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Ukrainisches Roulette: Das gefährliche Spiel mit Europas größtem Munitionslager in Transnistrien

Seit mehreren Wochen kursieren Informationen über die Ansammlung von Truppen der Ukraine an der Grenze zu Transnistrien im Netz. Russlands Militär warnt vor drohenden Provokationen. Wie wahrscheinlich ist eine Eskalation? Und wer zündelt an der von Moldawien "abtrünnigen" Region?
Ukrainisches Roulette: Das gefährliche Spiel mit Europas größtem Munitionslager in TransnistrienQuelle: Sputnik © Maxim Bogodwid

Eine Analyse von Aljona Sadoroschnaja

Laut dem russischen Verteidigungsministerium bereitet sich das Kiewer Regime verstärkt auf einen Einmarsch in die nicht anerkannte Moldawische Transnistrische Republik vor. Er soll als Reaktion auf eine angebliche Offensive der russischen Streitkräfte von Transnistrien aus durchgeführt werden.

Russlands Militärbehörde zufolge wurde im Grenzgebiet zwischen der Ukraine und Transnistrien eine große Anzahl von Militärpersonal und Ausrüstung ukrainischer Einheiten konzentriert, die Artillerie sei in Stellung gebracht worden, und die Zahl der Drohnenflüge über dem Territorium von Transnistrien sei massiv gestiegen.

Die Umsetzung der Provokation würde eine Gefahr für das dort stationierte russische Friedenskontingent darstellen. Daher warnte das russische Verteidigungsministerium, dass die russischen Streitkräfte bereit wären, auf die Bedrohung angemessen zu reagieren. Das ist übrigens nicht die erste Meldung über die bestehende Eskalationsgefahr.

Ukrainisches Roulette mit Europas größtem Munitionslager

Die ukrainischen Streitkräfte könnten unter Beteiligung der nazistischen Terrormiliz "Asow" (aktuell etwa in Brigadenstärke) angreifen, so das russische Militär. Ziel des Angriffs könnte vermutlich eine Eroberung der riesigen Munitionsdepots im Dorf Kolbasna werden, die von der transnistrischen Polizei und russischen Friedenstruppen bewacht werden.

(Anmerkung von RT: Denn gerade nach Kolbasna wurden nach der Auflösung des Warschauer Paktes die Bestände der zuvor in dessen Mitgliedsländern stationierten sowjetischen Kontingente verbracht. Diese Lager wären möglicherweise eine wahre Entlastung für das doch sehr munitionsklamme ukrainische Militär.

Die Bestände allein an Waffen betragen ungefähren Schätzungen zufolge 20.000 Tonnen. Doch vor allem komme das Äquivalent von 2.600 Güterwaggons an Munition – und weiterer 500 Güterwaggons an purem Sprengstoff dazu.

Derartige Pläne des Kiewer Generalstabes sickerten bereits im Sommer 2022 durch: Resident, ein ukrainisches Informationsportal auf Telegram, das Insiderwissen im Präsidialamt der Ukraine beansprucht, hatte sie geleakt. Nur wenig später erfolgten Provokationen gegen das russische Friedenskontingent in Transnistrien. Weiter folgten Bestrebungserklärungen der Führung der nicht anerkannten Republik, der Russischen Föderation beizutreten.

Nach einer mehrmonatigen Pause schließlich folgten weitere Meldungen über die Pläne der Kiewer Eliten für einen Beutezug nach Transnistrien, nämlich ab Mitte Februar 2023.

Laut einer Reihe von Experten würden die Munitionsvorräte in Kolbasna den ukrainischen Streitkräften für mehrere Jahre Krieg reichen, so Resident.

Eine Explosion dieser Menge an Sprengstoff infolge von Kampfhandlungen wäre für die Umgebung nichts weniger als eine Katastrophe:

Die moldawische Akademie der Wissenschaften schätzte die Stärke allein der Primärexplosion auf 10.000 Tonnen im Trotyl-Äquivalent ein. Ein Krater von 75 Metern Tiefe mit einem Radius von 1,5 Kilometern würde entstehen. Ein Erdbeben Stärke 7 bis 7,5 auf der Richterskala würde die Umgebung in einem Radius von 50 Kilometern erschüttern. Nichtexplodierte Geschosse würden umhergeschleudert – und würden beim Einschlag eine zweite Chance zum Explodieren erhalten.)

Zudem äußerte Russlands Außenministerium am ersten März-Tag 2023 die Befürchtung, Kiew könnte die laut russischer Aufklärungsdaten über den Hafen von Odessa aus den USA in die Ukraine verbrachten radioaktiven Abfälle für eine Provokation ebenfalls in der Umgebung von Transnistrien verwenden.

Und nun erschienen jüngst im Internet Berichte über eine Ansammlung ukrainischer Truppen an der Grenze zwischen der Region Odessa und Transnistrien. Wie der ehemalige Abgeordnete des Stadtrats von Odessa, Historiker und Politikwissenschaftler Alexander Wassiljew mit Hinweis auf seine "eigene Quelle, die die Lageentwicklung vor Ort beobachtet" berichtet, hätten die Aktivitäten der ukrainischen Streitkräfte im Grenzgebiet bereits seit mehreren Tagen kräftig zugenommen. "Und laut Quellen aus Chişinău seien spektakuläre Nachrichten von dort zu erwarten", fügte Wassiljew hinzu.

Im Hinblick auf diese Ereignisse versprach das Außenministerium in Moskau eine angemessene Reaktion der russischen Streitkräfte, falls Kiew sich für eine Provokation gegen Transnistrien entscheidet. Jegliche Aktivität, die eine Sicherheitsbedrohung darstelle, würde als Angriff auf Russland gewertet, hieß es. Darüber hinaus warnt Moskau die NATO, die Vereinigten Staaten und Kiew vor abenteuerlichen Schritten vor dem Hintergrund der Anhäufung ukrainischer Truppen und Ausrüstung im Grenzgebiet zu Transnistrien und tritt für eine diplomatische Lösung der Frage ein.

