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Green Deal auf wackeligen Beinen: Wichtige Kontroversen bleiben trotz Gipfel-Einigung ungelöst

Die Positionen der EU-Mitgliedsstaaten sind schwer zu überbrücken, insbesondere in Bezug auf Subventionen und gemeinsame Staatsanleihen. Während wirtschaftlich starke Staaten Subventionskontrollen lockern möchten, drängt Frankreich auf einen neuen EU-Fonds mit gemeinsamen Staatsanleihen.
Green Deal auf wackeligen Beinen: Wichtige Kontroversen bleiben trotz Gipfel-Einigung ungelöstQuelle: Legion-media.ru © vchal

Eine Analyse von Hasan Posdnjakow

Der jüngste EU-Gipfel hat damit geendet, dass sich die Staats- und Regierungschefs auf einige allgemeine Leitlinien für die europäische Antwort auf den US-amerikanischen Inflation Reduction Act (IRA), den sogenannten "Green Deal", einigten, aber die Einzelheiten sind noch unklar und werden in den nächsten Monaten diskutiert. Dies wird ein langwieriger, komplizierter Prozess sein, da die unterschiedlichen Positionen schwer zu überbrücken sind und es bei verschiedenen Themen mehrere Trennlinien gibt.

Einerseits wollen die wirtschaftlich starken Staaten, insbesondere Frankreich und Deutschland, dass die Subventionskontrollen (für einzelne Staaten) gelockert werden, was die meisten anderen EU-Mitglieder ablehnen, da sie befürchten, gegenüber den stärkeren Staaten ins Hintertreffen zu geraten. Andererseits drängt Paris auf einen neuen Fonds auf EU-Ebene, der mit gemeinsamen Staatsanleihen finanziert werden soll – ein Plan, der in Berlin skeptisch gesehen, in Rom aber begrüßt wird. Durchgesickerten Briefen und Medienberichten zufolge lehnen auch die Tschechische Republik, Dänemark, Finnland, Österreich, Irland, Estland, die Slowakei, Belgien und die Niederlande gemeinsame Anleihen ab.

Die 27 EU-Mitgliedsstaaten waren sich einig, dass die Beihilfeverfahren "einfacher, schneller und vorhersehbarer gestaltet werden müssen und eine gezielte, zeitlich begrenzte und verhältnismäßige Unterstützung zügig möglich sein muss". Laut der offiziellen Erklärung aus Brüssel riefen die EU-Regierungschefs außerdem dazu auf, die Arbeit an den folgenden Themen dringend aufzunehmen:

  • Erhöhung der Flexibilität der EU-Fonds, um einen fairen Zugang zu finanziellen Mitteln zu gewährleisten;
  • Sicherstellung des Zugangs zu wichtigen Rohstoffen und Vereinfachung des regulatorischen Umfelds, um eine umweltfreundlichere Industrie zu fördern;
  • Förderung von Qualifikationen, um den Herausforderungen des Arbeitskräftemangels und der Umgestaltung von Arbeitsplätzen zu begegnen;
  • Schließung von Investitionslücken durch private und öffentliche Investitionen;
  • Beschleunigung der Umsetzung der Kapitalmarktunion (dieses Projekt läuft seit 2014).

Neben den Maßnahmen zur Erhöhung der grünen Subventionen erörterten die Staats- und Regierungschefs der EU auch die Handelspolitik. Einigkeit bestand darüber, dass ein "multilaterales, auf Regeln basierendes System der Schlüssel zur Stärkung des Wohlstands und der Souveränität Europas" ist. Die Teilnehmer betonten "die Bedeutung fairer und transparenter Freihandels- und Investitionsabkommen", da diese dazu beitragen können, "wirklich gleiche Wettbewerbsbedingungen" zu schaffen und "widerstandsfähige und zuverlässige Lieferketten zu entwickeln". Von besonderem Interesse ist die Aussage, dass die anwesenden Staats- und Regierungschefs erklärt haben, dass "die EU ihre Interessen gegenüber unlauteren Praktiken schützen muss, indem sie handelspolitische Schutzinstrumente einsetzt", was wohl auch gegen China gerichtet sein dürfte.

