen "Russische Antwort auf COVID-19" in die Suchmaske von Google eingegeben haben:

- Putin distanziert sich von Russlands Virusausbruch. Aber es könnte ihm politisch noch schaden (CNBC)
- Coronavirus nimmt eine ernste Wendung in Russland, und Putin strahlt kein Vertrauen mehr aus (CNN)
- 'Alle Krankenhäuser sind voll': Russlands Gesundheitssystem gerät ins Wanken, da COVID-19-Fälle zunehmen (RFE/RL)
- Ambulanzstaus, ungeschützte Ärzte und gemischte Botschaften Putins: Russlands chaotische Reaktion auf die Coronavirus-Pandemie (Business Insider)

Es ließe sich noch mehr aufzählen, jedoch haben Sie die Aussage wahrscheinlich inzwischen erfasst. Was Sie hier haben, ist eine Sammlung von Quatsch, Unsinn und Humbug. Es geht nicht darum, den Wald vor lauter Bäumen nicht zu sehen, sondern um das Abholzen des Waldes, damit ein angenommener Gegner das Holz nicht nutzen kann.

Um es ganz klar zu sagen: Russlands Reaktion auf das Coronavirus war nicht perfekt. Bislang war das Land jedoch deutlich weniger betroffen als Großbritannien oder die USA. Und dies scheint die Medien dieser Länder zutiefst verärgert zu haben. Es folgen die COVID-19-Statistiken, Stand Dienstagmorgen (nach den Daten der Johns Hopkins University, des Worldometers und britischer Berichte).

- Gesamttests: USA: 4,0 Millionen, Russland: 2,1 Millionen, Großbritannien: 0,33 Millionen.
- Gesamtzahl der positiv getesteten Fälle: USA: 788.000, Großbritannien: 125.000, Russland: 52.000.
- Gestorben: USA: 42.518, Großbritannien: 16.509, Russland: 456.

Es ist außerdem erwähnenswert, dass es keine Hinweise für eine Coronavirus-Vertuschung in Russland gibt. Selbstverständlich hätte die angloamerikanische Presse diese inzwischen ausfindig gemacht und längst in der Welt verbreitet.

Darüber hinaus ähneln die Zahlen der Verstorbenen in Russland weitgehend denen ihrer großen osteuropäischen Nachbarn (Polen 385, Ukraine 161). Was sich aber deutlich unterscheidet, ist die Anzahl der Tests. Während Russland mehr als zwei Millionen durchgeführt hat, waren es in Polen knapp 215.000 und in der Ukraine nur 61.997. Wenn es also wirklich eine Geschichte der Verschleierung oder Falschmeldung östlich der Elbe gibt, kommt sie wohl eher aus Kiew oder Warschau als aus Moskau.

Da die Ukraine jedoch ein US-Klientelstaat ist, berichten westliche Medien im Allgemeinen nicht kritisch über deren Angelegenheiten: Ukrainische Eliten "können Hurensöhne sein, aber sie sind unsere Hurensöhne". Man kennt das. Ähnlich wurde Russland in den 1990er-Jahren weitgehend positiv dargestellt, als der Kreml unter Boris Jelzin Bittsteller in Washington war. Gleichzeitig wurden das Elend, die Qual und die Not von Millionen Menschen weitgehend heruntergespielt und beschönigt. Es sei denn, dies konnte für dramatische, komödiantische oder warnende Zwecke ausgenutzt werden.

Nachdem sich das moderne Russland weigert, Uncle Sam um Gnade zu bitten, bekommt es den Ärger der US-amerikanischen und britischen Medien voll zu spüren. 

Schauen Sie sich die BBC an. Der britische Staatssender beklagte sich am Wochenende darüber, dass die Russen nicht öffentlich Mitarbeiter des Gesundheitswesens beklatschen. Ein leerer, oberflächlicher Trend, der plötzlich von einem England aufgegriffen wurde, das vor Kurzem mit großer Mehrheit eine Partei wiederwählte, die dem Gesundheitssystem seit fast einem Jahrzehnt die Finanzierung gekürzt hatte. Im Radio sagte der Moskau-Korrespondent den Briten, dass es in Russland keine "Kultur der öffentlichen Helden" gebe, während er implizierte, dass nur Wladimir Putin diesen heiligen Raum betreten dürfe. Er lieferte seinen Bericht in einer solch lethargischen, eintönigen und plattitüdenhaften Sprache, dass man annehmen musste, der Sprecher würde unmittelbar einschlummern.

