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Weltfremde "Iran-Experten" sind erst der Beginn der außenpolitischen Probleme Washingtons

Ein brisanter Essay, der auf einen echten Mangel an Fachwissen zum Thema Iran hinweist, sollte ein Weckruf für die US-Außenpolitik sein. Doch das gleiche Problem betrifft auch Washingtons Analysen zu Russland, China und vielen anderen Staaten.
Weltfremde "Iran-Experten" sind erst der Beginn der außenpolitischen Probleme WashingtonsQuelle: Reuters

von Nebojša Malić

Stellen Sie sich ein Fachgebiet der Länderkunde vor, in dem weniger als ein Drittel der "Experten" über entsprechende Doktortitel verfügt, die Hälfte von ihnen nicht die erforderlichen Sprachen lesen, sprechen oder schreiben kann und ebenso viele noch nie einen Fuß in das Land ihres Forschungsinteresses gesetzt haben.

"Absurd" wäre eine noch sehr milde Reaktion auf eine solche Vorstellung – doch wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, dass es exakt so um das Fachwissen in den politischen Kreisen der USA zum Thema Iran bestellt ist. Dieses Urteil fällt die politische Anthropologin Dr. Negar Razavi in ihrem Essay, der kürzlich in der Zeitschrift Jadaliyya veröffentlicht wurde.

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Razavi beschreibt die Thinktank-Kultur in Washington als "ein breiter zu begreifendes System der Wissensproduktion in Washington – ein System, das uns ununterbrochen mit ungedeckten, ideologisch getriebenen Einschätzungen zur Sachlage in der Islamischen Republik zu Lasten qualifizierter, eingehender und auf Beweisen gegründeten Analyse bescherte".

Zu diesem Schluss kommt die Forscherin nach "ethnographischer Feldarbeit" in der US-Hauptstadt zwischen den Jahren 2014 und 2016. Dazu gehörten Besuche bei Hunderten von Veranstaltungen, Lektüre von Schriften und Rezeption der Präsentationen von Thinktank-Experten sowie Interviews mit über 180 Personen. Mit anderen Worten: Dies ist in der Tat eine ernsthafte akademische Studie.

Diese Kultur der "Expertenimmunität" in Bezug auf den Iran, gemischt mit historischem und zeitgenössischem Groll der USA gegen Teheran, schmolz zu einer aktuellen Konfrontationspolitik zusammen, die Behauptungen als unbestrittene Fakten behandelt – und nuancierte Einschätzungen als Arbeit von "Regime-Apologeten" abschmettert, so Razavi. Das betrifft in den USA sowohl die politiknahen Kreise als auch die Medien, finden die Journalisten Tony Karon und Bryan MacDonald:

Ein Anlass zur Erinnerung daran, dass CNN vor ein paar Jahren einen Russland-Analytiker unter Vertrag hatte, der nach allem, was man so hört, noch nie in Russland war und kein Russisch sprechen kann. Können Sie sich vorstellen, dass jemand behauptet, ein Experte für Frankreich zu sein? Ein Experte für französische Geschichte, Kultur, Politik etc.? Und stellen Sie sich dann vor, dass diese Person nicht einmal Französisch spricht oder noch nie in Frankreich war. Solche Menschen aber werden in Washington D.C. als Iran-Experten akzeptiert.

Wenn einem der Inhalt der obigen Tweets bekannt vorkommt, dann deshalb, weil das Problem nicht allein auf den Iran beschränkt ist. Obwohl sich Razavi ausschließlich auf den Stand des vermeintlichen Fachwissens zum Iran konzentrierte, gilt ihre Einschätzung gleichermaßen für die selbsternannten US-Experten für Venezuela, Russland, China oder den Balkan.

Die Beispiele sind Legion. Razavi selbst erwähnt (wenn auch nicht namentlich) "Heshmat Alavi", einen vermeintlichen Iran-Experten, der sich kürzlich als Avatar herausgestellt hat – eine Online-Persönlichkeit der iranischen Exilgruppe Mojahedin-e Khalq (MEK). Dies ist eine Organisation, die einen Regimewechsel in Teheran anstrebt und vom ehemaligen Nationalen Sicherheitsberater John Bolton und Rudy Giuliani, dem persönlichen Anwalt des US-Präsidenten Donald Trump, unterstützt wurde.

Gordon Chang, der in einem im Jahr 2001 erschienenen Buch den "kommenden Zusammenbruch Chinas" vorausgesagt hat, wurde von CNN und Fox News gleichermaßen als Peking-Experte angesehen – obwohl sich seine Vorhersage offensichtlich nie tatsächlich verwirklichte. Auch der schwedische Wirtschaftsexperte Anders Åslund läutet seit dem Jahr 2000 den Niedergang Russlands ein – und lässt sich sein "Fachwissen" vom Atlantikrat und den Regierungen der Ukraine, Kirgisistans und der baltischen Staaten großzügig bezahlen.

Dann gab es die endlose Parade von "Russland-Experten" in den Nachrichtensendungen, die in den letzten drei Jahren ihren Teil dazu beitrugen, die Zeitungsente von US-Präsident Donald Trumps angeblicher "Absprache mit Russland" zu mästen und zu verbreiten – die dann letztendlich im Mueller-Report endgültig gebraten wurde. Gab es eine Entschuldigung? Natürlich nicht. Wie Razavi betont: Als "Experte" in Washington genießt man immer den Vorteil, keine Fehler oder Fehlverhalten eingestehen zu müssen.

Razavis Essay zeigt, wie aktuelle Experten und Wissenschaftler – die vor Ereignissen wie der Invasion im Irak im Jahr 2003 oder dem "Russiagate"-Skandal warnten – wiederholt ins Abseits gedrängt oder Opfer von Schmierkampagnen wurden, während die Denkfabriken über Kabelkanäle und soziale Medien nachweislich falsches "Fachwissen" verbreiteten. Ihre Darstellungen fanden dann den Weg in die offiziellen Dokumente des Außenministeriums und des Pentagons – und verwandelten sich auf dem Weg dorthin in sogenannte Fakten, von denen "jeder weiß" und die niemand infrage stellen darf.

Das Ergebnis dieser unheiligen Allianz zwischen Rüstungs- und Denkfabriken ist eine jahrzehntelange, missgestaltete US-Außenpolitik mit unbestreitbar verheerenden Folgen – von verschwendeten Budget-Billionen bis hin zu Millionen von Todesopfern auf der ganzen Welt.

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Nebojša Malić ist ein serbisch-US-amerikanischer Journalist und politischer Kommentator.

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