Neue Einzelheiten über den vorgeschlagenen Club für kritische Rohstoffe wurden nicht bekannt. Es gibt lediglich einen separaten niederländischen Vorschlag für einige Bereiche, die im Rahmen einer EU-Strategie für kritische Rohstoffe prioritär behandelt werden sollen: fossile Brennstoffe, Materialien wie Kobalt, Lithium und seltene Erden. Der Vorschlag sieht zudem die Erhöhung der einheimischen Produktion vor, unter anderem durch Maßnahmen wie nachhaltigen Bergbau, Erhöhung der Raffineriekapazitäten in der EU und mehr Recycling. Als längerfristige Maßnahme wird die Suche nach Ersatzressourcen vorgeschlagen. Im Bereich der Handelsbeziehungen sieht der Vorschlag Partnerschaften mit neuen Lieferanten vor, um eine Diversifizierung zu erreichen. Es gibt einen Passus zu "Umwelt-, Sozial- und Governance-Standards und einer verantwortungsvollen Geschäftspolitik", der als mögliche Diskriminierung chinesischer Lieferanten interpretiert werden könnte. Noch liegen jedoch keine Details zu den Einzelheiten vor, und abgesehen davon liegt der Fokus eher auf Diversifizierung als auf direkten negativen Maßnahmen gegen chinesische Lieferanten.

Auf diesem Gipfel wurde die Frage mutmaßlich unfairer chinesischer Subventionen nicht offiziell erörtert. Diesbezüglich hatte die EU-Kommission in ihrem Anfang Februar veröffentlichten Vorschlag für den Green Deal erklärt, sie müsse "mehr tun, um die Auswirkungen dieser unfairen Subventionen und anhaltenden Marktverzerrungen zu bekämpfen". Zudem beklagte sie, dass die chinesischen Subventionen im Verhältnis zum BIP doppelt so hoch seien wie in der EU. Die Kommission werde weiterhin "die handelspolitischen Schutzinstrumente zur Verteidigung des Binnenmarktes in vollem Umfang nutzen", hieß es.

Mitte Januar trat ein vor einigen Jahren verabschiedetes Gesetz in Kraft, das der EU mehrere neue Instrumente zur Bekämpfung angeblich unfairer ausländischer Subventionen an die Hand gibt. Wenn ausländische Unternehmen, die von Drittstaaten subventioniert werden, aktiv andere Unternehmen im Binnenmarkt kaufen, müssen diese Käufe ab einem bestimmten Schwellenwert registriert und überprüft werden. Das Gleiche gilt, wenn sich ein subventioniertes Unternehmen um öffentliche Ausschreibungen bewirbt. Außerdem kann die Kommission immer dann aktiv werden, wenn sie den Verdacht hegt, dass der europäische Markt in unfairer Weise verzerrt wird. Zu den möglichen Maßnahmen gehören Geldbußen, die Rückgängigmachung von Unternehmenszusammenschlüssen und die Aufhebung von öffentlichen Aufträgen. Diese Generalklausel räumt Brüssel weitreichende Befugnisse ein, die es mehr oder weniger nach eigenem Ermessen nutzen kann – eine potenzielle Bedrohung für in der EU tätige chinesische Unternehmen.

Auf dem nächsten Gipfel Ende März soll EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ein Reformpaket zu den staatlichen Subventionen vorlegen, dem die EU-Mitgliedsstaaten anschließend zustimmen müssen. Der Plan sieht vor, dass der reformierte Rechtsrahmen für staatliche Beihilfen bis Ende 2025 umgesetzt wird. Den Gegnern einer radikalen Aufweichung der Subventionsregeln ist es gelungen, einen Passus in das Abschlusskommuniqué einzubringen, in dem davor gewarnt wird, dass die Wettbewerbsfähigkeit insbesondere der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) erhalten bleiben muss.

Der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, kommentierte die geplante Strategie folgendermaßen:

"Wir müssen das System der staatlichen Beihilfen anpassen, aber auf eine Weise, die sicherstellt, dass wir die Integrität des Binnenmarktes verteidigen ... und die globale Wettbewerbsfähigkeit berücksichtigen."

Die offizielle Erklärung nach dem Gipfeltreffen verstärkt den Eindruck, dass der vereinbarte Kompromiss die vorsichtige Haltung der konservativeren EU-Mitglieder respektiert, auch wenn der Wettbewerb mit externen Konkurrenten wichtig ist:

"Die Integrität des Binnenmarktes und die gleichen Wettbewerbsbedingungen müssen erhalten bleiben."

So erklärte beispielsweise der niederländische Premierminister Mark Rutte:

"Wir waren besorgt, dass Sie sich bei den staatlichen Beihilfen zu sehr öffnen würden. Und das würde bedeuten, dass Sie im Grunde genommen eines der Dinge, die in der EU wirklich funktionieren, nämlich die Binnenmärkte, zu untergraben drohen."

Er sagte weiter, dass jede Abschwächung der Subventionsregeln zeitlich begrenzt, zielgerichtet und sehr auf Innovation ausgerichtet sein würde. Einige schwächere EU-Länder wie Italien, Österreich, Dänemark und Finnland befürchten, dass eine zu radikale Lockerung der Subventionskontrollen, die bereits in Reaktion auf die Corona-Pandemie gelockert wurden, Frankreich und Deutschland zum Vorteil gereichen würde.

