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"Lynchmob-Mentalität": Reaktionen auf RT-Interview mit vermeintlichen Skripal-Attentätern

Am Donnerstag wurde ein RT-Interview mit den vermeintlichen Attentätern veröffentlicht, die laut britischen Behörden Sergej und Julia Skripal vergiftet haben sollen. Von "übler Propaganda" und "russischen Verwirrspielen" war anschließend in hiesigen Medien die Rede.
"Lynchmob-Mentalität": Reaktionen auf RT-Interview mit vermeintlichen Skripal-Attentätern

Die RT-Chefredakteurin Margarita Simonjan hat die vermeintlichen Attentäter von Salisbury, Alexander Petrow und Ruslan Boschirow, interviewt. Während internationale Nachrichtenagenturen nach Kontakt zu den beiden Männern suchten, hatten diese sich selbst mit der Chefredakteurin in Verbindung gesetzt. Sie waren laut eigener Aussage nach Großbritannien als Touristen gekommen. Petrow sagte, er hoffe, dass die wahren Täter bald gefasst würden. 

Das Interview konnte die britische Regierung nicht umstimmen. Sie halten an dem Vorwurf fest, dass Russland versucht habe, den ehemaligen Doppelagenten Sergej Skripal und dessen Tochter Julia zu vergiften. Erinnern wir uns: Die beiden Skripals waren am 4. März bewusstlos auf einer Parkbank in der südenglischen Kleinstadt Salisbury entdeckt worden. Der Fall löste eine schwere diplomatische Krise aus. "Die Regierung ist sich sicher, das diese Männer Mitarbeiter des russischen Militärgeheimdiensts GRU sind, die eine verheerend giftige, illegale chemische Waffe auf den Straßen unseres Landes eingesetzt haben", teilte das britische Außenministerium mit.

Die Reaktionen aus der Presse: Alles Propaganda

"Russland ist besser in der Propaganda, als wir es sind", so der kompromittierende Titel eines CNN-Beitrags. Weiter heißt es darin:

Auf den ersten Blick sieht das RT-Interview mit den beiden Männern, die beschuldigt werden, den ehemaligen russischen Spion Skripal und dessen Tochter sowie zwei andere britische Bürger vergiftet zu haben, wie ein Scherz aus. 

Der Sender kritisiert, dass das Interview nur einen Tag, nachdem Präsident Wladimir Putin geäußert hatte, er hoffe, dass die beiden Männer ein Interview geben werden, veröffentlicht wurde. Dabei sei es "hilfreich" gewesen, dass sie "mit Putin übereinstimmten". Die Geschichte sei deshalb so dünn, weil Großbritannien über eine "ungewöhnliche Menge an Beweisen" verfüge. Es handle sich um ein "langjähriges Drehbuch" Russlands.

Die BBC veröffentlichte eine nüchterne Zusammenfassung von Interviewausschnitten in Textform und ein Video, in dem anhand von Videoüberwachungsmaterial und Karten nachgestellt wurde, was angeblich passierte.

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Wenn man sich die Reaktionen der deutschen Medien anschaut, fällt auf, dass die britische Version für sie mehr denn je über alle Zweifel erhaben ist. "Minutiös" hätten die britischen Ermittler den Weg der beiden Russen nachgezeichnet, schreibt beispielsweise die Bild. Die härteste Rhetorik der Briten wird dabei in aller Ausführlichkeit wiedergegeben (Boris Johnson nennt Verdächtige "Mörder"). Die Aussagen zweier angeblicher Täter werden dabei ins Lächerliche gezogen, und die Meinungen russischer Fachleute fehlen komplett. Alle Medien betonen im Gleichklang: Das Interview, das eher einem Verhör ähnelte, wurde vom Kreml-finanzierten Sender RT ausgestrahlt. 

So titelt der Spiegel seinen Artikel "Russische Verwirrspiele". Die Verfasserin kommt zu dem Ergebnis, "ihre Geschichte wirkt alles andere als glaubwürdig. Soll sie auch nicht". Auch hier dient Wladimir Putins Aussage, er hoffe, dass sich die beiden in den Medien äußern, als Beweis, dass es sich um eine Fälschung handeln muss. Kritisiert wird auch, dass sich die beiden Männer an RT wandten: 

Dass die Männer ausgerechnet mit dem vom russischen Staat finanzierten Auslandssender gesprochen haben, ist sicher kein Zufall. 

Die Bild-Zeitung  spricht von "übler Propaganda im Fall Skripal – Verdächtige behaupten: Wir sind einfache Touristen". Es handle sich bei dem Video um die "nächste Runde im Informationskrieg zum Fall Skripal". 

Der Stern ist auch überzeugt, dass der "Kreml" den Auftritt inszeniert hat:   

Und so muss man angesichts der unfassbar albernen Ausrede zu der Schlussfolgerung kommen, dass entweder der Kreml voller Narren ist oder eben die ganze Welt für ein Narrenhaus hält.

Murray: "Lynchmob-Mentalität"

Besonderen Stellenwert hat in der hämischen Reaktion der Medien insbesondere der Umstand, dass die beiden  wegen Unwetter in England ihre Reisepläne ändern mussten – sie sollen als "Russen", so der Spiegel, "an das Weiße gewöhnt sein". Auch die Attraktivität der gotischen Kathedrale in Salisbury für zwei russische Touristen wird angezweifelt, was für den britischen Ex-Diplomaten Craig Murray der Ausdruck eines subtilen Rassismus ist.

In den Artikeln auf seiner eigenen Webseite legt er viele Unstimmigkeiten in der britischen offiziellen Version offen. Es fehle nicht nur der Hauptbeweis, dass die beiden Russen sich tatsächlich am Haus der Skripals aufhielten. Es sei bislang mit keinem einzigen Video belegt, dass die Skripals nach 12 Uhr – zu dem Moment, als der Türknauf laut offizieller Version mit dem Gift besprüht wurde – nach Hause gekehrt und mit dem Gift in Berührung gekommen sind. 

Murray stellt fest, dass in den sozialen Medien mittlerweile eine Lynch-Stimmung gegen Russen herrsche, und viele Nutzer lange nicht mehr in der Lage seien, die Verlautbarungen der britischen Regierung zu hinterfragen, stattdessen lassen sie – angestachelt von den "professionellen" Medien – ihrem Hass freien Lauf. 

Simonjan: Entscheiden Sie selbst

Die Kommentare von RT-Chefredakteurin Margarita Simonjan zu den Umständen des von ihr geführten Interviews haben die westlichen Medien einstimmig ignoriert. Auf ihrem Telegram-Account erklärte sie :

Wir haben uns lange überlegt, wie man das Interview mit Petrow und Boschirow schneiden sollte, damit es nicht so aussieht, als wäre es absichtlich montiert worden. Schließlich haben wir uns entschieden, auf das Schneiden komplett zu verzichten. Wir werden es 'roh' veröffentlichen – also ohne Schnitt, ohne technische Korrekturen – und ohne mich.

Ob man den beiden glaubt, müsse man selbst entscheiden, so Simonjan: 

Für ihre Antworten sind sie allein verantwortlich. Es liegt im Ermessen jedes Zuschauers, für sich selbst zu entscheiden, ob man ihnen glaubt oder nicht. Ich gebe absichtlich keinerlei Kommentar dazu ab, außer zu sagen, dass sie sehr nervös waren und sehr stark geschwitzt haben.

Ihre Interviewpartner seien sehr nervös gewesen, weshalb sie ihnen zur Beruhigung einen Cognac eingeschenkt habe, sagte die Chefredakteurin gegenüber Journalisten:

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