Meinung

Coronavirus aus "China-Labor" – US-Regierung macht mit Verschwörungstheorie gegen Peking mobil

Trump und seine Regierung vertreten öffentlich Theorien, die das neuartige Coronavirus mit chinesischen Forschungslabors in Verbindung bringen – und machen China so zum Opfer einer neuen Hexenjagd der internationalen Politik.
Coronavirus aus "China-Labor" – US-Regierung macht mit Verschwörungstheorie gegen Peking mobilQuelle: Sputnik

von Scott Ritter

In den Vereinigten Staaten beginnt man, sich mit der Tragweite und dem Ausmaß der Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie auf die nationale Wirtschaft auseinanderzusetzen – sowie mit dem hohen Opferzahlen, die die Krankheit in der US-Bevölkerung bisher forderte. (787.960 dokumentierte Infektionsfälle, davon 42.364 Todesfälle - Stand 21. April, 11 Uhr MEZ).

Angesichts dessen war es nur eine Frage der Zeit, bis US-Politiker nach einem Schuldigen suchen würden. In letzter Zeit ist Präsident Trump zunehmend unter die Lupe genommen worden – ihm wird eine, wie man es gern darstellt, "verzögerte Reaktion" auf die Bedrohung durch das neuartige Coronavirus zur Last gelegt. Viele Kritiker wiesen darauf hin, dass seine Regierung den ganzen Februar hindurch sich zu diesem Thema praktisch ausschwieg und damit kostbare Zeit verlor, die man zur Eindämmung der Epidemie hätte aufwenden können. 

Wohlgezielte Nicht-Dementierung

Anstatt derartigen Anschuldigungen entgegenzutreten, haben der US-Präsident und sein Kabinett für nationale Sicherheit stattdessen versucht, diese Schuld auf China abzuwälzen. Dabei haben sie einer haltlosen Verschwörungstheorie Leben eingehaucht, der zufolge das neuartige Coronavirus aus einem biologischen Forschungslabor in der Stadt Wuhan, dem ehemaligen Epizentrum der durch diese Krankheit verursachten globalen Pandemie, stammen soll. Als man ihn zu Berichten über einen angeblichen Austritt des Virus aus dem Labor in Wuhan fragte, war Präsident Trump etwas zurückhaltender.

Mehr und mehr bekommen wir die Geschichten zu hören – wir werden sehen. Wir führen eine sehr gründliche Untersuchung dieser schrecklichen Situation durch, darüber, was sich ereignet hat.

Journalisten befragten Trump auch zu seinen Gesprächen mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping über die mögliche Rolle des Wuhan-Labors bei der Verbreitung von COVID-19. "Ich möchte nicht darüber reden, was ich mit ihm bezüglich des Laboratoriums besprochen habe", antwortete Trump. "Ich will einfach nicht diskutieren, es ist im Moment unangebracht."

Der US-Präsident ist in Besitz der einflussreichsten Ein-Mann-Mobbingtribüne der Welt – wenn er spricht, hört die Welt zu. Den Worten Trumps als Anführer des militärisch und wirtschaftlich mächtigsten Land der Welt wohnt eine inhärente Glaubwürdigkeit inne, die ein nicht zu ignorierendes Imprimatur verleiht.

In rascher Folge begannen Mitglieder des Präsidentenkabinetts, Trumps "Besorgnis" über das Laboratorium in Wuhan zu wiederholen und erweckten die Geschichte damit zum Leben. General Mark Milley, der Vorsitzende des Joint Chiefs of Staff (Versammlung der Teilstreitkraft-Intendanten), gab dies in Anwesenheit von Journalisten von sich: "Was die Sache mit dem Labor betrifft... es sollte nicht überraschen, dass wir uns sehr dafür interessieren, und wir ließen eine Menge Geheimdienstler sich das ganz genau ansehen.“

Die Bedenken von General Milley wurden von Außenminister Mike Pompeo unterstützt.

[Wir] wissen, dass sie dieses Labor haben", sagte Pompeo der Presse. "Wir wissen, dass das Virus selbst seinen Ursprung in Wuhan hatte. Alle diese Sachen kommen also zusammen. Es gibt noch vieles, was wir nicht wissen, und darüber hat der Präsident heute gesprochen. Wir müssen die Antworten auf diese Dinge erfahren. Allein die Tatsache, dass wir die Antworten nicht kennen – dass China diese Antworten nicht geteilt hat – ist meiner Meinung nach sehr, sehr aufschlussreich.

Die Erklärungen von General Milley und Minister Pompeo sollten jedem ein Schauer über den Rücken jagen, der mit der Geschichte von Ereignisse vertraut ist, die stattfinden, wenn mithilfe der US-Geheimdienste grundlose Theorien über Massenvernichtungswaffen (in Trumps indirekten Anspielungen auf den angeblichen Missbrauch des neuartigen Coronavirus als biologische Waffe durch China, wird das Virus in diese Kategorie eingeordnet) für politische Zwecke propagiert werden.

Pompeos Worte wiederum knüpfen an die Äußerungen des damaligen Außenministers Colin Powell vom Dezember 2002 über den Irak an. Wie schon Colin Powells fehlerhafte Argumentation gegen den Irak beruht auch die von Präsident Trump postulierte Verschwörungstheorie, die später von General Milley, Außenminister Pompeo und anderen aufgegriffen wurde, auf einer Chimäre: Es existiert schlicht keine faktische Verbindung zwischen den genannten Labors in Wuhan und dem neuartigen Coronavirus. 