Der Grund, warum Russen nicht auf der Straße sind und dort ihr Krankenhauspersonal hochleben lassen, ist, dass ihnen eine solch leichtfertige, hohle und oberflächliche Heuchelei nicht gegeben ist. Sie sind kein Volk, das zwischen der steifen Oberlippe und "Prinzessin-Diana"-Momenten hin- und hertaumelt. Um es offen zu sagen: Russen sind keine oberflächlichen Gestalten.

Am selben Wochenende erschien derselbe Reporter im BBC-Fernsehen und beschrieb ein "Gesundheitssystem unter Druck". Damit meinte er nicht seine Heimat, wo Gewerkschaften sagen, dass Sanitäter wegen eines Mangels an persönlicher Schutzausrüstung ihre Arbeit möglicherweise einstellen müssten. Stattdessen erzählte er den Briten, wie schrecklich die Dinge angeblich in Russland sind, das SECHSMAL mehr Tests auf die tödliche Krankheit durchgeführt hat, aber weniger als drei Prozent der COVID-19 Todesfälle Großbritanniens verzeichnet.

Steve Rosenberg hätte das seinem Publikum sagen können. Aber er entschied sich dagegen – oder erwähnte diese unbequeme Wahrheit absichtlich nicht. Stellen Sie sich doch die Verwirrung und Verwunderung vor, die BBC-Hörer und -Zuschauer überwältigen könnten, wenn sie plötzlich entdeckten, dass Russland nicht wirklich Mordor ist – ein Gebiet der Gefahr und Dunkelheit, das die Menschen fürchten zu besuchen oder zu erkunden?

Die BBC hat kein Interesse daran, Russland fair zu darzustellen. Auf der Agenda steht eher das "Managen von Erzählungen" und das Verfestigen der Vorstellung bei den Menschen zu Hause, dass das andere große europäische Land außerhalb der EU nie etwas Gutes im Schilde führt.

Es ist nicht nur die BBC. Auch ihre US-amerikanischen Brüder in der New York Times huldigen Edward Bernays, dem Urvater der Propaganda. Hier der Moskau-Korrespondent der Times am Samstag. "Tolle und interessante Geschichte von Katrin Bennhold, auch eine eindrucksvolle Bildunterschrift, aus Moskau gesehen", schrieb Anton Troianovski. "Die Testteams, die oft aus Medizinstudenten bestehen, werden von der Polizei begleitet, um die Öffentlichkeit zu beruhigen."

Vergleichen wir also noch ein paar Statistiken. Stand Dienstagmorgen:

Gesamttests: Russland: 2,1 Millionen, Deutschland: 1,7 Millionen. (Hinweis der Redaktion: Angaben für Deutschland beziehen sich auf die jüngsten Zahlen des RKI zu Corona-Tests vom 15. April, inzwischen dürften sie bei zwei Millionen liegen).
Gesamtzahl der positiv getesteten Fälle: Deutschland: 141.000, Russland: 52.000.
Gesamtzahl der Todesfälle: Deutschland: 4.404. Russland: 456.

Hat Anton Troianovski über den bemerkenswerten Erfolg Russlands im Vergleich zu Deutschland berichtet? Nein, das hat er nicht. Stattdessen stand seine jüngste Botschaft unter der Überschrift "Im Griff der Pandemie sieht Russland seinen uralten Fluch wiederaufleben: Das Trinken". Unter dem Titel geht es wie folgt weiter: "Der weit verbreitete Aberglaube, dass Alkohol Trinker vor dem Coronavirus schützt, trägt dazu bei, den Verkauf von Spirituosen und die häusliche Gewalt zu steigern."

