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Interview mit russischem Botschafter: "Unser Journalisten-Verband diskreditiert niemanden"

Die deutsch-russischen Beziehungen sind durch Widersprüche geprägt. Einerseits wird die Zusammenarbeit wieder besser. Andererseits werden russisch finanzierte Medien in Deutschland ausgegrenzt. RT fragte den russischen Botschafter, wie er das Problem sieht.
Interview mit russischem Botschafter: "Unser Journalisten-Verband diskreditiert niemanden"Quelle: RT

Am 10. Februar feiern die russischen Diplomaten den Tag des diplomatischen Mitarbeiters – seit dem Jahr 2002. An diesem Tag kommen die Vertreter der diplomatischen Missionen aus aller Welt in Moskau zusammen und lassen sich vom Außenminister in einem Festsaal begrüßen. Der Tag geht auf die erste Erwähnung des offiziellen russischen Außenamtes im Jahr 1549 zurück. Am Vorabend des Diplomatentages gewährte der bevollmächtigte und außerordentliche Botschafter der Russischen Föderation in Deutschland, Sergej Jurjewitsch Netschajew, RT Deutsch ein Interview in den Räumen der russischen diplomatischen Vertretung in Berlin. 

RT Deutsch: Sergei Jurjewitsch, danke sehr, dass Sie Zeit für das Gespräch gefunden haben. Unsere erste Frage: Seit fast einem Jahr ist Heiko Maas deutscher Außenminister. Welche neuen Impulse hat sein Team den russisch-deutschen Beziehungen gegeben?

Sergej J. Netschajew: Herr Maas leitet in der Tat seit einem Jahr das Außenministerium. Er hat dieses Amt in einer schwierigen Phase der deutsch-russischen Beziehungen übernommen. In dieser Zeit setzte sich die westliche Politik der Sanktionen und der Eindämmung Russlands fort. Nichtdestotrotz haben wir mit dem deutschen Außenamt gute, sachliche Beziehungen, seien es Kontakte auf Ministerebene, jener der Ersten Stellvertreter oder Experten. Sie wissen, dass Herr Minister Maas vor kurzem wieder in Moskau war. Es wurden produktive und inhaltsreiche Verhandlungen geführt, und das war nicht das erste Treffen unserer Außenminister. Zwischen den beiden Ministerien wurde nach einer Pause einer der wichtigsten Mechanismen der Zusammenarbeit ins Leben gerufen: die Kooperation der Hohen Arbeitsgruppe im Bereich der Sicherheitspolitik, die vor fünf bis sechs Jahren auf Eis gelegt wurde, übrigens nicht auf unseren Wunsch hin.

Und wie Sie und Ihre Zuschauer sich vielleicht erinnern, haben der deutsche und der russische Außenminister am 27. Januar in einer gemeinsamen Erklärung die positive Rolle der Bundesregierung im humanitären Bereich begrüßt. Sie hat die Überlebenden der Leningrader Blockade mit einer Zuwendung an ein Rehabilitationszentrum in Sankt Petersburg unterstützt. Unter der Ägide der beiden Außenminister hat im letzten Jahr ein umfangreiches deutsch-russisches Jahr der regionalen und kommunalen Partnerschaften stattgefunden, der Austausch geht auch jetzt weiter. Neue Städtepartnerschaften sind entstanden. Jetzt hat ein neues Jahr der Hochschul- und Wissenschaftskooperation begonnen.

Das Projekt findet unter der Schirmherrschaft der Minister Sergei Lawrow und Heiko Maas statt, was ihm wichtige politische Bedeutung verleiht. Die Bildungsminister beider Länder haben die Roadmap für die nächsten zehn Jahre der Kooperation im Bereich Bildung und Wissenschaft für vorrangige Gebiete des Wissens unterzeichnet. Das ist, würde ich sagen, ein strategisches Dokument. All das sind Beispiele einer positiven Kooperation zwischen den Außenministerien. Wir verfolgen natürlich die Diskussionen in Deutschland hinsichtlich der Ostpolitik. Ich meine natürlich nicht die Ostpolitik Willy Brandts, sondern eine neue Auffassung, die sich stark von der alten Ostpolitik unterscheidet.

