Deutschland

Debatte um Gesichtser­kennung: "Wunderbares Fahndungsinstrument" versus "totalitäre Technologie"

Einige Parlamentarier sehen automatisierte Gesichtserkennung als drastischen Eingriff in die Grundrechte, andere als unabdingbar. Während der Bundestag darüber debattiert, ergab eine Anfrage von Andrej Hunko, dass bereits knapp sechs Millionen Gesichter erfasst wurden.
Debatte um Gesichtser­kennung: "Wunderbares Fahndungsinstrument" versus "totalitäre Technologie"Quelle: www.globallookpress.com

Die mögliche Einführung automatisierter Gesichtserkennung im öffentlichen Raum hat am Donnerstag zu einer heftigen Kontroverse im Bundestag geführt. Diese Systeme können Menschen, deren Fotos in einer Polizeidatenbank gespeichert sind, sozusagen live erkennen, wenn sie von einer Videokamera gefilmt werden.

Bundesinnenminister Horst Seehofer will vorerst auf den Einsatz entsprechender Software verzichten. Er habe dazu noch Fragen, hatte er vergangene Woche erklärt. Deshalb ließ er einen Passus zur Verwendung entsprechender Software an Bahnhöfen und anderen sicherheitsrelevanten Orten aus einem internen Entwurf für das neue Bundespolizeigesetz streichen.

Verbrecherdatei mit Verbrechergesichtern

AfD- und Unionsvertreter machten sich in der Debatte am Donnerstag für den Einsatz der automatischen Gesichtserkennung stark. Unbescholtene Bürger hätten nichts zu fürchten, betonte der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion Mathias Middelberg (CDU). Die Aufnahmen würden schließlich mit einer Datenbank verglichen, in der Bilder von Schwerstkriminellen und Terroristen gespeichert seien. "Das ist gewissermaßen eine Verbrecherdatei mit Verbrechergesichtern."

Der AfD-Abgeordnete Roman Reusch kritisierte FDP und Grüne für ihre Kritik an der Novelle des Bundespolizeigesetzes. Wer den Sicherheitsbehörden "ein wunderbares Fahndungsinstrument aus den Händen schlagen" wolle, nehme "billigend in Kauf, dass eine große Zahl solcher Täter nicht erwischt wird", sondern "weitermachen" könne. Daher wünsche er den Unionsabgeordneten "viel Fortune dabei, den Bundesinnenminister wieder zu seiner früheren Auffassung zu bekehren".

Der Unionsabgeordnete Thorsten Frei meinte, dass ihm Widerstand aus der Bevölkerung gar nicht bekannt sei, auf den sich die Opposition beruft. Dabei gibt es nicht erst seit den Debatten um die Ausweitung der Befugnisse der Polizei Bürger, die eine schleichende und unumkehrbare Entwicklung zu einem Überwachungsstaat verhindern wollen. Außerdem hat sich ein Bündnis von Bürgerrechtsorganisationen zusammengeschlossen, um einen Stopp von Gesichtserkennung im öffentlichen Raum zu fordern. Sie verweisen auf die unausgereifte Technologie, die Diskriminierung bestimmter Bevölkerungsgruppen sowie die negativen Auswirkungen auf die Wahrnehmung fundamentaler Bürgerrechte und des Aufenthalts im öffentlichen Raum.

So betont beispielsweise Rainer Rehak, Doktorand am Weizenbaum-Institut für die vernetzte Gesellschaft und stellvertretender Vorsitzender des Forums "InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung", dass verbesserte Sicherheit etwa an Bahnhöfen zu begrüßen wäre, dass automatisierte Gesichtserkennung als Mittel dafür aber ungeeignet ist. Als "Techie" bestätigt er speziell, dass die Technologie eine viel zu hohe Fehlerquote aufweist. 

Polizeigesetzesreform ein "Schritt hin zu einem Überwachungsstaat"

Linke, FDP und Grüne sind gegen den Einsatz der Technologie. Die FDP fordert ein gesetzliches "Recht auf Anonymität" im öffentlichen Raum, das aber zum Zweck der Gefahrenabwehr und zur Strafverfolgung eingeschränkt werden kann.

Der innenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Konstantin Kuhle, sagte, es passe eher zu totalitären Regimen, wenn der Staat nachvollziehen könne, wo die Bürger sich befinden. Er zitierte aus einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2018 zur Datenerhebung anhand von Kfz-Kennzeichen, wonach bereits die Erfassung der Daten im öffentlichen Raum eine Einschränkung der bürgerlichen Freiheit darstellt, nicht erst der Abgleich.

Zudem verwies Kuhle auf die durchaus noch sehr hohe Fehlerquote bei dieser Technologie, wodurch Tausende unbescholtene Bürger täglich ins Visier geraten würden.