Gerade einmal genug Wahrheit zum Spekulieren

Wohl hat die von Trump und seinem Kabinett verkündete Verschwörungstheorie faktische Grundlagen – und zwar gerade genug, um sie in den Augen derer, die die Realität nicht kennen, legitim erscheinen zu lassen. Tatsächlich gibt es in Wuhan zwei Laboratorien. Das eine, das Wuhan Center for Disease Control and Prevention (Epidemiologiezentrum), steht in keiner Verbindung mit irgendwelchen Forschungen zu Corona-Viren als solchen. Es war jedoch führend an der Untersuchung des ersten Ausbruchs des neuartigen Coronavirus beteiligt. Das andere, das State Key Laboratory of Virology (manchmal auch als Wuhan Institute of Virology bezeichnet), ist ein Labor der Biosicherheitsstufe 4 (BSL-4), das für den Umgang mit den tödlichsten Krankheitserregern der Welt zertifiziert ist, und befindet sich etwa 13 Kilometer vom Stadtzentrum Wuhans. 

Das Wuhaner Virologieinstitut war in der Tat an der Untersuchung der Verbindung zwischen Fledermäusen und Corona-Viren in China beteiligt und veröffentlichte im März 2019 ein von Experten begutachtetes Papier, in dem es davor warnte, dass aus dieser Verbindung heraus in Zukunft eine Pandemie entstehen könnte. "Es ist sehr wahrscheinlich, dass künftige... Coronavirus-Ausbrüche von Fledermäusen ausgehen werden, und die Wahrscheinlichkeit, dass dies in China geschieht, steigt", stellten Autoren der Studie fest.

Daher wird die Untersuchung von Fledermaus-Corona-Viren zu einem dringenden Thema für die Erkennung von Frühwarnsignalen, was wiederum die Auswirkungen solcher zukünftiger Ausbrüche in China minimiert.

So weit, so gut. Doch im Januar 2018, nach einem Besuch von Mitarbeitern der US-Botschaft beim Wuhan Institute of Virology, äußerten die US-Amerikaner Bedenken hinsichtlich eines angeblichen Mangels an entsprechend ausgebildeten Fachkräften dort. Diese würden für den Betrieb des Labors auf dem Niveau einer BSL-4-Einrichtung nicht reichen, die in der Lage sein soll, mit den gefährlichsten biologischen Bedrohungen umzugehen. Die US-Botschaft trug diese Bedenken an das US-Außenministerium heran – als Antrag im Namen des Wuhan Institute of Virology auf Finanzhilfen zur Einstellung zusätzlicher Spezialisten im Rahmen eines bestehenden, von einer US-Forschungseinrichtung überwachten Forschungsstipendiums. Der Antrag wurde abgelehnt.

Scheiterhaufen aufschütten

Diese Depeschen an das Außenministerium wurden zum Herzstück einer US-PR-Kampagne gegen China. Die Tatsache, dass China (unter Beteiligung der US-Botschaft im Lande – Anm. d. Redaktion) von den USA zusätzliche fachliche Unterstützung für den Betrieb eines BSL-4-Labors anforderte, das öffentlich anerkannte Forschungen über die Verbindung zwischen Fledermaus-Corona-Viren und Menschen durchführte, wurde irgendwie zu einer Verschwörungstheorie aufgebauscht, der eine angebliche chinesische Missetat und Geheimnistuerei zugrunde liegen.

In vielerlei Hinsicht ähnelt die US-amerikanische "Untersuchung" des "Falls" der Laboratorien in Wuhan der berühmten Hexeninquisition in Monty Pythons "Die Ritter der Kokosnuss" – die Argumentation dort aber entsprang dem Erkenntnisfundus eines Mannes mit "Viertelabitur": Eine Hexe brennt, also ist sie aus Holz, und Holz schwimmt, wie auch eine Ente. Fazit: Eine Ente ist aus Holz.

Diese Art von "Nachforschungen", bei denen selbst ein griechischer Philosoph schnell mit seinem Latein am Ende wäre, würden jedoch normalerweise deutlich außerhalb des Aufgabenbereiches professioneller Geheimdienste liegen. Die Vereinigten Staaten haben jedoch eine wohl dokumentierte Geschichte der Nutzung nachrichtendienstlicher Erkenntnisse für die politischen Zwecke der jeweiligen Machthaber. Was heute in Bezug auf das Wuhan-Institut für Virologie geschieht, ist ebenfalls kaum mehr als eine altmodische Hexenjagd.

Es gibt kaum einen Unterschied zwischen dem Sketch von Monty Python und der "Ermittlung" der US-Geheimdienste zu China – beide versuchen zu beweisen, dass eine Ente aus Holz ist. Beide sind kaum mehr als eine Farce – doch wo die der Monty Python-Truppe darauf abzielt, Heiterkeit zu erzeugen, könnte Trumps Hexenjagd verheerende Folgen für die künftigen Beziehungen zwischen den USA und China haben. In einer Zeit, in der die Weltgemeinschaft zusammenrücken sollte, um die schrecklichen Auswirkungen der Corona-Pandemie zu bewältigen, sind Trumps politische Eskapaden das Letzte, was die Welt braucht.

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Übersetzt aus dem Englischen. Scott Ritter ist ein ehemaliger Offizier für Aufklärung bei der US-Marineinfanterie. Er diente in der Sowjetunion als Inspekteur für die Umsetzung des INF-Vertrags, im Stab von General Schwarzkopf während des Golfkriegs und in den Jahren von 1991 bis 1998 als UN-Waffeninspekteur. Er kann auf Twitter abonniert werden unter @RealScottRitter

Mehr zum Thema – Virologe Yuan Zhiming: Forschungsinstitut in Wuhan ist nicht Ursprung des Virus 

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