Es ist daran zu erinnern, dass die Ukraine zuvor offiziell ihre Ansprüche in Bezug auf Transnistrien angekündigt hatte. So waren noch im April des vergangenen Jahres aus dem Büro des Präsidenten Wladimir Selenskij Erklärungen über die Bereitschaft der Ukraine gekommen, die Region zu erobern, sollte Chişinău nur ein Signal dafür geben. Die Zeitung Wsgljad hatte damals ausführlich analysiert, wie solch ein Versuch Kiews ausgehen könnte.

Die Expertengemeinschaft stellt fest, dass der ukrainische Präsident seine Ambitionen beileibe nicht ad acta gelegt hat.

"Falls die Entscheidung im Selenskij-Büro getroffen würde, wäre eine Provokation unvermeidlich. Er braucht einen kleinen und deutlichen Sieg über zumindest einen Teil der russischen Truppen. Und die Eroberung Transnistriens spielte ihm in die Hände.

Aber Entscheidungen werden hauptsächlich in Washington getroffen, die Streitkräfte der Ukraine werden es wohl nicht wagen, ohne grünes Licht aus Washington anzugreifen", erklärte Alexander Schtscherba, ehemaliger Sprecher des Obersten Sowjets von Transnistrien.

"Gleichzeitig sehen wir die Äußerungen des neuen moldawischen Ministerpräsidenten. Anstatt die Armut im Land zu bekämpfen, beschloss er, sich mit der 'Entmilitarisierung Transnistriens' zu beschäftigen. Es würde mich auch nicht wundern, wenn Maia Sandu in Warschau mit Joe Biden alle Einzelheiten der Provokation besprochen hätte. Vielleicht wurde dieses Szenario vorübergehend beiseite geschoben", fuhr der Politiker fort.

"Ich hoffe, dass Transnistrien im Falle einer Eskalation nicht allein gelassen wird. Es geht hier nicht nur um die Munitionslager und Friedenstruppen, die sie bewachen. Hier leben sehr viele Menschen mit russischen Pässen und solche, die einfach Moskau unterstützen", unterstrich Schtscherba.

"In solch einer Situation besteht folgende Gefahr: Die Kräfte der Friedenstruppen reichen eindeutig nicht aus, um gleichzeitig den Streitkräften der Ukraine und denen der NATO standzuhalten. Aufgrund unserer geografischen Lage wird es auch schwierig sein, ein zusätzliches Kontingent hierher zu verlegen. Daher hätten es unsere Milizen im Falle einer Eskalation sehr schwer. Ich hoffe aber, dass Moskau sich etwas einfallen lassen wird", so der Politiker.

"Die Ukraine darf nur dann in Moldawien einmarschieren (Chişinău betrachtet Transnistrien als Teil moldawischen Staatsgebiets – Anm. der Zeitung), wenn die Regierung des Landes die Erlaubnis dafür erteilt. Die Frage ist, ob Chişinău bereit ist, die Streitkräfte der Ukraine 'zu Besuch' einzuladen. Wenn es zur möglichen Übergabe der Depots in Kolbasna an die Ukrainer käme, müsse man sich zunächst entscheiden, ob das Spiel der Mühe wert ist. Uns ist nicht bekannt, in welchem Zustand diese Depots sind", sinniert Witali Andreiewski, ein moldawischer Politologe. 

"Derzeit kommt Russland an der Front voran. Wenn wir Moskaus erfolgreiche Offensive sehen, könnte Chişinău ernsthaft besorgt über einen möglichen Verlust von Transnistrien sein und den Streitkräften der Ukraine 'grünes Licht' für den Grenzübertritt geben", stellt der Experte klar.

"Es ist kein Geheimnis, dass ein russisches Friedenskontingent auf dem Territorium Transnistriens stationiert ist, und zwar in voller Übereinstimmung mit dem Völkerrecht. Eine der Aufgaben des Kontingents ist, die Einwohner und die Lagerhäuser in Kolbasna zu schützen", hält Alexei Martinow, Direktor des Internationalen Instituts der neu gegründeten Staaten, fest.

"Ich halte eine militärische Provokation der Ukraine für nur wenig wahrscheinlich. Im Büro von Selenskij ist man sich im Klaren, dass sie im Fall einer Invasion nicht in der Lage wären, die Operation schnell durchzuführen. Sollte es doch zu einer Provokation kommen, könnte sie mit dem Szenario vom 8. August 2008 enden, als die georgische Armee russische Friedenstruppen angegriffen hatte, was zu einer Operation zur Befriedung von Tiflis geführt hatte", argumentierte der Experte. 

"Außerdem gehört Transnistrien aus Sicht von Chişinău zu Moldawien. Daher würde jede Provokation der ukrainischen Streitkräfte als Angriff auf die Republik angesehen, selbst wenn man bedenkt, dass Selenskij mit Sandu paktiert hat. Ein Militärszenario ließe auch den russischen Streitkräften freie Hand und böte den Anlass, die spezielle Militäroperation auf die Regionen Nikolajew und Odessa auszudehnen und eine Landverbindung zu Transnistrien einzurichten", lautet seine Einschätzung.

"Vielleicht begreift man das in den Büros von Selenskij und Sandu nicht, aber für den Westen sieht das Bild ziemlich eindeutig aus. Wenn sie den Weg der Eskalation in Transnistrien einschlügen, würde das bedeuten, dass sie die Ukraine nicht mehr brauchen", schloss Martinow.

Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen bei Wsgljad.

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