Der Vorschlag der Kommission, "kongruente Subventionen" (wie von Deutschland und Frankreich gefordert) zuzulassen, wurde bereits vor einigen Tagen durch die Medien verbreitet. Das bedeutet, dass ein Unternehmen, das ein Subventionsangebot von außerhalb der EU erhält, ein ähnliches Angebot von der EU erhalten kann, um es am Verlassen des Landes zu hindern. Dieser Schritt soll auf die Produktion von "Batterien, Solarzellen, Windturbinen, Wärmepumpen, Elektrolyseuren und Kohlenstoffabscheidung und -speicherung … sowie damit verbundenen kritischen Rohstoffen" beschränkt sein. Im regulären Fall ist der Zuschuss auf 300 Millionen Euro für ärmere Regionen (BIP von weniger als 75 Prozent des EU-Durchschnitts – in Deutschland gibt es keine solchen Regionen) und 100 Millionen Euro für reichere Regionen begrenzt. In besonderen Fällen, die ärmere Regionen betreffen, kann die Kommission noch höhere Subventionen genehmigen – bis zur Höhe des gesamten Subventionsangebots von außerhalb der EU. Dies gilt auch für Förderangebote, die mehr als eine Region betreffen. Um einen Subventionswettlauf zu verhindern, sollen die staatlichen Beihilfen dem durchgesickerten Dokument zufolge auf das Minimum beschränkt werden, um den Produktionsstandort "ausreichend rentabel" zu machen. Außerdem sollen die Subventionen nur zehn Prozent der Gesamtinvestitionen abdecken (bei ärmeren Regionen, KMU und wenn die Subvention in Form von Steuervergünstigungen erfolgt, kann dieser Betrag höher sein). Diese Maßnahme ist eine direkte Reaktion auf den US-amerikanischen IRA. 

Von der Leyen sagte auch, sie werde in den nächsten fünf Monaten einen Plan für einen "Souveränitätsfonds" für gemeinsame Großinvestitionen in strategische Unternehmen ausarbeiten. Hier liegt ein weiterer Streitpunkt, denn Berlin und andere Länder, die mehr an die EU zahlen, als sie zurückbekommen, blockieren gemeinsame Kreditprogramme oder höhere EU-Beiträge. In der Erklärung nach dem Gipfel wurde lediglich festgehalten, dass die Mitgliedsstaaten diesen Vorschlag "zur Kenntnis nehmen", sodass unklar ist, ob er jemals umgesetzt werden wird. Laut einer anonymen Quelle aus dem französischen Europaministerium, die von den Medien zitiert wurde, müssen die Diskussionen über die Finanzierung des Souveränitätsfonds parallel zur Überarbeitung des mehrjährigen Finanzrahmens (langfristiger Haushalt) beginnen und werden monatelange Verhandlungen nach sich ziehen. AFP berichtete unter Berufung auf Quellen im Élysée-Palast, der französische Präsident Macron habe sich bereit erklärt, vorerst nicht auf gemeinsamen Anleihen zu bestehen, um eine Blockade zu verhindern, aber er plane, dieses Thema spätestens im Sommer anzusprechen. Im Moment scheint der deutsche Ansatz die Oberhand gewonnen zu haben. Deutsche Medien kommentierten in diesem Zusammenhang die Beobachtung, dass Scholz nach der Bekanntgabe der Ergebnisse des Gipfels zufrieden aussah.

Die deutsche Führung plädiert für die Verwendung bestehender Mittel anstelle neuer gemeinsamer EU-Anleihen. In einer Rede vor dem Gipfel erinnerte Bundeskanzler Olaf Scholz daran, dass bisher nur ein kleiner Teil des 800 Milliarden Euro schweren Pandemie-Rettungsfonds genutzt worden sei. Von der Leyen selbst verwies auf 250 Milliarden Euro aus einem Fonds zur Verringerung der Abhängigkeit der EU von russischen fossilen Brennstoffen, die für Dekarbonisierungsbemühungen verwendet werden könnten.

Auch Scholz warnte vor einem Subventionswettlauf mit den Vereinigten Staaten. Im Vorfeld des EU-Gipfels hatten mehrere EU-Politiker Washington besucht, um zu versuchen, den Einfluss der IRA auf die europäische Wirtschaft zu verringern, darunter der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck und sein französischer Amtskollege Bruno Le Maire. Beide erklärten, dass es ihnen gelungen sei, von den Vereinigten Staaten einige Zugeständnisse zu erhalten, damit europäische Unternehmen in den USA nicht benachteiligt würden. Die Vereinigten Staaten haben sich zu "vollständiger Transparenz" hinsichtlich der Subventionen für ihre Unternehmen verpflichtet.

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