Auch Vertreter anderer Parteien wiesen auf die Schwächen des Systems hin. Anders als  bei der herkömmlichen Videoüberwachung würden Menschen bei der biometrischen Gesichtserkennung "individuell erkennbar", warnte die innenpolitische Sprecherin der SPD, Ute Vogt. Das sei gleichbedeutend mit einer anlasslosen Kontrolle, der die Verfassung zu Recht "sehr enge Grenzen" setze.

Eine automatische Gesichtserkennung im öffentlichen Raum ist sehr einfach auch zu überlisten." Täter könnten sich tarnen, Bürger würden jedoch anlasslos kontrolliert. 

Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, Konstantin von Notz, warf dem Bundesinnenminister vor, dass seine "jüngste Kehrtwende" ein "rein taktisches Manöver" sei, das nur von anderen im Gesetzentwurf enthaltenen "bürgerrechtlichen Kloppern" wie der Onlinedurchsuchung ablenken solle. Von Notz sagte zudem, Seehofer habe längst mit der Unionsfraktion ausgehandelt, "die entsprechenden Passagen im weiteren Verfahren wieder ins Gesetz zu hieven". Dabei erhöhe diese "totalitäre Technologie" die öffentliche Sicherheit nicht, sondern stelle einen "tiefen Grundrechtseingriff bei unbescholtenen Bürgern" dar. "Die Systeme sind völlig unausgereift, die Fehlerquote ist horrend", bemängelte von Notz.

Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken, André Hahn, forderte ebenso wie zuvor FDP-Vertreter ein "klares Stoppzeichen" für die Technologie und warnte, dass ein bei der Reform des Bundespolizeigesetzes geplanter Passus an 135 Bahnhöfen und 14 Flughäfen den Einsatz von automatisierter Gesichtserfassung erlaubt hätte. Das wäre ein "Dammbruch" und ein "weiterer Schritt hin zu einem Überwachungsstaat" gewesen.

Der öffentliche Raum dient dann praktisch nur noch der Fahndung.

Auch wenn der automatisierte Einsatz mit Videokameras vorerst Zukunftsmusik bleibt: Schon jetzt werden Systeme zur Gesichtserkennung für die Suche nach konkreten Personen in den Datenbanken der Polizei eingesetzt.

Aktuell können Polizeibehörden und Zoll in Datenbanken der deutschen Sicherheitsbehörden bereits auf mehr als 5,8 Millionen Gesichtsbilder zugreifen. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage des Innenexperten Andrej Hunko (Linke) hervor. Wie das Innenministerium darin weiter ausführt, hatte die für politisch motivierte Kriminalität und Spionage zuständige Abteilung des Bundeskriminalamtes (BKA) Anfang Januar zudem weitere 3.124 Fotos "recherchefähig gespeichert". Der Bildbestand der Staatsschutzabteilung ist allerdings nicht für alle Nutzer des polizeilichen Informationsverbunds zugänglich.

Herstellergeheimnisse versus Datenschutz

Nach Angaben der Bundesregierung wurden im ersten Halbjahr 2019 insgesamt 23.915 Anfragen an das Gesichtserkennungssystem des BKA gestellt. Die Bundespolizei recherchierte in diesem Zeitraum 1.200-mal und identifizierte dabei 219 Menschen.

Im vergangenen Jahr hatte das BKA Gesichtserkennungssysteme von fünf Herstellern getestet. Der Auftrag für ein neues System soll noch vor Ende März erteilt werden. Eingesetzt werden könnte die Software etwa bei polizeilichen Ermittlungsarbeiten oder im polizeilichen Erkennungsdienst. Die genaue Funktionsweise der Systeme sei dem BKA nicht bekannt, heißt es in der Antwort der Bundesregierung. Allerdings kämen dabei "Methoden des maschinellen Lernens" zum Einsatz.

Laut dem Linken-Abgeordneten Hunko ist die genaue Funktionsweise dem BKA jedoch gar nicht bekannt. Denn wie schon beim Staatstrojaner ist der Quellcode des Systems das Betriebsgeheimnis der Hersteller. "Bürgerrechte und Datenschutz dürfen aber nicht wirtschaftlichen Interessen untergeordnet werden. Die Offenlegung des Quellcodes muss Bedingung sein, dass Behörden eine solche Software überhaupt nutzen dürfen."

Grundsätzlich stehe seine Partei der Gesichtserkennung skeptisch gegenüber. Das BKA müsse erklären, wie es zu einem Zuwachs von einer Million Bilder in nur drei Jahren gekommen ist und seit wann diese Systeme genutzt werden, da es dazu stark abweichende Angaben gemacht habe.

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