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Russlands Premier besucht Kurilen und kündigt Freihandelszone an – Japan bestellt Botschafter ein

Russlands Premier Mischustin hat die Kurilen-Insel Iturup besucht und die Einrichtung einer Freihandelszone mit bedeutenden Vergünstigungen und Infrastrukturprojekten angekündigt – etwa die Energieversorgung mit Flüssigerdgas. Tokio bestellte sogleich den russischen Botschafter ein.
Russlands Premier besucht Kurilen und kündigt Freihandelszone an – Japan bestellt Botschafter einQuelle: Sputnik © Dmitri Astachow / RIA Nowosti

Der russische Premierminister Michail Mischustin hat sich zu einem Arbeitsbesuch auf der Insel Iturup der fernöstlichen Inselkette Kurilen eingefunden. Japan, das die Kurilen in Gänze für sich beansprucht, hatte den Ministerpräsidenten bereits im Vorfeld aufgerufen, auf seinen Besuch der Inseln zu verzichten – und bestellte nach Mischustins Eintreffen dort sogleich den russischen Botschafter in Japan in das Außenministerium ein. Dabei könnten Investoren und Unternehmen nicht nur aus Russland, sondern auch aus dem Ausland und gerade auch aus Japan von den Plänen Russlands zur wirtschaftlichen und Infrastrukturentwicklung der Inseln durchaus profitieren. In der Tat hat man in Russland bei den Entwicklungsplänen für die Kurilen neben anderen Ländern gerade auch das benachbarte Japan im Blick. Doch so günstig dies für Japan (und Russland) auch wäre – die japanische Regierung ist nicht nur im Hang zu einer Revision des von der UNO festgehaltenen Status quo gefangen, sondern auch in ihrer außenpolitischen Abhängigkeit von den USA, die mit ihren militärischen Stützpunkten Japan seit dem Zweiten Weltkrieg de facto besetzt halten, bedauern Experten.

Im Gespräch mit den Mitarbeitern der Fischfang- und -verarbeitungs-Branche auf Iturup skizzierte Mischustin die Pläne der russischen Regierung in Bezug auf die Kurilen.

                                                                           

Zentralregierung nimmt Ausbau der Energieversorgung unter ihre Fittiche

Die Pläne zur wirtschaftlichen Entwicklung der vier Inseln der Kurilen-Kette Iturup, Kunaschir, Schikotan und Chabomai umfassen vor allem einen Ausbau ihrer Energieversorgung. Diesen Ausbau plant die Regierung in Moskau zusammen mit der Verwaltung der Oblast Sachalin, zu der die Inselkette gehört. Dabei will man gleich mehrere unterschiedliche Ansätze verfolgen – mit der wichtigste jedoch ist die Belieferung mit verflüssigtem Erdgas (LNG). Mischustin erinnerte, dass auf der Halbinsel Sachalin bereits eine Erdgasverflüssigungsanlage kleinerer Tonnage betrieben wird.

"Aktuell wird ein Kapazitätsausbau vorgesehen – unter anderem für die Versorgung der Kurilen. Doch dafür braucht es auch hier Infrastruktur, damit das LNG hierher geliefert werden kann."

Solche Infrastruktur befindet sich auf Iturup bereits im Bau – ein Flüssigerdgaslager soll dort im vierten Quartal 2023 abnahmebereit sein, entgegnete der Gouverneur der Oblast Sachalin Waleri Limarenko; der Premier seinerseits gab analoge Pläne auch für die Insel Kunaschir bekannt – dorthin soll das LNG in drei Jahren geliefert werden können. Limarenko umriss weitere Pläne für den Ausbau der Energieversorgung der Inseln:

"Für alle Kurilen-Inseln wurde im Rahmen des Modernisierungsprogramms der Energieversorgung die Lösung beschlossen, hier auch Windkraft und in manchen Fällen auch die Sonnenenergie zu nutzen."

Grundsätzlich übergab Mischustin die Verantwortung für die Lösung aller Fragen bezüglich Ausbau und Modernisierung der Infrastruktur auf den Kurilen dem Gouverneur der Oblast Sachalin. Dieser soll sie in Zusammenarbeit mit Russlands Energieminister Nikolai Schulginow in Angriff nehmen, berichtet die russische Zeitung Iswestija. Mittel dafür sollen nicht nur aus dem Budget der Oblast Sachalin kommen, sondern auch aus dem Föderationsbudget.

