International

Hat IOC-Chef Thomas Bach seine Meinung zum Ausschluss russischer Sportler von Olympia geändert?

Ist der IOC-Chef ein Heuchler und Opportunist oder ein Mann, der endlich eine Erleuchtung hatte? In Russland gehen die Meinungen über die fast schon sensationelle Äußerung von Thomas Bach als Vorsitzender des Internationalen Olympischen Komitees weit auseinander. Seine Erklärung auf dem G20-Gipfel könnte jedoch das künftige Schicksal der russischen Sportler sehr direkt beeinflussen.
Hat IOC-Chef Thomas Bach seine Meinung zum Ausschluss russischer Sportler von Olympia geändert?Quelle: www.globallookpress.com

Auf dem G20-Gipfel in Indonesien machte IOC-Präsident Thomas Bach eine überraschende Ankündigung über die Notwendigkeit einer neutralen Haltung gegenüber dem Sport, der eine verbindende Kraft in der Welt ist. Dies könnte unter anderem die Rückkehr russischer Athleten auf die Weltbühne bedeuten.

In seiner Rede vor den Staats- und Regierungschefs auf den G20-Gipfeltreffen sagte der Chef des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) Thomas Bach: "Die Olympischen Spiele in Tokio und Peking, die mitten in einer Pandemie stattfanden, gaben der Welt Hoffnung. Die Olympischen Spiele können nur dann die ganze Welt zusammenbringen, wenn Athleten aus der ganzen Welt teilnehmen". Der IOC-Chef weiter:

"Im Gegensatz zu anderen Konflikten zwischen Ländern in der Vergangenheit begannen diesmal einige Regierungen zu entscheiden, welche Athleten zur Teilnahme an internationalen Sportwettbewerben berechtigt sind und welche nicht. Sie taten und tun dies ausschließlich aus politischen Gründen. Und sie wollen entscheiden, welche Athleten ausgewählt werden und schließlich an den Olympischen Spielen 2024 in Paris teilnehmen können.

"Wenn der Sport dadurch nur zu einem weiteren Werkzeug wird, um politische Ziele zu erreichen, wird der internationale Sport auseinanderfallen."

"Das Wesen des Sports besteht darin, dass Entscheidungen auf der Grundlage der Leistung und nicht auf der Grundlage anderer Faktoren getroffen werden sollten. Wenn diese Politisierung des Sports zur Norm wird, können die Olympischen und Paralympischen Spiele nicht länger eine verbindende Kraft sein.

Es ist wichtig, dass alle Athleten, die sich an die Regeln halten, an den Olympischen Spielen teilnehmen, auch – oder gerade – wenn ihre Länder in einen Konflikt verwickelt sind. Wenn nur verbündete Länder teilnehmen, werden die Olympischen Spiele kein echtes Friedenssymbol sein."

"Ich appelliere an Sie, die Staats- und Regierungschefs der G20, meinen Aufruf zum Frieden zu hören und ihm eine Chance zu geben. Bitte nehmen Sie Ihre neutrale Position zum Sport in die gemeinsame Erklärung am Ende des Gipfels auf. Die Menschheit hat nicht viele Gelegenheiten, zusammenzukommen", schloss Thomas Bach.

Es sei allerdings zugleich daran erinnert, dass das Internationale Olympische Komitee unter dem Vorsitz von jenem Thomas Bach die Suspendierung russischer und weißrussischer Athleten von internationalen Wettkämpfen im Frühjahr 2022 veranlasst hatte. Daraufhin gab das IOC eine besondere Empfehlung an die internationalen Sportverbände ab, die Russen und Weißrussen zu suspendieren.

Die Empfehlung lautete jedoch, dass die Sportler dennoch in einem "neutralen Status" antreten dürften. So konnten zum Beispiel die russischen Tennis- und Schachspieler weiterhin an Wettkämpfen teilnehmen. Die meisten Sportverbände haben jedoch für ihre Disziplinen kurzerhand ein totales Auftrittsverbot für russische Sportler verhängt.

Bachs jüngste Äußerung und Aufforderung löste in russischen Sportlerkreisen äußerst gemischte Reaktionen aus. Die Eiskunstlauflegende und Spitzentrainerin Tatjana Tarassowa ist beispielsweise der Meinung, dass man Bachs Worten keinen Glauben schenken darf oder sie überhaupt nicht beachten sollte: "Was Thomas Bach macht, nennt man Populismus. Wer glaubt ihm denn überhaupt?"