Aber ich wiederhole, die außenpolitische Kooperation entwickelt sich im Großen und Ganzen erfolgreich. Wir haben natürlich Meinungsverschiedenheiten in Fragen der heutigen außenpolitischen Agenda, aber das hindert uns nicht daran, grundsätzlich einen gemeinsamen Weg der bilateralen Beziehungen zu beschreiten. Ich hoffe, dass die strategische Partnerschaft und Wiederherstellung der Regierungskonsultationen auf der höchsten Ebene die nächste Etappe sein wird, die wir sicherlich beschreiten werden. Denn wir spüren, wie sich die Sanktionsmüdigkeit mittlerweile in Deutschland breitmacht. Man wünscht sich eine gute und für beide Seiten vorteilhafte Zusammenarbeit mit Russland.

RT Deutsch: Sie haben eben die Meinungsverschiedenheiten erwähnt. Es scheint, dass die Vielzahl der Fragen, zu denen Russland und Deutschland diametral gegenteilige Meinungen haben, sogar gewachsen ist. Nehmen wir jetzt die neue Venezuela-Krise. Es überrascht, mit welcher Schnelligkeit Deutschland einen kaum bekannten Politiker aus dem Oppositionslager als Interimspräsidenten anerkannte. In einem fremden Land auf einem anderen Kontinent wohl gemerkt. Das ist ein neuer Stil, das Verhalten Deutschlands in der Außenpolitik war früher zurückhaltender. Wie schätzen Sie diesen Schritt und diesen neuen Stil ein? Wird das den deutsch-russischen Beziehungen noch mehr schaden?

Sergej J. Netschajew: Den Motiven auf den Grund zu gehen, warum die Bundesregierung die eine oder andere Position einnimmt, gehört nicht zur meinen Kompetenzen. Aber so weit bekannt, gibt es in der Europäischen Union zu Venezuela keine einheitliche Position. Dort gibt es durchaus unterschiedliche Ansichten. Jetzt ist man dabei, eine Kontaktgruppe zu bilden. Wir sind uns noch nicht darüber im Klaren, nach welchen Prinzipien und Kriterien sie gebildet wird, welche Ziele sie verfolgen wird. Aber mir scheint, dass unsere deutschen Kollegen doch weit von dem Gedanken entfernt sind, in die tragischen Ereignisse, die dort stattfinden könnten, einbezogen zu sein. Um Gottes Willen, wenn dort ein Bürgerkrieg ausbricht oder eine Einmischung von außen! Ich denke nicht, dass Berlin das will. Und was die Ultimaten angeht, die in letzter Zeit aus unterschiedlichen Hauptstädten in Bezug auf Venezuela zu hören sind: Ultimaten zu stellen, ist grundsätzlich kein Weg zur Lösung der Probleme. Dafür stehen wir jetzt, und dafür werden wir auch weiterhin stehen.  

RT Deutsch: Kommen wir zu den Fragen über die Massenmedien. Früher hat sich das russische Außenministerium aus allen Medien-Fragen herausgehalten. Doch nun hat es in Person von Maria Sacharowa auf die Anschuldigungen reagiert, die gegen von Russland finanzierte Medien erhoben werden, die in Deutschland berichten. Man hat versprochen, bei der OSZE Beschwerde einzulegen. Den Europäern wird seitens Russlands oft vorgeworfen, bestimmte Dinge nicht zu bemerken, zum Beispiel die Probleme in der Ukraine. Wie groß ist die Chance, dass die OSZE dieses Problem aufgreift, da Deutschland dort bekanntermaßen das einflussreichste Land in der EU ist? Wird die OSZE den Mut haben, Deutschland zu kritisieren?

Sergej J. Netschajew:Wir sollten die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa nicht beleidigen, das ist immerhin eine mächtige und einflussreiche Organisation, die sehr viele Länder umfasst. Wir hoffen darauf, dass sie sorgfältig und aufmerksam mit der Beschwerde umgehen wird, die gerade vorbereitet wird. Abgesehen davon hat das russische Außenministerium unseren deutschen Kollegen ein Signal gesetzt, denn in Russland arbeitet eine Vielzahl an Vertretern deutscher Massenmedien. Sie arbeiten problemlos und werden überallhin eingeladen. Sie werden nicht mit Schmutz überzogen und sind überall willkommen, auch wenn wir bei Weitem nicht mit allem einverstanden sind, was einige von ihnen schreiben. Mit einigen Veröffentlichungen oder Sendebeiträgen sind wir überhaupt nicht einverstanden.