 

Freihandelszone für Unternehmen und Investoren – in- wie ausländische

Im Gespräch mit den Mitarbeitern der Fischfang- und Verarbeitungsbranche auf Iturup skizzierte Mischustin zugleich auch die Pläne der Regierung in Bezug auf das Wirtschaftsregime auf den Kurilen, zitiert die russische Nachrichtenagentur TASS:

"Die Gespräche bei uns drehen sich aktuell um die Verhängung eines hiesigen zollfreien Regimes."

Dies sei vor allem dafür notwendig, damit die für die produzierende Industrie notwendigen Anlagen und Waren dort angeliefert werden können, gibt die russische Zeitung Kommersant die Worte des Premiers wieder.

Eine Freihandelszone auf den Kurilen soll Investoren und Unternehmen dorthin locken, wo die Arbeitsbedingungen – auch die klimatische – "gar nicht einfach" sind. Dazu könnte man "[Unternehmen,] die hier arbeiten, hier investieren, von der Steuerpflicht befreien."

Konkret kommt eine Befreiung von Gewinnsteuer, Mehrwertsteuer, Besitz- und Grundsteuer und Transportsteuer infrage; zusätzlich "muss man, denke ich, hier den verringerten Versicherungssatz beibehalten."

Mit dem Wegfall vieler Steuern soll neben der finanziellen Belastung auch und gerade die administrative Belastung für die Unternehmen drastisch verringert werden, betonte der Premierminister:

"Aus dem, was ich bei Gesprächen mit Geschäftsleuten, dem Gouverneur gehört habe, [folgt:] Hier sind natürlich wesentliche Vergünstigungen unumgänglich, damit die Menschen bei ihrer Arbeit hier keine Zeit für das Ausfüllen verschiedentlicher Dokumente vergeuden."

All diese Vergünstigungen sind für die grundlegenden Wirtschaftszweige angedacht – ausdrücklich ausgeschlossen sind das Makler- und Finanzmaklerwesen, die Herstellung verbrauchssteuerpflichtiger Waren und der Fischfang. Generell ist auf den Kurilen-Inseln ausdrücklich kein Inlands-Offshore geplant.

Vor Antritt seiner Arbeitsvisite, die Sibirien und Russisch Fernost umfasst, habe Mischustin ein Paket der Maßnahmen, die die Wirtschaft auf den Kurilen-Inseln möglichst effektiv machen sollen, mit Präsident Wladimir Putin besprochen: "Und dieses Maßnahmenpaket ist so bisher nie dagewesen", betonte der Ministerpräsident. Im Anschluss an seine Arbeitsreise wird der russische Premier schließlich konkrete Vergünstigungsangebote an Unternehmen und Investoren, die auf den Kurilen tätig sind oder werden wollen, vorlegen.

"Ich denke, [die Einrichtung einer Freihandelszone auf den Kurilen] wäre eine gute Lösung für viele Investoren, Unternehmer und Menschen, die hier leben. Auch wäre dies interessant für westliche Investoren – aber auch für Japan, das bei Interesse hier Arbeitsplätze schaffen und mit uns zusammenarbeiten kann."

Auch Russlands Staatschef Wladimir Putin hatte wiederholt daran erinnert, dass man mit Japan an der Schaffung "der für die Teilnehmer der wirtschaftlichen Aktivitäten notwendigen Bedingungen" bereits lange zusammenarbeite. Aus diesem Grund – neben anderen Aspekten – hatte der Präsident den Premier damit beauftragt, bei dessen Arbeitsreise ein besonderes Augenmerk gerade auf die Kurilen-Inselkette zu legen, die zusammen mit Japan vom "einmaligen und präzedenzlosen" Angebot zur Teilnahme an den Maßnahmen zur wirtschaftlichen Entwicklung profitieren sollen.

Zwar sollen die Vergünstigungen für alle Unternehmen und Investoren gelten – solche aus Russland wie für alle Interessenten aus dem gesamten Ausland –, doch einfachste Logik diktiert, dass sich von den Letztgenannten gerade Japan als der quasi jenseits des Zaunes sitzende unmittelbare Nachbar hierbei vorrangig angesprochen fühlen sollte.

