Deutschland

UN-Sonderberichterstatter über Folter widerlegt Aussagen des Auswärtigen Amtes zu Assange-Berichten

Das Auswärtige Amt hat sich in einem wohl einmaligen Vorgang bis auf die Knochen blamiert. Von RT auf der BPK zu Berichten des UN-Sonderberichterstatters Nils Melzer über Julian Assange angesprochen, behauptet das AA, diese Berichte gebe es gar nicht. Dann kontert Melzer.
UN-Sonderberichterstatter über Folter widerlegt Aussagen des Auswärtigen Amtes zu Assange-BerichtenQuelle: AFP

von Florian Warweg

Am 26. November weilte der UN-Sonderberichterstatter über Folter, Nils Melzer, im Auswärtigen Amt (AA) für einen Arbeitsbesuch mit der dortigen Menschenrechtsabteilung. Auf der Agenda stand unter anderem die Lage von Julian Assange. Melzer bezeichnete das Gespräch einen Tag später im Rahmen einer öffentlichen Anhörung im Bundestag als "nicht besonders ergiebig", da die Verantwortlichen im AA ihm dort erklärt hätten, dass man seine Berichte zu Assange nach wie vor nicht gelesen habe:

In Deutschland wurde das Auswärtige Amt, die Regierung wiederholt darauf angesprochen, wie sie sich zu meinen Berichten stellt. Das Auswärtige Amt hat mich gestern eingeladen zu einem Treffen. Das Treffen hat stattgefunden mit der Menschenrechtsabteilung. Es war nicht besonders ergiebig. Man hat mir dort gesagt, man habe meine Berichte nach wie vor nicht gelesen. Ich habe dem Auswärtigen Amt ans Herz gelegt, sie mögen doch meine Berichte lesen, bevor sie sich darüber mit mir unterhalten. Denn das ist der Zweck meiner Berichte, dass sie eben gelesen werden, nicht? 

Mit Verweis auf diese Aussagen fragte RT-Deutsch-Redakteur Florian Warweg das AA auf der Bundespressekonferenz (BPK) am 2. Dezember, aus welchen konkreten Beweggründen sich das AA nach wie vor weigert, die Berichte des UN-Sonderberichterstatters über Folter von Assange zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen. Darauf antwortete der Sprecher des AAs, Rainer Breul, mit einem süffisanten Lächeln: 

Da liegt mindestens ein Missverständnis vor. Ich weiß nicht, ob es darüber hinausgeht. Ich möchte noch einmal Folgendes betonen: Es gibt keinen Bericht des Sonderberichterstatters zum Fall Assange. Es gibt zwei Pressemitteilungen. Diese Pressemitteilungen haben wir selbstverständlich gelesen. 

Es bleibt vorerst festzuhalten: Der UN-Sonderberichterstatter spricht sowohl beim Treffen im AA als auch bei der Anhörung im Bundestag offiziell und explizit von "meinen Berichten zu Assange", wohingegen das AA ebenso explizit die gegenteilige Aussage tätigt und behauptet, es gäbe keinerlei Berichte des UN-Sonderberichterstatters über Assange, sondern lediglich "zwei Pressemitteilungen". 

Auswärtiges Amt blamiert sich

Nach Veröffentlichung des Videos mit den entsprechenden Aussagen des Außenministeriumssprechers auf der BPK reagierte der UN-Sonderberichterstatter auf Twitter und widerlegte die Behauptungen des AAs, in dem er die Links zu sieben von ihm verfassten offiziellen Berichten verlinkt:

Das ist keine plausible Verneinung durch das @AuswaertigesAmt: Am 26.11.19 habe ich sie ausdrücklich über meine Bedenken bezüglich schwerer und systematischer Verstöße gegen #Assange informiert und auf meine entsprechenden offiziellen Mitteilungen an die beteiligten Regierungen hingewiesen, die unter diesen Links öffentlich zugänglich sind.

Mit der Verlinkung auf die sieben offiziellen Schreiben widerlegt der UN-Sonderberichterstatter unwiderruflich die Aussage des AAs auf der BPK, dass es angeblich keine Berichte, sondern nur "zwei Pressemitteilungen" gäbe. RT Deutsch fragte den UN-Sonderberichterstatter daraufhin direkt nach einer Stellungnahme und Einschätzung zu den Aussagen des AAs an, die uns Herr Melzer auch umgehend zukommen ließ. Um Verkürzungen zu vermeiden, veröffentlicht RT Deutsch die ungekürzte Stellungnahme des UN-Sonderberichterstatters über Folter, in welcher er auch auf die Thematik eingeht, ob seine Schreiben offiziell als "Berichte" gewertet werden. 

Stellungnahme des UN-Sonderberichterstatters über Folter zu Aussagen des AAs bei der Bundespressekonferenz

Sehr geehrter Herr Warweg, 

danke für Ihre Anfrage. Hier meine Stellungnahme:

Ganz streng genommen handelt es sich bei meinen offiziellen Schreiben nach dem Klassifizierungssystem der UNO zwar nicht um eigenständige "reports" (Berichte), sondern um "communications",  und zwar entweder um "urgent appeals" oder um "allegation letters".  