Dessen ungeachtet bereiten wir ihnen keine Schwierigkeiten, denn genau dafür existiert die Meinungsfreiheit. In jedem Fall ruft unser Journalistenverband in Russland nicht dazu auf, jemanden zu ignorieren, und versucht auch nicht, die einen oder anderen Medien zu diskreditieren, nur, weil sie einen für uns unbequemen Standpunkt vertreten. Unsere Medien, die in Europa – einschließlich Deutschland – arbeiten, sind leider deutlich weniger zahlreich als die deutschen Medien, die in Moskau arbeiten. Dennoch denke ich, dass die russischen Medien ein Recht auf die alternative Sichtweise haben, die sie aussprechen, unabhängig davon, wer sie finanziert. Wir fragen bei unseren deutschen Kollegen ja auch nicht, wer sie finanziert. Das ist nicht unsere Aufgabe. Daher ist die alternative Sichtweise, die die russischen Medien aussprechen, berechtigt, denn sie ist Teil der demokratischen Meinungs- und Pressefreiheit.

RT Deutsch: Es wird besonders der Aspekt hervorgehoben, dass diese durch den Staat finanziert werden, während das nicht für die deutschen Medien gelte, die im Ausland arbeiten. Spielt das Ihrer Meinung nach überhaupt eine Rolle?

Sergej J. Netschajew: Meiner Meinung nach spielt das keine sehr wichtige Rolle. Außerdem arbeiten auf dem russischen Medienmarkt deutsche – und nicht nur deutsche – Medien, die nicht nur privat, sondern durchaus auch staatlich finanziert werden. Lassen Sie uns die alternative Sichtweise respektieren. Wenn wir etwas veröffentlichen, das vom Medienmainstream abweicht und dennoch bei den Lesern und Zuschauern russischer Medien gefragt ist, dann sollte man das respektieren. "Lassen Sie uns friedlich zusammenleben!" – wie der Held eines russischen Zeichentrickfilms sagt, der von unseren westlichen Kollegen noch nicht zum Propagandasprachrohr erklärt wurde.

RT Deutsch: Noch eine Frage bezüglich der Medien. Sie werden hierzulande nicht ohne Grund als die "Vierte Gewalt" im Staate genannt. Wir haben ein interessantes Phänomen festgestellt. Die deutsche Regierung unterstützt das Pipeline-Projekt Nord Stream 2. Energiekonzerne sind gerade dabei, es zu realisieren. Die deutsche Presse aber setzt die Dämonisierung und Politisierung des Projekts fort. Wessen Interessen vertritt denn die deutsche Presse in diesem Fall?

Sergej J. Netschajew: Ich nehme mir an dieser Stelle die Freiheit, einen Teil der deutschen Presse in Schutz zu nehmen, der das Projekt nicht dämonisiert, sondern es im Gegenteil unterstützt. Es gibt diese Stimmen, und sie werden gehört. Das Verständnis, dass es kein politisches, sondern ein wirtschaftliches Projekt ist, existiert und ist in Deutschland allgemein vorherrschend. An der Realisierung des Projekts sind nicht nur Unternehmen aus Russland und Deutschland, sondern auch Firmen anderer westeuropäischer Staaten beteiligt. Daher ist das ein gesamteuropäisches Projekt, dessen Ziel es ist, die europäische Energiesicherheit im Ganzen zu gewährleisten. Es ist ein profitables Projekt für die Europäer und die Russen. Es entspricht dem Win-Win-Prinzip, das oft in der Geschäftswelt verwendet wird. Wir sind bereit und setzen den Bau der Nord-Stream-Pipeline erfolgreich fort. Die Verlegung der Pipeline an sich ist schon weit vorangeschritten. Wir sind davon überzeugt, dass das Projekt planmäßig abgeschlossen wird. Ich möchte darauf hinweisen, dass nicht gerade wenige Medien von seinem Nutzen sprechen. Und wir sind bereit, mit ihnen aktiv zusammenzuarbeiten. Wenn jemand eine alternative Sichtweise hat, sind wir bereit, sie uns anzuhören und unsere Gegenargumente anzubringen.

RT Deutsch: Herr Botschafter, vielen Dank für dieses Gespräch.

Sergej J. Netschajew: Viel Erfolg Ihnen und Ihren Zuschauern.

Das Gespräch führte RT-Deutsch-Redakteur Wladislaw Sankin 

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