 

"Sich eine ruhigere Einstellung stehen lassen" – Japans künstliche Empörung wider besseres Wissen und wider eigene Interessen

Trotz dieses offensichtlichen guten Willens gegenüber Japan, mit dem die russische Regierung die geplante Entwicklung der Kurilen angehen will, zeigte man sich im Land des Lächelns über Mischustins Besuch auf Iturup vollends entrüstet. Bei einer Pressekonferenz am 26. Juli erklärte der amtierende Leiter des japanischen Kabinettssekretariats Katsunobu Katō:

"Der Besuch des Premierministers Russlands auf Iturup läuft der konsequenten Haltung Japans bezüglich der Nördlichen Territorien zuwider und ist zutiefst bedauernswert."

Das japanische Auswärtige Amt bestellte am Montag den Botschafter Russlands in Japan Michail Galusin ein, um ihm bezüglich des Besuchs von Mischustin auf Iturup den Protest Japans auszudrücken, schreibt mail.ru mit Verweis auf die japanische Nachrichtenagentur Kyōdō Tsūshinsha (Kyodo News).

Schon im Vorfeldder Arbeitsreise nach Russisch Fernost hatte Japan "über verschiedene diplomatische Kanäle an die russische Seite mehrfach Noten adressiert", in denen man Michail Mischustin aufrief, auf den Besuch auf Iturup zu verzichten, schreibt die russische Nachrichtenagentur TASS.

Ebenso konsequent wie derartige Noten, die in den russisch-japanischen Beziehungen eine lange Geschichte haben, ist auch die Position Moskaus bezüglich der unerschütterlichen Souveränität Russlands über die Südkurilen. Die Inselkette wurde im Ergebnis des Zweiten Weltkriegs an Russland angegliedert. Diesen Schritt interpretierte die Sowjetunion und interpretiert ihr Nachfolgerstaat Russland als eine Maßnahme im Sinne des Artikels 107 der Charta der Vereinten Nationen, wie sie von den Siegermächten gegen die Achsenmächte "als Folge des Zweiten Weltkrieges" ergriffen wurden. Konkret die Kurilen wechselten im Jahr 1945 den Besitzer von Japan zu Russland, als sie im Gegenzug für den Eintritt in den Zweiten Weltkrieg und den Kampf gegen das kaiserliche Japan, den wichtigsten regionalen Verbündeten Nazi-Deutschlands, von den Alliierten der Sowjetunion zugesprochen wurden. Die Rechte der Sowjetunion und der Russischen Föderation als deren Rechtserben an den Kurilen-Inseln wurden im Jalta-Abkommen vom Jahr 1945 festgeschrieben.

Indem Japan im selben Jahr den Akt über seine bedingungslose Kapitulation unterschrieb, nahm auch Japan die Bedingungen der Potsdamer Erklärung an, die die Übergabe der Inseln an die Sowjetunion beinhaltete.

Folglich kann es bezüglich der Zugehörigkeit von Iturup, Kunaschir, Schikotan und Chabomai keinerlei Zweifel geben. 

So reagierte Dmitri Peskow als Sprecher des russischen Präsidenten nur lapidar – jedoch nicht ohne die Einladung (auch an Japan als einen impliziten möglichen Partner unter vielen) zur Zusammenarbeit an der Entwicklung der Kurilen zu wiederholen:

"[Herr Mischustin] ist Vorsitzender der Regierung Russlands – und er besucht natürlich alle russischen Regionen, die zu besuchen er als notwendig erachtet und an deren Entwicklung wir zu arbeiten haben werden, auch unter Zusammenarbeit mit unseren Partnern."

Lakonischer gab sich die russische Botschaft in Japan:

"[…]Dieser Protest ist nicht hinnehmbar – angesichts der prinzipiellen Haltung der russischen Seite zur Zugehörigkeit der Südkurilen, die [völker]rechtlich begründet im Ergebnis des Zweiten Weltkrieges an unser Land gingen."