Diese communications werden aber jeweils im periodischen "Special Procedures Communications Report" dem Menschenrechtsrat in Genf unterbreitet, welcher alle "individual communications" der verschiedenen Special Procedures seit der letzten MRR-Sitzung umfasst (Bsp. A/HRC/42/65, https://documents-dds-ny.un.org/doc/UNDOC/GEN/G19/259/83/PDF/G1925983.pdf?OpenElement). Die einzelnen communications werden ausnahmslos auf der OHCHR Communications Database veröffentlicht und sind integraler Bestandteil dieses periodischen Berichtes. Jede communication enthält daher den folgenden Schlusssatz: "I would appreciate receiving a response within 60 days. Passed this delay, this communication and any response received from your Excellency’s Government will be made public via the communications reporting website. They will also subsequently be made available in the usual report to be presented to the Human Rights Council."

Dass das AA von der Existenz meiner communications im Fall Assange nichts wusste, ist kaum vorstellbar, kann spätestens seit meiner dortigen Unterredung vom 26.11.2019 aber mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Sollte sich das AA heute jedoch tatsächlich auf den Standpunkt stellen, meine communications seien eben keine "reports", dann wäre diese Antwort aus meiner Sicht bestenfalls als überspitzt formalistisch zu beurteilen, und schlimmstenfalls als bewusst irreführend, da sich Ihre Frage ja eindeutig und klar verständlich auf die inhaltliche Beurteilung meiner im Assange-Fall geäußerten Bedenken durch das AA bezogen hatte.

Mit besten Grüssen, 

Professor Nils Melzer

United Nations Special Rapporteur on Torture

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Was folgt daraus?

Aus diesen Ausführungen ergeben sich mehrere Schlussfolgerungen, die allesamt die Außenkommunikation des AAs in keinem guten Licht erscheinen lassen:

I. Die Aussage des deutschen Außenamtes, dass es vom UN-Sonderberichterstatter zum Fall Assange nur "zwei Pressemitteilungen" gibt, ist nachweislich falsch. Es gibt, wie vom UN-Sonderberichterstatter aufgezeigt, sieben "communications" ("Mitteilungen") aus seiner Feder zur Lage von Assange:

GBR27.05.19: bit.ly/2YrnEvM

ECU28.05.19: bit.ly/2Opnhhk

USA28.05.19: bit.ly/30SV8ka

SWE28.05.19: bit.ly/2YtIGcX

USA12.09.19: bit.ly/2X1gWJu

SWE12.09.19: bit.ly/2NXUAEN

ECU02.10.19: bit.ly/2OFQAdu

Diese sieben Berichte haben nichts mit den vom AA erwähnten "zwei Pressemitteilungen" zu tun. Die Pressemitteilungen, auf die sich das AA bezieht und behauptet, es seien die einzigen Dokumente von Melzer zu Assange, wurden von der UN am 31. Mai sowie am 1. November begleitend zu den "Berichten" veröffentlicht:

Erste Pressemitteilung: UN expert says "collective persecution" of Julian Assange must end now

Zweite Pressemitteilung: UN expert on torture sounds alarm again that Julian Assange’s life may be at risk

II. Ebenso falsch ist in Folge die offizielle Aussage des AAs, dass es "keinen Bericht des Sonderberichterstatters zum Fall Assange" gäbe. Man beachte hierbei auch die sprachliche Ironie "keine Berichte des Sonderberichterstatters. Zwar werden, wie Herr Melzer auch in seiner Stellungnahme ausführt, seine "Berichte" (reports) im UN-Klassifizierungssystem zunächst nicht als "reports", sondern als "urgent appeals" oder "allegation letters" benannt, erfüllen aber die Aufgabe von Berichten und sind unbestreitbar keine Pressemitteilungen. Im weiteren Verlauf werden die "communications" des UN-Sonderberichterstatters über Folter aber, wie auch von Melzer dargelegt, im "Special Procedures Communications Report" gesammelt und in einer auch im offiziellen UN-Klassifizierungssystem als "Bericht" geltenden Form dem UN-Menschenrechtsrat in Genf unterbreitet:

III: Im besten Fall hat das AA sehr schlampig gearbeitet und war tatsächlich nicht darüber im Bilde, dass es neben den zwei Pressemitteilungen sieben offizielle Berichte über die Lage von Julian Assange aus der Feder des UN-Sonderberichterstatters über Folter gab. Gegen diese Variante spricht allerdings, dass der UN-Sonderberichterstatter am 26. November zu einem Arbeitsbesuch im AA weilte und in diesem Zusammenhang die Leiter der dortigen Menschenrechtsabteilung auf diese sieben Berichte hingewiesen hat. Das heißt, spätestens am Abend des 26. Novembers wusste das AA, dass es diese sieben Berichte gibt. Die Aussage des Außenamtssprechers Rainer Breul auf der BPK gegenüber RT Deutsch – "Es gibt keinen Bericht des Sonderberichterstatters zum Fall Assange. Es gibt zwei Pressemitteilungen" – wurde aber sechs Tage (!) später auf der BPK am 2. Dezember getätigt. 

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IV. Alle Indizien deuten folglich darauf hin, dass das AA auf der BPK am 2. Dezember bewusst irreführende Angaben über den UN-Sonderberichterstatter Nils Melzer und dessen Berichte zur Lage von Julian Assange getätigt hat. Eine öffentliche Richtigstellung wäre das Mindeste, um die unter Bundesaußenminister Heiko Maas sowieso angeschlagene Reputation und Glaubwürdigkeit des AAs nicht noch weiter erodieren zu lassen. 

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