Wie der in Moskau arbeitende Jonny Tickle betonte, ist Troianovskis Geschichte absoluter Unsinn. Tatsächlich "sanken die Wodkaverkäufe in der ersten Aprilwoche (30. März bis 5. April) um 41 Prozent im Vergleich zum Vormonat. Unterdessen ging der Bierabsatz um 26 Prozent zurück", schrieb er. Tatsächlich trinken die Russen heutzutage auch weniger Alkohol als die Deutschen oder die Franzosen – eine weitere bemerkenswerte Tatsache, die von der New York Times ignoriert wird.

Das Blatt lief am Montag wieder auf Hochtouren und twitterte darüber, wie "Komi, eine abgelegene Region in Russland, die fast so groß ist wie Kalifornien, aber nur eine Handvoll meist heruntergekommener Krankenhäuser hat, mit einer schweren Gesundheitskrise konfrontiert ist". Komi ist vielleicht so groß wie Kalifornien, aber seine Bevölkerung ist ähnlich wie die von Delaware (etwa 900.000). Es ist, als würde man Grönland mit den gleichen Begriffen wie Mexiko beschreiben, wegen seiner Größe, wenn seine Mitarbeiterzahl mehr im Bereich von Andorra liegt. Außerdem, nun raten Sie, was die New York Times gewählt hat, um ihre Agitprop-Geschichte zu illustrieren? Ein Bild von einem gefrorenen Friedhof. Oksana Boyko von RT bemerkte:

Sollen wir denken, dass sich in all diesen Gräbern COVID-19-Opfer befinden? Wie manipulativ ist das?

Kehren wir nun zurück zu den ersten vier Schlagzeilen, die die Google-Suche ergeben hat. Drei von ihnen, vorhersehbar, kreisten um Putin, denn sein Name sorgt sicher für gute Klickzahlen. Alle bauen auf die Vorstellung auf, dass Russlands COVID-19-Antwort dem Präsidenten auf irgendeine Weise schadet. Nun mag es aus wirtschaftlicher Sicht darin eine gewisse Wahrheit geben. Wenn der Lebensstandard in Russland ernsthaft sinkt, wird die Regierung wahrscheinlich unpopulär werden.

US- und britische Medien sind jedoch nicht damit zufrieden, diesen legitimen Blickwinkel aufzugreifen. Stattdessen befördern sie ein bizarres Narrativ, das auf der Vorstellung basiert, dass Putin verschwunden ist oder seine Pflichten vernachlässigt. Shaun Walker vom Guardian twitterte am 7. April:

Keine Panik, aber der Kreml scheint Videos von alten Putin-Treffen herauszugeben und sie als aktuell darzustellen.

Am selben Tag hielt Putin eine Live-Konferenz ab. Am Vortag hatte er mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und dem armenischen Ministerpräsidenten Nikol Paschinjan telefoniert. Walker hätte dies mit einem Blick auf die Webseite des Kreml herausfinden können.

Einige Tage später verbreitete Politico unter der Überschrift "Wenn die Zahl der Corona-Opfer steigt, hält Putin sich zurück" bizarre Propaganda. Dieses Stück erschien am 16. April.

In der Woche, in der der Politico-Artikel erschien, hielt Putin am Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag und Freitag Online-Treffen ab. Nach den russischen Abstandsbestimmungen arbeitet der Präsident von zu Hause aus, von wo aus er unter anderem auch mit Emmanuel Macron und Xi Jinping telefonierte, den Präsidenten Frankreichs und Chinas. Am Sonntag tauchte er sogar mit einem Kamingespräch anlässlich des orthodoxen Osterfestes auf.

Mit anderen Worten, es ist schwer, Putin im Moment zu vermeiden. Dennoch entschied sich Politico, Desinformation zu betreiben.

Es gibt genug, worüber sich britische und US-Medien Sorgen machen könnten. Zum Beispiel ist da in den USA der Kampf zwischen Gouverneuren oder Bürgermeistern mit Präsident Trumps Weißem Haus über den Umgang mit dem Coronavirus. Oder das unmoralische Festhalten an Sanktionen gegen arme Länder wie den Iran oder Venezuela während einer globalen Pandemie.

Stattdessen richten sie ihr Feuer auf Russland – ein Land, das, ob durch Zufall oder mit Absicht, den gegenwärtigen Sturm besser übersteht als jedes andere große Land in Europa. Man würde fast auf den Gedanken kommen, dass die "freie und faire" Presse eine Agenda verfolgt.

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