Der russische Schachspieler Sergei Karjakin, der wegen seiner öffentlichen Unterstützung der Sonderoperation in der Ukraine suspendiert wurde, schloss sich ihr an. "Seine [Bachs] Äußerung ist eine weitere Heuchelei. Er sagt, dass Sport jenseits der Politik ist, aber gleichzeitig wird Russland komplett von internationalen Sportwettbewerben ausgeschlossen, und wir müssen unter einer neutralen Flagge und ohne Hymne antreten. Ich werde nicht in einem solchen Format antreten", sagte der Großmeister.

Die dreimalige Olympiasiegerin und Duma-Abgeordnete Irina Rodnina sieht das ähnlich: "Thomas Bach hat schon so viel gesagt, dass seine Worte nicht mehr glaubwürdig sind. Er ist ein absoluter Opportunist."

Bach hat im Laufe der Jahre in der Tat eine Menge verschiedener Dinge gesagt. Von seiner Behauptung, er habe empfohlen, die Russen und Weißrussen "zu ihrer Sicherheit" zu suspendieren, bis hin zu seinem jüngsten Vorschlag, dass diejenigen Russen, die öffentlich ihre Ablehnung am russischen Vorgehen in der Ukraine zum Ausdruck bringen, an Wettbewerben teilnehmen dürfen. Mit anderen Worten, man müsse im Grunde seinem eigenen Land ablehnend gegenüberstehen. Es ist klar, dass nach solchen Vorschlägen jeder in Russland die Erklärungen des IOC-Chefs äußerst skeptisch zur Kenntnis nimmt.

Es ist allerdings nicht zu übersehen, dass derartig klare Aussagen noch nie zuvor abgegeben wurden. Das Internationale Olympische Komitee (oder zumindest dessen Chef) hat sich seit Jahrzehnten nicht mehr auf so hoher Ebene so positiv geäußert. Die Meinung des IOC (oder zumindest seines Vorsitzenden) werden die Staats- und Regierungschefs der G20, die sich in Indonesien trafen, wohl kaum völlig ignorieren können.

"Ich kann weder meinen Ohren noch meinen Augen trauen, dass Bach endlich eine Erleuchtung hatte! Alles, was er auf dem G20-Gipfel gesagt hat, ist richtig und fair. Sport war schon immer ein Mittel zur Vereinigung von Ländern und Völkern und sollte es auch bleiben", sagte Jelena Wjalbe, Präsidentin des russischen Skilanglaufverbands.

Sie deutete auch an, dass Bachs Rhetorikwechsel auch wirtschaftliche Gründen haben könnte: "Ich möchte wirklich glauben, dass das, was er sagte, das ist, was er wirklich dachte, und nicht, weil er und die internationalen Verbände durch den Ausschluss Russlands große [finanzielle] Verluste machen. Die Leute verlieren das Interesse, es gibt keinen Wettbewerb." Auf jeden Fall scheint es nach dieser Ankündigung möglich, dass sich für die russischen Athleten bald doch noch etwas zum Besseren wendet.

"Ich würde mir wünschen, dass dieser Erklärung auch Taten folgen", sagt die Olympiasiegerin und Duma-Abgeordnete Swetlana Schurowa. "Zum Beispiel eine außerordentliche Sitzung der IOC-Mitglieder, die in der Regel über solche Beschlüsse abstimmen. Vielleicht will Thomas Bach auf diese Weise abschätzen, wie die Presse, die Bevölkerung, die Fans und die Sportler reagieren werden. Und berufen sie auf dieser Grundlage eine außerordentliche Sitzung ein, damit unsere Sportler Zeit haben, sich für die Olympischen Spiele in Paris zu qualifizieren."

Russlands Regierungsvertreter sehen allerdings keinen Grund zur Hoffnung, dass Bachs Äußerung eine Wende in der Politik des IOC der willkürlichen Suspendierungen einleiten könnte.

"Die Erklärung des IOC-Präsidenten Thomas Bach während des G20-Treffens, dass der internationale Sport kein Instrument zur Erreichung politischer Ziele werden sollte, ist alles andere als aufrichtig", kommentierte der stellvertretende russische Ministerpräsident für Tourismus, Sport, Kultur und Kommunikation, Dmitri Tschernyschenko.

Bachs Auftritt sei nicht mehr als eine Fassade, ein Versuch, laufende und eindeutig politisch motivierte Aktionen des IOC zu verschleiern. "Das Fehlen von konkreten IOC-Vorschlägen, um die Anwendung dieser Forderung während des G20-Treffens sicherzustellen, ist ein direkter Beweis dafür", fügte der Minister hinzu.

Mit Verwendung von Materialien der Zeitung Wsgljad.

Mehr zum Thema - Russische Olympiasiegerin Lassizkene zu Staatsbürgerschaftswechsel: "Bin zu alt dafür"

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.