Wladimir Dschabarow, der erste stellvertretende Vorsitzende des Komitees zu internationalen Angelegenheiten im russischen Föderationsrat, führte hingegen aus: 

"Unser Premierminister führt Arbeitsreisen auf Staatsgebieten Russlands durch, die gemäß der Verfassung nicht von Russland abtrennbar sind. Er hat [nun auch] alles im von der Verfassung vorgegebenen Rahmen getan – wir brauchen weder eine Erlaubnis anderer Länder noch müssen wir sie benachrichtigen, wenn wir unser Staatsgebiet besuchen. Ich denke, die Japaner sollten eine ruhigere Einstellung zu [diesem Thema] einnehmen. Sie müssen verstehen, dass die Frage mit den [Kurilen-]Inseln für Russland abgeschlossen ist."

Dschabarow machte darauf aufmerksam, dass Russland Japan bereits mehrfach zur Zusammenarbeit zur wirtschaftlichen Erschließung der vier Südkurilen-Inseln aufgerufen hat:

"Dies wäre sowohl für Japan als auch für Russland vorteilhaft – besser, als zu versuchen, die Inseln Japan anzuschließen, damit dort am nächsten Tag US-Militärstützpunkte entstehen. Die Japaner machten nie Anstalten, [diese Pläne] zu verbergen. Sie befinden sich doch unter dem Schirm der US-Raketen", erinnerte der Politiker.

Nicht zuletzt besteht auch noch die Einigung zwischen Putin und Japans ehemaligem Premier Shinzō Abe über die gemeinsame Erschließung der Inselkette, erinnerte der Vorsitzende des Komitees für internationale Angelegenheiten in der russischen Staatsduma Leonid Sluzki. Auch solle sich Japan ernsthafte Gedanken um einen Friedensvertrag mit Russland machen. 

Etwas weniger Ablehnung als gegen den Besuch Mischustins auf Iturup legte Japan in Reaktion auf das russische Angebot zur Zusammenarbeit an den Tag. Zweifellos lag das auch daran, dass Russland sein aktuelles Angebot an internationale Anleger und Unternehmer (sowie vielleicht speziell an japanische) noch wird konkretisieren müssen, sodass eine derartige Zurückhaltung zunächst einmal angebracht ist. Japans Regierung habe Wladimir Putins Angebot zu den Kurilen Aufmerksamkeit entgegengebracht, erklärte Katsunobu Katō auf der Pressekonferenz am Montag. Eines "Ratespiels zum Inhalt" der Angebote wolle man sich enthalten. Der amtierende Leiter des japanischen Kabinettssekretariats bestätigte, man führe mit Russland Gespräche zur Zusammenarbeit auf den Kurilen.

Doch die prinzipielle Position Japans, die Inseln für sich zu beanspruchen, und ebenso das auf dem Land lastende US-Diktat werden ihm die Annahme des russischen Angebotes, sobald dieses konkret feststeht, wohl unmöglich machen. Diese Prognose stellt mit Bedauern Jewgeni Satanowski auf, ein prominenter russischer Orientforscher, Wirtschaftsexperte und Dozent. Ihm zufolge hätten Japan ebenso wie Japans US-Obrigkeit gänzlich andere Pläne für die Inseln:

"Bei all dem geht es ums Geschäft – ja, um hochrentable Wirtschaft, ja, wirklich unter einem einmalig [günstigen] Besteuerungsmodell, aber eben doch um normale Wirtschaft. Und diese sieht Investitionen vor und – wer weiß – vielleicht auch Technologientransfer. Und nicht das unkontrollierte Einfangen besonders wertvoller biologischer Rohstoffe – Fisch, Tintenfisch und Krabben – und deren Abtransport nach Japan", zitiert das russische Nachrichtenportal PolitRossija in seinem Exklusivmaterial.

"Also, es geht nicht um eine Legalisierung der [japanischen] Wilderei."

Auch das eherne Beharren Russlands auf seiner territorialen Unversehrtheit mache Japans Annahme des russischen Angebotes unwahrscheinlich und letztlich dieses jetzt schon als exzellent zu wertende Angebot wenig interessant, meint der Politologe. Denn die Inseln verbleiben auch im Falle von Japans Eingehen auf das Angebot in Russlands Besitz – und bei Aufrechterhaltung des territorialen Status quo können weder die USA noch Japan ihre Militärstützpunkte dort errichten. Der Geopolitik-Experte fragt rhetorisch:

"Und was können sie dann mit diesen Inseln anfangen? Von Hokkaidō aus voller Neid [den russischen Verteidigungsminister] Schoigu beobachten?"

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