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Der Mavi-Vatan-Plan: Erfüllung neo-osmanischer Träume und Sicherung geopolitischer Macht

Die Spannungen zwischen Ankara und Athen haben deutlich an Schärfe zugenommen. In Syrien und Libyen hat die Türkei Fakten geschaffen, mit Auswirkungen auf die EU. Selbst mit den USA und Russland legte sich Präsident Erdoğan an. Und in der Ägäis wogt das "Blaue Heimatland".
Der Mavi-Vatan-Plan: Erfüllung neo-osmanischer Träume und Sicherung geopolitischer MachtQuelle: AFP © Adem Altan

Als sich die Türkei noch relativ fest im westlichen Korsett der US-geführten NATO bewegte und auch die Hoffnung hegte, in die Familie der Europäischen Union aufgenommen zu werden, wusste man, wie man mit Ankara umzugehen hat. Daran änderte auch die Besatzung und Teilung Zyperns nichts, genauso wenig wie die zahlreichen Militärputsche.

Das alles hat sich mittlerweile grundlegend geändert. Unter der Führung von Recep Tayyip Erdoğan hat die Türkei dieses Korsett abgelegt und sich auch von der Idee verabschiedet, jemals von den westlichen Europäern als gleichberechtigter Partner in der EU angesehen zu werden. Gleichzeitig schüttelte das Land aber auch das Erbe von Mustafa Kemal Atatürk ab, verwässerte den strengen Laizismus bis zur Unkenntlichkeit und liebäugelt mit Vorstellungen, gegen die der "Vater der Türken" angekämpft hatte.

Während Atatürk die Türkei vor außenpolitischen Abenteuern bewahren wollte, sind heute türkische Truppen in Syrien und Libyen aktiv. Jenseits handfester wirtschaftlicher und strategischer Gründe spielen dabei offensichtlich auch historische Gründe und neo-osmanische Träume eine Rolle, wie Prof. Dr. Mesut Hakkı Caşın, sicherheitspolitischer Berater von Präsident Erdoğan erklärte.

Es geht um die Dominanz im östlichen Mittelmeerraum und die Ausbeutung von Energieressourcen wie Öl und Gas. Dafür wurde bereits 2006 der Mavi-Vatan-Plan ausgearbeitet, der übersetzt "Blaues Heimatland" bedeutet. Damit wird schon angedeutet, worauf der Plan abzielt.

Das Konzept der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) gibt den Küstenstaaten das Recht, diese bestimmten Zonen exklusiv für eigene wirtschaftliche Zwecke zu nutzen, ohne dass dieses Gebiet aber zum eigentlichen Staatsgebiet gehört. Streitigkeiten gibt es nun über die Frage, ob bewohnte Inseln über einen Festlandsockel verfügen, was nämlich die AWZ eines Landes erheblich erweitern können. Mit dem Seerechtsübereinkommen von 1982, das von den meisten Staaten anerkannt und dann auch ratifiziert wurde, war dieses Problem angegangen und entsprechend ernstgenommen worden. Nur wenige Länder wollten diese Übereinkunft nicht unterzeichnen, darunter insbesondere die Türkei und auch die Vereinigten Staaten von Amerika.

Ein Blick auf die Aufteilung der AWZ im östlichen Mittelmeer zeigt, wie klein der türkische "Anteil" insbesondere im Vergleich zu Griechenland ist und dass Griechenland durch die Regelung mit den Festlandsockeln von bewohnten Inseln besonders profitiert.

Dazu kommt, dass in den Gewässern vor Zypern auch noch enorme Gasvorkommen entdeckt wurden, die zum Teil auch von der Türkei oder der international nicht anerkannten Türkischen Republik Nordzypern beansprucht werden. Um diese – aus türkischer Sicht von Griechenland aufgezwungene – "Belagerung" zu durchbrechen, landete Ankara im November 2019 einen Coup mit der international anerkannten Regierung von Fayiz as-Sarradsch in Libyen. Mit dem von Sarradsch und Präsident Recep Tayyip Erdoğan unterzeichneten Abkommen wurde eine "Begrenzung der Einflussbereiche auf See" vereinbart, die noch durch eine militärische Komponente ergänzt wurde.

Mit anderen Worten: Es gelang der Türkei, das östliche Mittelmeer und die Aufteilung der Ausschließlichen Wirtschafszonen von Ost nach West zu durchbrechen und die "Fehler der Vergangenheit" zu korrigieren, wie es der Urheber des Mavi-Vatan-Plans, Admiral a.D. Cem Gürdeniz, erklärte. Man habe sich bei den Grenzziehungen zu sehr vom Westen einengen lassen, was seinerzeit aber kaum eine Rolle gespielt habe, weil man sich nicht vorstellen konnte, dass es eines Tages zu Öl- oder Gasförderungen vom Meeresgrund kommen werde. Deshalb müsse die Regierung diese Grenzen wieder für sich beanspruchen, indem durch Bohrungen wie beispielsweise "45 Meilen westlich von Paphos" die türkische Flagge gehisst wird, "und niemand die Türkei von hier vertreiben darf". Das Außenministerium habe diesbezüglich am 18. März 2019 gegenüber den Vereinten Nationen die neue Grenzziehung auf See "erklärt", so der ehemalige Admiral weiter.

Er findet es richtig, wie die türkische Regierung seit dem versuchten Putsch im Juli 2016 vorgeht. Man habe einen Prozess umgekehrt, der die Türkei von vielen Seiten aus unter Druck gesetzt hatte. Der Versuch, einen zusammenhängenden kurdischen Staat in Syrien zu installieren, war nur ein Beispiel dafür, dem man aber mit der "Operation Friedensquelle" im Oktober 2019 ein Ende bereitete. 

Das wichtigste Merkmal des Abkommens mit Libyen sei es, dass es "zwischen Griechenland und Ägypten" und zwischen "Griechenland und der griechisch-zypriotischen Regierung" einen Keil getrieben hat. Damit habe man "eine Position in diesem Prozess geschaffen, die die Thesen der Türkei stärken wird."

Abgesehen von geostrategischen und politischen Erwägungen spielen auch handfeste wirtschaftliche Interessen eine große Rolle bei diesem Konflikt im östlichen Mittelmeer und in Libyen. Mit dem Abkommen sicherte sich Ankara auch das Recht, in der libyschen AWZ nach Öl zu bohren. Bei den militärischen Operationen gegen den Widersacher von Sarradsch, General Chalifa Haftar, geht es am Ende auch um die Beteiligung türkischer Unternehmen am Wiederaufbau des Landes und um die künftige Vermarktung des libyschen Öls. 

Die Frage wird sein, wie sich Griechenland zu der Verschiebung der Grenzen verhalten wird, da es am stärksten von dieser türkischen Politik betroffen ist. Der griechische Verteidigungsminister Nikos Panagiotopoulos sagte Anfang Juni vor dem Parlament in Athen, dass man angesichts des "türkischen aggressiven Verhaltens" nicht zögern werde "Zähne zu zeigen".

Daraufhin erwiderte sein türkischer Amtskollege Hulusi Akar, dass es sich wohl um einen "Versprecher" von Panagiotopoulos gehandelt haben muss. Denn es sei "eine mathematische Gewissheit, dass (die) Griechen keinen Krieg gegen die Türkei beginnen wollen", sagte Akar dem TV-Sender A Haber. Stattdessen solle Athen an den Verhandlungstisch zurückkehren, um die Probleme auf diplomatischem Weg anzusprechen und zu lösen.

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